Dienstag, 26. November 2013

Von der Permanenz des teutonischen Übels

In Thomas Körners  "Fragmentroman" Das Land aller Übel (dem nicht nur digitalen Geist der Zeit geschuldet allein als Internetveröffentlichung zugänglich) stoße ich auf den Text "Robustes Mandat für den Leser I (IV). Was bezeugt Literatur?".  Mit ungetrübter Schärfe der Wahrnehmung  definiert  Körner die vor nunmehr 24 Jahren zufällig-zwangsweise um die DDR erweiterte bundesrepublikanische Geistesverfassung und das daraus resultierende defizitäre deutsche Bewusstsein:

"Wenn zur Zeit die historische Thematik wie folgt verkürzt wird:

                        Drittes Reich                        Juden und deutsche Verfolgte
                        Bundesrepublik                    Die Achtundsechziger
                        DDR                                    Mauerbau und Mauerbruch

müßte Literatur, die diesen Namen verdient,  das bezeugen, was sonst noch wahr war."


Aus dem von Körner benannten Rahmen teutonischer Selbstbeschränkung (oder -beschränktheit), überstrahlt vom Heiligenschein moralisierender Selbsterhöhung, fällt der jüngst preisgekrönte Roman von        Jürgen Hultenreich: Die Schillergruft,Verlag A.B. Fischer, Berlin 2013.

Er sei  dem Publikum voradventlich/vorweihnachtlich zur Lektüre empfohlen.





Freitag, 22. November 2013

Lesefrüchte: post mortem Dieter Hildebrandt

Beim "Browsen" stieß ich in "Spiegel-online" auf  Jan Fleischhauers Nachruf auf Dieter Hildebrandt. Der konservative ("rechte") Solitär  beim "Spiegel"  Fleischhauer befand Hildebrandts sozialdemokratische  Perspektive,  über Jahrzehnte durchgehalten, für etwas ermüdend - er hätte sich auch mehr Spott über  "linke" Gemeinplätze, über Progressivdogmen und Öko-Kitsch leisten sollen. Satire müsse  auf  alles zielen, was Satire verdient.

Zugleich würdigte Fleischhauer in seinem post mortem  für den mit 86 Jahren Verstorbenen die dichterische Sprachsensibilität Hildebrandts, die er in heutigen TV-Kabarett-Sendungen vermisse. Als Negativbeipiel für das Absondern von Sprachmüll ("Blähsprahe") und "Klischees aus dem linken Satrire-Setzkasten"  nannte er den Kabarettisten Urban Priol.

Unter den  Leser-Kommentaren ist folgende Verteidigung Priols zu finden:
"ich danke Herrn Priol und freunde das es sie gibt, sonst bliebe mario Barth [?] und consorten und die würde ich als Vertreter von Sprachmüll und trash leider nicht vom feinsten bezeichnen."

http://www.spiegel.de/deutschland/fleischhauer-kolumne-zum-tod-von-dieter-hildebrandt-a-9358-57.html






Mittwoch, 20. November 2013

Caritas oder junk-mail?

Im elektronischen Zeitalter ist  Briefpost alten Stils zur Rarität geworden. Selbst Ansichtskarten von Freunden und Verwandten von  ihren Treckingtouren oder von  global und ganzjährig verfügbaren Badestränden (Cancún, Da Nang, Bali, Philippinen etc.)  erreichen uns nur noch selten, selbst zu Weihnachten und zum Geburtstag kommen die Grüße gewöhnlich per e-mail. Was bleibt, ist junk-mail jeder Art, Werbeprospekte,  Rechnungen, Bußbescheide, Wahlunterlagen und  der Steuerbescheid vom Finanzamt.

