Freitag, 30. Oktober 2015

Geheimes Deutschland? Kurze Zustandsbeschreibung der gründeutschen Republik

I.
Deutschland, das vor 25 Jahren dank der nationalen Beschränktheit der Ossies wieder vereinte, sodann von  verfassungspatriotischen Wessies - vor dem Mauerfall allesamt vehemente Gegner des auf die Wiedergewinnung der deutschen Einheit zielenden Verfassungsauftrags - unverzüglich nach einer Schockphase reokkupierten Restbestandes des kleindeutschen Reiches von 1871 zwischen Rhein und Oder, erlebt in diesen Tagen Sternstunden der Demokratie. Die wertebewusste Zivilgesellschaft schlägt wehrhaft zurück gegen jeden, der es wagt,  die gründeutsche Ideologie  in Zweifel zu ziehen. "Wer unsere Werte nicht teilt", so ließ sich der Oberbürgermeister von Kassel (CDU) vernehmen, der solle "unser Land" verlassen.

Der Satz ist als kaschierte Androhung der Ausbürgerung für zivilreligiöse Atheisten zu verstehen.Genauso verstand ihn Akif Pirincci, ein deutscher Thersites türkischer Herkunft. Sein Bildungsstand dürfte weit über dem Niveau der grünen und sonstigen Parteijugend liegen. Dessen ungeachtet bevorzugt er für seine aufkärerische Polemik gegen die "grün-links versiffte Gesellschaft", zuletzt gegen  "Die große Verschwulung" (2015 erschienen) eine zotig-fäkalisierende Sprache, die nicht jedermanns Sache ist (auch nicht die des Bloggers). Bei seinem letzten Auftritt bei "Pegida" in Dresden wurde es selbst den Zuhörern - bekanntlich allesamt "braunes Pack" -  zuviel, bis ihn dann selbst die Veranstalter in seiner Suada unterbrachen.

Erwartungsgemäß wurde Pirinccis Satz von den derzeit (sc. für "undeutsche", "rechte" Wertezweifler) nicht verfügbaren KZs ins Gegenteil verkehrt. Absehbar war die Empörung in den Medien sowie der übrigen Tugendwächter. Damit nicht genug: Das ZK der Zivilgesellschaft, die Verlagsgruppe Random House, d.h. Bertelsmann, die in der ohne jeglichen zivilgesellschaftlichen Protest ("Nein! Nichts als fake architecture!" oder dergl.) wiederaufgebauten Berliner Stadtkommandantur  (=Bertelsmann) residiert, sperrte unverzüglich die weitere Auslieferung der in ihren aufgekauften Verlagen (Goldmann, Heyne etc.) bislang erschienenen Bücher. Danach erklärten die Internet-Auslieferer, allen voran Amazon, den Vertrieb von Pirinccis Büchern für beendet. Was in der von Pirincci satirisch beschworenen  Nazi-Diktatur  der Ausschluss aus der Reichsschrifttumkammer - mit allen materiellen Folgen - bedeutete, praktiziert die Zivilgesellschaft heute unter anderen Vorzeichen. P.S.: Da Pirincci in Deutschland für sich keine Zukunft mehr sieht, denkt er an Emigration.

II.
Kennzeichnend für die bundesrepublikanischen Zustände ist der Umgang mit der - aus leicht ersichtlichen Gründen - ins "rechte" Abseits verbannten "jungen" Konkurrenzpartei AfD. Wie mit solchen "Feinden" unserer Wereordnung umzugehen sei, überlässt man den aus vielerlei staatlichen Töpfen alimentierten Kampftruppen der sog. Antifa. In der letzten Woche wurde das Auto der Europa-Abgeordneten Beatrix von Storch ( geb. Herzogin von Oldenburg), "abgefackelt". Den AfD-Vorsitzenden von Sachsen-Anhalt André Poggenburg traf es noch übler. Auf seinem Gutshof und Firmensitz wurde eingebrochen, das Büro verwüstet, Laptops sowie ein Transportwagen gestohlen. Die Kämpfer gegen "rechts" hinterließen ein Foto des Politikers mit einer Zielscheibe vor dem Kopf.

Während jede von "Rechten" (und/oder Neonazis) verübte Straftat - dazu gehören die  sich häufenden Anschläge auf für Asylunterkünfte vorgesehene Gebäude - in den Medien gebührende Aufmerksamkeit erfährt und Empörung auslöst, verschwinden die oben genannten Gewaltakte gegen "Rechte" in den Randspalten der Zeitungen oder an unauffälliger Stelle in irgendeinem Artikel.

