Mittwoch, 23. August 2017

Islamica. Unerwünschte Fragen zur "Integration"

Die Eliten - wer immer auch dazugehört: von Angela Merkel bis Manuela Schwesig, von den Vorständen und Aufsichtsräten der Großunternehmen bis zu den Gewerkschaftsspitzen, von den Partei- und Kirchenfürsten bis zum Großen Vorsitzenden des Islamrats, von den C-4-Professoren bis zu den medialen Politikverstärkern (sc. -innen, jetzt auch mit *) - halten das "Volk", seit Abschaffung des Gottesgnadentums die präsumptiv alleinige Quelle von Herrschaft, seit Locke und Rousseau - je nachdem -  corpus mysticum der "modernen" Demokratie, für dumm. Ohne kritische Einschränkung bekannte sich unlängst Herfried Münkler, Politikprofessor an der HU Berlin, zu diesem Befund. Man ließ Münkler - zuvor war er ob seines realistischen, an Machiavell (vorsichtshalber nicht an Carl Schmitt) geschultem Denkstil ins Visier egalitär-klassenkämpferischer Studierender (part. praes.) geraten -, die Aussage durchgehen; mutmaßlich, da er in seinem letzten Buch, mit seiner Gattin als Ko-Autorin, zukunftsfroh gestimmt die von Merkel et. al. eingeladenen "neuen Deutschen" begrüßt hatte.

Dass die "neuen Deutschen", richtiger: die EU-Freizügigkeit genießenden  "neuen Europäer", als  Gastgeschenk aus dem Morgenland ein Problem mit sich tragen, wollen die Eliten weder wissen noch das Volk wissen lassen. Das Problem ist - darf man´s benennen? - der Islam, und zwar der Islam - von milderen Varianten wie in Jordanien und in Assads Syrien (!) abgesehen -  in diversen Ausprägungen, eben nicht nur der "Islamismus". Gewiss, wer das Thema in dieser Weise angeht,  gilt in diesem unserem Lande sowie allgemein im liberalen Westen als "islamophob".

Das ist politisch korrekter Nonsens (wenngleich ähnlich anderen, griechisch aufgemöbelt nach Wissenschaft klingenden Komposita ein beliebter Kampfbegriff der lingua politica). Das Problem begegnet uns eben nicht nur, wenn in westeuropäischen Großstädten erneut ein Terroranschlag mit  zahlreichen Opfern stattgefunden hat und die nachfolgenden Betroffenheitsrituale politische Hilflosigkeit signalisieren. Das Problem begegnet uns alltäglich auf den Straßen, in den Schulen und Hochschulen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln sowie in den Medien, ob öffentlich-rechtlich oder privat, wo sich Frauen in unterschiedlichen Graden der Verhüllung als friedvolle Interpretinnen ihrer Religion präsentieren dürfen. Das Problem begegnet uns, wenn wir erfahren, dass Kritiker oder Apostaten des Islam - wie beispielsweise Hamad Abdel-Samad - sich nur noch unter Polizeischutz bewegen können.

Es heißt, all das seien nur Auswüchse eines radikalisierten Islam, eben des Islamismus. Zur weiteren Simplifizierung des Problems dient das historisch-moralische Argument, der Islamismus sei die bittere Frucht des westlichen Kolonialismus und Imperialismus.  Im Hinblick auf die Muslimbrüder, von deren Begründer Hassan al-Banna bis zu den Terrormilizen von heute, ist dieses Argument nicht völlig abwegig, auch nicht im Hinblick auf die Ursprünge der islamischen Revolution und das schiitische Mullah-Regime im Iran. Manche verständnisvolle "Orientalisten" mögen an die Kränkung der hoch entwickelten muslimisch-arabischen Welt durch die primitiven Kreuzfahrer erinnern, anderen fällt als Verursacher allen Übels Napoleon Bonaparte ein, der 1798 die Mameluken unweit der Pyramiden vernichtend schlug. Imperialismus-Experten verweisen  auf das Sykes-Picot-Geheimabkommen (1916), als Briten und Franzosen den arabischen Teil des Osmanischen Reiches unter sich aufteilten. Hinzu kommt die - dereinst  "1968" mit Imperialismus-Phrasen "analysierte" - Rolle des siegreichen Staates Israel in Nahost.

