Montag, 14. Mai 2018

Interkulturelles Lernen hierzulande und in Afrin

I.
Die Deutschen sind lernfähig, denn sie haben aus ihrer Geschichte gelernt. Dies jedenfalls glauben jene Deutschen mit gutem Gewissen, die sich selbst für geläutert und für gut, nein,  für besser als die anderen halten. Dazu gehört etwa Katrin Göring-Eckardt, die sich darauf freut, dass sich "Deutschland verändern wird, und zwar gründlich." Auf andere Weise auch der neue Grünen-Mitchef Robert Habeck, der weiß, dass es gar kein "Volk" gibt, sondern nur noch beliebige, grün einzufärbende gesellschaftliche Aggregate, angetrieben von energiespendenden Windrädern.

Europäische - christliche und aufklärerische, tendenziell atheistische -  Kulturtraditonen, deutsche Geschichte, kollektive Erinnerung als ideelles Substrat von Politik - wenn überhaupt, dann nur selektiv und in richtiger Aufbereitung! Die Nazi-Verbrechen. Richtig, wir haben uns - dies im totalen Gedenkjahr und zur Selbstbeweihräucherung von 1968 - all das schlechte Alte hinter uns gelassen und befinden uns endlich auf dem Weg zu einer neuen, bunten Gesellschaft. Bunt statt braun. Multikulti. (Bloß zur Erinnerung: "Multikulti ist gescheitert", dixit Angela Merkel anno 2008.)

II.
Die multikulturelle Gesellschaft ist der Nährboden unserer lebendigen, wertebewussten Demokratie. An unseren Bildungseinrichtungen - von den Kitas über die Grundschulen bis zum Graduiertenkolleg - wird interkulturelles Lernen gefordert und gefördert. "Biodeutsche" Kids lernen diverse Geschlechterrollen und außerdem noch, sich möglichst vegan zu ernähren. Migrantenkinder bekommen Halal-Geflügel, genießbar für  Muslime und Hindus gleichermaßen.  In der Lesefibel für die Grundschule im Bundesland Rheinland-Pfalz erfahren die Kleinen, dass Leyla im fernen und doch so nahen - offenbar bürgerkriegsfreien - Land Jemen sich darauf freut, einen Schleier tragen zu dürfen. Schleier steht für die die Buchstabenfolge sch und den entsprechenden Zischlaut (im Deutschen).

Oberster Leitwert in der bunten Republik ist die Toleranz. Vom Übel ist jeglicher Nationalismus, außer bei der Fußball-WM, wo jeder die Fahnen raushängen darf, die man sonst nur noch auf Pegida-Demos und auf CDU-Wahlplakaten zu sehen kriegt. Zur hoffentlich wieder siegreichen deutschen Nationalelf gehören u.a. Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Unlängst -  nur noch ein paar Wochen vor der menschenrechtswidrigen Fußball-WM im Reiche Putins - ließen sich die beiden türkischstämmigen Fußballheroen, mutmaßlich Doppelpassbesitzer, abbilden, wie sie ihrem gerade in London weilenden Präsidenten  Recep Erdogan signierte Trikots überreichten. (https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/article176343687/Foto-mit-Erdogan-Oezil-und-Guendogan-sorgen-fuer-Wirbel.html)

Das missfiel sogar dem ansonsten stets für Toleranz werbenden Deutschen Fußballbund. Der DFB-Präsident Grindel befand, die beiden (deutschen) Nationalspieler hätten sich für ein Wahlkampfmanöver Erdogans "missbrauchen lassen". Ob es sich um einen Fall von Missbrauch handelte, ist schwer zu beurteilen. Es könnte sich um auch um eine patriotisch-friedfertige, politisch-interkulturelle Begegnung gehandelt haben. Deutsche Sportfunktionäre und -reporter(innen), erst recht die grünen Politprofis, registrieren sonst halb mit Genugtuung, halb mit Erstaunen, dass Özil beim Absingen der Nationalhymne vor Spielbeginn aufs Mitsingen verzichtet.