II.
Dem "Spiegel" (Druckausgabe) ging es vermutlich um Steigerung der Auflage, als er den als "Glosse" deklarierten jüngsten Essay des  Dramatikers Botho Strauß (geb. 1944) abdruckte. Als bedeutendster Autor der "Schaubühne" galt Strauß in den 1970er und 1980er Jahren in grotesker  Fehlwahrnehmung seiner Stücke als "links". Für die meisten zerbrach diese kognitive Dissonanz erst mit der Veröffentlichung des "Anschwellenden Bocksgesangs"  in dem Spiegel-Essay 1993, in welchem der Schriftsteller  angesichts der durch Einwanderung aus aller Welt, inbesondere aus dem Orient, einerseits, der gewaltsamen Ausbrüche von  Ausländerhass andererseits, Indizien für eine heraufziehende Tragödie diagnostizierte. Er schrieb in jenem Jahr:: "Zuweilen sollte man prüfen, was an der eigenen Toleranz echt und selbständig st und was sich davon dem verklemmten deutschen Selbsthaß verdankt, der die Fremden willkommen heißt, damit hier, in seinem verhaßten Vaterland, sich die Verhältnisse endlich jener berühmten ("faschistoiden") Kenntlichkeit entpuppen, wie es einst (und heimlich wohl bleibend) in der Verbrecher-Dialektik des linken Terrors hieß."

In seinem als  " Bewußtseinsnovelle" bezeichneten Buch  "Die Unbeholfenen"  (2007) schreibt Strauß, er habe das Empfinden, "als wäre ich der letzte Deutsche". "Ein Obdachloser". In seinem jüngsten Essay, übertitelt "Der letzte Deutsche. Uns wird die Souveränität geraubt dagegen zu sein" bekennt sich Strauß explizit zur Tradition jener "Empfindungs- und Sinnierweisen, die seit der Romantik eine spezifisch deutsche Literatur hervorbrachten". Strauß reklamiert für sich den Rückzug in das "Geheime Deutschland". Weiter: "Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen." Dazu eine bitter-romantische, alles andere befreiende Zukunftsvision: "Oft bringt erst eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zu Selbstbesinnung. Dann erst wird Identität wirklich gebraucht."

Aus dem Strauß-Essay ( https://blendle.com/i/der-spiegel/der-letzte-deutsche/bnl-derspiegel-20151002-85462 der letzte deutsche ) seien nachfolgend noch einige Sätze zitiert, die den Zustand der gründeutsch postnationalen Bundesrepublik, dem die politische  Realität negierenden Staatsgebilde in der Mitte Europas, treffend pointieren:
"Uns wird geraubt die Souveränität, dagegen zu sein. Gegen die immer herrschsüchtiger werdenden politisch-moralischen Konformitäten. Ihre Farbe scheinen parlamentarische Parteien heute ausschließlich in der Causa Schwulenehe zu bekennen."  (Der Satz lässt sich auf nahezu alle Akteure und Institutionen der bundesrepublikanischen Gesellschaft übertragen. H.A.)
"Das Gutheißen und Willkommen geschieht derart forciert, dass selbst dem Einfältigsten darin eine Umbenennung, Euphemisierung von Furcht, etwas magisch Unheilabwendendes auffallen muss."
"Das Kopftuch sei Zeichen von religiöser Selbstverwirklichung einer Frau, so eine gütige Angehörige der Grünen. Trefflicher kann man sein verständnisvolles Unverständnis [nicht eher bewusster Selbstbetrug? H.A.] nicht in Worte fassen. Man muss eben auch den rituellen Gehorsam in die Sprache der Emanzipation übersetzen."
"Bei uns bestimmen Massen und Medien das Niveau der politischen Repräsentanten, die allesamt Ungelehrte in jeder Richtung sind..."

"Der Hass Radikaler richtet sich wohl vordergründig gegen die Flüchtlinge - er ist vor allem eine unkontrollierte Reaktion auf das Vakuumempfinden, das ´die Politik´, wie man heute sagt, der Bevölkerung zumutet. Verantwortliche, die das Ende nicht absehen..." - H.A.: Zu ergänzen ist hier: "..., die das Ende nicht sehen wollen."


Montag, 26. Oktober 2015

Geheimes Deutschland? Kurze Zustandsbeschreibung der gründeutschen Republik

I.
Deutschland, das vor 25 Jahren dank der nationalen Beschränktheit der Ossies wieder vereinte, sodann von  verfassungspatriotischen Wessies - vor dem Mauerfall allesamt vehemente Gegner des auf die Wiedergewinnung der deutschen Einheit zielenden Verfassungsauftrags - unverzüglich nach einer Schockphase reokkupierten Restbestandes des kleindeutschen Reiches von 1871 zwischen Rhein und Oder, erlebt in diesen Tagen Sternstunden der Demokratie. Die wertebewusste Zivilgesellschaft schlägt wehrhaft zurück gegen jeden, der es wagt,  die gründeutsche Ideologie  in Zweifel zu ziehen. "Wer unsere Werte nicht teilt", so ließ sich der Oberbürgermeister von Kassel (CDU) vernehmen, der solle "unser Land" verlassen.

Der Satz ist als kaschierte Androhung der Ausbürgerung für zivilreligiöse Atheisten zu verstehen.Genauso verstand ihn Akif Pirincci, ein deutscher Thersites türkischer Herkunft. Sein Bildungsstand dürfte weit über dem Niveau der grünen und sonstigen Parteijugend liegen. Dessen ungeachtet bevorzugt er für seine aufkärerische Polemik gegen die "grün-links versiffte Gesellschaft", zuletzt gegen  "Die große Verschwulung" (2015 erschienen) eine zotig-fäkalisierende Sprache, die nicht jedermanns Sache ist (auch nicht die des Bloggers). Bei seinem letzten Auftritt bei "Pegida" in Dresden wurde es selbst den Zuhörern - bekanntlich allesamt "braunes Pack" -  zuviel, bis ihn dann selbst die Veranstalter in seiner Suada unterbrachen.

