Dienstag, 28. Februar 2017

Protestantische Fastenzeit 2017

Heute, am Dienstag, den 28. Februar 2017, nach all den Festsitzungen und Umzügen der Karnevalsvereine, tobt in Deutschland, längst nicht mehr nur in rheinischen, bayerischen, katholischen sowie in einst lutherisch sächsischen, von katholischen Königen regierten Regionen, noch einmal der Frohsinn. Die alemannische Fasnet trägt angesichts der furchterregenden Masken vom Erscheinungsbild her weniger lustigen Charakter, in der zwinglianisch reformierten Schweiz – wo man dereinst erstmals das Fastengebot missachtete, dauert sie gar noch länger.

Morgen ist bereits Aschermittwoch, und wir befinden uns im Wahljahr. Das TV-Volk darf sich am Abend an den kernigen, kämpferischen Stammtischreden der Politiker und -innen ergötzen. Die Reden klingen ähnlich wie bei Trump, der im puritanischen Amerika jedoch keinen Bierkrug schwingen durfte. Leider werden diese Reden von vielen oder „allen, die hier leben“, d.h. von Merkels Volk, aus sprachlichen und sonstigen Gründen gar nicht erst verstanden. Selbst diejenigen, „die schon länger hier leben“, merken kaum noch, dass Merkel - anders als einst Bert Brecht - Volk und Bevölkerung durcheinanderwirft. Auch in den Büttenreden nimmt keiner der Karnevalisten Merkels bescheidene Rhetorik – gar die politische Semantik unserer Kanzlerin – aufs Korn. Der Humor der Jecken befriedigt sich lieber an Donald Trump, der mit der Statue of Liberty kopulieren darf, ohne dass dies irgendeine gründeutsche Moralistin anstößig fände. Es ist ja Karneval. Da lacht über derlei Scherze die ganze deutsche Gemeinschaft der Demokraten. In Aachen, einer Hochburg unseres Humors, verlieh die im Karnevalsverein organisierte Zivilgesellschaft dem Scherzbold Greor Gysi den „Orden wider den tierischen Ernst“, mutmaßlich für seine Verdienste um mehr Lockerheit in seiner Partei, die sich „Die Linke“ nennt.

Gleichwohl beginnt  morgen, Aschermittwoch, die Fastenzeit. Wer indes meint, es gäbe noch Katholiken, die sich in der Frühmesse ein Kreuz aus Asche auf die Stirn zeichnen ließen, und die für die nächsten 40 Tage auf fleischliche Nahrung verzichten, befindet sich im Irrtum. Gut, es gibt noch ein paar „rechte“ Traditionalisten, die sich um die Priesterbruderschaft St. Pius X. scharen, und wir dürfen hoffen, der menschheitsbeglückende Papst Franziskus werde mit ihnen Frieden schließen.

Ebenso irrt derjenige, der meint, die Fest- und Fastentage hierzulande seien durch den christlich-lateinischen Kirchenkalender, letztlich katholisch, festgelegt. Nein, Deutschland, räumlich definiert in den Grenzen des seit 1871 erheblich reduzierten Reiches, ist ungeachtet der wachsenden Kirchenaustrittszahlen sowie der mittlerweile – mit leichter Neigung zur katholischen Seite – ausgeglichenen Konfessionszugehörigkeit ein protestantisches, genauer protestantisch grundiertes Land. Als anno 1990 Lothar de Maizière, der kurzzeitige und letzte DDR-Ministerpräsident, konstatierte, Deutschland sei östlicher und es sei protestantischer geworden, verwunderte dies womöglich manch säkulare, agnostische oder atheistische Zeitgenossen, empörte etwa auch einige mit Helmut Kohl wegen der Frage der deutschen Wiedervereinigung zerfallene Christdemokraten wie Heiner Geißler.

De Maizière hatte recht. Deutschland wird, ungeachtet der erwähnten Kirchenaustritte sowie der unaufhaltsam steigenden Anzahl von Merkels muslimischen Volksgenossen, unter grün-rosa Ägide von Jahr zu Jahr protestantischer. Im Lutherjahr 2017 richtet sich der fromme Glaube – anders als vor 100 Jahren – nicht am „deutschen Protest“ des Reformators auf, sondern zielt, ökumenisch gerichtet, auf die Belehrung der ganzen Welt aus dem Geiste deutscher Gesinnungsethik: Gerade wir (Biodeutsche) haben unsere Lektion gelernt, wir kennen unsre Schuld, wir kämpfen weltweit für den Frieden, wir praktizieren grenzenlose Nächstenliebe. Ob unserer „Willkommenskultur“ für „Geflüchtete“ aus aller Welt beneidet uns die ganze Welt (außer den in Nahost malträtierten Christen).