Um menschliche Zuwendung bemühen sich brieflich fast  allein noch karitative  Organisationen, nicht allein die kirchlichen, sondern auch die ins Kraut schießenden säkularen. Spätestens zur Adventszeit häufen sich die Briefe mit um materielle Anteilnahme ersuchenden Texten und bedrückenden Katastrophenbildern. Mit einem Seufzer entscheidet man sich für einen der Überweisungsvordrucke (samt steuerabzugsfähiger Spendenbescheinigung) und stiftet je nach Gewissenslage und Spenderlaune zwischen 20 € bis 50 € (ehedem denselben Betrag in DM).  Nach dem Gang zum Bankautomaten fühlt sich die Seele erleichtert, ohne im Vorgriff  die allfällige Spende (in den Korb, nicht erst  in die abzugsfähig zu beschriftende Tüte)  für "Brot für die Welt"  beim Weihnachtsgottesdienst zu berücksichtigen.

Vor ein paar Tagen, noch vor der üblichen Adventspost, steckten gleich drei Bittbriefe im Briefschlitz: Caritas, Diakonisches Werk, Kindernothilfe. Allen dreien ging´s um Soforthilfe für die Opfer des Taifuns auf den Philippinen.

Die gleich dreifach vorgetragene Bitte  hat  das Herz des Bloggers bislang nicht bewegen können. Seine derzeitige  Spendenresistenz speist sich aus folgenden Überlegungen: a) Bundesregierung, EU, UNHR wollen nicht knausrig sein und stellen aus Steuermitteln (abgezweigt vom Bruttosalär des Bloggers) Mittel zur Verfügung. Ob sie ausreichen oder nicht, ob sie, ungemindert durch Bürokratie und Korruption, im Katastrophengebiet in vollem Umfang ankommen, steht hier nicht zur Debatte.

Es geht, nüchtern betrachtet, um den Umgang mit Steuermitteln und um deren Begründung im öffentlichen und halböffentlichen (=kirchlichen)  Umverteilungssystem. Die zivilreligiöse Begründung, der Taifun sei eine weitere Folge des Klimawandels, Indiz der für gegen Ende des 21. Jahrhunderts aufgrund  der extrapolierten Globalerwärmung um 2° C angekündigten Apokalypse, mag  aus Steuermitteln alimentierte Funktionäre der Grünen  zum Spenden (genauer: zu medial wirksamem Spendenaufrufen) animieren, überzeugt  indes wenig, da die hurricane season in der Karibik und an den US-Küsten zumindest in diesem Jahr glimpflich ausfiel. Und falls doch was dran sein sollte: Über die EEG-induzierten  Strompreise und das hoch subventionierte Landschaftsverschönerungsprogramm büßen wir Grün-Deutsche bereits erheblich.

Allgemein - und konkret etwa  im  Umgang mit den Flüchtlingsströmen aus aller Welt - geht es um die die moralische Verantwortung in einer krisenhaften, vom Nord-Süd-Gegensatz geprägten Welt. Alle "Schuld" im "reichen" Norden zu suchen,  darauf moralische Appelle zu gründen  und/oder ideologische Konzepte durchzusetzen, zielt an der globalen komplexen Wirklichkeit vorbei. Im Hinblick auf den vorherrschenden Politikbetrieb, die vielfach ideologisch grundierte Allokation bzw. den Missbrauch (hübsches Beispiel auf "Tagesspiegel-online": http://www.tagesspiegel.de/berlin/fluechtlinge-in-kreuzberg-monika-herrmann-refugee-schule-in-kreuzberg-gescheitert/9093834.html.) von Steuermitteln (und/oder Staatsschulden) für die Sozialindustrie geht es für den Bürger/Blogger um Fragen der Chancen und Möglichkeiten verantwortungsvoller Anteilnahme am Weltgeschehen, sei es  sektoral in berlinisch-lokalpolitischem, im bundespolitischen oder auch nur  im kirchlichen Bereich. Komme mir niemand mit der dummdeutschen Parole, man müsse sich "eben einbringen". Überall sitzen bereits stets dieselben moralisch unübertrefflichen,  analytisch oft eher bescheidenen, dafür umso wohlmeinenderen  und politisch ambitionierten Figuren!

