Mittwoch, 29. Mai 2013

Anmerkungen zur Jubelfeier: von der begrünten SPD



Anmerkungen zur Jubelfeier: Von der begrünten SPD
Herbert Ammon

Ich hätte ein anderes Thema wählen können, z.B. die gesamtgrüne Heuchelei die ohne Blick nach Polen oder Frankreich den Ausstieg aus der Kernenergie zelebriert, europäische Stromverbundnetze fordert/fördert, das Land, wo es noch schön war, mit „Windparks“ verschönert, den landfressenden, zentraleuropäisch bedingten Autobahn-Ausbau ablehnt, da man selbst ein Auto mit nur 3,6 Liter-E-10-Verbrauch besitzt, mit grünem Ökostrom Bahn fährt, im Billigflieger mit taz-Reisen in die Zivilgesellschaft fliegt. Und sollte ich darob das globale Angebot aus der Bio-Company fürs besser situierte Publikum sowie das die Sozialindustrie nährende Mitleid mit Migranten vergessen?

Nein, es gilt, einen Kommentar zur 150jährigen SPD-Jubelfeier zu liefern, doch  mit Widerstreben, aus zweierlei Gründen: Zum einen erscheint mir die SPD von allen „etablierten“ Parteien dank ihrer Parteigeschichte noch passabler als die Konkurrenz. Zum anderen widerstrebt mir, in der sich selbst als „konservativ“ ausweisenden, von ihren Gegnern mit verfänglichem Etikett „rechts“ belegten JF Kritisches anzumerken, was die Fronten („Keine Interviews in dieser Zeitung!“) nur verhärten dürfte.

Mein Lob der SPD gilt Namen wie Ferdinand Lassalle – sein ADAV inspirierte den großen Festakt -, August Bebel, Friedrich Ebert, Adolf Reichwein, Carlo Mierendorff, Julius Leber, Kurt Schumacher – und Willy Brandt: Erst das Land, dann die Partei. Die zu Zeiten der Kanzlerschaft von „rechts“ in Zweifel gezogene patriotische Lauterkeit wurde zuletzt evident 1989/90, als er Kohl den Rücken freihielt. Seine Worte über die verlorenen Ostgebiete haben nichts zu tun mit dem Gerede des FAZ-Flüsterers Schirrmacher und des globales Risiko, aber Euro-Solidarität kündenden Ulrich Beck. Zu loben ist die Sozialdemokratie, die indirekt die Bismarcksche Tradition des Sozialstaats begründete. Zu würdigen ist die im „Internationalismus“ begründete Friedensidee, sofern sie nicht mit der Wirklichkeit kollidiert. Dies gilt für Gabriels Liebe zum Leipziger Stargast Hollande, einem doktrinären Progressisten und klassischen ENA-Nationalegoisten. Sonst ist die SPD nur noch grün (s.o.). Adnote: Im Blick auf das von den Nazis angerichtete Unheil war die SPD ehedem auch zu freigeistig.

P.S. Der obige Text erschien/erscheint in redaktionell leicht gekürzter Version unter dem Titel "Mittlerweile nur noch grün" in der kommenden "Jungen Freiheit" Nr. 23/31.05.2013, S. 2.  Da der Satz,  der sich auf ein FAZ-Interview des Herausgebers Schirrmacher mit Ulrich Beck und dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz bezog, dem Stift des Redakteurs zum Opfer gefallen ist - dabei hatte ich mich brav um die Einhaltung der Zeichenvorgabe (2200) bemüht -  präsentiere ich die Kolumne im Original hier noch einmal. Mir ging es darum, den widersprüchlichen Umgang des aus dem Pommerschen expedierten Soziologen Ulrich Beck mit der Wirklichkeit - mal  "kosmopolitisch" eingefärbte Existenz in der globalisierten Risikogesellschaft, mal  spezifisch deutsche Verpflichtung zu europäisch eingeengter "Solidarität" - aufzuspießen. Dies betraf auch den Verweis auf Schirrmachers absurde Verknüpfung des Verzichts auf die de facto längst verlorenen Ostgebiete mit dem voraussehbaren Verzicht auf die  zur Euro-Rettung gewährten realen Kredite (n.b. zu unterscheiden  von den bislang nur virtuell bereitgestellten "Rettungsschirmen").

