Dienstag, 31. Oktober 2017

Transformatio mundi

I.
Noch ein Kommentar zum heutigen Staatsfeiertag, zu einem nahezu defunkten, zum 500jährigen Jubiläum einmalig wiederbelebten dies festus - muss das sein? Ja, es muss sein, es ist die Pflicht eines Bundesbürgers und Kirchensteuerzahlers, dem der Kommentar (auf Globkult und anderswo) - mit oder  ohne Luther - zur Gewissenspflicht geworden ist.  Den letzten Anstoß zur  Kommentierung des heute vollendeten Jubeljahres gab der Besuch eines Kirchenkonzerts zum Reformationstag.

An der Seitenfront der stattlichen, um 1900 in neugotischem Stil errichteten Kirche klärt ein gelbes Schild über einen mächtig aufragenden Baum auf: "Lutherbuche, gepflanzt 1917".  Anderswo ist zu lesen, dass man in der Kirchgemeinde   - und wohl auch anderswo - "Apfelbäumchen" gepflanzt hat - gemäß Luthers Wort im Hinblick auf die Apokalypse.
 
Beginn: Punkt 15.17 h. Auf dem Programm steht die Bach-Kantate "Ein feste Burg ist unser Gott" (BWV 80) sowie eine Uraufführung der Kantate "Unser Gott" des Komponisten Frank Schwemmer. Skepsis  erregt vor der Lektüre des Programms das beigelegte farbige Beiblatt, beidseitig farbig bedruckt, zwei Kriegsbilder. auf der einen Seite oben Lorbeerkranz mit Schwert, daneben in Fraktur "Ein feste Burg ist unser Gott". Darunter in winterlicher Landschaft Feldgottesdienst ein segnender kreuzloser Prediger mit großem runden Hut - doch nicht etwa katholisch? - vor andächtig stehenden Soldaten, dazu ein paar sitzende und ein knieender.

Auf der Rückseite (oder Vorderseite, je nachdem) dieselbe Aufschrift in Jugendstillettern,  dazu drei Strophen des Luthertextes unter Verzicht auf die vierte ("Das Wort sie sollen lassen stahn")  über dem Feldprediger - mit Kreuz auf der Brust und zum Schwur erhobener Hand - und am Oberarm offenbar eine Rotkreuz-Binde? - im Kreise feldgrauer Soldaten mit Pickelhaube, barhäuptig oder mit Feldmütze. Auch einer mit roten Hosen und prächtigem Helm (Husar) ist dabei. Die Botschaft ist klar: Missbrauch der guten Luther-Botschaft für kriegerische - und deutsche - Zwecke. Als interpretatorische Anleitung steht unter dem Bild eine weitere "feste-Burg"-Strophe von dem leider unbekannten Dichter Ernst Lausch (1836-1888): "/.../Erfülle uns  mit Muth,/Daß wir für Ehr´und Gut/ siegreich im Felde streiten/". 

An der Darbietung der alten und der neuen Kantate ist nichts auszusetzen. Orchester, Chor, Solistinnen und Solisten - makellos. In Ausdruck und Klang so gar nicht "modern", und darum - außer wie üblich der Wortlaut des  ursprünglich  Luthers Lied inspirierenden 46. Psalms - immerhin verständlich. Der Komponist hat den Psalm-Text in sechs EU-Sprachen ins Programm gedruckt - auch hier ist die Botschaft klar: "Unser Gott" ist europäisch-universal, nicht deutschnational. Spätestens bei den spanischen Psalmversen regt sich Zweifel: Ist der "Senor Todopoderoso" (der Allmächtige) semantisch völlig  identisch mit dem Herrn Zebaoth (dt. Wiedergabe des hebr. Wortes für den Herrn der himmlischen Heerscharen)? Mehr noch: Wie wäre es angesichts der - noch immerhin unblutigen - Konfliktlage zwischen Madrid und Barcelona mit einer zusätzlichen Version auf katalanisch? Slawische Sprachen, erst recht Russisch, fehlen gänzlich.

