Soeben erfuhr ich, dass bereits am 1. Mai der Evangelische Kirchentag beginnt, just am Kampftag der Arbeiterklasse, da gewöhnlich die Berliner Maifestspiele der arbeitsfreien Autonomen zwischen Cotti und Kollwitzplatz stattfinden.
Deshalb vorab meine Bitte um Nachsicht: Ich will Sie beileibe nicht mit immer neuen News und Stuss überfluten. Doch da ich in den nächsten Tagen / Wochen womöglich gehindert bin, dem Weltgeist auf die Sprünge zu helfen, möchte ich noch schnell nachfolgenden Text in den digitalen Raum stellen.
Dazu noch eine Vorbemerkung: Es handelt sich um ein bislang unveröffentlichtes Elaborat aus meiner Zeit als ehemaliger - und einmaliger - taz-Autor. Vor zig Jahren (anno 1999) erschien von mir im "Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken" ein Aufsatz über das "Elend des Protestantismus". Daraufhin rief mich ein taz-Redakteur an und bat mich um einen Beitrag zu dem damals bevorstehenden Kirchentag in Stuttgart. Ich ließ mir von der Kirchentagsleitung die Unterlagen - ehedem noch per Post, aber immerhin gratis - zuschicken und machte mich an die Arbeit.
Das Resultat meiner laientheologisch-praktischen Bemühungen fand der Redakteur - er war schließlich als Akteur der protestantischen Heerschau auch persönlich involviert - leider befremdlich, nicht ohne zu erklären, dass es schon mehrfach passiert sei, dass von der taz für einen Beitrag engagierte Autoren ihre Aufgabe nicht ganz ernst nähmen. Mein Beitrag falle in diese Kategorie.
Um den Mann nicht gänzlich zu enttäuschen, schrieb ich noch einen anderen, dem Ernst des Bekennertages womöglich angemesseneren Artikel. Es war - sicher auch zum Bedauern meiner community - mein erstes und letztes publizistisches Rendez-vous mit der taz.
Da der Weltgeist seit der Verwohlfeilerung des PC nicht mehr im Papierkorb, sondern auf der Festplatte landet, ist mein Originalbeitrag erhalten geblieben. Da Charakter und Botschaft der Protestanten-Show seit Jahren/Jahrzehnten sich kaum geändert haben, erscheint mir mein Papierkorb-Artikel von anno dunnemals noch durchaus aktuell. Revisionsbedürftig erscheinen allenthalben die Namen einiger ausgewechselten Politiker, der Verewigten sowie der von Funktionswechsel betroffenen Kirchenfunktionärinnen, e.g. Maria Jepsen (wegen Nichtverhinderung von Kindsmissbrauch - bei den Evangelen ! - aus dem Amt geschiedene Bischöfin)) und Margot Käßmann (einst Kirchtentagschefin, dann Ratsvorsitzende der EKD, jetzt spiritus rector (f.) bei Chrismon sowie Intendantin des Luther-Jubiläums 2017).
Aus verletzter Eitelkeit (in den Papierkorb? Nie!) und als gleichsam zeitloses Dokument stelle ich das abgewiesene taz-Produkt von 1999 zugleich als - m.m. informative - Vorausschau auf die diesjährige Protestanten-Rallye (1.-5.Mai 2013 in Hamburg) für meine community ins www.
Zum
Kirchentag [1999]: "Womit soll man salzen?" (Matth. 5, 13)
von
Herbert Ammon
Im Programm heißt
es noch ganz optimistisch: „Was steht auf der Tagesordnung für ein
friedliches Europa?“ Als Podiumsdiskutanten haben
Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Friedbert Pflüger und György
Konrad zugesagt. Ob bei der jetzigen Debatte, die zum medialen
Großereignis des Kirchentags werden dürfte, die nachdenkliche
Stimme Konrads noch zur Geltung kommt, wenn Daniel Cohn-Bendit mit
unübertrefflicher Selbstsicherheit den Sinn des Bombenkrieges
erklärt ? Dany, der eine „Liebeserklärung an Europa“ abgeben
will, hat gewiß auch, anders als Scharping, keine Bedenken beim
Einsatz deutscher Bodentruppen. Vielleicht ist die Bomberei zu Beginn
der protestantischen Heerschau aber auch schon beendet, dann erleben
wir in der Abendschau bei Politikern und Protestanten (sc./-innen)
das physiognomische Widerspiel von Entsetzen, Erleichterung und
Selbstgerechtigkeit.