Wir bewahren die Schöpfung mit unseren Windrädern. Die von Renate Künast (Grüne) einst angekündigte – „geforderte“ – Einführung eines „Veggie Day“ in öffentlichen Einrichtungen ging zwar daneben, kostete den Grünen anno 2013 eine Menge Stimmen. Doch der Kampf geht weiter: Im Ministerium von Barbara Hendricks (SPD) gibt’s seit letzter Woche – nicht erst ab morgen – nur noch fleisch- und fischfreie Mahlzeiten in der Cafeteria. Außerdem werden wir von Politik, Greenpeace und Kirche ermahnt, uns in den nächsten Wochen das Autofasten aufzuerlegen – aus Feinstaub- und ähnlichen Gründen. Flugreisen scheinen aus politischen Gründen von der protestantischen Fastenordnung ausgenommen. Mutmaßlich handelt es sich dabei um ein Residuum göttlicher Gnade in der säkularen Gesellschaft.

Donnerstag, 16. Februar 2017

Der Fummel zum Fest der Demokratie

Am vergangenen Sonntag, am 11. Februar 2017, versäumte der Blogger seine demokratische Pflicht, der Wahl des neuen  Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung im Reichstag auf dem Bildschirm zu verfolgen. Er erquickte seine Seele lieber in Gottes freier Natur, bei prächtigem Schnee und strahlendem Sonnenschein. Als Bundesbürger, als citoyen, durfte er seine politkonsumistische Abstinenz für eine läßliche Sünde halten, nicht zuletzt, da das Ergebnis der Wahl  ohnehin bereits feststand. Zum Nachfolgekandidaten des ob seiner pastoralen Reden allseits geschätzten Joachim Gauck hatte Sigmar Gabriel, in einem eleganten Manöver die ewige Kanzlerin Merkel überflügelnd, den bisherigen Außenminister Walter Steinmeier bestimmt. Da Merkels Abwehrmanöver, die Suche nach einem grünen Wunsch- und Gegenkandidaten oder besser noch nach einer  Gegenkandidatin (Marianne Birthler), erfolglos blieb, war die Sache längst entschieden. Dem Wahlakt im Reichstag fehlte somit die richtige demokratische Spannung, abgesehen von der Anzahl der in geheimer Wahl womöglich dissidierenden Stimmen für den akademischen Klassenkämpfer und Ex-Sozialdemokraten Butterwegge für die "Linke" sowie für den einstigen Frankfurter Stadtkämmerer und  Ex-CDUler Albrecht Glaser für die "rechtspopulistische" AfD.

Erst am Abend drückte der Blogger die Taste auf der Fernbedienung für die  ARD-"Tagesschau"-  oder waren´s die ZDF-"Tagesthemen"?, egal - zur verspäteten Teilhabe am "Fest der Demokratie" - so der feierliche Kommentar zur Erläuterung des großen  Ereignisses im Plenarsaal. Man bekam die bekannten Gesichter in den Frontreihen zu sehen - naturgemäß unübersehbar Claudia Roth, diesmal im schwarz-weiß gefleckten Festtagskleid -, sodann die mehr oder weniger bekannten Promis, ganz zentral Jogi Löw, mit grauer Krawatte für die Grünen. Dann vernahm der Zuschauer jenen Ausschnitt aus der Ansprache von Norbert Lammert - der Bundestagspräsident präsidiert auch der Bundesversammlung -, in der dieser mit strenger Miene verkündete: "Wer zum Programm erklärt ´Wir zuerst!´, darf sich nicht wundern, wenn andere es ihm gleich tun - mit den uns allen bekannten Folgen." Gemeint sein konnte auch Donald Trump. Eindeutig hingegen der Kommentar  in der - von Finanzsorgen umwölkten - "Berliner Zeitung": "Da applaudierte der ganze Saal, da jeder die Adressaten kannte. Nur die AfD und Teile der CSU applaudierten nicht. Poggenburg [AfD-Chef in Sachsen-Anhalt] spielte teilnahmslos mit seinem Smartphone."(Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25721692 ©2017; http://www.berliner-zeitung.de/politik/afd-in-der-bundesversammlung--die-entzauberung-muss-in-den-parlamenten-stattfinden--25721692 )