Was mein Urteil über Hollandes Nationalegoismus  betrifft, so wird es durch den gescheiterten EU-Außenminister-Gipfel sowie  durch die von Paris angekündigten Waffenlieferungen für die "demokratischen Kräfte" in Syrien aktuell bestätigt. 

Montag, 27. Mai 2013

Von der Liebe der Russen und Reggae aus Grenada

Liebe teils  zufällige, teils treue Fangemeinde,

ich bin seit über einer Woche im Verzuge, es gilt wieder mal zu bloggen.

Vorab mein Befremden über die "Aufrufe". Die vor Tagen noch glühende Liebe der Russen - falsch: der von Pussy Riot mobilisierten Bürgerinnen  und Bürger, schon wieder falsch! der Demokratinnen und Demokraten der Russischen Föderation - scheint vorerst erloschen: kein einziger Eintrag - ein Sabotageakt des irgendwie umbenannten KGB? Als Trost bleibt mir ein Aufrufer aus der Ukraine, dem Reich der orangenen Märtyrerin Julia Timoschenko. Vor allem, ich träume angesichts des klimatologisch bedenklichen Dauerregens bei ± 10 º C.  von bundesrepublikanisch korrekten Ferienfreuden in der Karibik. Aus Grenada - der Insel der Seligen, wo vor Jahrzehnten eine US-Invasion gegen ein progressiv bekifftes Friedensputschregime stattfand - meldet Google 22 Aufrufe in der letzten Woche. Handelt es sich um sonnenhungrige deutsche Grüne, die vor der hurricane season und den entsprechenden Klimakonferenzen "noch schnell Sonne tanken" wollen, dabei auf Erhellendes aus der Heimat aber nicht verzichten wollen? Oder haut da ein selig träumender Glaubensbruder von Bob Marley auf die falsche Taste seines PC?

Die Weltdeutung soll auch heute nicht zu kurz kommen. Ich verweise auf das Update eines anno 1989 für das Deutschland Archiv 3/1989 verfassten Rezensionsessays über "Neues Denken" in der DDR, den ich  soeben,  textlich angereichert,  bei academia.edu eingestellt habe. Darin schrieb ich - zehn Jahre vor Joschka Fischers und Rudolf Scharpings Rhetorik anlässlich des Kosovo-Krieges - folgenden Satz:


"Vor allem: Auschwitz sollte nicht zur banalen, beliebig verfügbaren Erklärungsformel historisch-gesellschaftlicher Widersprüche depraviert werden."

Nachtrag 18.17 h MEZ (Sommerzeit):

1)  Ich erinnere das geneigte Publikum an das Interview mit Giorgio Agamben in der letzten Samstagsausgabe der FAZ. Im Unterschied zu dem beflissen fragenden deutschen  Hypereuropäer Dirk Schümer, der anlässlich der großen Konstantin-Ausstellung in der römischen Kaiserstadt Trier ganz locker die antitrinitarischen Arianer als  "Arier" klassifizierte und in seinem Interview  bezüglich der bürokratisch-zentralistischen Neuordnung EU-Europas die    Begriffe "legal" und "legitim" verwechselt, bieten die Äußerungen Agamben über die von historisch-kulturellen Traditionen, von Differenz und Einheit geprägten kulturellen Identität Europas, die Vielgliedrigkeit der europäischen Kulturlandschaft sowie den ahistorisch nivellierenden, bürokratischen Charakter der EU mancherlei Anregungen.

2) Ich kündige - Termin offen - für Globkult meinen Beitrag zu einer "Festgabe" zum 70.Geburtstag für Edelbert Richter verfassten Beitrag  unter dem Titel "Annus mirabilis 1989: Zur Vor- und Nachgeschichte einer Begegnung" an.