Dabei war der
Krieg ursprünglich nur als Thema unter anderen eingeplant:
„Bosnien, Kosovo und kein Ende“. Inzwischen eine
Programmänderung: Wo es unter dem Motto Peace
to the City - das
576 Seiten starke Programm 28. Deutschen Evangelischen Kirchentags
ist kirchensprachlich durchtränkt von der koinè
der
Medienökumene - um Gewalt in den Fußballstadien und auf den
Schulhöfen gehen sollte, wird man sich nun „dem Thema stellen,
wie denn Gewalt im Kosovo zu überwinden sein könnte“. Ja, wie
wohl ? „Und welche Art von Humanismus“, fragt der Realpolitiker
Henry A. Kissinger, „bringt seine Abneigung gegen militärische
Verluste dadurch zum Ausdruck, daß er die zivile Wirtschaft des
Gegners auf Jahrzehnte hin verwüstet?“ (Newsweek,
31.Mai
1999).
In ihrem
statement
(i.e. Presseerklärung)
erinnert die Generalsekretärin Margot Käßmann an die bisherigen
Friedensbemühungen: Von Anbeginn 1949 sei es um den Frieden
gegangen, vor allem in den 80er Jahren, wo bekanntlich die
sandinistischen Comandantes in olivgrüner Uniform dem Frieden und
dem deutsch-deutschen Kirchentagskampf gegen die Atomraketen die
besondere Würze gaben, aber auch 1991 nach dem Golfkrieg und 1995
während des Bosnienkrieges. „Christinnen und Christen sehen ihre
Aufgabe darin, zum Frieden zu erziehen, für Frieden zu beten und in
den Frieden zu investieren“. Freilich: Über den Sinn der
Investition sind Zweifel angebracht, denn die Christinnen und
Christen sind „mit Blick auf die Frage nach der Legitimation von
Krieg tief gespalten“.
Die
Welt der Realitäten
Weiß Gott, die
Welt der häßlichen Realitäten ist erneut ins Reich der schönen
Gesinnung eingebrochen. Wo selbst der praeceptor
Germaniae occidentalis
Habermas „angesichts der begründeten Ambivalenz einer einseitigen
Parteinahme“ ideologisch ins Schwimmen gerät, sind die Artisten
des deutschen Protestantismus erst recht ratlos. Seit Monaten
beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an einem unerklärten
Krieg, das Land auf dem Balkan, mit dem „unser Land“ („Von
Gegenwart und Zukunft unseres Landes“) in heilloser Geschichte
verknüpft ist, wird verwüstet, die Flüchtlingsströme, die es
angeblich zu stoppen gilt, schwellen an, Menschen werden verstümmelt
oder zu Tode gebracht. Jene Politiker/innen, die jahrzehntelang die
besondere deutsche Pflicht zum Frieden beschworen, bereichern nun das
Politkauderwelsch mit Begriffen wie „Kollateralschäden“,
worunter
der Tod Unschuldiger zu verstehen ist. Zweifel am Sinn ihres
Unternehmens bannen die besseren Deutschen auf doppelte Weise:
erstens metaphysisch, genauer mit der Trivialisierung von
„Auschwitz“, zweitens praktisch: Die Bombenangriffe - damals
mit
UNO-Mandat - hätten anno 1995 die Serben zur Annahme des
Dayton-Abkommens genötigt. Was verschlägt´s, daß wir soeben aus
der Feder des Dayton-Vermittlers Richard Holbrooke (To
End a War,
432 S.) erfahren, die Bomben hätten in erster Linie den in
Siegerlaune vorrückenden bosnischen Moslems signalisieren sollen,
das Abkommen samt neuen Grenzen für die Republica Srbska gefälligst
zu unterschreiben. Derlei Nuancen können unser gutes Gewissen
nicht irritieren, denn auch wir Deutschen haben diesmal, ganz wie im
Bob-Dylan-Song, unter Führung frommer Protestanten wie Bill Clinton
und Tony Blair [Einschub A.D 2013: Tony ist inzwischen Vollblut-Katholik geworden] „God on our side“. Wie es um Glauben und
Gewissen des Protestanten Jospin bestellt ist, entzieht sich der
Medienöffentlichkeit.