Verantwortungsethische Fragen sind mit kirchlich-karitativen Mitleidsappellen allein nicht zu beantworten. Nahezu jeder Kirchenbesuch - zuletzt anlässlich der Aufführung einer Messe in der mit zwei neuen, aus Spenden finanzierten Orgeln ausgestatteten Zehlendorfer Paulskirche - wird zu einer milden masochistischen Übung. Da wird der Besucher im Foyer mit allerlei Auslagen zum Fair-Kaufen animiert, beispielsweise von nutzlosem Glaszeug aus Guatemala, von "echtem Rum" aus   Castros Kuba (zu einem nicht nur für jeden alkoholbedürftigen Penner zu hoch bemessenen fairen  Preis) oder Ohrenstecker (echt Silber), wahlweise aus Indien oder Peru. Das passt fraglos gut zu den in "Chrismon" - es brauchte einige Zeit zur Entschlüsselung des frommen Akronyms der protestantischen Käßmann-Monatsbeilage zu den  gedruckten "Leitmedien" - fürs kirchliche  Seniorenpublikum angepriesenen Erlebnisreisen nach Cuba, nach Vietnam, nach Angkor Vat, ins Heilige Land, in die Welt der Fjorde oder in die Volksrepublik  China.

Im Fortgang des von der lateinischen Messe eines französischen Komponisten des 19. Jahrhunderts bestimmten Gottesdienstes wird der Besucher zu Spenden  für die Flüchtlingshilfe aufgefordert. Eine Aktivistin tritt auf und erklärt apodiktisch: "Kein Mensch verlässt seine Heimat freiwillig!" - selbst im Hinblick auf viele, vor Lampedusa  oder anderswo elend gescheiterte, ersoffene  "Migranten"  ein disputabler Satz (von den das Großstadtleben bereichernden arabischen und sonstigen "Großfamilien" ganz zu schweigen). Aber ach, wer möchte da kalt und hartherzig sein? Ein soeben fälschungssicher neu kreierter 5-Euro-Schein wandert als Ablasszettel in den offenen, einsehbaren Spendenkorb. Am Ausgang wird für die Erneuerung der Heizung gesammelt - angekündigt als "Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung". Kein frommer Witz. Der simple Grund liegt  in den  gestiegenen Heizkosten und/oder in der per Gesetz (nach EU-Richtlinie)  verfügten Ausmusterung der alten Anlage!

Nach derlei Überlegungen legt der Blogger seine drei Spendenaufforderungen beiseite, Endziel Papierkorb. Zugegeben, er behandelt die gutgemeinten Briefe etwas despektierlich,  als junk-mail. Immerhin: Bis Weihnachten hat sich sein Gewissen mutmaßlich wieder karitativ sensibilisiert. Kyrie (nicht kyria) eleison!



Sonntag, 17. November 2013

Unerwartetes Heldengedenken mit Dame, ohne Tante Antifa

Der Sonntagsspaziergang am grauen Novembertag führte auf die so genannte - von einem bezuschussten Verein getragene - "Domäne Dahlem", wo den Stadtbewohner eine  pastorales Bild aus vergangenen, brandenburg-preußischen Zeiten erwartet: offene abgeerntete Felder, Gemüsefelder, Wiesen mit Rindern, Pferden Schafen, dazwischen ein paar Ziegen, dazu Schweinekoben auf offenem, aufgewühlten Feld, mit glücklichen deutschen (?) Hausschweinen, alles ökologisch, versteht sich. Das  Betriebsgelände der einstigen   Staatsdomäne vor dem bescheidenen barocken Herrenhaus der zu Zeiten des Großen Kurfürsten vermählten Familien derer von Wilmersdorf und Haackes ist im Geviert angelegt, zur Rechten ein großes Ziegelgebäude mit Pferdestall sowie -  publikumsgerecht für Familien (?) mit kulturhistorisch-nostalgischen Empfindungen - Schmiede, Töpferei und Hühnerstall, am nördlichen Ende, dem Schloss gegenüberliegend der Kuhstall, zur Linken noch ein  Ziegenstall, dazu der Ausschank   und der Ökoladen. Für die auf diesem Terrain gewöhnlich reichlich vorhandenen Kinder dreht selbst ein Karrussell seine Runden, laut und unübersichtlich wird´s zu den häufig stattfindenden Festen und Märkten, spätestens auf dem voradventlich einsetzenden Weihnachtsmarkt.