III.
Dass interkulturelles Lernen über alle EU-Grenzen hinweg stattfindet, somit auch Lernerfolge bezüglich der Kenntnis europäischer und deutscher Geschichte, genauer: historisch-politischer Symbole, zu verzeichnen sind, war einem youtube-Link im Internet zu entnehmen:  https://www.facebook.com/search/top/?q=erdogan%20afrin.
https://www.facebook.com/tobias.huch/videos/10156194873411142/
Das Video zeigt ein militärisches Zeremoniell in dem vor kurzem von türkischen Truppen eroberten - bis dato überwiegend  kurdisch besiedelten - Gebiet um Afrin im Norden Syriens. Es ist zu sehen, wie eine vor ihrem Kommandeur angetretene  Einheit unseres Nato-Verbündeten Erdogan unter Allahu-akbar-Rufen und mit erhobenem rechten Arm - mit dem faschistischen Gruß - Achtung und Kampfbereitschaft  bezeigt.

Leider  war die Szene auf dem oben zuerst angezeigten Link nur kurz abrufbar. Vielleicht fuhr inzwischen ein Internet-Zensor digital dazwischen.Vielleicht handelte es  sich aber auch nur um "fake-news". Wer weiß das schon in Zeiten, wo interkulturelles Lernen nur bei äußerster Lerndisziplin gelingen kann...

Mittwoch, 9. Mai 2018

Freiheit des Bürgers und demokratieverträgliches Internet


Im Internet kursiert  ein im Berliner "Tagesspiegel" veröffentlichter Artikel von Monika Grütters, Vorsitzende der CDU Berlin und  Staatsministerin  für Kultur und Medien über digitale Medien. Der auch im Titel verwendete Kernsatz der Ministerin lautet: "Offensichtlich ermöglicht das Internet derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann."(Siehe https://www.tagesspiegel.de/politik/monika-gruetters-ueber-digitalen-wandel-das-internet-bietet-mehr-freiraum-als-demokratie-vertraegt/21244204.html)

Als mündiger Bürger (sc. B-in) fragt sich der irritierte Leser,  wo denn die Grenze der Demokratieverträglichkeit anzusetzen, welches Gremium von medizinischen Experten etwa zu berufen sei, um  pathologische Grenzwerte zu ermitteln. Was heißt "derzeit"? Reicht das von Heiko Maas, noch vor seinem wundersamen Aufstieg ins Außenamt als Justizminister auf den Weg gebrachte "Netzwerkdurchsuchungsgesetz" - schon Mark Twain mokierte sich über die deutsche Neigung zu unendlich langen Komposita - etwa nicht aus?

Um die Leser dieses Blogs nicht gänzlich ratlos zu lassen, stelle ich einen Aufsatz vor, den ich vor 15 Monaten  anlässlich meines Einstandes bei der "Achse des Guten" verfasste (http://www.achgut.com/artikel/agora_fuer_freie_buerger) unter dem populistisch eingefärbten  Titel (Zwischenüberschriften von Redakteur Dirk Maxeiner)


                       "Die Achse als Agora für freie Bürger"


I. Die Aura des Sakralen und die Abwehr des Populismus

In den herrschenden Diskursen umschließt den Begriff „Demokratie“ die Aura des Sakralen. Er scheint unantastbar, nicht zufällig an dem Punkt, wo es um die Definition des edlen Wortes sowie die darin angelegte semantische Dissonanz – um die Bestimmung des Verhältnisses von dêmos und krátos, von „Volk“ und „Macht“ und/oder „Herrschaft“ - geht. Zum einen wird (wie zuletzt in einem Aufsatz des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert: „Wer sind wir?“, der im Grundgesetz noch als selbstverständlich zugrundelegte Begriff des „Deutschen Volkes“ (Kapitelchen in der Präambel des Grundgesetzes) in seiner historisch-kulturellen Gegebenheit sowie in seiner auf den Nationalstaat bezogenen Begrenzung relativiert, zum anderen werden die aus dem Begriff der Volkssouveränität und dessen Institutionalisierung erwachsenen Widersprüche juristisch und politisch-philosophisch kunstvoll eskamotiert. Wer wagte heute noch zu spotten wie dereinst Kurt Tucholsky über Art. 1 der Weimarer Verfassung: „Alle Macht geht vom Volk aus. Aber wo geht sie hin?“