Nein, Gott, der
Herr der Geschichte, hat sich seit der Aufklärung zurückgezogen
und sein Schöpfungswerk den Menschen überlassen, zuerst den Deisten
und den Pantheisten, im Gefolge der Junghegelianer wiederum jeder
Art von Atheisten, in letzter Zeit hauptsächlich den Agnostikern,
den Feministinnen und Moralisten. Gewiß, in den Leerräumen der
alten Metaphysik wuchs Ideologie aller Art nach, mit ziemlich
grauenhaften Konsequenzen im zurückliegenden Jahrhundert. Doch
hatten wir nicht die Schrecken der Vergangenheit hinter uns gelassen,
durch unablässige Trauerarbeit die Erkenntnis gewonnen: Nie wieder
!?
Kirchentag
des Hinterfragens ?
Wenn es nun
doch wieder losgeht, so scheint selbst diese letzte Gewißheit
dahin. Zeit zum Nachdenken, zum Umdenken: metanoeite,
altmodisch
übersetzt mit „Tut Buße!“ Wenn Nachdenklichkeit, Einkehr und
Umkehr schon nicht von den Regierenden zu erwarten ist, dann
vielleicht von den Verkünderinnen und Verkündern der guten
Nachricht, unseren Schwestern und Brüdern auf dem Kirchentag ? Die
Kirchentagspräsidentin Barbara Rinke, Oberbürgermeisterin von
Nordhausen, scheint in unnachahmlich protestantischem Tonfall so
etwas anzudeuten: „Kirchentag als Zeitansage wird zur
Besinnungsstation auf dem Weg ins nächste Jahrtausend....Es wird ein
Kirchentag des Hinterfragens sicher geglaubter Positionen werden“.
Das
„Hinterfragen“ beginnt wie folgt: „Wir wollen es wagen, von
einer Zukunft zu träumen, von der sich Christen entsprechend unserer
Losung für ihren Glauben mehr Geschmack, für die Schöpfung mehr
Bewahrung und für die Gesellschaft mehr Frieden erhoffen“. First
things first:
Die „Frage, die die Deutschen am meisten bewegt“, ist die Frage
nach mehr sozialer Gerechtigkeit, die Zukunft der Arbeitsgesellschaft
„und dabei auch die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen
Ost und West“. Doch dann geht es zum aktuellen Friedensthema:
Angesichts der „kriegerischen Handlungen in Kosowo“ wird es
„Gelegenheit geben,...Betroffenheit und Ratlosigkeit zur Sprache zu
bringen“. Gewiß, Betroffenheit, Ratlosigkeit und Schuldgefühle
bilden den Dreiklang der protestantischen Seele. Indes: Irrt nicht
die Autorin im Glauben, „die Diskussion in der Gesellschaft
schein[e] auf die Frage hinauszulaufen, wie werden wir am wenigsten
schuldig ?“
Wie wenig die
christliche Frage nach Schuld und Erlösung des Sünders die
Wohlstandsgesellschaft noch interessiert, ist an den
Fernseheinschaltquoten (Talkshow, Politshow, Peepshow) und den
Kirchenaustrittsquoten (ca. 200 000 jährlich) abzulesen. Die leeren
Kirchen und Kassen gehören keineswegs nur zum geistig-politischen
Erbe des atheistischen Realsozialismus. Da es „auch im Westen nicht
mehr selbstverständlich [sei], einer christlichen Kirche
anzugehören“, meint die Kirchentagspräsidentin, „leiste der
Kirchentag einen wichtigen missionarischen Beitrag“.
Wer missioniert,
steht fest im Glauben, daher auch das Motto des Kirchentags: „Ihr
seid das Salz der Erde“ (Seligpreisungen Matth.5, 13). Tatsächlich
will der Kirchentag den Schwerpunkt nicht auf irdische Werte, d.h.