Donnerstag, 16. Mai 2013

Pfingstreisen


Pfingstreisen

Liebe Leute, liebe Mitlaufende in den Weltläuften, liebe Verehrerinnen  und Verehrer (male chauvinists)  von GABI,

da ich, wenn ich mich nicht irre,  nachfolgende Botschaft aus Versehen nur meinen engeren Kreisen, nicht der www.community übermittelt habe, schicke ich sie noch einmal ins digitale Nichts (ehedem wissenschaftlich abwegig als "Äther" bekannt):

Vor Pfingsten, dem herrlichen Fest, das zum Reisen in die von Windparks noch verschonte  Natur einlädt,  muss noch gebloggt werden, damit die ratings stimmen, damit das Publikum bei Laune bleibt, damit der Blogger nicht in die Privatheit regrediert! Wer, zumal zu Pfingsten, des Geistes voll ist, muss sich im vom grün-konsensualen Gesülze gesättigten Lande, leider immer fragen, welch eigene  Botschaft er noch digital verkünden soll oder - im Hinblick auf  die strenge bundesrepublikanische Zivilreligion - verkünden darf.

Vorab die erste, für den Blogger ernüchternde Nachricht: Es besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den  anschwellenden okkasionellen Aufrufen und den realen Aufrufen, d.h. dem durch Clicks bekundeten Leseinteresse der engeren community  an den derzeit 19 - nunmehr 20 - Blogs des in globaler Einsamkeit bloggenden Bloggers. Kann ich mit nur ca. 15 % der als reale Lektüreansätze registrierten "Einträge" mein seelisches Gleichgewicht als Blogger bewahren?

Die Antwort lautet "Ja". Selbst wenn die Liebe zu meinen Posts  in teutonisch-elektronischen Gefilden  zu  wünschen übrig lässt, so bestätigt sich nur erneut das Bibelwort vom Propheten, der nichts gilt in seinem Vaterlande.  Ich erfreue mich stattdessen  eines  treuen Publikums  a) in Übersee, im Lande Obamas, das derzeit von digitalen Hackersünden und politisch-moralisch inspirierter  steuerlicher Verfolgung politisch Andersgläubiger erschüttert wird b) in zunehmendem Maße, letzthin gar an erster Stille, im Reiche Putins. Bitte, liebe community, zählen Sie mich aufgrund dieses elektronisch ermittelten Faktums nicht zur fünften Blogger-Kolonne des  Mannes im Kreml. Auch dessen Freund Gerhard Schröder bin ich im Leben nur einmal persönlich begegnet, als der seine politischen Chancen sondierte und - zu Recht - diese  in meinem eng umgrenzten friedenspolitischen Umfeld  nicht erkennen konnte. Mit Gasprom habe ich leider auch nichts zu tun, andernfalls verfügte ich über reichlichere Einkünfte, vielleicht gar über ein hauseigenes TV-network und müsste nicht bloggen.

Höchstes Ziel eines Bloggers ist Popularität, er imaginiert sich als eine Art Volkstribun der elektronisch vernetzten Plebejer. Das erfordert volksnahe ("populistische") Kommentare seitens des Bloggers. Was, liebe community, bleibt uns  angesichts der  uns alle betreffenden  Schlagzeilen des Volksorgans BILD oder der demokratischen Informationsflut in den vielen online-Zeitungen  überhaupt noch zu sagen? Was sind unsere Empfindungen  angesichts der  Nachricht von der doppelten Brustamputation Angelina Jolies?

Dazu unsere spezifisch deutsche Seelenerforschung: Was empfinden wir angesichts des Münchner NSU-Prozesses gegen die Katzenfreundin Beate Z., Tochter eines in die USA entschwundenen rumänischen Studenten? "Endlich" - hieß es dieser Tage in den morgendlichen Nachrichten auf RBB - "endlich" ist  der Prozess in die Beweisaufnahme eingetreten. Halten wir´s mit der Ästhetik von BILD: "Der Teufel hat sich schick gemacht" oder schreckt uns derlei  gender insensitivity  ab? Bekanntlich hat der Teufel  eine Großmutter und verfügt zudem über eine beachtliche Truppe von Teufelinnen in seinem infernalischen Heer.