Der Blogger schlenderte über den Hof, als die Kirmesmusik des vorübergehend mangels Besetzung arretierten Kinderkarrusells aussetzte und er von fern Trompetenklänge vernahm. Nanu, sind etwa fröhlich trompetende Roma jetzt auch  in Dahlem - in unmittelbarer Nähe zum protestantischen Nationalheiligtum, der Dahlemer Dorfkirche St. Anna, unterwegs?  Der Irrtum -  gleichsam ein interkultureller faux-pas - klärte sich bei näherem Zuhören auf: Eine einsame Trompete blies die Hymne vom "Guten Kameraden", und das in unmittelbarer Nähe zum gewöhnlich als Zentrum pazifistischen Aktivismus´ bekannten Niemöller-Hauses. Das bedurfte  der Aufklärung.

Dem Betrachter bot sich eine gänzlich ungewohnte Szene: Auf dem kleinen Hügel über der von einer Gabelung der Königin-Luise-Straße umsäumten Anlage, vor dem Gefallenendenkmal, fand eine Gedenkfeier statt: Auf der einen Seite, mit dem Rücken zum Betrachter, salutierten Vertreter der Bundeswehr in Uniform, ihnen gegenüber aufgereiht stand eine Gruppe junger Männer mit gelben "Deckeln" einer Studentenverbindung. Einer der in Zivil Gekleideten (ohne Verbindungsmütze) intonierte gerade die dritte Strophe des "Guten Kameraden". Endlich  wurde dem Spaziergänger klar: Hier wird der Volkstrauertag begangen, und das ziemlich militärisch, und zwar,  angesichts der Teilnehmer,  offenbar ohne obligate Selbstanklage. Sodann, ein gänzlich unerwarteter Anblick: Zur Linken, am Kopf zwischen den beiden Reihen, stand eine Pastorin in schwarzem Talar. Zweifel ausgeschlossen: Die Zeremonie fand mit geistlichen Weihen statt!

Was vor Jahren, in pazifistischen Hochzeiten, selbst noch 1993, während des ersten Irakkriegs, undenkbar schien, als die Parole "Nie wieder Krieg" das mit Stahlhelm gekrönte Gefallenendenkmal zierte,  gehört anno 2013 anscheinend wieder zum (post-)nationalen protestantischen Bekenntnis. Dem Wandel der Zeiten hält  offenbar kein Dogma stand: Deutsche Soldaten (und - innen) müssen wieder in den Krieg (und sei es ein "asymmetrischer", wie in Afghanistan , von wo sie gerade - "democratic mission unaccomplished" - wieder abziehen), Soldaten kommen zu Tode, sie können "fallen", also nicht nur so einfach friedlich sterben, und - wenn schon nicht bereits wieder "Helden" -  so erweist ihnen die Berliner Republik und in deren Diensten die Kirche - ehrendes Gedenken.