Dann schwenkte die Kamera in die hintere Mitte der Festversammlung und rückte eine mit orangener Riesenperücke ausgestattete Figur ins Bild. Ah ja, die TV-Leute wollten dem Publikum die neueste Errungenschaft der toleranten, bunten, menschenfreundlichen usw. Republik vor Augen führen: den Travestiekünstler Oliver Köbel, besser bekannt als Drag-Queen Olivia Jones. Ihn/sie hatten die Grünen aufgeboten, um den spießigen Volkssouverän und TV-Konsumenten demokratische Mores zu lehren.
„Wer zum Programm erklärt ,Wir zuerst‘, darf sich nicht wundern, wenn es ihm andere gleich tun – mit den uns allen bekannten Folgen.“ Da applaudierte der gesamte Saal, da jeder die Adressaten kannte. Bloß die AfD und Teile der CSU applaudierten nicht. Poggenburg spielte in dem Augenblick scheinbar teilnahmslos mit seinem Smartphone. – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25721692 ©2017

Mit einer Szene nach dem einmaligen Wahlgang beglückt uns das Internet:  Merkel in fröhlichem Plausch mit dem/der Künstlerin in vollem Fummel, dahinter Göring-Eckardt, abgewandt Özdemir und andere. (http://www.rp-online.de/politik/deutschland/olivia-jones-mischt-die-bundesversammlung-2017-auf-bid-1.6603415) Als Lammert der AfD und sonstigen populistischen Subjekten die Leviten las,  kam er offensichtlich nicht auf die Idee, den Einzug des Tingeltangels ins Hohe Haus als Fortschritt auf dem immer neu zu beschreitenden Wege der Demokratie zu rühmen. Ebensowenig kam ihm in den Sinn festzustellen, dass der Auftritt des bunten Vogels nichts als eine weitere gründeutsche Peinlichkeit darstellte. 
„Wer zum Programm erklärt ,Wir zuerst‘, darf sich nicht wundern, wenn es ihm andere gleich tun – mit den uns allen bekannten Folgen.“ Da applaudierte der gesamte Saal, da jeder die Adressaten kannte. Bloß die AfD und Teile der CSU applaudierten nicht. Poggenburg spielte in dem Augenblick scheinbar teilnahmslos mit seinem Smartphone. – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25721692 ©2017

Montag, 6. Februar 2017

Neusprech. Zeitungsschau an einem trüben Tag im deutschen Februar 2017

I.
Beginnen wir mit der "Zeit", dem Zentralorgan des bundesrepublikanischen Zeitgeistes. Die Zeiten, in denen ich das Paket mit über 60 Seiten gewissenhaft durchackerte, sind längst vorüber. Zwischenzeitlich, gar über Jahre hin, boykottierte ich das Hamburger Druckerzeugnis ob seiner allwöchentlichen Aufbereitung des Ewiggleichen.  Heutzutage genügen ein bis maximal zwei Stunden zum Durchblättern. Die meisten der ellenlangen Artikel, in denen belehrender Kommentar und womöglich doch noch informativer Bericht zur Bundes-, EU-, US- und Weltlage (inklusive von Putins Russia today) in grünmilchiger Emulsion durchmischt erscheinen, kann man getrost überschlagen. Nichts, was man nicht auch anderswo - beispielsweise in der  FAZ  oder der SZ  alltäglich zu lesen bekäme. Das "Zeit-Magazin" kann man ohnehin von vornherein ungelesen beiseitelegen, nicht anders als das zu Monatsbeginn dem Zentralorgan sowie den "Qualitätszeitungen" beigelegte, vom Kirchensteuerzahler finanzierte, salbungsvolle - nomen est omen - Käßmann-Blättchen Chrismon.


