Freitag, 16. September 2022

Wahl-O-Mat: Guter Rat für Männer mit schlechtem Bildungsgrad

Das politische Ideal der Demokratie ist der citoyen (sc. m/w/d citoyenne), der/die/das mündige Bürger, der am Leben seines Gemeinwesens, der res publica, aktiv Anteil nimmt. In der Schweiz, wo über alle möglichen Gesetze auf Kantons- und Bundesebene direkt abgestimmt wird, ist das Prinzip seit langem verwirklicht. Hierzulande steht das Konzept der plebiszitären Demokratie, immerhin in Art. 20,2 GG als Element der Staatsgewalt festgehalten, unter Populismusverdacht, weshalb es nur äußerst sparsam – bei Radwegen in den Innenstädten, aber nicht bei Windkraftparks in der freien Natur - zur Anwendung kommt.

Aktivbürgertum – oder partizipatives Demokratieverhalten - kommt im bundesrepublikanischen Parteienstaat am besten durch Mitgliedschaft in einer der Parteien - natürlich nicht in allen ! - zur Geltung. Falls als demokratisch ausgewiesen, ermöglichen sie dem Mitglied zuweilen auch eine politische Karriere, zumindest einen besseren Zugang zu den gehobenen Stellen im öffentlichen Dienst oder in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die große Mehrzahl der Bürger, sofern nicht in einer oder mehreren - parteinahen, meist grünen - NGOs, sprich: in der Zivilgesellschaft, verankert, nehmen am politischen Leben als Konsumenten der Talkshows sowie an den Wahlen teil, wozu sie als der originäre Souverän periodisch aufgerufen sind.

Wer die Wahl hat, hat die Qual, lautet das Sprichwort. Die Zeiten, da es – geprägt durch Herkunft, Klasse, Konfession und Einkommen – relativ feste Parteibindungen gab und das Wählen leichter fiel, sind im Zuge der Individualisierungstendenzen der postmodernen Gesellschaft vorbei. Wer also angesichts der bedrohten Umwelt und der Energiekrise nicht zu den zehn bis fünfzehn Prozent Stammwählern (sc. -innen) der Grünen gehört, tut sich bei der richtigen Stimmabgabe schwer. Als Ratgeber bieten sich die von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) sowie von den entsprechenden Landeszentralen angebotenen Wahl-O-Maten an. Aus der Addition der Antworten auf bewusstseinsschärfende Fragen – e.g. Cannabisfreigabe: ja/nein/neutral/überspringen – resultieren, am Ende durch einen Klick des Users zu ermitteln, skalierte Parteipräferenzen. Wer bei den Fragen (verh+llt in statements) nicht aufgepasst hat, läuft Gefahr, bei den Extremen und/oder Spinnern zu landen. Er hat sich aus der guten Gesellschaft der demokratischen Parteien selbst ausgeschlossen.

Die demokratische Hilfstechnik (politenglischer Terminus "Tool") ist inzwischen nicht nur „in fast allen europäischen Demokratien“ verbreitet – so die FAZ v. 16.9.2022, S.8 -, sondern wird neuerdings von den o.g. Bildungszentralen auch bei Direktwahlen zum Amt des/der Oberbürgermeister/ in deutschen Städten zur Verfügung gestellt. Das Tool heißt Kandidat-O-Mat. Eben dies hat bei den in Baden-Württemberg anstehenden OB-Wahlen Unmut hervorgerufen. In Tübingen beschwert sich der – auf eigenem Ticket kandidierende, da als Grüner „umstrittene“ - Amtsinhaber Boris Palmer über die Aufladung der Fragen, die zugunsten seines grünen Konkurrenten präpariert seien. Der frühere grüne Freiburger OB Dieter Salomon macht den neugrün geeichten Wahl-O-Mat für seine Niederlage 2018 mitverantwortlich. Auch der seine Wiederwahl anstrebende CDU-nahe Heidelberger OB Eckart Würzner stößt sich am Thesen-Katalog und kritisiert, dass die - angeblich komplexitätsreduzierenden - Fangfragen der Landeszentrale von - naturgemäß grünlinken - Studenten und Jugendlichen formuliert worden seien.

Derlei Kritik an den „Voting Advice Applications“ (VAA) ruft die demokratiebewussten Politikwissenschaftler Thomas Waldvogel und Michael Wehner auf den Plan. Sie befürworten den Wahl-O-Mat nicht nur als spielerisches Tool zur Wahlinformation, sondern empfehlen ihn insbesondere für Männer  mit niedrigem Bildungsgrad und geringen „politischen Effektivitätsüberzeugungen“. Bei allen anderen sitzen die Überzeugungen fester.

Mittwoch, 7. September 2022

Zum deutschen Krisenkalender für Herbst/Winter 2022/2023

Der Krieg in der Ukraine bereitet der deutschen Regierung Sorgen, hauptsächlich wegen möglicher "Volksaufstände", die Innenministerin Nancy Faeser für den Herbst und Winter befürchtet. Schon jetzt werde von entsprechenden Kräften eine "verfassungsschutzrelevante Delegitimation des Staates" betrieben, offenbar seitens der im Untergrund wirkenden, einen "heißen Herbst" vorbereitenden Umstürzler. Wir müssen noch abwarten. Genaueres wird dem Verfassungschutzbericht zu entnehmen sein. 