Hinsichtlich des durch die Erhebung von sunnitischen Kräften gegen das Alawiten-Regime des Bashar al-Assad ausgelösten mörderischen Chaos in Syrien sind selbst aufgeklärte Geister ratlos. Unter den "linken" Islam/Islamismus-Verstehern will überdies niemand erkennen, dass seit Jahrzehnten die wahabitischen Saudis - ungeachtet ihrer Feindschaft gegenüber den Muslimbrüdern -  die Expansion des radikalen Islam betreiben: durch Moscheenbau in der Türkei in der Ära lange vor Erdogan, durch Unterstützung der Mudschahedin in Afghanistan, der Islamisten in Algerien, der Muslime in Bosnien und auf dem Balkan, durch Koranschulen und Moscheenbau in Westeuropa, gerade auch in unseren Städten. Unerklärlich und unerklärt bleibt in "linker" Imperialismus-Analyse und/oder interkultureller Verstehensanalyse der im Krisenensemble - in Syrien, im Irak, am Persischen Golf, im Jemen -  blutig  eklatierende innerislamische Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Schließlich: Wer verfügt - im Hinblick auf die wachsende türkische Minderheit in Deutschland - über ein klares Bild des von Erdogan unter neo-osmanischen Vorzeichen verfolgten Konzepts einer Ausdehnung des Islam in  Europa? Was sind angesichts der Bevökerungsentwicklung die Folgen für Gesellschaft, Kultur und Politik in Westeuropa? 

Wer derlei Fragen stellt, den trifft - selbst als Kritiker aus dem betreffenden Kulkturkreis -  der empörte Vorwurf der "Islamophobie" bzw. - in absurder Verdrehung des Begriffs - des "Rassismus". Die Attacken kommen aus dem Munde  der selbsternannten Sprecher der communities,  aus dem der regierungsamtlich bestellten Integrationsbeauftragten (e.g. Aydan Özügüz; zur Person s. Necla Kelek http://www.emma.de/artikel/ministerin-aydan-oezuguz-entlarvt-334201), allgemein aus dem Milieu interkulturellen Lernens und multikultureller Vielfalt.
 
Der französische Philosoph Pascal Bruckner schreibt dazu in einem Aufsatz, übertitelt mit  "Imaginärer Rassismus" (https://www.nzz.ch/feuilleton/islamophobie-imaginaerer-rassismus-ld.1287872) : "Da kommt nun das Seltsamste an der ganzen Geschichte: die Beteiligung einer Fraktion der europäischen und amerikanischen Linken an der Verteidigung des rückständigsten Islams. Man könnte von einer neobolschewistischen Bigotterie sprechen, der verirrte Anhänger des Marxismus frönen. Die Linke, die alles verloren hat – die Arbeiterklasse, die UdSSR, die Dritte Welt –, sie klammert sich an die Illusion, der Islam sei «die Religion der Unterdrückten», wie es...Emmanuel Todd nach dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» sagte,  obwohl einige arabisch-muslimische Staaten dank der Erdöl- und Erdgas-Rente zu den reichsten der Welt zählen."

Die Angriffe dienen der Abwehr aller Fragen nach der in der islamischen Religion selbst angelegten Problematik. Noch einmal in Stichworten:  Es geht um die mit der Entstehung und Ausbreitung der Religion verknüpften Rolle der Gewalt, um den universalen Hegemonialanspruch der Religion, um die fehlende Scheidung von geistlicher und weltlicher Macht, um die Scharia und alle damit verbundenen Rechtsvorstellungen, last but not least um die Rolle der Frau in islamisch traditionsgebundenen Gesellschaften.

Das Problembündel stammt aus der Frühzeit des Islam, einer Religion,  gegründet auf eine hermetische Offenbarung. Was, von zaghaften, alsbald abgeschnittenen Ansätzen abgesehen, der laut muslimischem Glauben aus dem Munde des Propheten höchstselbst verkündeten Religion fehlt, ist die in Europa im Zeitalter der Vernunft an kirchlichen Dogmen und den Texten der Bibel vollzogene Aufklärung, mithin die Relativierung des universellen Wahrheitsanspruches (den man in einem höheren universalistischen Wahrheitsanspruch aufzuheben bestrebt war). Dass die Fundamente ihres Glaubens ins Wanken geraten, wenn sie den Koran historisch-wissenschaftlicher, historisierender Kritik unterziehen, wissen die "Fundamentalisten" des Islam sehr wohl. Gerade deshalb verabscheuen sie den westlichen Säkularismus und verdächtigen diesen - nicht gänzlich fern aller Realität - des Atheismus.

Die anhaltende Einwanderung konfrontiert die säkularen Gesellschaften Europas mit einem unbequemen Phänomen: Was tun mit "westliche Werte" verweigernden, in Clan-Strukturen verwurzelten, fundamentalistisch Gläubigen, die entgegen allen Deklamationen und Integrationsprojekten nicht im mindesten daran denken, sich zu "integrieren"? Eine für die bundesrepublikanische Praxis typische Antwort gab dieser Tage Peter Altmaier, Merkels Kanzleramtsminister seit 2013, kinderlos:  „Man kann dem Vater einer jungen Migrantin klar machen, dass es keinen moralischen Untergang bedeutet, wenn sie sich die Nägel lackiert. Umgekehrt sollte sie aber auch akzeptiert werden und arbeiten dürfen, wenn sie einen Schleier tragen will."