Die parlamentarische Demokratie in ihren bestehenden Formen (Gewaltentrennung, Wahlsystem inklusive Fünf-Prozent-Klausel, Parteiengesetz) ist „alternativlos“. Dass in Art. 20 (2,2) GG die Übertragung der „vom Volke“ ausgehenden Staatsgewalt – dem Buchstaben nach offenbar auch auf Bundesebene - außer Wahlen auch „Abstimmungen“, id est Plebiszite, vorgesehen sind, wird gemeinhin ignoriert. Mehr noch, es geht um die Abwehr des „Populismus“, der, gefährliches Störelement der etablierten Ordnung, mit derlei vulgärdemokratischen Vorstellungen das Repräsentationsprinzip zu unterhöhlen drohe. Nicht zufällig gehören die „Grünen“, ehedem unter dem Kampfbegriff „Basisdemokratie“ in die Arena getreten, heute zu den entschlossensten Kämpfern gegen das Gespenst des Populismus.

Ironie der Geschichte: Mit „We the people“ proklamiert die Präambel der amerikanischen Verfassung das Subjekt des Gründungsaktes. Als sich etwa 100 Jahre später (1892-96) die agrarische Protestbewegung im Süden und Mittelwesten unter dem Namen „The People´s Party“ formierte, wurde der „Populismus“ geboren – laut US Wikipedia in ihrer politischen Ausrichtung „left-wing“. Der Ehrentitel kam den lange als demokratische Reformbewegung behandelten „Populists“ in den 1940er Jahren abhanden, als Historiker wie Richard Hofstadter auf die weniger liebenswerten Züge der Agrarrevolte verwiesen. Seither gilt in der etablierten Politik, assistiert von Politikwissenschaftlern, Populismus als anrüchig, verdächtig. Nicht das jederzeit verführbare „Volk“ ist zu objektiver und konstruktiver Kritik des demokratischen ordre établi und seiner politischen Praxis berufen, sondern die freie Presse, die kritischen Medien, die „vierte Gewalt“. Als demokratische Leitbilder fungieren bis heute die Bob Woodward und Carl Bernstein, die als Reporter für die Washington Post anno 1972 den Watergate-Skandal aufdeckten.

II. Die politisch-mediale Klasse ist mit einem neuen Phänomen konfrontiert

Die neuen Medien, die Internet-Zeitschriften und Portale, erst recht die dank Facebook,Twitter, youtube etc. expandierenden „social media“ - der Plural erscheint im amerikanischen Englisch meist im Singular – waren in dem politischen System, wie es noch vor 10-15 Jahren bestand, nicht vorgesehen. Seither untergraben sie nicht nur die materielle Basis der Presseerzeugnisse – was die Verlage genötigt hat, sich auf online-Zeitungen umzustellen -, sie stellen nicht nur die Autorität und das Quasi-Monopol der etablierten Medien ( Presse, TV, Rundfunk) in Frage, sondern sie konfrontieren die real existierende politisch-mediale Klasse mit einem neuen Phänomen: der in den Raum des Politischen permanent hineinwirkenden Kritik „von unten“, der Artikulation des „Volkes“, der Selbstorganisation von Gruppen als politischer Willensträger, die sich im bestehenden System nicht – nicht mehr - vertreten sehen.

Der Wirkkraft der „social media“ verdankt ein Donald Trump seine Wahl zum Präsidenten der USA. Vereinfacht gesprochen, gelang ihm über youtube die Mobilisierung der „Massen“ des amerikanischen heartland gegen die vom liberal establishment gelenkte Massendemokratie. Entsprechend empört reagieren von Tag zu Tag die von Trump gedemütigten Journalisten der New York Times oder bei CNN. Das gesamte linksliberale Europa empört sich gleichlautend, jeder Satz des antiintellektuell auftretenden, ob seiner Vulgarität – die einem Bill Clinton nicht zum Schaden gereichte - berüchtigten Trump wird zum Gegenstand des Hohns und der moralischen Entrüstung.

Trump war im amerikanischen System nicht vorgesehen. Der Brexit war weder in London noch in Brüssel vorgesehen. Ähnlich wäre der Durchbruch der AfD – unbeschadet von Prozentschwankungen in den Umfragen – als neue, das Parteiensystem der Bundesrepublik herausfordernde „rechte“ Kraft ohne die neuen Medien kaum denkbar gewesen.