Mittwoch, 8. Mai 2013

Alexandre Kojève und Europa heute

Liebe community,

in  Ergänzung meiner in Globkult erschienenen "Betrachtungen zur realen Verfassung der EU" (03.03.2013) darf ich Sie auf den folgenden Aufsatz des Soziologie-Emeritus  Wolf Lepenies hinweisen:




Er handelt vom Ärger französischer Linksintellektueller über die des Preußentums verdächtigte Angela Merkel und von der Wiederentdeckung des  Hegelianers Alexandre Kojève (Aleksandr V. Kozevnikov, 1902-1968). Als Emigrant in Deutschland wurde er 1923  bei Karl Jaspers mit einer Dissertation über V. Solov´ev promoviert. Während und nach II. Weltkrieg  bewies Kojève seine dialektische Wendigkeit als Apologet des Vichy-Regimes, als KGB-Agent, im französischen Wirtschaftsministerium sowie als Sekretär bei der OEEC.  

Ein wiedererstarkendes Deutschland vor Augen, proponierte Kojève in den Nachkriegsjahren das Konzept eines lateinisch-katholischen Südimperiums als Antithese gegen den schier unbeherrschbaren deutschen (Welt-)Geist. Im mythischen Jahr 1968 empfahl er an der FU Berlin, eingeladen  vom Philosophen Jacob Taubes, den revolutionär erregten Studenten um Rudi Dutschke,  vor der Verwirklichung der großen Utopie erstmal Griechisch zu lernen.


Zum Glück  ist mit dem wiedererwachten Interesse der Pariser Progressisten  an Kojève die Bewegung des europäischen Geistes von Ost (Berlin) nach West (Paris) noch nicht festgelegt. Zudem haben die Deutschen in Madrid bei den dortigen Epigonen des Krausismus trotz allem noch einige Sympathien...


Dienstag, 7. Mai 2013

Joschka (Joseph M.) Fischer als Geschichtsdenker

Joseph M. Fischer als Geschichtsdenker

Ich empfehle dem geneigten Publikum die Lektüre der dreispaltigen Besprechung (FAZ v. 06.05.2013) von Gregor Schöllgen  des bei C.H. Beck erschienenen Zwiegesprächs zwischen dem  Historiker Fritz Stern und dem grünen Erfolgsmenschen Joschka Fischer über die Weltläufte, zentriert um die  deutsche Geschichtskatastrophe. Beachtung verdient zum einen die  Reminiszenz  des in jungen Jahren  aus Breslau geflüchteten Stern  an seinen ersten noch  "voller Misstrauen" unternommenen Besuch in Nachkriegsdeutschland im Jahre 1950. Er traf, anders als erwartet,  bei seinen Gesprächspartnern (aus den "Eliten") auf keine Neigung zu billiger Apologetik, auch  nicht auf antisemitische Tendenzen. Diese Erfahrung unterscheidet sich von Hannah Arendts frühen Reiseeindrücken nach dem Krieg, wonach sich die Deutschen vor allem als Opfer stilisierten. Selbst wenn es sich um Sterns subjektive Wahrnehmungen handelte, so stehen diese in Widerspruch zu dem geläufigen Bild einer starrsinnigen, noch stark NS-imprägnierten Gesellschaft. Sie kontrastieren  mithin auch mit dem edlen Selbstbild der von Fischer repräsentierten "Achtundsechziger", erst ihre Generation habe mit der Nazi-Vergangenheit aufgeräumt...