Auf einer Innenseite des Programmblattes  tut  der Komponist seine Gedanken zu seiner Kantate kund. Luthers Possessivpronomen "Unser" sei geeignet, den "Gottesbegriff für Fehlinterpretation und Missbrauch zu öffnen." Die Kollektivaneignung "Unser Gott" erschwere "dem Individuum den Aufbau einer persönlichen Beziehung". Zugleich solle die Kantate "zu einer Art globale Ökumene" anregen (unter anderem durch den Gebrauch vielfältigster Sprachen), die die Abrahamitische (sic) Ökumene der monotheistischen Großreligionen überschreitet." Der Islamrat sowie Ditib werden solche Sätze nicht gerne lesen. Vielleicht hat der Autor in seiner "spirituellen, pazifistischen Sichtweise auf  ´unser aller Gott´" auch an den Dalai Lama gedacht. Jedenfalls ging´s ihm mit seiner Komposition (und den "vielfältigsten Sprachen") darum, das einstige "nationale Kampflied" - immerhin griffen "nicht nur deutsche Komponisten dieses Lied auf, um auch DAS DEUTSCHE zu markieren" - in gemäßigter Form zu exorzieren.

II.
Vom Konkreten zum Allgemeinen: Das mit großem Aufwand begangene Reformationsjubiläum brachte nur bescheidenen Ertrag. Trotz zahlreicher Veranstaltungen - angefangen von Margot Käßmanns mit CO2-Rabatt unternommenem Flug zur Datumsgrenze zu Jahresbeginn bis zu den großen Festgottesdiensten am heutigen 31. Oktober - gelang es nicht, der säkularisierten, zusehends religiös indifferenten deutschen Gesellschaft ein überzeugendes Bild von der historischen - und religiösen - Bedeutung des "Thesenanschlags" - falsch: der Reformation in ihrem weitgefächerten Kontext (König Heinrich VIII. geriet m.W. nicht ins Blickfeld) - zu vermitteln. Stattdessen rückten die negativen Aspekte des vom "deutschen Mann Luther" vollbrachten Werkes in den Vordergrund: Kirchenspaltung, hassvolle Pamphlete gegen die Juden, Eröffnung des Zeitalters der Konfessionskriege.

Zuletzt rief Thomas Schmid, ehemaliger Chefredakteur der "Welt", in studentischen Jugendjahren  Mitkämpfer im "neulinken" Frankfurter Revolutionszirkus von Joschka Fischer, wieder den versöhnlichen Humanisten Erasmus gegen den intransigenten Egozentriker Luther, sächsischer Provinzler inmitten aufblühender Renaissance,  auf den Plan: Was wäre Europa, der Welt nicht alles erspart geblieben!  Historisch und politisch gut gemeint, gewiss, leider ahistorisch.

Die  bedrängenden Grundprobleme blieben in all dem Festgetriebe weithin ausgeblendet: Das Verhältnis des Christentums - nicht zuletzt des säkularisierten postchristlichen Europa - zum von Generation zu Generation anwachsenden Islam, die trotz aller "abrahamitischen" Einheitsbeschwörungen grundverschiedene Symbolik von Kreuz und  Schwert. Zum anderen geht es um die Rolle des halb oder - etwa  in Bezug auf die Trinitätslehre, im Hinblick auf Kant, Schleiermacher, Hegel und Troeltsch  - zu mehr als zwei Drittel - säkularisierten Protestantismus zur gründeutschen Zivilreligion.

Postscriptum: In Bremen wurde gestern eine Kirche von unbekannter Hand völlig verwüstet. Schmierereien an Kirchen ("Grafitti") gehören in Deutschland längst zum Alltag.  Der Verkauf von ungenutzten Kirchen gehört zur kirchlichen Praxis.

Samstag, 28. Oktober 2017

Zur Lage: Catalunya, Alemania

I.
 Im griechischen Restaurant (also nicht am  allnazi-verdächtigen deutschen Stammtisch, dem einzigen Ort, wo außerhalb des Internet überhaupt noch freier Meinungsaustausch in diesem unserem Lande stattfindet), kam ein paar Wochen - vor dem gestrigen Eklat in Barcelona und in Madrid - die Rede auf die Lage in Spanien nach dem Referendum in Katalonien am 1. Oktober. Ein  alter Bekannter in der Runde, einst als antikommunistischer Sozialdemokrat in Berlin (vor und nach dem Mauerbau) sozialisiert, kinderlos, ausgestattet mit guter Rente, hatte sich vor den Septemberwahlen - wegen "der Mieten und der Renten" als Wähler der Linkspartei bekannt ("geoutet"). Jetzt bekundete er seine Abneigung gegen den "Nationalismus" der Katalanen.