Erwartungsgemäß wurde Pirinccis Satz von den derzeit (sc. für "undeutsche", "rechte" Wertezweifler) nicht verfügbaren KZs ins Gegenteil verkehrt. Absehbar war die Empörung in den Medien sowie der übrigen Tugendwächter. Damit nicht genug: Das ZK der Zivilgesellschaft, die Verlagsgruppe Random House, d.h. Bertelsmann, die in der ohne jeglichen zivilgesellschaftlichen Protest ("Nein! Nichts als fake architecture!" oder dergl.) wiederaufgebauten Berliner Stadtkommandantur  (=Bertelsmann) residiert, sperrte unverzüglich die weitere Auslieferung der in ihren aufgekauften Verlagen (Goldmann, Heyne etc.) bislang erschienenen Bücher. Danach erklärten die Internet-Auslieferer, allen voran Amazon, den Vertrieb von Pirinccis Büchern für beendet. Was in der von Pirincci satirisch beschworenen  Nazi-Diktatur  der Ausschluss aus der Reichsschrifttumkammer - mit allen materiellen Folgen - bedeutete, praktiziert die Zivilgesellschaft heute unter anderen Vorzeichen. P.S.: Da Pirincci in Deutschland für sich keine Zukunft mehr sieht, denkt er an Emigration.

II.
Kennzeichnend für die bundesrepublikanischen Zustände ist der Umgang mit der - aus leicht ersichtlichen Gründen - ins "rechte" Abseits verbannten "jungen" Konkurrenzpartei AfD. Wie mit solchen "Feinden" unserer Wereordnung umzugehen sei, überlässt man den aus vielerlei staatlichen Töpfen alimentierten Kampftruppen der sog. Antifa. In der letzten Woche wurde das Auto der Europa-Abgeordneten Beatrix von Storch ( geb. Herzogin von Oldenburg), "abgefackelt". Den AfD-Vorsitzenden von Sachsen-Anhalt André Poggenburg traf es noch übler. Auf seinem Gutshof und ffirmensitz wurde eingebrochen, das Büro verwüstet, Laptops sowie ein Transportwagen gestohlen. Die Kämpfer gegen "rechts" hinterließen ein Foto des Politikers mit einer Zielscheibe vor dem Kopf.

Während jede von "Rechten" (und/oder Neonazis) verübte Straftat - dazu gehören die  sich häufenden Anschläge auf für Asylunterkünfte vorgesehene Gebäude - in den Medien gebührende Aufmerksamkeit erfährt und Empörung auslöst, verschwinden die oben genannten Gewaltakte gegen "Rechte" in den Randspalten der Zeitungen oder an unauffälliger Stelle in irgendeinem Artikel.

II.
Dem "Spiegel" (Druckausgabe) ging es vermutlich um Steigerung der Auflage, als er den als "Glosse" deklarierten jüngsten Essay des  Dramatikers Botho Strauß (geb. 1944) abdruckte. Als bedeutendster Autor der "Schaubühne" galt Strauß in den 1970er und 1980er Jahren in grotesker  Fehlwahrnehmung seiner Stücke als "links". Für die meisten zerbrach diese kognitive Dissonanz erst mit der Veröffentlichung des "Anschwellenden Bocksgesangs"  in dem Spiegel-Essay 1993, in welchem der Schriftsteller  angesichts der durch Einwanderung aus aller Welt, inbesondere aus dem Orient, einerseits, der gewaltsamen Ausbrüche von  Ausländerhass andererseits, Indizien für eine heraufziehende Tragödie diagnostizierte. Er schrieb in jenem Jahr:: "Zuweilen sollte man prüfen, was an der eigenen Toleranz echt und selbständig st und was sich davon dem verklemmten deutschen Selbsthaß verdankt, der die Fremden willkommen heißt, damit hier, in seinem verhaßten Vaterland, sich die Verhältnisse endlich jener berühmten ("faschistoiden") Kenntlichkeit entpuppen, wie es einst (und heimlich wohl bleibend) in der Verbrecher-Dialektik des linken Terrors hieß."

In seinem als  " Bewußtseinsnovelle" bezeichneten Buch  "Die Unbeholfenen"  (2007) schreibt Strauß, er habe das Empfinden, "als wäre ich der letzte Deutsche". "Ein Obdachloser". In seinem jüngsten Essay, überittelt "Der letzte Deutsche. Uns wird die Souveränität geraubt dagegen zu sein" bekennt sich Strauß explizit zur Tradition jener "Empfindungs- und Sinnierweisen, die seit der Romantik eine spezifisch deutsche Literatur hervorbrachten". Strauß reklamiert für sich den Rückzug in das "Geheime Deutschland". Weiter: "Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen." Dazu eine bitter-romantische, alles andere befreiende Zukunftsvision: "Oft bringt erst eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zu Selbstbesinnung. Dann erst wird Identität wirklich gebraucht."