Was noch mehr Erstaunen erweckt, ist die gänzlich ironiefreie Wiedergabe der Ausführungen  des von Selbstzweifeln  unbeschadeten ehemaligen Grünen-Außenministers und jetzigen multiplen Aufsichtsrats (männl.) Joschka Fischer. Offenbar weiß Schöllgen  den historischen Fundus des "Autodidakten", - nach stolzem Bekenntnis hat sich bereits der Knabe Fischer durch die Gemeindebibliothek seines Heimatortes (Langenburg im Fränkisch-Hohenloheschen) gelesen -  zu schätzen. Überdies scheint der als  konservativ geltende Erlanger Emeritus Schöllgen den Politiker Fischer - dieser bekennt sich ohne Umschweife zu seiner Liebe zur Macht - auch den Rang  eines Geschichtsdenkers  zuzuerkennen, wenn er schreibt:

"Man merkt, dass Fischer nichts mehr werden muss. - Auch nicht Historiker. Sein Blick auf die deutsche Geschichte, die den Dreh- und Angelpunkt des Gespräches bildet, ist erfrischend frei von Umwegen und Kompromissen, und in aller Regel kann man ihm dabei folgen. So hat Fischer keinen Zweifel, dass die eigentliche Ursache für den - so gesehen - unvermeidlichen Weg Europas in die Katastrophe zweier Weltkriege in der Reichsgründung des Jahre 1871 zu suchen ist. Und es war ein Versäumnis der alliierten Sieger, dass sie diesen Fehler nicht schon 1919, sondern erst 1945 ´rückgängig´ machten."

Schöllgen leitet von dieser "äußeren Demontage"  zu Fischers Beitrag zum  großen "Reinemachen im Innern" über, wozu die von Fischer inszenierte, von willigen Historikern unternommene Purgation der Geschichte des AA gehörte. Die in Bezug auf das europäische Zentrum unumgängliche Frage, wie wohl eine geglückte großdeutsche, ab 9. Nov. 1848  nur noch kleindeutsche (die Reichsgrenzen von 1871 - mit nationalen Schmerzen vermindert um Elsass-Lothringen - antizipierende) Revolution mit der deutschen Geographie, mit der Frage des europäischen Gleichgewichts, mit den Flügelmächten sowie mit den seit 1792 ringsum erblühten Nationalismen fertig geworden wäre, stellt sich für Denker wie Fischer nicht.  Das liegt gewiss nicht an seiner Herkunft aus dem schönen Ungarland: Auch mit dem von  Schwarzenberg anvisierten  Mitteleuropa unter österreichischer  Hegemonie wäre das europäische Mächtespiel entbrannt...

Dass Fischer mit seinem schlichten Geschichtsbild ("Gründungsmythos Auschwitz"; "unsere Väter, diese Säcke") reüssieren konnte, fällt auf die von ihm - ohne erkennbaren weiblichen Widerstand - okkupierte feministische  Partei zurück und ist  im Hinblick auf  die deutsche Politiklandschaft nicht allzu verwunderlich. Indes verwundert, dass der Historiker Schöllgen dem  Geschichtsdenker Fischer auf dessen geistigen Pfaden anscheinend ohne Widerspruch folgt.

Sonntag, 5. Mai 2013

Vom Umgang mit appropriiertem historischen Erbe



Was in Zeiten wie diesen in diesem unseren Lande bereits nahezu  undenkbar scheint, sprach in einem Leserbrief an die FAZ (02.05.2013, S.34) der polnische Historiker Dr. Roman Zeminski aus: Dass es im Hinblick auf die  leidvolle Geschichte  zwischen Deutschen und Polen auch auf polnischer Seite  an kritischer Selbstbefragung fehlt, nicht zuletzt  an Sensibilität im Umgang mit dem deutschen historischen Erbe.

Gegenstand des Leserbriefs war der so eigennützige wie gedankenlose Umgang der Universität Stettin (Sczeczin)   mit dem - aus deutschen Mitteln - zum Zwecke deutsch-polnischer Begegnungen sowie als Wissenschaftszentrum restaurierten Herrenhaus Külz aus dem einstigen pommerschen Besitz der Bismarcks. Anscheinend unbekümmert  von  vertraglichen Fixierungen, hob die Universität die Begegnungsstätte auf und stellte das Schloss zur Aufbesserung der  Finanzen zum Verkauf.