Die Geschichte Spaniens wie - mit Ausnahme der filmreich bekannten Nazi-Schreckensgeschichte sowie der einst verabscheuten Mauer  - die Geschichte allgemein  gehört nicht zu seinen Interessengebieten. Selbst die bei "Linken" zu erwartende historische Leidenschaft für den Spanischen Bürgerkrieg ist bei dem Bekannten nicht anzutreffen. Da kein Fußballfan, sind ihm die demonstrativen Aktionen - Aufstehen und Fahnenschwenken - um Punkt 17.14 h der katalanischen "Massen" im Barca-Stadion fremd geblieben. Wenn er, reisefreudig in Europa weit herumgekommen, auch bereits einmal in Barcelona war, so sagt ihm der Straßenname Lluis Campanys  - die Straße, über die  gestern abend die jubelnden Massen strömten - nichts.

Von Deutschland - der geschichtslosen, geschichtsfixierten, gründeutschen Bundesrepublik - ist im Hinblick auf die verfahrene Lage auf der iberischen Halbinsel insofern zu reden, als "die Deutschen", genauer: ihre classe dirigente  - naturgemäß dank geschichtlicher Erfahrung - jeglichem Nationalismus abgeneigt ist. Man - stellvertretend genannt seien Protagonisten wie Elmar Brok, Karin Göring-Eckardt, Martin Schulz, Günther Oettinger, irgendwie auch Angela Merkel - man ist "bekennender" Europäer. Wie der Chefkommissar Jean-Claude Juncker. Wie Jean Asselborn. Wie Guy Verhofstadt. Wie Frans Timmermans. Wie alle, die sich außer dem zuletzt 2007 (Lissabon) ) vertraglich fixierten Zustand Europas nichts anderes vorstellen können - ein Zustand, den einige davon gerne in Richtung Bundesstaat bewegen möchten. Womöglich sehen sie dieses Ziel mit dem ehedem für unmöglich erachteten, nunmehr unausweichlichen Brexit sogar näher gerückt.

"Nationalismus" - eine negativ aufgeladene Chiffre für historisch begründete Identitäten, für deren politisch akute Virulenz.  Die reale Existenz von Nationen ist auch nach ihrer  "Dekonstruktion" durch Benedict Anderson als "imaginary communities" nicht aus der Welt zu schaffen. Diejenigen Katalanen - eine exakte Anzahl der "Patrioten"/"Nationalisten" unter den 7 Millionen Einwohner wäre durch ein "freies", von Madrid und der Guardia Civil  unbehindertes Referendum zu ermitteln gewesen -, welche die gestrige Unabhängigkeitserklärung feiern, weisen den Verdacht, einer teils antiquierten, teils gefährlichen Phantasie nachzujagen, zurück. Sie tun dies unter Bezug auf ihre Geschichte als Freiheitswahrer gegen kastilischen Hochmut, gegen bourbonische Machtanmaßung - und gegen Franco. Sie betonen ihre "Weltoffenheit" und ihre Liebe zu Europa. Eine Liebe, die in Brüssel, Berlin, Paris und anderswo keine Gegenliebe findet.

Aus der deutschen Lage heraus den Katalanen Ratschläge, gar Maßregeln zu erteilen, erscheint überheblich, schulmeisterlich. Ein Schlaumeier machte den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, Katalonien solle sich nach dem Vorbild  der DDR (Beitritt zur Bundesrepublik nach Art. 23 GG anno 1990) einfach an das Fürstentum Andorra - immerhin keine Republik - anschließen, womit ihm der ganze Ärger mit der EU erspart bliebe. Auch Macron als Co-Staatspräsident des Zwergstaates könne sich diesem "Anschluss" schwer verschließen...

Uns - uns allen - bleibt die Hoffnung auf den Sieg der Vernunft - auf beiden Seiten.  Dass Madrid auf dem Buchstaben der Verfassung beharrt und  die staatliche Souveränität - notfalls mit Gewalt ? - durchzusetzen gedenkt, erscheint  nicht nur als  staatstheoretisch interessante Frage. Es ist faszinierender politischer Anschauungsunterricht, knapp achtzig Jahre nach dem Ende der zweiten Spanischen Republik.