„auf Finanzfragen“, sondern auf die zeitlosen Dinge legen, auf
Glaubensinhalte, Liturgie, theologischen Diskurs. Wie steht es mit
der Zukunft des christlichen Glaubens? Zunächst, wie steht es mit
dem Geist der Ökumene ?
Reduzierte
Ökumene in der Einen Welt
Den Hauptvortrag
zum 50. Geburtstag des Kirchentags hält ein ökumenischer
Würdenträger, der armenische Katholikos Aram I. aus
Antelias/Libanon über „Die Zukunft der Kirchen in ökumenischer
Perspektive“. Danach bewegt sich der Zug der Ökumene in der Einen
Welt durch steiniges Gelände: In einem gemeinsamen Forum des
Kirchentags („Laientreffen“) und des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken geht es um Urprotestantisches, um die
PriesterInnenschaft aller Gläubigen. Daher solch bohrende Fragen wie
„Spalten die Ämter die Kirche?“ und „Braucht die Christenheit
einen Papst?“ Später, unter der Rubrik „Die verbesserliche
Welt“, taucht dann die Frage auf: „Ist die Ökumene noch zu
retten ?“ Eine ungewollte Pointe. Dem Programm zufolge konzentriert
sich die Ökumene derzeit vor allem auf die „Arbeitsgemeinschaft
Juden und Christen“, die sich gegenüber christlichen
Fundamentalisten („Evangeliumsdienst für Israel e.V.“) einig
weiß in der Ablehnung der Judenmission. Bezieht die Großökumene
auch die „Begegnung mit Muslimen“ ein, so fehlt beim Thema
„Chancen und Grenzen - Muslime und Christen in der säkularen
Gesellschaft“ anscheinend der muslimische Gesprächspartner. Wäre
hier nicht der Muslim Bassam Tibi, der eindringlich vor dem Islam
inhärenten integristischen Tendenzen warnt, der geeignete Mann auf
dem Podium ? Nein, denn die „mutigen Frauen“, die das Land
braucht, propagieren „Vielfalt der Kulturen - total normal“.
Daß in
Deutschland nichts mehr normal sein darf, gehört zum Credo des
deutschen Nachkriegsprotestantismus. Auf dem Kirchentag lautet die
Frage: „Deutschland - normal nach Auschwitz?“ - erwartungsgemäße
Antwort auf Martin Walser, der, anders als seine Kritiker, immer
wieder den Transzendenzverlust der Gegenwart beim Namen genannt hat.
Daß die deutsche Katastrophe, das schlechte Gewissen der Deutschen,
also der nationale Wesenskern des protestantischen Aktivismus, die
massive Einwanderung (militant
migration) mit
allen Folgeproblemen begünstigt, diese Frage darf im Horizont des
deutschen Schuldprotestantismus gar nicht erst aufkommen. Warum aber
sollten die Neubürgerinnen und Neubürger die deutsche Schuld, unser
ethnisch-nationales Wesensmerkmal, auf sich nehmen ? Warum bedarf
Hans Küngs „Weltethos“ der deutschen Schuldmetaphysik ?
Wo die Muslime
stärker präsent sind, fehlen viele der einst ökumenisch hofierten
Orthodoxen. Ob den 100 000, von denen „mehr als zwei Drittel“ mit
24 Sonderzügen und ca. 800 Bussen zur „umweltbewußten
Großveranstaltung“ anreisen, ob allgemein dem Kirchenvolk die
tieferen Gründe für die reduzierte Ökumene bewußt sind ? Oder
soll bewußt gemacht werden, daß von den Kirchen der christlichen
Orthodoxie in Stuttgart außer dem Katholikos nur die Rumänen
vertreten sind ? Die Georgier und die Bulgaren sind aus dem
Weltkirchenrat bereits ausgetreten, die anderen autokephalen Kirchen
gehen seit einiger Zeit auf Distanz. Warum wohl ?
Neue
Pilgerpfade?