Dr. Zeminski schrieb dazu folgendes: "Der Fall Külz ist nicht nur eine Frage des Stils, ganz abgesehen von Geld und von juristischen Fragen. Das ist eine Frage der heutigen und künftigen deutsch-polnischen Verständigung. Wir als Polen, bemühen uns nicht. Wir möchten, wir fordern, wir nehmen, aber geben nicht. Uns wurde gegeben. Hinter- und Vorpommern auch. Auch Niederschlesien. Sechshundert Burgen, Herrenhäuser und Schlösser in Niederschlesien, die den Deutschen gehörten, stehen ruiniert. Aber wem werden wir diese Karte zeigen, den Deutschen? [...] Ich schäme mich, aber ich hoffe. Ich hoffe sehr stark, dass es in Deutschland viele Leute gibt, die daran glauben, dass es in Polen eine dünne Schicht von Leuten gibt, die geben wollen... Ich glaube an jüngere Generationen und ich hoffe, dass der Fall Külz einer der letzten war."

Für solche Worte gebühren dem Verfasser Respekt und Dank.  Es steht indes zu befürchten, dass seine Hoffnung auf unverkrampfte Verständigung letztlich  fehlgeht, und zwar deshalb, weil auf deutscher Seite, jene "Schicht von Leuten", die sich des geschichtlichen Erbes in Pommern, in der Neumark und Schlesien noch erinnern, genauer: erinnern wollen, allem Anschein nach  noch dünner ist als die von Dr. Zeminski erwähnte Bildungsschicht in Polen. Unter jüngeren Deutschen besteht kaum noch eine Erinnerung an die Geschichte der einstigen deutschen Ostgebiete, sofern - jenseits der Rocky-Krimi-Hitler-Horror-Talk-and-Picture-Show-Szenarien - überhaupt noch ein existenzielles und/oder ästhetisches Interesse an Geschichte, id est an komplexer Historie, anzutreffen ist. In deutschen Seminaren, Medien  und Feuilletons geht seit langem lineare curriculare Unterweisung in  Geschichtsmoral einher mit  geschichtspolitischer  Beflissenheit.

Wie unter derlei Umständen  auf beiden Seiten der Oder  jenes Maß an unapologetischer, (selbst-)kritischer  Offenheit zu erreichen ist, wie es den zitierten Leserbrief auszeichnet, bleibt somit insbesondere von deutscher Seite - jenseits der üblichen europäisch eingekleideten Verständigungsrituale - leider nur noch zu erhoffen.



Mittwoch, 1. Mai 2013

Gründeutsche Heerschau

Liebe community,

in Ergänzung meines bereits vor zig Jahren (anno 1999) verfassten Kommentars (s. Post  v. 24.04.2013) zur zweijährlich terminierten protestantischen Heerschau (Gesamtkosten der diesjährigen Veranstaltung 2013: 18,49 Mill. €) empfehle ich  die Lektüre des von Spiegel-online gestern veröffentlichten Interviews - mit der Bischöfin der jüngst - als  evangelische Rationalisierungsmaßahme - kreierten norddeutschen Landeskirche Kerstin Fehrs. "... wir nehmen Stimmungen aus der Gesellschaft auf. Es gibt Diskussionen zu Wirtschaftsethik oder Demokratieverständnis, zur Flüchtlingsproblematik oder interreligiösen Belangen. Unsere Besucher kommen nicht, um zu konsumieren. Sie wollen sich einbringen, selber mitreden, etwas zum Nachdenken mitnehmen. Vielleicht wirkt das eine oder andere Angebot zeitgeistig. Aber wir experimentieren und bieten Vielfalt - im Gegensatz zu einer Gesellschaft, die immer mehr polarisiert, Spaltung produziert und verflacht."

 Die Ausführungen der episkopé (gr.,urspr. Aufseherin,   s. Wikipedia ) zum Hunger "nach einer transzendenten Wirklichkeit", zu  "Pluralität" als suprema veritas fidei sowie zur Atomkraft als (in sämtlichen EU-Nachbarländern mit Ausnahme von Austria felix ohne Scham und Schuld  praktizierten) Erbsünde sind für jedes verlorene Schaf im Internet ein rechter grüner Seelentrost. Man muss sich eben nur einbringen...