Aus dem Strauß-Essay ( https://blendle.com/i/der-spiegel/der-letzte-deutsche/bnl-derspiegel-20151002-85462 der letzte deutsche ) seien nachfolgend noch einige Sätze zitiert, die den Zustand der gründeutsch postnationalen Bundesrepublik, dem die politische  Realität negierenden Staatsgebilde in der Mitte Europas, treffend pointieren:
"Uns wird geraubt die Souveränität, dagegen zu sein. Gegen die immer herrschsüchtiger werdenden politisch-moralischen Konformitäten. Ihre Farbe scheinen parlamentarische Parteien heute ausschließlich in der Causa Schwulenehe zu bekennen."  (Der Satz lässt sich auf nahezu alle Akteure und Institutionen der bundesrepublikanischen Gesellschaft übertragen. H.A.)
"Das Gutheißen und Willkommen geschieht derart forciert, dass selbst dem Einfältigsten darin eine Umbenennung, Euphemisierung von Furcht, etwas magisch Unheilabwendendes auffallen muss."
"Das Kopftuch sei Zeichen von religiöser Selbstverwirklichung einer Frau, so eine gütige Angehörige der Grünen. Trefflicher kann man sein verständnisvolles Unverständnis [nicht eher bewusster Selbstbetrug? H.A.] nicht in Worte fassen. Man muss eben auch den rituellen Gehorsam in die Sprache der Emanzipation übersetzen."
"Bei uns bestimmen Massen und Medien das Niveau der politischen Repräsentanten, die allesamt Ungelehrte in jeder Richtung sind..."

"Der Hass Radikaler richtet sich wohl vordergründig gegen die Flüchtlinge - er ist vor allem eine unkontrollierte Reaktion auf das Vakuumempfinden, das ´die Politik´, wie man heute sagt, der Bevölkerung zumutet. Verantwortliche, die das Ende nicht absehen..." - H.A.: Zu ergänzen ist hier: "..., die das Ende nicht sehen wollen."


Mittwoch, 21. Oktober 2015

Merkel´s Mourning Speech

Angela Merkels Umgang mit der politischen Realität erweckt mittlerweile - spät genug - auch Unmut in den eigenen Reihen, nicht allein in Seehofers bayerischer CSU.  Dass ihr politisches Gebaren - eine einzigartige Mischung aus Machtinstinkt und Naivität, aus Opportunismus und Kita-Pädagogik - im Umgang mit der deutschen Sprache zum Ausdruck kommt, hat Michael Klonovsky in seinem Essay Angela Merkel. Eine Bilanz demonstriert. Ich möchte ihn den Lesern meines Blogs noch einmal empfehlen. Ich darf zusätzlich an meinen betreffenden Eintrag erinnern: Historisch-politische Sprachkritik der Merkelei 

Bei der  Morgenlektüre der Zeitung - laut Hegel das moderne Pendant zur Bibel -, genauer: der von  Auflagenrückgang betroffenen FAZ (21.10.2015, S. 7), stieß ich auf ein weiteres Beispiel von Merkels öffentlicher Sprachkunst. Der Anlaß war eine Gedenkfeier am Gymnasium im rheinischen Haltern, wo des Todes von sechzehn Schülern und zweier Lehrerinnen gedacht wurde, die vor einem halben Jahr bei dem von einem psychisch kranken Kopiloten inszenierten Flugzeugabsturz in den französischen Alpen ums Leben kamen.
In Haltern wurde seither, so erfährt man aus der  FAZ, allerlei von den Medien begleitete "Trauerarbeit" - ein gewöhnlich für bundesrepublikanische Schuldrituale reservierter Terminus - geleistet.

Angemessene Worte zum Gedenken an die Opfer eines zutiefst sinnlosen Geschehens zu finden, dürfte viele überfordern. Merkel, die anläßlich der Trauerfeier im Kölner Dom einen Besuch in Haltern zugesagt hatte, war um diese Aufgabe nicht zu beneiden. Gleichwohl  verdienen - im Hinblick auf die deutsche Willkommenskultur sowie die Sprachkompetenz der von Merkel in Massen eingeladenen Migranten-Flüchtlinge-Neubürger -  Zitate aus ihrer öffentlichen Ansprache festgehalten zu werden.

Sie sei gekommen, um zu zeigen, "dass ich an Sie denke, dass die Bundesregierung an Sie denkt, aber dass auch viele Menschen in Deutschland weiter an Sie denken." "Vielleicht ist Haltern ja auch ein Beispiel geworden, wie man in einer so fürchterlich traurigen Situation trotzdem Gemeinschaft zeigen kann." "Das, was ich mitnehme, ist, dass Sie versuchen, hier gemeinsam damit fertig zu werden."


Dienstag, 20. Oktober 2015

Grüne Stimme der Vernunft II: Boris Palmer (OB Tübingen)

Übers Internet, bislang  noch unzensiert, ging mir nachstehender Text zu. Er stammt von Boris  Palmer, Oberbürgermeister in Tübingen (Die Grünen).  Ich bitte das Publikum um Nachsicht, daß ich diesen Eintrag nun bereits zum zweiten Mal revidieren mußte: Christoph Palmer (CDU, OB Stuttgart; Boris Palmer, OB Tübingen, grün - die Namensverwechslung liegt nahe. Was die Aussagekraft des Textes angeht, um so besser: Boris Palmer gehört zu den grünen Stars im Südwesten.

