Nein, ich habe mir das inszenierte Getöse auf dem CDU-Parteitag in Hamburg - laut Zeitungsbericht wieder mal fast zehn Minuten SED-mäßiger Applaus für Merkel - nicht angesehen noch angehört, sondern abgewartet, was dabei herauskommt. Herauskam die knappe Mehrheit für Annegret Kramp-Karrenbauer. Zu deren Kür nun doch noch ein Eingeständnis: am späten Freitagabend - nach einer nicht übermäßig informativen Reportage über das staatlich indirekt finanzierte Vordringen Chinas durch Investitionen auf dem deutschen Markt - guckte ich mir für ein oder zwei Minuten Kramp-Karrenbauers Auftritt vor den 999 Delegierten an. Inhaltlich nichts Neues - nichts, was auf eine politische Wende zum Besseren schließen lassen könnte -, kaum mehr als die alllseits bekannten polit-rhetorischen Versatzstücke und die entsprechend angestrengte "kämpferische" Gestik.
Dazu noch ein Zitat von AKK auf dem - "für unser 21. Jahrhundert" - wichtigsten Informations - und Agitationsmedium Twitter: "Wir haben eine Verantwortung! Die Menschen verlassen sich darauf, dass wir unser Land stark machen. Wenn unser Wertesystem Standard überall in der Welt sein soll, geht das nur mit starkem Deutschland und starkem Europa. Das ist die Verantwortung, die über die CDU hinaus reicht." Derlei Worte erquicken das Volk, erwecken allseits Hoffnung, bei den Menschen in Deutschland, bei den gebeutelten Gelbwesten in Frankreich, ja weltweit -, klingen indes nach Merkel: inhaltslos, immerhin in korrekter Syntax.
"Unser Wertesystem": Interessanter als das, was sich die Katholikin Kramp-Karrenbauer darunter vorstellt, ist was, bei dem politischen Schaulaufen der Jusos - der Truppe, aus der die SPD ihre künftigen leaders rekrutiert - zu hören und zu sehen war. Eine nicht mehr ganz jugendliche Funktionärin ereiferte sich "als Feministin" für das Recht auf Abtreibung bis zum neunten Monat - nicht etwa neunte Woche - der Schwangerschaft. Der Antrag ging durch, Widerspruch regte sich nur bei einer Gruppierung "Pragmatische Mitte" (oder so ähnlich). Mit derlei "radikal emanzipatorischen" Proklamationen empfiehlt sich der Parteinachwuchs im Umfeld von Kevin Kühnert für künftige Führungaufgaben in Deutschland und Europa.
Der SPD ist aus mancherlei Gründen - Übergang zum postindustriellen Zeitalter, volatiles Wahlvolk (nicht nur im "Osten"), Massenimmigration, dürftige Programmatik, charismafreies Führungspersonal, Konkurrenz auf der Linken - das frühere Wählerpotential (Industriearbeiter, untere Mittelschicht, "kleine Leute") - abhanden gekommen. Wenn sie künftighin bei bei Wahlen nicht über die Prozentzahlen der derzeitigen Umfragen hinauskommt, hat die einstige "Volkspartei" SPD dies auch ihrem "kämpferischen", in Wirklichkeit nur noch peinlichen Nachwuchs zu verdanken.
Also doch lieber - faute de mieux - Kramp-Karrenbauer? Kaum. Was längst not tut, wäre die Abkehr von der "unpolitischen Politik" (Ferdinand Knauss) des Merkelismus. Dessen verantwortungsfreie Konzeptionslosigkeit ist parteiübergreifend.