Zurück auf den
Weg des protestantischen Glaubens: Kraft für einen „Pilgerweg
Aufbruch in eine gerechtere Welt“ sammeln die Kirchentagsfrommen in
einer Bibelarbeit mit den Theologinnen Schottroff (Kassel) und Sölle
(Hamburg). Ja, Dorothee Sölle bewährt sich, zusammen mit ihrem
angetrauten Ex-Dominikaner (?) Fulbert Steffensky, auf dem Kirchentag
als postsozialistische Stachanowa im Salzbergwerk: Sie hat sich neun
Arbeitseinsätze auferlegt, einsame Spitze. Der Pilgerpfad besteht
aus sieben Stationen, vom Neuen Schloß bis zum Birkenkopf. An der
ersten Station gibt Sölle eine „Einleitung ins Pilgern“.
An der
zweiten Station diskutieren Erhard Eppler und je ein/e Vertreter/in
der Landesbank Baden-Württemberg über „Schuld und Entschuldung“.
(Der Lapsus im Programm, wo eine „Entschuldigung“ angekündigt
war, wurde im Nachtrag korrigiert.) Bei der nächsten Station geht
es im evangelischen Sprachduktus um „leben: armut ausgrenzen“,
danach dürfen sich die Pilger ausruhen. Auf der sechsten Station
werden sie „ins meditative Gehen“ eingewiesen, ehe sie auf dem
Birkenkopf angelangt sind, „wo Gerechtigkeit und Frieden sich
küssen“. Zum großen liturgischen Abschiedsfest spielt - im
Hinblick auf den Kosovo politisch leicht inkorrekt - das
Theodorakis-Ensemble, Stuttgart. Die Rückkehr in den Alltag
moderiert um 18.00 h Franz Alt, der in den friedensbewegten 80er
Jahren Jesus als „der neue Mann“ entdeckte.
Wem die
Sölle-Pilgerfahrt zu anstrengend ist, begibt sich auf den einst so
sicheren Pfaden des Linksprotestantismus zu den Wirkungsstätten des
jüngeren Christoph Blumhardt (1842-1919). Dieser gab das von seinem
Vater, dem pietistischen Erwecker und Glaubensheiler, übernommene
Pfarramt in Bad Boll auf und wurde als sozialdemokratischer
Abgeordneter im württembergischen Landtag (1900-1906) zu einem
Wegbereiter des religiösen Sozialismus. Worte der Stärkung erwarten
die Pilger aus dem Mund des SPD-Politikers Frieder Birzele mit
Laienworten über den „Christusträger“ (=Christoph) und des
Theologen Jürgen Moltmann (Tübingen), der über die
„Reich-Gottes-Hoffnung und Hoffnungszeichen in der Welt“
referiert, im Anschluß an die Frage nach der „Aktualität von
Blumhardts Theologie“. Unter dessen Einfluß begründete einst Karl
Barth eine feste protestantische Burg aus Neo-Orthodoxie und
Sozialismus. Die Barthsche Dogmatik, befestigt in den
Glaubenskämpfen der Bekennenden Kirche, verhalf einst dem
Nachkriegsprotestantismus zu neuer Glaubensstärke. Was ist aus den
alten Glaubensfesten geworden ? Wer hat den Barthschen
„Offenbarungs-positivismus“ (D. Bonhoeffer) unterminiert ?
Bultmann, Käsemann, Pannenberg oder der postchristliche Zeitgeist,
Maria Jepsen ?
Daß der
christliche Sozialismus im Zeichen von Neoliberalismus und
Globalisierung auf Erweckung harrt, dafür finden sich im Programm
nur schwache Anzeichen. Die aus Kuba eingeflogene Musikgruppe
„Kairos“ begleitet einen der beiden Eröffnungsgottesdienste, am
Tag darauf erbaut sie im Studio der Landesgirokasse das Publikum der
demokratischen Marktgesellschaft mit „christlicher Musik aus dem
sozialistischen Land in Mittelamerika“. Als Vertreter der
sozialistischen Orthodoxie kommt der Schweizer Nationalrat Jean
Ziegler zweimal zu Wort. Daß er gegen „die mörderische
Weltordnung“ und den „Casinokapitalismus“ zu Felde zieht, steht
außer Frage. „Er verhilft zur Klärung der Weltverantwortung der
Kirche“, heißt es im Programm.
Hier aber stoßen
sich Tatsachen und Theorien hart im Raum: Welcher Weg führt denn
wirklich zu Gerechtigkeit und Frieden in der Einen Welt ? Vor Jahren
lagen die Dinge noch einfacher, da propagierte Dieter Senghaas die
Abkoppelung für die „Dritte Welt“, heute denkt er über
„militärische und zivile Formen der Konfliktlösung“ auf dem
Balkan nach. Wie also kommen wir ökonomisch zur neuen Weltordnung ?