Im Gegensatz zur Allparteienkoalition von Politikern und Meinungsbildnern, welche das Ausmaß des maßgeblich von Merkels Aktionen und  Rhetorik ("Keine Grenze nach oben"; "Wir schaffen das!") verursachte Chaos herunterspielen, nennt Palmer unbequeme - und weithin unbekannte  - Fakten. Er spricht in klaren Worten von den durch die unbedachte Grenzöffnung geschaffenen Dilemmata in der  "Asylkrise".  P.S.: Die Warnung vor den "Rattenfängern" darf natürlich in einer derart politisch unerwünschten Rede nicht fehlen...

Panikmache oder Wirklichkeit?

In den letzten 40 Tagen sind 410.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Meine nüchterne Aussage, derart hohe Zugangszahlen überfordern auf Dauer die Kommunen, hat einen Sturm der Entrüstung hervor gerufen. Wie so oft dominieren nicht Fakten, sondern Emotionen diese zunehmenden erschreckende Diskussion.
Fragen wir also: Gibt es Hinweise, dass die Zahlen demnächst sinken? Eher nicht. 19 Flüchtlinge wurden bisher in Europa umverteilt. Kein Tippfehler. 19. Und allein auf Lesbos kommen täglich 4000 neue Flüchtlinge an. Auf dem Balkan ist das Chaos schon wieder schlimmer als damals in Budapest. Wird die Kanzlerin nun wieder die Grenzen öffnen? Wenn Sie es täte, würden sich dann nicht nochmals mehr Menschen auf den Weg machen? Wagt es jemand, diese erneute Grenzöffnung zu fordern?
Schlimm genug, dass es keinerlei Prognosen aus Berlin gibt, wie es weiter geht. Es reicht auch nicht zu sagen, man könne das sowieso nicht mehr steuern. Der einzige Staat in Europa, der die Kontrolle über die Zuwanderung verloren hat, ist Deutschland. Großbritannien oder Frankreich schaffen es offenkundig ganz gut, die Zugangszahlen in vertretbaren Größen zu halten. Sind wir jetzt die besseren Menschen und können das den anderen Staaten in der EU verordnen? Sind die anderen EU-Staaten weniger an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden als wir?
Replik auf die erwartbare Empörung: Nein, ich bin und ganz gar nicht der Auffassung, dass man solche Themen tabuisieren muss und es den Rechten hilft, das auszusprechen, was ohnehin offenkundig ist. Im Gegenteil. Wir müssen diese Debatte voller Dilemmata in die Mitte der Gesellschaft holen, damit nicht die Rattenfänger profitieren.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Grüne Stimmen der Vernunft

Der Blogger  reibt sich die Augen, mit ihm sein Publikum: Die vor  "Mother Merkel" aufgereihte gründeutsche Einheitsfront beginnt zu bröckeln. Ausgerechnet in der taz wendet sich eine Redakteurin gegen den "linken Größenwahn". Sie fordert ihre Leserschaft auf, über die Notwendigkeit von Obergrenzen für die Aufnahme von "Flüchtlingen" nachzudenken: Gegen den linken Größenwahn.

Dass selbst im  grünen Lager Widerspruch gegen verantwortungslose Politik und die sie vernebelnde Sprache - nicht zuletzt im appellativen Umgang mit dem Wort "Flüchtling" - zu verzeichnen ist, verdanken wir couragierten Frauen wie Eva Quistorp. Unlängst beging sie ihren 70. Geburtstag. (Ich nutze den Blog, ihr, unserer nie entmutigten Mitstreiterin,  auf diese Weise nachträglich zu gratulieren.) Bei den Grünen versperrte ihr, in grünen Gründerzeiten einst Europa-Abgeordnete in Straßburg, fehlender Opportunismus und  geistige Unabhängigkeit den Zugang zu weiterer Karriere  in der Partei sowie zu lukrativen Ämtern.

Vor ein paar Monaten  attackierte sie in "Cicero" die "linken", sich feministisch gerierenden Frauen bezüglich ihrer unterwürfigen Haltung gegenüber einem Islam, der von Frauenrechten nichts weiß und nichts wissen will. In ihrer jüngsten Publikation nimmt sie das Neusprech, die  in der grünen Führungsriege  - und allgemein in der politisch-medialen Klasse - üblichen, die Wirklichkeit verkleisternden Sprachklischees, aufs Korn. (Ich darf an dieser Stelle noch einmal auf meinen Aufsatz Politische Semantik: Zur Durchsetzung von Begriffen im herrrschenden Diksurs hinweisen.) Ob Eva Quistorps Sprachkritik Neusprech für NeubürgerInnen  von den in Kirche, Staat und Gesellschaft fest etablierten grünen Wortführern - und -innen zur Kenntnis genommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Trotzdem: Glückwunsch, Eva Quistorp!


Chaos in Syrien: Analyse und Prognose

Ein zusätzlicher Kommentar zum Chaos in Syrien - ein Chaos, das viele Väter hatte, auch westliche - scheint mir an dieser Stelle vorerst unnötig. Ich empfehle stattdessen meinen Lesern die  Analyse und düstere Prognose des israelischen Militärwissenschaftlers Martin van Crefeld in der jüngsten Nummer der "Jungen Freiheit" (Nr. 42/09.10.2015).