II.
Dass wir in Merkels Republik längst nicht mehr auf einer Insel der Seligen - der Wohlhabenden, der multikulturell Bereicherten  und der lupenreinen Demokraten -  leben, ist nicht erst seit dem Einzug der AfD im Bundestag manifest geworden. Wer von den - nach Merkels Belieben auch auf  Monate auszudehnenden -  Verhandlungen auf ein glückliches "Jamaika" in grüner Idylle  hofft, könnte noch enttäuscht werden.

Für den kritischen, engagierten, demokratisch besorgten usw. Bürger bleibt zu hoffen, dass uns das grüne Merkel-Paradies - durch ein Platzen der Verhandlungen - erspart bleibt. Vielleicht kommt´s am Ende gar zu Neuwahlen, wie soeben vom gescheiterten Merkel-Herausforderer Schulz verlangt. Spekulationen über den Fortgang der Dinge - gar über Neuwahlen - sind erlaubt, vorerst leider müßig.

Mittwoch, 18. Oktober 2017

Freiheitschancen dank Internet (e.g. Achse des Guten)

I. Die Aura des Sakralen und die Abwehr des Populismus
In den herrschenden Diskursen umschließt den Begriff „Demokratie“ die Aura des Sakralen. Er scheint unantastbar, nicht zufällig an dem Punkt, wo es um die Definition des edlen Wortes sowie die darin angelegte semantische Dissonanz – um die Bestimmung des Verhältnisses von dêmos und krátos, von „Volk“ und „Macht“ und/oder „Herrschaft“ - geht. Zum einen wird (wie zuletzt in einem Aufsatz des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert: „Wer sind wir?“, der im Grundgesetz noch als selbstverständlich zugrundelegte Begriff des „Deutschen Volkes“ (Kapitelchen in der Präambel des Grundgesetzes) in seiner historisch-kulturellen Gegebenheit sowie in seiner auf den Nationalstaat bezogenen Begrenzung relativiert, zum anderen werden die aus dem Begriff der Volkssouveränität und dessen Institutionalisierung erwachsenen Widersprüche juristisch und politisch-philosophisch kunstvoll eskamotiert. Wer wagte heute noch zu spotten wie dereinst Kurt Tucholsky über Art. 1 der Weimarer Verfassung: „Alle Macht geht vom Volk aus. Aber wo geht sie hin?“

Die parlamentarische Demokratie in ihren bestehenden Formen (Gewaltentrennung, Wahlsystem inklusive Fünf-Prozent-Klausel, Parteiengesetz) ist „alternativlos“. Dass in Art. 20 (2,2) GG die Übertragung der „vom Volke“ ausgehenden Staatsgewalt – dem Buchstaben nach offenbar auch auf Bundesebene - außer Wahlen auch „Abstimmungen“, id est Plebiszite, vorgesehen sind, wird gemeinhin ignoriert. Mehr noch, es geht um die Abwehr des „Populismus“, der, gefährliches Störelement der etablierten Ordnung, mit derlei vulgärdemokratischen Vorstellungen das Repräsentationsprinzip zu unterhöhlen drohe. Nicht zufällig gehören die „Grünen“, ehedem unter dem Kampfbegriff „Basisdemokratie“ in die Arena getreten, heute zu den entschlossensten Kämpfern gegen das Gespenst des Populismus.

Ironie der Geschichte: Mit „We the people“ proklamiert die Präambel der amerikanischen Verfassung das Subjekt des Gründungsaktes. Als sich etwa 100 Jahre später (1892-96) die agrarische Protestbewegung im Süden und Mittelwesten unter dem Namen „The People´s Party“ formierte, wurde der „Populismus“ geboren – laut US Wikipedia in ihrer politischen Ausrichtung „left-wing“. Der Ehrentitel kam den lange als demokratische Reformbewegung behandelten „Populists“ in den 1950er Jahren abhanden, als Historiker wie Richard Hofstadter auf die weniger liebenswerten Züge der Agrarrevolte verwiesen. Seither gilt in der etablierten Politik, assistiert von Politikwissenschaftlern, Populismus als anrüchig, verdächtig. Nicht das jederzeit verführbare „Volk“ ist zu objektiver und konstruktiver Kritik des demokratischen ordre établi und seiner politischen Praxis berufen, sondern die freie Presse, die kritischen Medien, die „vierte Gewalt“. Als demokratische Leitbilder fungieren bis heute die Bob Woodward und Carl Bernstein, die als Reporter für die Washington Post anno 1972 den Watergate-Skandal aufdeckten.