Sonntag, 9. Dezember 2018
Donnerstag, 6. Dezember 2018
Das Lob des Ex-Generalsekretärs Ban Ki-moon
In einem Interview mit der FAZ ("Der Pakt wird wirken", in: 06.12.2018, S. 2) verteidigt der südkoreanische Diplomat Ban Ki-moon, von 2007 bis 2016 Generalsekretär der Vereinten Nationen, den nächste Woche in Marrakesch zur Unterzeichnung anstehenden UN-Migrationspaktes (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration [GCM]). Die Wahl der - für Touristen, Filmfestivals sowie betuchte europäische expats attraktiven - Metropole im Süden Marokkos (abzüglich des "umstrittenen" Territoriums Westsahara) für den Vertrag ist mutmaßlich kein Zufall, aber nicht ohne Ironie: Das von einem Nachfahren des Propheten regierte Königreich im Maghreb - es gilt im arabischen Raum als vergleichsweise "liberal" - steht unter multiplem Migrationsdruck: erstens als Land mit hohem Bevölkerungswachstum und entsprechend anwachsender, auf Einwanderung in Europa sinnender Jugend (push), zweitens als mal stärker, mal weniger durchlässiges Durchgangsland (semi-attractive pull) für subsaharische "Migranten", drittens als Erzeuger von Kriegsflüchtlingen aufgrund der Annexion der spanischen Ex-Kolonie Rio de Oro ("Republik Westsahara") (collateral push), was den hehren Zielen des Migrationspaktes indes keinen Abbruch tut.
Ban Ki-moon - laut FAZ seinerzeit mehr Bürokrat als Friedensbringer, Förderer der Frauenquote in der 40 000 Personen umfassenden Bürokratie - kritisiert die wachsende Zahl der Nichtunterzeichner des Pakts (obenan die USA) als "verantwortungslos". Schuld an dem Widerwillen mancher Staats- und Regierungschefs seien auch die Mechanismen der (national-)staatlich etablierten Demokratie: Auf globalen Foren präsentierten sich viele Politiker von Rang als "Weltpolitiker", zu Hause aber würden sie "zu Geiseln der eigenen Wählerschaft". Interessant wäre zu wissen, wie Ban Ki-moon die Einstellung der politischen Eliten in der zur Demokratie gereiften Republik Korea (Südkorea), ein nicht als immigrationsfreudig bekannter Staat, zu ändern gedenkt. Die grundsätzliche Frage, in welchem territorialem Rahmen demokratische Verfahrensweisen fürderhin zu praktizieren seien, solange die von "Universalisten" angestrebte, auf expandierende Menschenrechte zu gründende Globaldemokratie noch in den Sternen steht (und sich das global operierende Reich der Mitte derlei ins Globalistische zielenden Projektionen freundlich lächelnd entzieht).
Ausdrücklich lobt der Ex-Generalsekretär die deutsche Kanzlerin Angela Merkel "als Mutter der Migranten". Womöglich hatte er die mit einem syrischen Ankömmling für ein "Selfie" ins Smartphone lächelnde "Mutti" vor Augen. Wie wenig moralisch, sondern schlicht opportunistisch, es in der für die "Flüchtlingskrise" entscheidenden Septemberwoche anno 2015 im Kanzleramt tatsächlich zuging, scheint Ban Ki-moon nicht klar zu sein. Jedenfalls hat er das Buch von Robin Alexander "Die Getriebenen" - aus mangelndem Erkenntnisinteresse oder wegen fehlender Übersetzung? - nicht zur Kenntnis genommen.
Ban Ki-moon ist überzeugt, dass der Migrationspakt "moralisches Gewicht" hat und "große Wirkung entfalten" wird. Damit bestätigt er all jene, die ungeachtet der bei der Abstimmung im Bundestag hinzugefügten Vorbehaltserklärung sowie allerlei in der Erklärung selbst widersprüchlichen Punkte den Pakt als Schwächung nationalstaatlicher Souveränität durch soft law, letztlich als Türöffner für weltweite Migration zurückweisen. (Siehe u.a. https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/buecher/was-bedeutet-was-bringt-der-un-migrationspakt/?fbclid=IwAR0HVfAp0v6RHtS1u9XgFjU8LwmZq949d5Wx59WMxoEb6KrBgt1xgu0WzD8 )
Nüchtern betrachtet, geht es bei dem "Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" - die Unklarheiten beginnnen bereits mit der Übersetzung - um den alten Widerstreit von (Hyper-)Moral und der Kunst, Notwendigkeit und Grenzen des Möglichen. Wer die Weisheit - und die behauptete Moral - des "Paktes" in Zweifel zieht, gehört in diesem Lande, "in dem wir gut und gerne leben" (Angela Merkel), selbstverständlich zu den "Rechten" - unter ihnen der verdiente Berliner SPD-Politiker Heinz Buschkowsky.