Van Crevelds historischer Analogie wären  höchstens ein paar Details hinzuzufügen: 1618-1648 gab es außer hilflosen lokalen Flucht- und Rückzugsversuchen (Zerstörung von Wegen, Kappung der Verbindungen zur Außenwelt) keine organisierten Ströme von Flüchtlingen und/oder Migranten. Es gab im seinerzeit verheerten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation auch noch keine deutsche "Willkommenskultur"  unter der Schirmherrschaft einer Reichserzkanzlerin Merkel.

Lesen Sie, eingedenk der gegenwärtigen  Zustände in Europa, Martin van Crefeld: Ein neues 1618?

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Merkelei, Gauckelei - die neue deutsche Leitkultur

Anstelle eines weiteren Kommentars zu dem von Merkel und der gründeutschen classe politica angerichteten Chaos verweise ich das Publikum meines Blogs auf das Interview von Henryk M. Broder im TV-Sender N 24: "Was Merkel treibt, grenzt an Untreue im Amt"

Als oberster, stets  lächelnder Repräsentant unserer neudeutschen Leitkultur  fungiert Bundespräsident Gauck. (Adnote: Er wollte eigentlich Journalist werden, aufgrund der deutschen, nicht nur  DDR-spezifischen  Geschichtsumstände wurde er ersatzweise Pastor.) Zur Zeit trägt er seine Vorstellungen von deutscher Moral,  Leitkultur und Geschichte in den USA vor. 

In Philadelphia, dem Ort,  wo anno 1683 die ersten deutschen Glaubensflüchtlinge (späterhin bekannt als Pennsylvania Dutch) ankamen, belehrte er das studentische Publikum über die  historische Bedeutung der Deutschland (und Europa) überwältigenden militanten Masseneinwanderung. Die "Flüchtlinge" - nicht etwa in der großen Mehrzahl schlichte "Migranten"?  - aus Syrien, so Gauck,  kämen nach Deutschland mit "denselben Gefühlen, die unsere eigenen Vorfahren einst hegten, als sie auf dem Schiff der Freiheitsstatue in New York entgegengesegelt sind: sie betreten ein Land der Hoffnung und der Chancen, der Freiheit und der Demokratie."

Das Geschichtsbild des Bundespräsidenten ist fraglos blumenreich umrankt und pastoral getönt. Allein er scheint vor Antritt der Reise von seiner Entourage (oder seiner Lebensgefährtin) nur historisch unzureichend "gebrieft" worden zu sein. Auch er selbst hätte durch einen Klick auf Google  erfahren können, dass die "Statue of Liberty" (La Liberté éclairant le monde) als Geschenk der Dritten Republik an die USA erst in den Jahren 1875-1886 errichtet wurde. . 

Wer "von unseren eigenen Vorfahren" - etwa im Gefolge der Wirtschaftskrise 1896  - nach Amerika auswanderte, kam bereits auf dem Dampfschiff.  Die "Flüchtlinge", zu zwei Dritteln junge Männer, die heute massenweise auf Einladung Merkels und Gaucks in Deutschland hereinströmen, kommen anno 2015 in von "Mother Merkel" bezahlten Sonderzügen,  selbstverständlich nur,  um sich die deutsche demokratische Leitkultur anzueignen. Derlei Wahrnehmung, erwachsen aus seinem verschwurbelten Geschichtsbild, prägt Gaucks Vorstellung von der Zukunft seines - unseres - Landes. 


Donnerstag, 1. Oktober 2015

Zur deutschen Jubelfeier am 3. Oktober 2015

I.
Deutschland, genauer: die Bundesrepublik Deutschland, schickt sich an, das 25jährige Jubiläum der "Wiedervereinigung" zu feiern. Der Begriff selbst war lange strittig, da die historischen, realpolitischen und staatsrechtlichen Modalitäten der neuen staatlichen Einheit mancherlei Dispute ausgelöst hatten.

Über derartige begriffliche Quisquilien können wir anno 2015 gelassen hinweggehen.

Anders steht es mit der  in dem vom (mehrfach revidierten) Grundgesetz  von 1949 als "Deutsches Volk" apostrophierten Substrat - laut demokratischer Theorie der eigentliche Souverän - des am 3. Oktober 1990 als "Vollendung der deutschen Einheit" gefeierten Zusammenschlusses. Es ist ein von alltäglicher Erfahrung bestätigter Befund, dass das Unwissen über die Nachkriegsgeschichte - wie allgemein von  Geschichte - zum geistigen constituens einer ahistorischen, der banalen Gegenwart verhafteten Gesellschaft wie der Bundesrepublik geworden ist. Als historische Folie der  "Einwanderungsgesellschaft" dient in unendlicher medialer Aufbereitung die Vergegenwärtigung der - von Deutschen, nicht den Deutschen, initiierten und weithin, nicht ausschließlich von Deutschen exekutierten - NS-Verbrechen. Als Ergänzung zu dieser offenbar unverzichtbaren historischen, spezifisch  "deutschen" Grundierung der res publica und deren Zivilreligion dient die  Beschwörung von abstrakten, vermeintlich geschichtstranszendenten, realiter von radikalem Wandel gekennzeichneten "Werten" unter dem Signum der Menschenrechte.