Der nach Adam Smith und F.A. Hayek friedensstiftende liberale
Weltmarkt, der an nationalstaatliche Handlungsfähigkeit gebundene
Keynesianismus oder die zur Zeit auf Kuba reduzierte,
tourismusgestützte sozialistische Planwirtschaft ? Sind in
oeconomicis
nicht stets Faktoren im Spiel, die nicht auf die simple Formel
„Ökonomie von oben - Ökumene von unten ?“ gebracht werden
können ? Obgleich das weder die Experten noch die Regierenden (mit
Heide Wieczorek-Zeul auf dem Podium) so genau wissen, proklamieren
die ProgrammacherInnen: „Wir können auch anders !“ Der gute
Glaube - wenigstens an die Entschuldung - ist also noch nicht tot.
Mit derartiger Selbstmotivation finden sich die Christinnen und
Christen auch in der global-liberalen Risikogesellschaft zurecht.
Von Ulrich Beck soziologisch gestärkt, prakizieren sie die neuen
individualistischen Werte und Lebensformen („Eine Liebe reicht
nicht für ein ganzes Leben“).
Schwul müßte der
neue Mann sein, dann bekäme er auf dem Kirchentag auch noch
geistlichen Rat für eine Ethik der Promiskuität. Zum „nachhaltigen
Lebensstil“ berät E.U. v. Weizsäcker, der auch das
Belland-Kreislauf-Geschirr als sündenfrei empfohlen hat.
Fragen wir
christlichen Randsiedler nach dem Zerfall der sozialistischen Werte
nach den tragenden Fundamenten, so finden wir sie in der
feministisch-theologischen Basisfakultät. Hier geht es Frigga Haug
und ihren MitstreiterInnnen für die „verbesserliche Welt“
anscheinend kaum noch um den marxistischen Klassenkampf, sondern nur
noch um die neue Lehre, den Feminismus. Wer beim christlichen
Geschlechterkampf spirituelle Stärkung braucht, findet diese
zwischen „indischen Göttinnen in ihrer Tradition“, „ehrlichem
Rock“ und Sacro-Pop reichlich, nicht zuletzt in den Meditationen
Dorothee Sölles im „Gottes-klang. Das kleine Liederbuch“. Ein
Söllescher „Friedensgruß“: „Frauen werden zum Mond fahren /
und in den Parlamenten entscheiden /. Ihre Wünsche nach
Selbstbestimmung usw.“ Ach Gott, der am Nihilismus leidende
Pfarrerssohn Gottfried Benn kannte noch die Unterscheidung zwischen
gut und gutgemeint ! Ist es Zufall, daß die ansprechenden Verse und
Lieder teils altem Traditionsbestand, teils Übersetzungen aus der
Ökumene (e.g.
La paz del Senor)
entstammen ?
Bibelarbeit
Gesellen wir
uns also zum Schluß zu den zahlreichen Bibelarbeiterinnen und
Bibelarbeitern - unter ihnen Reinhard Höppner, Angelika Merkel,
Christa Nickels (MdB), Renate Schmidt (MdL), Wolfgang Schäuble (CDU)
und Klaus Staeck (Plakatkünstler, SPD) - und widmen uns dem zutiefst
evangelischen Metier (sola
scriptura).
Eine nicht näher bezeichnete Gruppe will uns mit Paralleltexten - je
einer aus der revidierten Lutherbibel von 1984 und einer für den
Kirchentag 1999 - die Arbeit erleichtern. In der Einleitung wird
auch die neue Semantik erläutert: Den hebräischen Gottesnamen JHWH
hat man in den alttestamentarischen Texten mit Adonaj
wiedergegeben, im neutestamentlichen Text den kyrios
seiner Herrlichkeit (vgl. oben: La
paz del Senor )
entkleidet. Klar doch, frauengerecht soll es zugehen, schon wegen
der Festschreibung der Männlichkeit Gottes im Deutschen.