Das „Volk“ - versammelt um eine Anzahl von rhetorisch, intellektuell und medial gewieften Führungsfiguren – formierte sich gegen die „alternativlose“, oppositionsfreie, größtkoalitionäre Politik der Kanzlerin Merkel. Insofern die AfD Widerspruch zu fragwürdigen – gemäß Gutachten des Staatsrechtlers Udo di Fabio mit der Verfassung unvereinbaren - Entscheidungen und Strategien der politischen Eliten, unterstützt von der „Zivilgesellschaft“, genauer: von Aktivisten und pressure groups, zum Vorschein brachte, verfügt sie – aller Empörung der „demokratischen Parteien“ zum Trotz - über demokratische Legitimation. Die Reden eines Björn Höcke oder das Gebaren anderer AfD-Chargen stehen auf einem anderen Blatt. Auch derlei Manifestationen würden ohne Verbreitung durch „social media“ weniger Beachtung finden.

III. Die neuen Medien und die Chancen auf Teilhabe

Verstehen wir unter „demokratisch“ den Anspruch auf geistige Autonomie, auf Information, auf Meinungsfreiheit, auf Kritik und Kontrolle der Eliten, last but not least auf Partizipation im politischen Prozess, so erweisen sich die neuen Medien als demokratische Segnungen. Aus Internetzeitschriften beziehen wir sonst schwer zugängliche – oder schlicht ungedruckte, womöglich gar unterdrückte - Informationen. Wie anders als über die „social media“ bekämen wir ein komplexeres, objektiveres Bild vom Bürgerkrieg in Syrien, von den realen Zuständen in Aleppo, von der peinlichen Farce hinter dem Dresdner Kunstwerk deutschen Schuldgedenkens? Ausschließlich aus den neuen Medien erfahren wir derzeit etwas darüber, dass sich – eine Reprise der wochenlangen Unruhen in den Banlieues 2005 - seit mehr mehr als zwei Wochen in Paris und anderswo bürgerkriegsähnliche Szenen abspielen, die das politisch korrekte Bild der durch Einwanderung kulturell bereicherten Gesellschaft widerlegen. Wo hören, wo lesen wir etwas über den fortbestehenden Ausnahmezustand (état d´urgence) in den Städten des Nachbarlandes?

Unübersehbar sind die Schattenseiten der neuen Medien. Als User von Facebook stößt man auf Pöbeleien, die an Vulgarität, Dummheit, Gemeinheit, Aggressivität schwer zu übertreffen sind. Unverzüglich ertönte daher die Forderung nach Zensur (am besten nach chinesischem Vorbild), und Mark Zuckerberg zeigte bei Angela Merkel volles Verständnis. Schon werden Autoren für Beiträge gesperrt, über deren Anrüchigkeit die „Freunde“ sich kein Urteil bilden können.

Zuletzt: Wer glaubt, die neuen Medien eröffneten den neuen Königsweg zur direkten Demokratie, befindet sich auf dem Holzweg. Auch für den mit einer eigenen Website operierenden Einzelkämpfer besteht als Blogger nur eine geringe Chance, im digitalen Labyrinth gesehen, gehört und anerkannt zu werden. Um Beachtung zu finden bedarf es der Vernetzung, für den Zugang zu einer Internetzeitschrift – wie beispielsweise bei meiner bevorzugten Plattform „Globkult“ - bedarf es der Kooperation von Mitstreitern und das gilt auch für Portale wie „Die Achse des Guten“. Gleichwohl sind die Chancen auf Teilhabe an der politischen Meinungsbildung ungleich größer als im vordigitalen Zeitalter. Über die neuen Medien wird die vom herrschenden Diskurs gespannte Schweigespirale durchbrochen. Und so bedanke ich mich für den Kreis der demokratischen Abweichler, die sich um die „Achse des Guten“ versammeln. Im Rahmen der von sich selbst legitimierenden Eliten dominierten Massendemokratie fungiert die „Achse“ als Agora für freie Bürger.


P.S.  Auf der "Achse des Guten" erschien soeben auch mein letzter Globkult-Aufsatz "Erklärung, Gegenerklärung, Begriffsklärungen": http://www.achgut.com/artikel/erklaerung_gegenerklaerung_begriffsklaerung