Der Widerspruch: hie die auf Bilder des Entsetzens reduzierte Geschichte, hie die  von den Zwängen der Realpolitik überlagerte Bindung an universale Werte bleibt zum höheren Zweck bürgerlichen Gehorsams ausgeklammert. Soll auf diese Weise Staatsbejahung erzielt werden, so steht dieses Ziel im Widerspruch zur doppelten Tendenz der Entstaatlichung: in der deutschen Bereitschaft zur Übertragung jeglicher eigenstaatlicher Souveränität auf die EU, in den wachsenden politischen Ansprüchen seitens der Nichtregierungsorganisationen (NGOs), den  - staatlich geförderten - Säulen der sog. Zivilgesellschaft.

II.
Es würde den Rahmen eines Blogeintrags sprengen, die lange Vorgeschichte des als Jubiläum anstehenden 3. Oktober 1990 zu rekonstruieren. Die jüngste deutsche Einheit reicht als Faktum und Problem in historische Tiefenschichten, die dem "deutschen Volk", erst recht der von deutscher Geschichte und NS-Vergangenheit gänzlich unberührten Bevölkerung,  kaum noch präsent sind.

In Stichworten:  Was  nach dem 3. Oktober 1990 "als Vollendung deutschen Einheit" gemäß der Präambel des am 23. Mai 1949 Grundgesetzes deklariert wurde, war der in den 2+4-Verhandlungen von den vier Siegermächten gebilligte Zusammenschluss der nach der deutschen Geschichtskatastrophe des Nazi-Regimes auf dem Restterritorium des Deutschen Reiches von 1871 etablierten, unter Souveränitätsvorbehalt stehenden Staatsgebilde samt des bis dato unter explizitem alliiertem Sonderstatus stehenden, seit 1948 geteilten  Gebiets von (West- und Ost-)Berlin. Die neue staatliche Einheit kam zustande, nachdem die Außenminister der Vier Mächte am 12.9.1990 in Moskau den Vertrag über "die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland"  unterzeichnet hatten und am 1.10.1990 in einer gemeinsamen Erklärung in New York auf ihre "Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes [beendeten]" (Art. 7),  "wodurch dieses [sc. Deutschland] seine volle Souveränität erhielt." ( http://www.auswaertiges-amt.de/DE/AAmt/Geschichte/ZweiPlusVier/ZweiPlusVier_node.html )

Zur Erläuterung: Der Begriff "Deutschland" bezog sich nicht mehr - wie ehedem in diversen Dokumenten der Alliierten vom Londoner Protokoll (12. 9.1944; letzte Fassung vom 13.8.1945) sowie in der Potsdamer Erklärung (2.8.1945) auf das Reichsgebiet vom 31.12.1937, sondern - nach dem im Dokument vorgesehenen Grenzvertrag mit Polen -  auf die Gebiete der Bundesrepublik, der DDR und Berlins. Über die neue Ostgrenze hatte zuvor längst die normative Kraft des Faktischen sowie dessen friedenspolitisch motivierte vertragliche  Anerkennung durch die Neue Ostpolitik (1970) entschieden.

Eine Pointe bezüglich der im 2+4-Vertrag gewährten "vollen Souveränität" setzte Finanzminister Schäuble während der Auseinandersetzungen über die "Euro-Krise" und die von Vertragsbrüchen begleiteten Euro-"Rettungssysteme": Deutschland, so Schäuble, "ist seit 1945 nicht mehr souverän".

III.
Dessen ungeachtet dürfen, sollen wir feiern. Zur Feier bescherte mir die "Bild"-Zeitung im Briefkasten ein Gratis-Exemplar mit der schwarz-rot-goldnen Überschrift (in lockeren kursiven Lettern): Happy Birthday Deutschland ! (ohne Komma). Deutschland bedankt sich mit einem idyllischen Alpenblick auf das Städtchen Pfronten im Allgäu. Links oben dankt eine Anzeige mit dem Emblem von VW: "Danke für 25 Jahre Treue". Rechts oben wirbt Euronics.de für ein Samsung-Smartphone für nur 77.- €. Und unten bedankt sich mit einem ganzen  Balken s-w-r gemustert die Deutsche Bank: "Wir feiern mit ganz Deutschland 25 Jahre Wiedervereinigung". Satura non est.

Auf Seite zwei erfährt der derart beschenkte "Bild"-Leser  "WIE WIR WIEDER WIR WURDEN". "Bild" jubelt über die neue deutsche "Willkommenskultur", indem sie großformatig  einen 5jährigen syrischen Flüchtingsjungen mit einem Pappschild abbildet: "Thank Germany", darüber aufgemalt die Farben der von grün-taz-linken Deutschen verpönten "Deutschlandfahne". Unterhalb des Textes  erinnert ein Schwarz-Weiß-Photo an  Jubelszenen wie am 5. Oktober 1989, als die aus der Prager Botschaft  über Dresden ausgereisten DDR-Flüchtlinge auf dem Bahnhof in Hof empfangen wurden. Die Botschaft ist klar.  "Bild" feiert noch grenzenlos, selbst wenn inzwischen der Bundespräsident die Grenzen der deutschen "Willkommenskultur" sowie der Integrationsbereitschaft der hereinströmenden Neubürger - erkennt.