Inwieweit das Gedenken künftighin historisch zurückreichen soll und darf, wäre ein geeignetes Thema für die unendlichen Koalitionsverhandlungen. Dem Blogger ist  auch nicht klar, ob  das "Volk" -  genauer: die Bevölkerung der "bunten Republik" - wieder stärker für die  zivilreligiöse Feier am "Volkstrauertag" mobilisiert werden soll. Er fragt sich zudem, ob derlei Veranstaltungen demnächst an zentralerem Ort, etwa vor dem neuen Denkmal für die Bundeswehr, und ohne hinreichende Sicherheitsvorkehrungen stattfinden sollen. Bei der Gedenkfeier auf dem Dahlemer Hügel war von Tante Antifa und ihren kampfbereiten Kohorten nichts zu sehen. Diese warteten mutmaßlich auf ihren Kampfeinsatz bei der großen Kurden-Demo der PKK vom Alex bis zum "Rufer" vor dem Brandenburger Tor. Immerhin sollten sich Bundeswehr, Staat, Kirche und Verbindungsleute für  den nächsten Volkstrauertag vorsehen.

P.S. Der Tageszeitung (der FAZ, nicht der taz)  war  heute (8.11.2013) zu entnehmen, dass Bundespräsident Gauck, bis zum 9.November 1989 - und noch ein paar Tage länger - Pastor in Rostock, an der Schinkelschen Hauptwache Unter den Linden, in Begleitung von Verteidigungsminster Lothar de Maizère und Verfassungsgerichtspräsident Andreas Vosskuhle, an der "Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" am  gestrigen Sonntag einen Kranz niedergelegt hat. Eine Chronologie des Gestalt- und Funktionswandels der Schinkelschen Hauptwache in den Jahrzehnten ab anno 1924 bis heute fiele außerhalb des Rahmens des gestrigen Blogs.




Montag, 11. November 2013

Historisch notwendige Anmerkung zum 9. November 1938

Anno 2009 erschien in der online-Ausgabe der linksgrünen taz ("Die Tageszeitung") ein Interview mit einer Autorin - ihr Name ist mir  entfallen -, die sich zu den Nazi-Schandtaten am  9. November 1938 äußerte. Der suggestive Titel des Interviews lautete: "Fast alle haben zugeschaut".  Aus meinem  e-mail-Briefkasten fischte ich aus der Übermittlung des Textes, genauer: meiner Leserzuschrift, folgenden Link:
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/die-meisten-haben-zugeschaut/.

Leider ist  dieser Eintrag per Mausclick nicht mehr  abrufbar ("Error" etc.), vielleicht ist er im taz-Archiv noch zu finden. (Ich selbst verzichte darauf: 5 € zur Überprüfung sind mir schlicht zu teuer.)

An diese Zuschrift, die ich weiter unten sinngemäß wiedergebe, erinnerte ich mich gestern abend, als ich  kurz vor  22.00 h das Bayerische Fernsehen einschaltete ("zappte"), um mir den anno 1963 (!) entstandenen Film "Die Akte Odessa" (nach dem Roman von Frederick Forsyth) anzusehen. Der Politthriller, dargestellt von teils bereits verstorbenen, teils vergessenen Stars (Jon Voight, Hannes Messemer, Peter Lowitsch, Maximilian Schell, Maria Schell etc.), handelt vom tapferen Einzelkampf eines Journalisten, Sohn eines von einem  SS-Chargen (gespielt von Maximilian Schell) Ende 1944 ermordeten Offiziers (Ritterkreuzträger), gegen eben jenen einst in Riga agierenden Killer, der, 1947 den Engländern in Österreich entwischt und untergetaucht, im Wirtschaftswunderland  als angesehener Unternehmer - und als Führungsfigur im braunen Spinnennetz der "Odessa" (=Akronym für die von Forsyth nicht nur erfundene geheime "Organisation ehemaliger SS-Angehöriger") sein Unwesen treibt. Der Sohn des - in Schwarz-Weiß-Rückblende erschossen im Schnee liegenden - Ritterkreuzträgers spürt mit Unterstützung von Simon Wiesenthal in Wien sowie - halb genötigt -  in  Kooperation mit israelischen Geheimagenten unter ständiger Todesgefahr den  Mörder auf und bringt ihn schließlich in dessen Prachtschloß zur Strecke.  Keine Frage:  Ein unbefleckter deutscher Ritterkreuzträger, sein Sohn  ohne Furcht und Tadel -  im Jahre 2013 schlicht unvorstellbar. 1963 ging sowas noch.


