Freitag, 30. Juni 2023

Der jüngste Krieg und die Propaganda im Krieg

Zum ersten Jahrestag des Ukrainekriegs schrieb ich einen Aufsatz über die tieferen, in Geschichte, Kultur und Großmachtpolitik verwurzelten Hintergründe sowie den mutmaßlich auslösenden Faktor für den -  von Putin in großspuriger Propaganda als "militärische Spezialoperation"  angekündigten - russischen Angriff auf die Ukraine (https://www.tichyseinblick.de/meinungen/ukraine-krieg-nikias-frieden/; https://globkult.de/geschichte/zeitgeschichte/2273-die-ukraine-und-die-aktualitaet-des-peloponnesischen-krieges).   Akzeptiert man die - offen gegen Putin gerichteten - Erklärungen des Chefs der Söldnertruppe "Wagner" Prigoschin für seinen gescheiterten Putsch, so habe es vor dem 24. Februar 2022 weder Angriffsabsichten seitens der Ukraine noch Anzeichen für einen bevorstehenden Nato-Beitritt Kiews gegeben. Demnach hätte ich mich bezüglich des Auslösers ("trigger") des offenen Krieges geirrt. Dessen ungeachtet gibt es hinreichend Fakten in dessen mittelbarer Vorgeschichte  (ungefähr datierbar auf den Zeitraum 2002 bis 2013/2014),  die - vor dem Hintergrund des in russischen Augen demütigenden Niedergangs des russischen Imperiums - Putins Krieg plausibel, wenngleich keineswegs gerechtfertigt,  erscheinen lassen.

Der russische Angriff auf die Ukraine läutete in den Worten von Bundeskanzler Scholz  eine "Zeitenwende" ein. Die eindrucksvolle - indes nicht alle Waffensysteme umfassende -  militärische Unterstützung der Ukraine seitens des Westens, in zunehmendem Maße gerade auch der Bundesrepublik Deutschland, geht einher - von  "Dissidenten" am rechten und linken Rand abgesehen -  eindeutiger moralischer Parteinahme. Sie wird - nach den grauenvollen Szenen vom Wüten russischer Einheiten in Butscha kurz nach dem gescheiterten Angriff auf Kiew - tagtäglich bestätigt von Bildern der Drohnen- und Raketeneinschläge in ukrainischen Städten und den dabei getöteten, hilflosen Menschen.

Derzeit, noch unter dem Eindruck des zerstörten Krachowka-Staudamms sowie des Prigoschin-Putsches, verfolgen wir die Entwicklung der als kriegsentscheidend angekündigten ukrainischen Offensive an diversen Fronten.  Krieg und Kriegsverlauf diesseits und jenseits des Dnipro/Dnjepr sind begleitet von Informationen und Kommentaren aus Medien und Politik. Wir sind gehalten, Emotionen, Sympathie und Moral nicht nur der leidenden Bevölkerung zuteil werden zu lassen,  sondern - auf der politischen Ebene  - als engagierte Bürger auch dem angegriffenen Staat Ukraine  beizustehen, dazu die entsprechenden Entscheidungen unserer Regierung "alternativlos" gutzuheißen.  

Bei  nicht nur im Krieg gebotener Parteinahme, erst recht im aktuellen Kampfgeschehen, verschwindet die Komplexität historisch-politischer Konflikte sowie die Frage nach deren möglicher Lösung hinter dem Vorhang der von Politikern, Journalisten und als Experten angebotenen Analysen. Die Pilatus-Frage "Was ist Wahrheit?" weicht dem Dogma. Nichtsdestoweniger kommen die in jedem Krieg der von um Objektivität bemühten Interpreten des Geschehens übersehenen, von den Protagonisten des Guten verpönten Begriffe "Propaganda", schlimmer noch "Manipulation", zur Geltung.

Vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens in der Ukraine ist das Interview des Historikers Christian Hardinghaus in der "Berliner Zeitung"  geeignet, die propagandistische Unschärfen in den Medien zu erhellen. Er verweist auf die propagandistische Einfärbung der Berichterstattung seitens der Ukraine.  (https://www.berliner-zeitung.de/open-source/christian-hardinghaus-ukrainische-propaganda-gelangt-ungefiltert-in-unsere-medien-li.364064?fbclid=IwAR3yke0sXW-QsDk_jTz0i_9ECZuM_w2fRL2_Y8cnCoZfwaqw6kmBhZZLnMo):

"Sie plädieren für einen besseren Journalismus, angesichts der grassierenden Medien-Manipulation. Wie könnte dieser aussehen? Hat die Digitalisierung in der Berichterstattung zu einer Provinzialisierung geführt, welche anfällig ist für Manipulation?

Ich beobachte unabhängig vom Ukraine-Krieg und schon lange davor, dass unsere Medien zu unkritisch geworden sind und zu regierungsnah berichten. Sie sprechen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr die Stimme des Volkes, hinterfragen zu zaghaft politische Entscheidungen, nicht mal, wenn sie nachweislich gegen den Mehrheitswillen im Volk getroffen werden. Das Problem liegt nicht bei den einfachen Journalisten. Ich bin ja selbst einer davon. Viele, vor allem diejenigen, die in einer Festanstellung arbeiten, würden gerne anders, freier, mutiger berichten, können sich aber nach oben hin nicht durchsetzen. Im Grunde geht es Journalisten nicht anders als allen anderen. Die Menschen trauen sich zunehmend seltener, ihre Meinung offen zu sagen, wenn diese zu weit von der Mitte des Overton-Fensters verortet werden könnte. Für den Journalismus ist das natürlich besonders fatal, denn so kann er seinen Grundstatuten selbst nicht mehr nachkommen. Wir alle müssen also lernen, mutiger zu sein, damit sich im Gesamten, was ändert."


 

 

 

 

 

Mittwoch, 14. Juni 2023

Weitere Kommentare zu meinem jüngsten Berlin-Kommentar

 Der mittlerweile mutmaßlich als "völkisch" - mithin verfassungsbedenklich - eingestufte deutsche Volksmund weiß: Eigenlob stinkt. Andererseits wissen Geschäftsleute ("Unternehmende"), Politiker, Künstler, Wissenschaftler, Pastoren und Autoren (alle m/w/d): Klappern gehört zum Geschäft. Mit Vergnügen habe ich beim Browsen festgstellt, dass mein Kommentar zu den Berliner Zuständen in der jüngst eröffneten Rubrik "Leserkommentar der Woche" der "Achse des Guten" erschienen ist: https://www.achgut.com/artikel/leserkommentar_der_woche_det_is_berlin_ob_rot_schwarz_oder_gruen

Ich stelle daher meinen von "Globkult" übernommenen Beitrag zur Berliner Meinungs- und Willensbildung https://www.globkult.de/politik/deutschland/2299-was-wird-aus-wegners-wende noch einmal auf meinem Blog vor. Die nachfolgend skizzierte Liste politischer Kalamitäten, Rivalitäten und Intrigen ist naturgemäß unvollständig. Zu den Positiva der letzten Wochen gehört die Sperrung des als baufällig diagnostizierten autogerechten  Betonbauwerks über den Breitenbachplatz samt Unterführung unter dem monströsen Bauwerk Schlangenbader Straße. Wann der Beton beseitigt wird und/oder ob der Breitenbachplatz seine alte Ästhetik zurückgewinnen kann, steht indes noch in den Sternen. Und noch was Positives: Das Jahresgehalt des künftigen RBB-Intendanten (mutmaßlich der künftigen unquotierten Intendantin) soll - nach dem unfreiwilligen Abgang von Patricia Schlesinger (siehe auch: https://herbert-ammon.blogspot.com/2022/10/gedanken-zum-reformationstag.html) auf bescheidene 180 000 Euro reduziert werden. Das erfreut den Berliner Steuerzahler und RBB-Konsumenten.

Daher nochmal meine Frage: Was wird aus Wegners Wende?