Ab und zu trifft der widerwillige Leser auf eine Überraschung. In der Nummer vom 2. Februar
(Nr. 6, S.17) - ein ehedem nicht nur in katholischen Regionen unter "Mariä Lichtmeß" bekanntes Datum - widmet sich der Chefredakteur Josef Joffe dem  allgemein als "rechts" rubrizierten Thema "Political Correctness", abgekürzt PC.  Joffe erkennt dem auf liberalem Mutterboden gediehenen, längst in allen gesellschaftlichen Bereichen wuchernden Gewächs seine ursprüngliche Berechtigung zu: "Am Anfang war alles gut, richtig und notwendig. Ethnische, religiöse (?!?) und sexuelle Minderheiten mussten aus dem Ghetto der Ausgrenzung befreit werden - so durch die Abschaffung des Paragrafen 175, der  Homosexualität unter Strafe stellte. Das war 1968." Joffe verteidigt auch die aus den USA - dort rückten sie unter dem Signum "affirmative action" alsbald an die Stelle der von der Bürgerrechtsbewegung ursprünglich proklamierten und durchgesetzten  "civil rights" -,  importierten Gleichstellungspraktiken, nicht zuletzt die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes. (Nota bene, auch das alte deutsche Staatsbürgerschaftsrecht von 1913 beruhte nicht ausschließlich auf dem verpönten ius sanguinis ["Blutrecht", wie schrecklich!], sondern enthielt - ganz abgesehen von der Eheschließung - sprachlich-kulturelle Kriterien zur Einbürgerung.)

Mit einiger Verwunderung lesen wir bei Joffe nunmehr Passagen wie diese: "Den Zustand der gebotenen Antidiskriminierung hat PC längst verlassen. Sie ist zum politischen Entwurf geworden, der Staat und Gesellschaft umkrempeln soll - realer geht´s nicht. Wie es programmatisch...funktioniert, zeigt der Koalitionsvertrag [Wo gab´s derlei "Verträge" zu Zeiten einer funktionstüchtigen parlamentarischen Demokratie?, H.A.] des Berliner Rot-Rot-Grün-Senats: ´Christ´oder ´christlich´ kommen null Mal vor; die LSBTTIQ* (Lesben, Schwule...) 27 Mal. Deren ´Förderung´- Berlin als ´Regenbogenhauptstadt´ - werde die ´Arbeit der Koaliton´ bestimmen. Dieses Faktum lässt sich ironisieren, nicht negieren." - Joffe hätte folgendes hinzufügen können: Wer dergleichen ironisiert, gerät  in diesem unserem Lande heute in die Verdachtszone, es sei denn, dass die PC-Zensoren zu ignorant sind, die Ironie zu erkennen. Man geht nicht fehl in der Annahme, dass zur letzteren Kategorie die "in der Demokratie angekommenen" Kinder und Enkel der realsozialistischen SED gehören. Die Genossen (sc. Gen. + -innen) waren indes nicht gar so dämlich, nicht rechtzeitig zu erkennen, dass ihr politisches Überleben allein durch Übernahme der Denkgebote der Wessis zu gewährleisten sei.

Der "Zeit"-Chef Joffe wird noch deutlicher, indem er drei historisch-literarische Zeugen des in der PC hervortretenden Totalitären zitiert: Aus Lewis Carrolls  "Alice in Wonderland" die Figur des Humpty-Dumpty, der über die Macht der Wörter und ihrer beliebig zuteilbaren Bedeutung doziert: "Die Frage ist: Wer soll Herr darüber sein? Das ist alles." Sodann kommt der Dezernent aus dem "Wahrheitsministerium" in George Orwells "1984" zu Wort. Der warnt und fragt Winston Smith: "Kapierst du denn nicht endlich den eigentlichen Sinn von Neusprech?" Dessen Sinn sei, "Gedankenverbrechen unmöglich zu machen, weil es keine Wörter mehr gibt, um sie auszudrücken." Zuletzt erinnert Joffe an Alexis de Tocqueville, der in Amerika "vor fast 200 Jahren" das Phänomen der Tyrannei, den Verzicht auf Freiheit und Individualität, die freiwillige Unterwerfung unter den milden Zwang der moralischen Mehrheit beobachtete.

Zum Schluß erwähnt Joffe, dass Orwells "1984" derzeit die Hitliste bei Amazon.com anführt. Dürfen wir annehmen,  dass das urplötzlich gestiegene Lesebedürfnis einer wachsenden Sensibilität für die allenthalben institutionalisierte, vermeintlich "linke" Unfreiheit im Namen der Freiheit (und Gleichheit) entspringt? Falls ja, besteht noch - oder wieder - Hoffnung.