In heutigem Blog-Eintrag geht es indes nicht um Filmkritik, sondern um die schändliche  Realität der Tage um den  9. November 1938 sowie ihres Gedenkens. Es geht um ein Datum, für das man in den USA und anderswo den Namen "Kristallnacht" verwendet, während sich  hierzulande  der historisch fragwürdige  Terminus "Reichspogromnacht" - eine generalisierende Umkehrung des ehedem vom Berliner Volksmund in bitterer Ironie kreierten Begriffs "Reichskristallnacht" - etabliert hat. Zum Gedenken an diesen Tag fand im Neuen Rathaus zu München, an dem Ort, wo Progagandaminister Goebbels vor 75 Jahren die mörderische Hetzkampagne eröffnete,  eine Veranstaltung statt. In seiner Gedenkrede sprach Oberbürgermeister Christian Ude von der Duldung, ja Hinnahme der Synagogenbrände, Plünderungen und Morde seitens der unbeteiligten Zeugen des Geschehens, implizit von deren faktischen Komplizenschaft. Er beschwor eine Zukunft, in der sich derartiges sich nie mehr wiederhole.

Die Rede entspricht dem geschichtspolitischen Duktus der Gegenwart, steht indes in Widerspruch zu den in zahlreichen Dokumenten bezeugten historischen Fakten: Mit örtlichen Ausnahmen in Nordhessen und Mittelfranken, wo der Nazi-Mob offenbar aus eigenem Instinkt und in größerer Zahl  wütete, stießen die von oben angeordneten, von Nazi-Aktivisten in Uniform oder Zivil exekutierten Synagogenschändungen, Zerstörungen und Gewalttaten auf allgemeine Ablehnung. Das Volk (das deutsche Volk) reagierte mehrheitlich mit  wenngleich hilflosen Manifestationen von Abscheu, Scham und Entsetzen - eine Wahrnehmung, der sich selbst das Regime nicht entziehen konnte.

Dass es an jenen Novembertagen auch Deutsche gab, die gegen den organisierten Mob einschritten, kommt im  heute vermittelten Bild nicht vor. Als historisch notwendige Anmerkung erinnere  ich daher an meine im Netz womöglich/wahrscheinlich  nicht mehr auffindbare Leserzuschrift an die taz. Sie lautete sinngemäß wie folgt:

Ich schulde es dem Andenken meines Vaters, die in dem Interview kolportierte Meinung, die meisten hätten einfach "nur zugeschaut", zu korrigieren Meine Eltern lebten seinerzeit in Duisburg. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 kehrte mein Vater, Dr. Christian Ammon (1898-1945), am späten Abend in die Wohnung zurück. Er klärte meine Mutter, Charlotte Ammon (1905-1993)  über den auch von ihr beobachteten Feuerschein auf: "Die Synagogen brennen. Morgen werden unsere Kirchen brennen." Am nächsten Tag brach er auf, um sich ein genaueres Bild von den Verwüstungen zu machen. Er traf auf eine Gruppe von Männern, die eine alte Frau an den Haaren schleiften und auf den Rinnstein warfen. Er trat auf die Männer zu und herrschte sie als deutscher Offizier des Weltkrieges an, von der Frau auf der Stelle abzulassen. Daraufhin machten sich die Schläger davon. Mein Vater half der Frau auf und geleitete sie schützend ein Stück Wegs.

P.S. Meine Zuschrift an die taz ist mittlerweile (Aufruf am 11.02.2015) im Internet wieder aufgetaucht. Dort ist mein originaltext (mit einigen Tippefehlern) nachzulesen:
http://www.taz.de/!43460/.