Vor einem halben Jahr, ein paar Wochen vor Wiederholungswahl am 12. Februar 2023, gab ich die Prognose ab, an den Berliner Zuständen werde sich auch nach den Wahlen nichts ändern(https://herbert-ammon.blogspot.com/2023/01/vor-und-nach-der-berliner-wahl-leerlauf.html) Hinsichtlich der Koalitions- und Regierungsildung habe ich mich geirrt. Das Unerwartete geschah: Franziska Giffey verzichtete – nach ihrem Verzicht auf den am OSI-Exzellenzzentrum ›The EU and its citizens‹ der FU Berlin erworbenen Doktortitel – auch auf das Spitzenamt des – funkional ungegenderten – Regierenden Bürgermeisters zugunsten des CDU-Wahlsiegers Kai Wegner. Und unerwartet unterlagen in der Abstimmung über Regierungsbildung samt Koalitionsvertrag die radikal karrierelinken Jusos gegenüber den altersbedingt ›konservativen‹ Genossen in den Außenbezirken.

Im Bildungswesen erzielt Berlin – im Wettbewerb mit anderen deutschen Großstädten – negative Spitzenergebnisse bei internationalen Lese- und Rechentests. Besserung erhofft sich die Stadt von der aus Dresden stammenden Katharina Günther-Wünsch (CDU), die Erfahrungen als Studiendirektorin an der Walter-Gropius-Schule in Neukölln mitbringt. Die einfache, politisch stets wirksame Erklärung liegt im Lehrermangel. Richtig, aber wer möchte sich heutzutage diesen Beruf noch zumuten? Erfolge im Bildungsbereich sind überdies schwerlich zu erwarten, solange in den ›Problembezirken‹ elementare kulturell-soziale Hindernisse – nicht nur abzulesen an den Wahlergebnissen für Erdogan – fortbestehen.

Als Senatorin für Integration, Arbeit, Soziales, Vielfalt und Antidiskriminierung fungiert Cansel Kiziltepe, SPD. Um eines der Integrationshemmnisse abzubauen, kündigte Wegner in einem Interview an, sprachliche Gender-Akrobatik in Verlautbarungen der Berliner Verwaltung zu untersagen. Auf Wegners Vorstoß reagierte die links-grüne taz mit Empörung. Es gehe ihm nicht um Rücksichtnahme auf die sprachlichen Nöte der migrantischen Neubürger, sondern um einen ethno-deutschen Kulturkampf. Bei seinem Gegenangriff auf einen »immer wieder hart am Rande Rechtsextremismus operierenden Politiker wie Wegner« griff der Autor tief in seine Theoriekiste: »Kulturkämpfe werden eröffnet, um das absehbare Scheitern einer letztlich den Kapitalinteressen verpflichteten Politik zu kaschieren und die zwangsläufige Wut auf Sündenböcke abzulenken. Mal sehen, wie lange die sich das gefallen lassen.« (https://taz.de/Kai-Wegner-gegen-gendergerechte-Sprache/!5933280/)

Mal sehen. Was der Verfassungsschutz zu derlei Definitionen des Rechtsextremismus sagt, ist im Berliner Milieu belanglos. Entscheidend ist in der Hauptstadt die richtige Gesinnung. Wir dürfen also weiter prognostizieren: Mit seiner Absage ans Gendern ist Wegners Wende angesichts der ›linken‹ Kampfbereitschaft bereits gescheitert.

Im übrigen bleibt alles beim alten: Die überlasteten Ämter arbeiten weiter in enervierender Langsamkeit. Klimakleber retten weiter das Klima. Die Feuerwehr, genauer der Senat, der sein Budget nach wie vor zu einem Drittel aus Steuerquellen der ›reichen‹ Bundesländern finanzieren muss, fräst die Kleber aus dem Asphalt der Stadtautobahn. Der Rest des Berliner Straßennetzes bewahrt seinen maroden Zustand. Ob die für den Verkehrsfluss im Osten der Stadt sinnvolle A 100 weiter ausgebaut oder ökokulturell gestoppt wird, ist noch unklar.

Immerhin soll die Friedrichstraße, deren Verwandlung in ein Reservat für grüne Radler/innen die Berliner Grünen bei der Wiederholungswahl einige Prozente kostete, ab Juli – unter Vorbehalt – für Autofahrer wieder offen sein. Wir dürfen also weiter auf eine Wende zum Positiven hoffen.

(Erschien zuerst auf der ›Achse des Guten‹)