Der Hintergrund der Sorge um die bedrohte Demokratie der Bundesrepublik ist der Krieg in der Ukraine, genauer: die vom Krieg ausgelöste Energiekrise. Der Krieg selbst ist uns trotz ausgiebiger Berichterstattung und ukrainischer Fahnen (mit oder ohne Friedenstaube) noch nicht so richtig nahegerückt, obwohl er gerade mit den ukrainischen Vorstößen auf Cherson - Fernziel Krim - und im Donezk-Gebiet in eine neue Runde geht. Informierte Beobachter und fleißige Medien mutmaßen, dass Putin mit seinem Kriegslatein am Ende sei. Putins Truppen, heißt es, hätten erneut schwere Verluste an Personal und Material erlitten, die Kampfmoral einiger Einheiten sei am Boden. Jetzt seien Putins Regimeträger dabei, mit verlockenden Angeboten von reichlich Sold und Straferlass in Gefängnissen (und Lagern?) neue kampf- und sterbensbereite Rekruten anzuwerben, egal mit welchem criminal record.  Historisch gesehen wäre das nichts grundsätzlich Neues. 

Hingegen erscheint der ukrainische Kampfgeist durch Territorialgewinne gestählt, auch wenn Olaf Scholz den Ukrainern durchschlagskräftige, angriffsstarke deutsche Kampfpanzer - mit traditionsreichen Bezeichnungen - noch immer verweigert. Der Siegeswille Selenskyis befeuert auch in Deutschland - vor allem bei den Grünen - neoheroische Emotionen. Pazifismus ist dieser Tage in Deutschland mega-out. Er ist nur noch bei ein paar von der Erinnerung an die deutsch-sowjetische Freundschaft beseelten linken "Linken"anzutreffen, bei der inzwischen als "strammrechts" (laut Überschrift der FAZ v. 14.09.2022, S.8) und/oder rechtspopulistisch einsortierten Sahra Wagenknecht, sowie bei einigen nationalegostischen "Rechten", die weder für den Bewahrer russisch-orthodoxer Werte Putin noch für die Freiheit der ukrainischen Nation (einschließlich der Krim) ihre bescheidenen politischen Kräfte verschwenden wollen. Für die Verteidigung der Freiheit der ukrainischen Nation müssen die Europäer, obenan die Deutschen, opferbereit sein, d.h. nicht zu lange heiß duschen und mehr warme Pullover tragen.

Diese "von der Politik" gestellten Zumutungen und Forderungen scheinen - ganz entgegen Faesers Befürchtungen -  bisher von den Menschen im Lande - vulgo "das Volk" - angenommen zu werden. Der von "Linke"-Politikern und AfDlern angekündigte "heiße Herbst" ist jedenfalls dank spätsommerlicher Temperaturen noch nicht angebrochen. Auch die Sorge der "Linken" um die Bewahrung menschlicher Wärme in Zeiten des Krieges ist noch nicht sehr ausgeprägt. An der ersten der entsprechenden "Montagsdemonstrationen" in Leipzig - mit einer Rede des auch biographisch DDR-links vorgeprägten "Linke"-Politiker Martin Schirdewan - beteiligten sich - nach amtlicher oder eigener Zählung? - nur 3000 Protestierende (gendergerechtes Partizip), darunter womöglich auch ein paar besonders "linke" Protestanten), an der rechten Parallelveranstaltung von "Freien Sachsen" und ähnlichen Querdenkern nur bescheidene 1000 Protestler, Querdenker und/oder Wutbürger.

Den Durchschnittsbürger treibt die Sorge um, wie es mit der Ampel-Koalition weitergeht. Halten Lindner und Scholz (!?) durch mit ihrer "Forderung", die verbliebenen drei - für Scholz im Hinblick auf die grünen Klimaretter nur noch zwei - Atomkraftwerke über den deutschen Abschalttermin (Silvester 2022) über den Winter hinüber ins neue Jahr zu retten? Im Zweifel diktieren die Grünen - Habeck mit zwei AKWs in "Reservehaltung" - den Kurs.

Die Sorgen der Menschen im Lande - ehedem "Bürgerinnen und Bürger" - nehmen bekanntlich auch die Grünen ernst. Wirtschaftsminister Habeck ist überzeugt, dass Bäckereien - als Beispiel für kleine Mittelständler - nicht in die Insolvenz gehen, auch wenn sie die Produktion von Brötchen und anderen Backwaren vorüberghend  einstellen müssen. Recht hat er: Das Abschalten von  Maschinen und Backöfen ist ja nicht identisch mit einer Pleite. Allerdings ist nach Schließung des Ladens die Pacht noch bis zum Auslaufen des Vertrags weiter zu zahlen. Fixe Kosten gehen ins Geld. Früher oder später ist Schluss, Mitarbeiter müssen schon vorher entlassen werden. Gleichviel: Mit warmen Pullovern bei maximal 19 Grad in Büros, Schulräumen, Konzertsälen etc. sowie mit Sauna-Schließungen werden wir seelisch erwärmt, da durchgegendert, den Winter und den Krieg in der Ukraine ohne Schaden überstehen.