Wir verzichten
hier auf die pädagogischen Einhilfen und wenden uns exemplarisch dem
Text 1.Kor. 11, 17-34 zu. (Für zeitgemäß Bibelunkundige: Dort
liest der Frauenfeind Paulus den von Gnosis und Sex enthusiasmierten
Korinthern die Leviten und begründet item
die
Feier des Abendmahls.) Nein, wir stoßen uns nicht an Kleinigkeiten,
an den „unterschiedlichen Verhaltensweisen“ bei den Korinthern,
auch wenn Paulus diese wegen ihrer Häresien
(hairéseis) tadelt.
Auch daß aus dem lateinischen Lehnwort Kelch ein selbstgetöpferter
Becher geworden ist, mag hingehen, wo es auf Fragen der Ästhetik
nicht mehr ankommt. In der postchristlichen, hedonistischen und nur
noch moralischen Welt gibt es keinen bitteren Kelch mehr,
existentielle Dinge bewältigen wir durch Selbsterfahrung, unsere
politische Existenz bestimmen wir als mündige Christinnen und
Bürger selbst, zuletzt im Kosovo-Krieg.
Daß das
Abendmahl des Herrn (kyriakòn
deipnon)
zum Christusmahl erklärt wird, lassen wir als freie Übersetzung
durchgehen. Aber, zum Teufel, seit wann übersetzt man anáxios
anders
als mit „unwürdig“ ? Geht es um die Würde des Menschen vor Gott
oder um einen Schulungskurs in Gewerkschaftsrhetorik
(„auf unsolidarische Weise“)? Der Mensch prüfe sich aber selbst
vor dem Abendmahl, schreibt Paulus (dokimazéto
dè ánthropos heautòn). Jetzt
soll sich „jede Frau und jeder Mann in dieser Hinsicht [gemeint ist
die Solidarität] bewähren“. „Dieser Kelch ist der neue Bund in
meinem Blut“ (Vers 25) läßt Paulus den Herrn sprechen. Warum wohl
machen die ÜbersetzerInnen aus der Präposition „in“ (en
háimati emoù)
ein „durch“ ? Zuletzt, „meine Geschwister“: Paulus will das
weitere nicht im herrschaftsfreien Diskurs „darlegen“, sondern
ordnen (diatáxomai),
wenn
er nach Korinth kommt.
Zeitgemäße
Übersetzung oder vom Zeitgeist diktierte Leerformeln ? (Im
Liederbuch gibt´s auch eine „heilige Geistin“, kein Witz!)
Sollen die Zweifler mit derlei Tricks in die „Thomasmesse“
gezogen werden ? - Die geistige Dürre des Gegenwartsprotestantismus
ließe sich nur durch ein neues Pfingstwunder beleben: es ginge nicht
nur um die „richtige“ Verknüpfung von Gesinnungs- und
Verantwortungsethik, sondern um jene religiöse Dimension, die über
bloße Ethik, über die bessere Moral, über die Sinnentleerung der
Gegenwart hinausweist.
Wir halten als
evangelische Kirchensteuerzahler fest: Vor der Exegese kommt die
Hermeneutik, vor der Thealogie die Philosophie, Denken fußt auf
Texten. Wo, wie in den Aufführungen des Kirchentags, die Rhetorik
des deutschen Protestantismus ununterscheidbar ist von den Dogmen
der bundesrepublikanischen Zivilreligion, verkommt die christliche
Religion zu Ideologie, zum frommem Überbau der postnazistischen
Wohlstandsgesellschaft. Die ideelle Wirklichkeit finden wir, sofern
die an niederländischen Fakultäten existente Leben-Jesu-Schule
nichts anderes zutage fördert, im verzweifelten Wort des aramäisch
sprechenden Jesus, des Erlösers am Kreuz: „Eli, eli, lema
sabachthani“ (Matth. 27, 46). Doch lesen wir zum Trost noch einmal
die Kirchentagslosung, bei Matthäus, Kap. 5, 14. Dort heißt es:
„Ihr seid das Salz der Erde; wo aber das Salz dumm wird, womit
soll man salzen ?“
Herbert Ammon
veröffentlichte den Essay „Zum Elend des Protestantismus am
Ausgang des 20. Jahrhunderts, in: MERKUR 599/Febr. 1999.
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