II. Die politisch-mediale Klasse ist mit einem neuen Phänomen konfrontiert
Die neuen Medien, die Internet-Zeitschriften und Portale, erst recht die dank Facebook,Twitter, youtube etc. expandierenden „social media“ - der Plural erscheint im amerikanischen Englisch meist im Singular – waren in dem politischen System, wie es noch vor 10-15 Jahren bestand, nicht vorgesehen. Seither untergraben sie nicht nur die materielle Basis der Presseerzeugnisse – was die Verlage genötigt hat, sich auf online-Zeitungen umzustellen -, sie stellen nicht nur die Autorität und das Quasi-Monopol der etablierten Medien ( Presse, TV, Rundfunk) in Frage, sondern sie konfrontieren die real existierende politisch-mediale Klasse mit einem neuen Phänomen: der in den Raum des Politischen permanent hineinwirkenden Kritik „von unten“, der Artikulation des „Volkes“, der Selbstorganisation von Gruppen als politischer Willensträger, die sich im bestehenden System nicht – nicht mehr - vertreten sehen.

Der Wirkkraft der „social media“ verdankt ein Donald Trump seine Wahl zum Präsidenten der USA. Vereinfacht gesprochen, gelang ihm über youtube die Mobilisierung der „Massen“ des amerikanischen heartland gegen die vom liberal establishment gelenkte Massendemokratie. Entsprechend empört reagieren von Tag zu Tag die von Trump gedemütigten Journalisten der New York Times oder bei CNN. Das gesamte linksliberale Europa empört sich gleichlautend, jeder Satz des antiintellektuell auftretenden, ob seiner Vulgarität – die einem Bill Clinton nicht zum Schaden gereichte - berüchtigten Trump wird zum Gegenstand des Hohns und der moralischen Entrüstung.
Trump war im amerikanischen System nicht vorgesehen. Der Brexit war weder in London noch in Brüssel vorgesehen. Ähnlich wäre der Durchbruch der AfD – unbeschadet von Prozentschwankungen in den Umfragen – als neue, das Parteiensystem der Bundesrepublik herausfordernde „rechte“ Kraft ohne die neuen Medien kaum denkbar gewesen.

Das „Volk“ - versammelt um eine Anzahl von rhetorisch, intellektuell und medial gewieften Führungsfiguren – formierte sich gegen die „alternativlose“, oppositionsfreie, größtkoalitionäre Politik der Kanzlerin Merkel. Insofern die AfD Widerspruch zu fragwürdigen – gemäß Gutachten des Staatsrechtlers Udo di Fabio mit der Verfassung unvereinbaren - Entscheidungen und Strategien der politischen Eliten, unterstützt von der „Zivilgesellschaft“, genauer: von Aktivisten und pressure groups, zum Vorschein brachte, verfügt sie – aller Empörung der „demokratischen Parteien“ zum Trotz - über demokratische Legitimation. Die Reden eines Björn Höcke oder das Gebaren anderer AfD-Chargen stehen auf einem anderen Blatt. Auch derlei Manifestationen würden ohne Verbreitung durch „social media“ weniger Beachtung finden.

III. Die neuen Medien und die Chancen auf Teilhabe
Verstehen wir unter „demokratisch“ den Anspruch auf geistige Autonomie, auf Information, auf Meinungsfreiheit, auf Kritik und Kontrolle der Eliten, last but not least auf Partizipation im politischen Prozess, so erweisen sich die neuen Medien als demokratische Segnungen. Aus Internetzeitschriften beziehen wir sonst schwer zugängliche – oder schlicht ungedruckte, womöglich gar oder unterdrückte Informationen. Wie anders als über die „social media“ bekämen wir ein komplexeres, objektiveres Bild vom Bürgerkrieg in Syrien, von den realen Zuständen in Aleppo, von der peinlichen Farce hinter dem Dresdner Kunstwerk deutschen Schuldgedenkens? Ausschließlich aus den neuen Medien erfahren wir derzeit etwas darüber, dass sich – eine Reprise der wochenlangen Unruhen in den Banlieues 2005 - seit mehr mehr als zwei Wochen in Paris und anderswo bürgerkriegsähnliche Szenen abspielen, die das politisch korrekte Bild der durch Einwanderung kulturell bereicherten Gesellschaft widerlegen. Wo hören, wo lesen wir etwas über den fortbestehenden Ausnahmezustand (état d´urgence) in den Städten des Nachbarlandes?
Unübersehbar sind die Schattenseiten der neuen Medien. Als User von Facebook stößt man auf Pöbeleien, die an Vulgarität, Dummheit, Gemeinheit, Aggressivität schwer zu übertreffen sind. Unverzüglich ertönte daher die Forderung nach Zensur (am besten nach chinesischem Vorbild), und Mark Zuckerberg zeigte bei Angela Merkel volles Verständnis. Schon werden Autoren für Beiträge gesperrt, über deren Anrüchigkeit die „Freunde“ sich kein Urteil bilden können.