II.
Das Internet hat - ungeachtet allen Ärgers über junk news etc. - seine Vorzüge. Man erfährt mehr als sonst nur aus der Morgenzeitung zum Frühstück. Über die aktuelle Lage in Südafrika, über die  von Jakob Zumas ANC betriebene "Empowerment"-Politik und deren mögliche Folgen -  ein Kollaps des einstigen Apartheid-Staates mit globalen Auswirkungen - berichtet kenntnisreich im "Handelsblatt" Wolfgang Drechsler:
http://www.handelsblatt.com/politik/international/weltgeschichten/drechsler/rassenquote-in-suedafrika-weisse-techniker-unerwuenscht/19346120-all.html

III.
Zuletzt, in Ergänzung zu meinen - aus geographischer und politisch-moralischer Distanz zur vorherrschenden Sicht verfassten Artikeln zur Lage in Nahost - noch eine Leseempfehlung:
https://medium.com/opacity/the-syrian-war-condensed-a-more-rigorous-way-to-look-at-the-conflict-f841404c3b1d#.76ppr21gs

Freitag, 3. Februar 2017

Trump

I.
Längst fällig ist ein Kommentar zu Trump. Um die Sache  klarzustellen: Ich kann an diesem Mann wenig Gefallen finden, und dies nicht allein aufgrund seiner hinreichend bewiesenen Vulgarität. Aber - ach ja: wer in heiklen (sprich: bereits vordefinierten) "Diskursen" ein "aber" einflicht, macht sich bereits heimlicher Sympathie des Bösen verdächtig -, aber: die permanenten Einmischungen deutscher Spitzenpolitiker  - selbst der damalige Außenminister und künftige Bundespräsident Steinmeier vergriff sich im vergangenen Herbst in Ton und Aussage - waren nicht nur undiplomatisch, sondern im Blick auf das künftige Verhältnis zur Hegemonialmacht außenpolitisch unverantwortlich. Sie zeugten überdies von Unkenntnis der amerikanischen politisch-kulturellen Landschaft.

Umso peinlicher das Erwachen, als am frühmorgendlichen Ende des Wahltags das gesamte amerikanische Heartland in leuchtendem Rot (für Trump und die Republikaner) erstrahlte und Hillary ihre Niederlage eingestand. Was hierzulande wenige wissen und was unsere Medien nicht wahrhaben wollen: Abgesehen von der Ost- und Westküste und dem "liberal establishment" ist die Mehrheit der Amerikaner, einschließlich vieler Demokraten,  in Lebensstil, in religiösen Überzeugungen und in  politischer Grundhaltung auf spezifisch amerikanische Weise "konservativ".

II.
Was sich seit der Amtseinführung Trumps in den deutschen Leitmedien, in der Glotze und im trumpophoben Sektor der "social media" abspielt, trägt  groteske Züge.  In dem ZDF-Magazin "Frontal21", so durfte der gebührenpflichtige Bürgerkonsument erfahren, wurde Trump von den dort agierenden mutmaßlich lupenrein biodeutschen Exorzisten mit Hitler verglichen - eine journalistische Spitzenleistung. Selbst in den Qualitätszeitungen berichtet man derzeit mit Genugtuung über die erste von Trump befohlene und anscheinend mißglückte militärische Aktion gegen ein al-Qaida-Kommando im Jemen. Groß ist die Empörung über zivile Opfer -  als ob die vordem von Präsident Obama angeordneten Drohneneinsätze je trennscharf zwischen Zivilisten und Terroristen unterschieden hätten...

Mit Entrüstung reagiert man auf Trumps Einreiseverbote aus einigen muslimischen Ländern. Realpolitisch - weniger moralisch - ist die Entrüstung nicht gänzlich ungerechtfertigt, denn der Trumpsche Ukas zeitigt bereits brisante Rückwirkungen. Das von Trumps Infragestellung des Atomabkommens irritierte Mullah-Regime im Iran reagierte seinerseits mit einem Einreiseverbot für Amerikaner. Ob Iran de facto und auf Dauer auf eigene Nuklearwaffen verzichten wird, mag man mit Fug bezweifeln. Gleichwohl: Am Ende einer krisenhaften Eskalation der Konfliktmomente könnte ein - einvernehmlich mit Netanjahu geführter -  "Präventivschlag" gegen die iranischen Atomanlagen stehen: keine schönen Aussichten für Nahost, den Westen und EU-Europa.