Ban Ki-moon - laut FAZ seinerzeit mehr Bürokrat als Friedensbringer, Förderer der Frauenquote in der 40 000 Personen umfassenden Bürokratie - kritisiert die wachsende Zahl der Nichtunterzeichner des Pakts (obenan die USA) als "verantwortungslos". Schuld an dem Widerwillen mancher Staats- und Regierungschefs seien auch die Mechanismen der (national-)staatlich etablierten Demokratie: Auf globalen Foren präsentierten sich viele Politiker von Rang als "Weltpolitiker", zu Hause aber würden sie "zu Geiseln der eigenen Wählerschaft". Interessant wäre zu wissen, wie Ban Ki-moon die Einstellung der politischen Eliten in der zur Demokratie gereiften Republik Korea (Südkorea), ein nicht als immigrationsfreudig bekannter Staat, zu ändern gedenkt. Die grundsätzliche Frage, in welchem territorialem Rahmen demokratische Verfahrensweisen fürderhin zu praktizieren seien, solange die von "Universalisten" angestrebte, auf expandierende Menschenrechte zu gründende Globaldemokratie noch in den Sternen steht (und sich das global operierende Reich der Mitte derlei ins Globalistische zielenden Projektionen freundlich lächelnd entzieht).
Ausdrücklich lobt der Ex-Generalsekretär die deutsche Kanzlerin Angela Merkel "als Mutter der Migranten". Womöglich hatte er die mit einem syrischen Ankömmling für ein "Selfie" ins Smartphone lächelnde "Mutti" vor Augen. Wie wenig moralisch, sondern schlicht opportunistisch, es in der für die "Flüchtlingskrise" entscheidenden Septemberwoche anno 2015 im Kanzleramt tatsächlich zuging, scheint Ban Ki-moon nicht klar zu sein. Jedenfalls hat er das Buch von Robin Alexander "Die Getriebenen" - aus mangelndem Erkenntnisinteresse oder wegen fehlender Übersetzung? - nicht zur Kenntnis genommen.
Ban Ki-moon ist überzeugt, dass der Migrationspakt "moralisches Gewicht" hat und "große Wirkung entfalten" wird. Damit bestätigt er all jene, die ungeachtet der bei der Abstimmung im Bundestag hinzugefügten Vorbehaltserklärung sowie allerlei in der Erklärung selbst widersprüchlichen Punkte den Pakt als Schwächung nationalstaatlicher Souveränität durch soft law, letztlich als Türöffner für weltweite Migration zurückweisen. (Siehe u.a. https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/buecher/was-bedeutet-was-bringt-der-un-migrationspakt/?fbclid=IwAR0HVfAp0v6RHtS1u9XgFjU8LwmZq949d5Wx59WMxoEb6KrBgt1xgu0WzD8 )
Nüchtern betrachtet, geht es bei dem "Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" - die Unklarheiten beginnnen bereits mit der Übersetzung - um den alten Widerstreit von (Hyper-)Moral und der Kunst, Notwendigkeit und Grenzen des Möglichen. Wer die Weisheit - und die behauptete Moral - des "Paktes" in Zweifel zieht, gehört in diesem Lande, "in dem wir gut und gerne leben" (Angela Merkel), selbstverständlich zu den "Rechten" - unter ihnen der verdiente Berliner SPD-Politiker Heinz Buschkowsky.
Mittwoch, 31. Oktober 2018
Zum norddeutschen gesetzlichen Feiertag auf Dauer
Die "Zeit" vom letzten Donnerstag beglückte den Leser mit einem beigelegten "Chrismon Spezial", mit einer Erläuterung in rotem Kreis "zum Reformationstag am 31. Oktober 2018". Auf dem Titelblatt begrüßen Iris Berben mit nachdenklichem Gesicht und Martin Schulz mit freundlichem Lächeln den Leser mit der gemeinschaftstiftenden Botschaft "Wir müssen laut werden".