Zuletzt: Wer glaubt, die neuen Medien eröffneten den neuen Königsweg zur direkten Demokratie, befindet sich auf dem Holzweg. Auch für den mit einer eigenen Website operierenden Einzelkämpfer besteht als Blogger nur eine geringe Chance, im digitalen Labyrinth gesehen, gehört und anerkannt zu werden. Um Beachtung zu finden bedarf es der Vernetzung, für den Zugang zu einer Internetzeitschrift – wie beispielsweise bei meiner bevorzugten Plattform „Globkult“ - bedarf es der Kooperation von Mitstreitern und das gilt auch für Portale wie „Die Achse des Guten“. Gleichwohl sind die Chancen auf Teilhabe an der politischen Meinungsbildung ungleich größer als im vordigitalen Zeitalter. Über die neuen Medien wird die vom herrschenden Diskurs gespannte Schweigespirale durchbrochen. Und so bedanke ich mich für den Kreis der demokratischen Abweichler, die sich um die „Achse des Guten“ versammeln. Im Rahmen der von sich selbst legitimierenden Eliten dominierten Massendemokratie fungiert die „Achse“ als Agora für freie Bürger.

P.S. Der obige Aufsatz erschien am  27.02.2017 auf der Achse des Guten. Da er eine unverminderte Aktualität beanspruchen kann, präsentiere ich ihn hier noch einmal auf meinem Blog.

Montag, 2. Oktober 2017

Nationalfeiertag ?

I.
Was die überwältigende Mehrheit der am Referendum beteiligten Katalanen gestern, am 1. Oktober 2017- also nicht am 11. September - unternommen haben, empört die classe politique européenne. Man reagiert wie Palmström Kunkel. Über die - naturgemäß problematischen historischen Wurzeln - und die mutmaßlich vorrangige Sorge der Katalanen um die Bewahrung ihrer Sprache in der zahlenmächtigen Welt der  Hispanidad macht man sich lieber keine Gedanken. Was wollen diese - obendrein "linken" - Nationalisten überhaupt mit ihrem Separatismus in einem "zusammenwachsenden Europa"?

Als Deutscher, der sich gerne erinnert, dass die Spanier, allen voran Felipe Gonzalez, der Freund Willy Brandts (aber auch Helmut Kohls), sich im Unterschied zu anderen  politischen "Freunden" über die wiedergewonnene deutsche Einheit freuten, fällt  mir ein Urteil über die auf einen eigenen Nationalstaat zielenden Sezessionsbewegungen  in Spanien schwer. Das Problem liegt in dem von allen Status-quo-verteidigenden Politikern  sowie von  manchen Staatstheoretikern abgelehnten, aber völkerrechtlich immerhin gesicherten Prinzip der nationalen Selbstbestimmung. Frage: Hätte sich innerhalb Spaniens für die Katalanen - und des weiteren für die Basken -  nicht ein staatsrechtlicher Modus finden lassen, der über die bestehende Autonomie hinausgeht? Nach dem gestrigen Abstimmungsergebnis und den - von den Sezessionisten gewiss begrüßten - Bildern prügelnder Polizisten ist es für eine derartige Lösung vermutlich zu spät. Adnote: Mit fast zehn Prozent hereingeholter Muslime werden sich die Katalanen in ihrem kleinen Nationalstaat übrigens schwertun.