Letzteres befindet sich derzeit in derangiertem Zustand, aus bekannten Gründen: in erster Linie aufgrund von Merkels einsamem (?) Entschluß zur - EU-vertragswidrigen - Grenzöffnung für reale und fiktive Flüchtlinge, "Geflüchtete" und "Schutzsuchende" aus aller Welt,  aufgrund der permanent verschleppten Euro- und Wirtschaftskrise in den "Südstaaten", schließlich aufgrund des noch vor einem Jahr für undenkbar erachteten Brexit. Weder Merkel noch Schulz, weder Juncker noch Tusk, weder der linke Sozialist  Hamon noch der liberale Ex-Sozialist Macron, weder der (angeschlagene) wirtschaftsliberale Konservative Fillon noch die populistisch-protektionistische  Le Pen verfügen über Konzepte zur Überwindung der EU- und der (aufgeschobenen) Euro-Krise, zur Bewältigung des Brexit,  last but not least zum angemessenen Umgang  mit Trump.

Wir Biodeutschen haben aus der Geschichte gelernt, wir sind weltoffen, schuldbewußt und liberal. Wir sind empört über Trumps Umgang mit der Presse und mit CNN. Am meisten empört sind wir über Trumps Order - Einlösung seines Wahlversprechens - zum Mauerbau an der Grenze zu Mexiko. "Wir Deutsche" haben unsere Erfahrung mit Mauerbau und Fremdenfeindlichkeit (was ja irgendwie zusammengehört) - nie wieder!

III.
Selbst Trumps Patentrezept zur Kontrolle illegaler Einwanderung verdient nüchterne Betrachtung. Einerseits ist keineswegs sicher, ob er im Kongreß die nötigen Mittel zusammenbekommt. Denkbar sogar, dass die "Mauer", genauer: die gesamte bisherige restriktive Einwanderungspolitik irgendwann beim Supreme Court landet. Dass die von Trump projektierte Grenzmauer  keine ästhetische Zierde   darstellen wird - die Eheleute Christo haben aus Protest bereits ein  land art Projekt über den Grand Canyon abgesagt -, versteht sich von selbst. Andererseits sind einige hard facts in Erinnerung zu bringen: Seit über zwanzig Jahren - seit der Ära Clinton, erweitert unter George W. Bush, beibehalten unter Obama -  existieren bereits mächtige, hunderte von Meilen lange  Grenzzäune im amerikanischen  Westen und Südwesten - mit oft schlimmen Konsequenzen für die aus zahlreichen Ländern Lateinamerikas nach "Norden" strebenden "Migranten" sowie mit menschlichen Härten für die bereits in den USA lebenden "illegals".

Solange Bevölkerungswachstum, Armut, Unterdrückung, Gewalt in den Ländern südlich des Rio Grande anhalten, allgemein ein Wohlstandsgefälle zwischen dem Süden und dem Norden existiert, wird der Einwanderungsdruck an der Grenze zu Mexiko auf das Einwanderungsland USA fortbestehen. Wie die  USA damit fertigwerden soll, ist eine Frage, die Trump mit seiner Mischung aus Mauer und Protektionismus zu lösen verspricht. Darin mag er sich täuschen. Umgekehrt haben auch seine liberalen Kritiker keine überzeugende Antwort jenseits der naiven Kampfparole "Open Borders".

IV.
Wir mögen uns in Hochmut und Verachtung für den unkultivierten Milliardär und Populisten Trump ergehen. Wir linksliberalen, fortschrittlichen und moralischen Biodeutsche mögen auf ein alsbaldiges Impeachment gegen den Trampel im  Weißen Haus spekulieren. Nichtsdestoweniger müssen "wir Europäer" uns mit dem ungeliebten Präsidenten Trump auseinandersetzen.

Zuletzt: Auf Malta suchten soeben die EU-Europäer nach Wegen, die von Merkel - anno 2009 redete sie noch von "Flüchtlingsbekämpfung" (http://www.zeit.de/online/2009/08/populismus-merkel-fluechtlinge) -  beförderte Migration aus Nord- und Schwarzafrika zu stoppen. Anders als gegenüber Trump hält sich die gründeutschnationale, mediale Empörung bislang in Grenzen.