Die
internationale Ausgabe von Spiegel-online vom 26.07.2013
(http://www.spiegel.de/international/europe/interview-with-historian-walter-lacqueur-on-the-decline-of-europe-a-912837.html
) präsentiert ein lesenswertes Interview von Romain Leick mit dem
britisch-amerikanischen Historiker Walter Laqeur. Der 92jährige,
1921 in Breslau geboren und 1938 noch kurz vor dem Novemberpogrom
nach Palästina emigriert, hat sein ehedem optimistisches Bild (“Out
of the Ruins of Europe”, 1970) in seinen beiden zuletzt
publizierten Büchern (“The Last Days of Europe”, 2007; “After
the Fall: The End of the European Dream and the Decline of a
Continent", 2012) angesichts der globalen und
europäisch-regionalen Tendenzen seit 1989 revidiert.
Laqeur
spricht – unter Bezug auf Schopenhauer und Oswald Spengler - vom
unaufhaltsamen Niedergang des alten (und alternden) Europas. Das
europäische Abendland, einst Zentrum der Welt, werde nicht in Feuer
und Asche untergehen wie einst Pompeji, sondern an Auszehrung seiner
politischen und kulturellen Ressourcen. Zwar werde EU-Europa,
immerhin belastet von den schwachen Südländern, seine ökonomische
Leistungskraft noch einige Zeit behaupten können, aber gerade die
ausschließlich Fixierung auf Prosperität bewirke maßgeblich den
historischen Niedergang.
Was
nach Kulturpessimismus klingt, entspringt nüchterner
“realpolitischer” - Betrachtung: Dem nationalstaatlich geprägten
Europa fehle es, ungeachtet der EU-Verträge und -Institutionen, an
einem einheitlichen politischen und militärischen Willen. Dieser sei
indes in einem globalen Rahmen, in dem es nach wie vor um
machtpolitische Realitäten und nicht um gute Absichten gehe,
unverzichtbar. Auf den Enwand des Interviewers Leick, die EU könne
als Protagonist von “soft power” zu einem weltpolitisch wirksamen
Akteur werden, antwortet Laqeur wie folgt: “Freedom, human rights,
social justice are all wonderful, and I don't want to minimize the
achievements of European societies. But a role model? Europe is much
too weak to play a civilizing or moral role in world politics. Nice
speeches and well-intentioned admonitions carry little weight when
made from a position of weakness. In fact, all they do is aggravate
China and Russia. Such reproofs are presumptuous, insincere and,
unfortunately, often ridiculous. Under the current circumstances,
Europe would be well advised to keep a lower profile.”
Das
pessimistische Bild steht in klarem Widerspruch zu dem von Vertretern
der Elite gepflegten Selbstbewusstsein, etwa in der Festrede von
Roland Berger anlässlich der Verleihung des Bayerischen
Verdienstordens (“Europas Werte, Europas Wirtschaft”, in: FAZ v.
22.07.2013, S. 7). Laqeur zeigt sich entsetzt über die europäische
Hilflosigkeit angesichts der heraufziehenden Stürme (“It's
certainly horrifying to consider its helplessness in the face of the
approaching storms”). Die Konflikte hätten sich nicht vermindert,
sondern zugenommen, siehe Syrien und Ägypten.
Mit Zustimmung wird man danach den Artikel des Sicherheitsexperten
Lothar Rühl “Ratlos im Orient. Die westliche Politik hat keine
klaren Perspektiven” in der heutigen FAZ zur Kenntnis nehmen. Das Resümee
seiner Darstellung des nahöstlichen Krisenensembles steht am
Anfang: “Nicht begriffen wurde [von den mit Orientpolitik
befassten euro-atlantischen Akteuren] der Gesamtzusammenhang, der
sich aus Faktoren wie der Geographie und der Wirtschaft ergibt, aus
den Energiequellen und den Seewegen, auch mit der Einwanderung nach
Europa und mit dem Aufeinandertreffen von Kulturen, die eine
religiöse Basis haben.” Für derlei nüchterne Analyse ist
hierzulande der grün-gutmeinende mainstream
leider
nicht empfänglich.
P.S. Ich darf die Leser des Blogs zur Ergänzung auf meinen Aufsatz in Globkult hinweisen:
http://www.globkult.de/politik/europa/849-betrachtungen-zur-realen-verfassung-der-eu
P.S. Ich darf die Leser des Blogs zur Ergänzung auf meinen Aufsatz in Globkult hinweisen:
http://www.globkult.de/politik/europa/849-betrachtungen-zur-realen-verfassung-der-eu