Wenn ich mich - auch  aus unzureichender Kenntnis der Lage - eines Urteils enthalte, so gilt es gleichwohl festzuhalten: Anders als in Deutschland, wo man die eigene Nation ob ihrer Nazi-Vergangenheit in den Feuilletons und im Claudia-Roth-Flügel - die Dame fungierte bis dato immerhin als Vizepräsidentin des Bundestags -  der politischen Klasse  am liebsten "entsorgen" möchte - was ihnen dank Angela Merkel schon Jahre, nicht erst seit 2015, währender opportunistischer, fataler Politik bereits geglückt sein könnte -, ist in anderen Teilen Europas der Begriff  der Nation noch - und wieder - höchst lebendig. Über die Gründe dieses alten, neuen Nationalismus  gälte es nachzudenken, etsi apparet absurdum, anstatt sich zu entrüsten.

Wenn ich an gleicher Stelle meine Sympathien für ein selbständiges Kurdistan zum Ausdruck bringe, mag mancher Inkonsequenz monieren. Der Vorwurf verfängt nicht: Seit exakt hundert Jahren (Sykes-Picot) werden die Kurden an der Nase herumgeführt, von ihren Verbündeten von Fall zu Fall hängen gelassen, von den regionalen Vormächten unterdrückt. Zuletzt trugen sie die Hauptlast bei der Vertreibung der Gotteskrieger - ein deutschen Sprach- und Gesinnungshütern indiziertes Wort - des IS. - Wie ein erfolgreicher Barzani - und sein Rivale/Verbündeter Talabani - dann mit der PKK zurechtkommen werden, steht auf einem anderen Blatt.

II.
Wenden wir zum 3.Oktober den Blick zur Heimat: Wenn sich am morgigen Tag der deutschen Einheit - er wird so verregnet sein wie der heutige Oktobertag - die unberufenen und selbstberufenen Protagonisten unserer bundesdeutschen politischen Klasse  anschicken, salbungsvolle Worte, angereichert mit den allfälligen Warnungen vor Xenophobie, mit Ermahnungen zu Weltoffenheit etc., dem TV-Publikum zu servieren, werde ich mich wichtigeren und erfreulicheren Beschäftigungen widmen: der Familie. Ja, gewiss doch, schon die alten Griechen, verachteten den Privatmann. (Man konsultiere das Lexikon oder - entsetzlich - Wikipedia.) Allein, in Merkels und Altmaiers, Schulz´und Nahles´, Trittins und Göring-Eckardts, Petrys und Mayers (künfigter MdB aus Sachsen) - hab´ ich jemand vergessen? -  Republik bleibt dem degoutierten citoyen nur noch der Rückzug ins Private.

Anstelle einer längeren Abhandlung über die wiedergekehrte, anhaltend deutsche Misere verweise ich das Publikum auf einen Aufsatz, den ich vor drei Jahren - an einem prächtigen Tag im Oktober -
zum Thema des Zustands und der Zukunft der deutschen und anderer Nationen verfasste. Mit Ausnahme des Wetters sowie  des von Merkel wesentlich verursachten Massenzustroms  in die deutsche Geschichtsnation  von weder integrationsfähigen noch -willigen "Migranten"/"Geflüchteten"   haben die Überlegungen von anno 2014 nichts an Relevanz eingebüßt: https://www.academia.edu/8637948/Reflektionen_zum_deutschen_Nationalfeiertag

P.S. 03.10.2017
Wenigstens das Wetter hat sich gebessert.  Somit  können sich die Vertreter (cs. -innen) ihrer Klasse vor dem Brandenburger Tor  im Glanze ihres Glückes sonnen. Dass sie es tun dürfen, hat wenig  mit ihren eigenen politischen Leistungen zu tun.

P.P.S. 04.09.2017
ad I: Soeben las ich die Nachricht vom Tode des o.g. PUK-Gründers Dschalad Talabani. Es bleibt abzuwarten, welche Folgen - und Konflikte -  aus dem Referendum vom 25. September 2017  im kurdischen Teil des Irak noch resultieren.

ad II.
Mein Facebook-Kommentar zur gestrigen Rede des Bundespräsidenten Steinmeier, wo er von  den der Willkommenskultur überwältigten Neubürgern ein Bekenntnis "zu unserer Geschichte, einer Geschichte, die für nachwachsende Generationen zwar nicht persönliche Schuld, aber bleibende Verantwortung bedeutet usw." erwartet: Der Bundespräsident - oder sein Redenschreiber - irrt sich gründlich.