IV.
Auf Seite 3 wirbt ein gelber (VW) Beetle Cabriolet für "Einigkeit und Recht und ---", also für  Beetle Cabriolet.Auf Seite 4 gibt Wolfgang Schäuble (73, CDU), im Rollstuhl digital vor der Reichstagskuppel plaziert, kund bezüglich dessen, "Was mir Freude macht, wenn ich an Deutschland denke". Schäuble präsentiert eine Liste mit 25 Punkten, über die er sich betreffs Deutschland freut. Er freut sich (Punkt 1) beim Blick aus seinem  Büro, wo er die "Höhen und Tiefen deutscher Geschichte vereint" sieht: das Berliner Abgeordnetenhaus, den Martin-Gropius-Bau und  das Dokumentationszentrum der "Topographie des Terrors" am Ort des einstigen RSHA im Prinz-Albrecht-Palais. Letzteres, ein von  KZ-Schotter umsäumtes Glasgebäude, macht historisch-ästhetische Freude für jedermann anschaulich...

Schäuble freut sich (Punkt 4) auch beim Anblick der Frankfurter Paulskirche, wo am 18.Mai 1948 zum 100jährigen Jubiläum der Nationalversammlung "die wiedererbaute Kirche eröffnet [wurde]". Schäuble hat das in den 1970ern oder 1980ern funktional "verfassungspatriotisch" renovierte Interieur anscheinend ausgeblendet, nicht anders als den trostlosen Wiederaufbau der alten zerbombten Reichsstadt Frankfurt. In Punkt 19 freut er sich über die Moscheen in Deutschland, denn er ist "dankbar, dass das Miteinander der Religionen gut funktioniert." Schäuble denkt womöglich an den vor Jahren von türkisch-sunnitischen Protagonisten proklamierten "Tag der offenen Moschee" am 3. Oktober.  In Punkt 13 freut er sich über den Einheitsvertrag, den er seinem DDR-Gegenüber Gümther Krause faktisch diktierte und in denen die Enteignungen in der Sowjetzone1945-1949 festgeschrieben wurden, angeblich, da es die sowjetische Seite zur Bedingung gemacht habe. Über die Früchte dieser - laut Gorbatschow nie gestellten Bedingung - freuen sich heute die Agro-Konzerne (darunter auch chinesische landgrabber), die mittlerweile einige der nach der "Wende" flugs in EU-subventionierte GmbHs umgewandelten LPGs ausgekauft haben.

Unter Punkt 15 freut sich Schäuble über die 1-Euro-Münze (mit der nach Osten offenenen Europa-Landkarte). Dass er in der vorerst letzten Griechenland-Krise  vergeblich - oder als bloße Drohgebärde? - den "Grexit" anstrebte, trübt die Freude des deutschen Finanzministers anschenend nicht. Danach freut er sich über seinen jährlichen Sommerurlaub  auf Sylt: Das "ist für mich Entspannung pur" (indekliniertes Adjektiv nachgestellt). Dass er sich als Protestant über die Schlosskirche in Wittenberg freut, ist verständlich. Für ästhetisch distanzierte Besucher der Lutherstadt wirkt allemal die Wittenberger Stadtkirche ansprechender als die von einem disproportionalen Turm überwältigte Schlosskirche. Zu erwähnen ist noch Schäubles Freude am Sonntagabend beim "Tatort"-Gucken (Punkt 20). Da fiebert er gendergerecht "mit den Kommissarinnen und Kommissaren". Erfreulich, dass der Politiker Schäuble zumindest beim politisch korrekten Krimi-Abendgebet dem Volke und dessen vom Drehbuch verordneten Empfinden nahe ist.

V.
Im November 1989, nach dem Mauerfall,  freute ich mich über die "Zehn Punkte", mit denen Helmut Kohl - ohne Mitterand und Thatcher zu informieren - die Initiative in Richtung "deutsche Einheit" ergriff. (Die zehn Punkte ähnelten in erstaunlichem Maße dem Konföderationsplan, den unser Mitstreiter Theodor Schweisfurth wenige Tage zuvor in der "Bild"-Zeitung veröffentlichen durfte - was indes nicht zu Fehldeutungen verleiten sollte.)  Selbst am 3. Oktober 2015  kann ich  bei einer Reihe von Punkten,  die  Schäuble zu Freude inspirieren,  immerhin dessen Freude teilen.

Denk´ ich sodann  an Deutschland in weiteren 25 Jahren, ist die  Freude der Erinnerung schnell verflogen. Schäuble gehört zu den  vorbehaltlosen Unterstützern einer Politik, deren selbstzerstörerische Konsequenzen ihre Urheber entweder nicht sehen wollen oder aber billigend in Kauf nehmen.  Ich danke der "Bild"-Zeitung  für diese Gratis-Erkenntnis. Nach der Lektüre bis einschließlich Seite vier landet das Gratis-Exemplar im deutschen Papierkorb.