Titel und Untertitel ("Martin Schulz und Iris Berben übers Hinfallen und Aufstehen und den Aufbruch den wie jetzt brauchen") machen deutlich, was den Leser im Interview erwartet: Selbstverständlich kein Aufruf zur kollektiven Beschleunigung des Abgangs der Kanzlerin Merkel - das Interview wurde vor der Hessenwahl und vor Merkels halbem Rückzug geführt -, sondern die allfällige Ermahnung zur Abwehr der Gefahren von "rechts". Immerhin erfahren wir auch allerhand Lustiges: Schulz hat unlängst in Sao Paolo "den ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Lula da Silva" besucht, "der jetzt im Gefängnis sitzt - auch einer, der von ganz oben abgestürzt ist." Außerdem erklärt er - einst Jesuitenschüler, jetzt nicht mehr religiös - auf die Frage nach seiner spirituellen Praxis ("Schon mal in der Kirche eine Kerze angezündet?"), er zünde Kerzen für den Sieg des 1. FC Köln an, beispielsweise vor ein paar Jahren in Paris, "als der FC gegen Bayern München 0:2 zurücklag." Das habe geholfen. Der FC siegte 3:2.
Iris Berben erlaubt sich einen islamkritischen Witz über den Himmel, wo "manche Muslime" auf "72 unbekannte Jungfrauen rechnen" dürfen. Sonst gilt ihr Engagement dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. "Ich verstehe nicht, warum die Demonstrationen gegen die Rechten so zaghaft sind. Das macht mich fassungslos." Offenbar sind ihr ihr bei den Demonstrationen bislang jene Aktionen entgangen, die weniger zaghaft sind.
In seinem Editorial freut sich der EKD-Ratsvorsitzende und "Chrismon"-Herausgeber Heinrich Bedford-Strohm darüber, dass in den norddeutschen Bundesländern - er ignoriert offenbar die Lage in der Bundeshauptstadt - der Reformationstag "als gesetzlicher Feiertag auf Dauer eingeführt" wurde. Ob sich die VW-Bosse in Wolfsburg darüber gefreut haben, scheint fraglich, ebenso, ob die muslimischen Neubürger mit der protestantischen Reformation viel anfangen können (wohl aber mit dem freien Schul- und Arbeitstag). "Das tut nicht nur der Seele gut. Wir können daraus auch Kraft gewinnen für unser gesellschaftliches Engagement." Nichts anderes ist von jenem halbsäkularisierten Geist des deutschen Protestantismus zu erwarten, der sich ungeachtet der schwindenden Glaubens- und Kirchenbindungen sowie allgemein angesichts der Demographie in seiner festen Burg sicher wähnt - solange die Kirchensteuer das Wohlbefinden sichert.
Im "Chrismon Spezial" äußern sich "fünf Studierende und Auszubildende" zu Glaubensfragen. In einem Interview erläutert Lola ("26 Jahre, studiert Germanistik und evangelische Religionslehre in Münster und engagiert sich bei den Grünen") ihren durchs Studium erweiterten evangelischen Glaubenshorizont: "Jesus hatte oft sozialpolitische Ideen, Nächstenliebe zum Beispiel, daraus kann ich ein modernes politisches Programm formen." Die Studentin ist auch mit Bibelkritik vertraut ("Die Evangelien sind nicht von Gott geschrieben..."), was hermeneutische Fragen aufwirft, denn "auch die Übersetzung aus dem Griechischen ist subjektiv geprägt: Übersetze ich das Wort junge Mutter oder Jungfrau?" Gemeint ist wohl die Bezeichnung (und Bedeutung) Mariens als parthenos. Lolas Gottesbegriff ist multikultitauglich: "Auch im Hinduismus, im Buddhismus, im Islam, im Judentum kann ich Gott treffen. Gott ist der Gleiche, auch wenn er anders heißt. Man glaubt an Gott, die religiöse Form ist abhängig von sozialen Gegebenheiten."
Auf den nächsten Seiten geht´s, wie auch anders, um den interreligösen Dialog, vor allem zwischen den "drei abrahamitischen Religionen." Am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Hamburg gibt es eine von Lehrern und ehemaligen Schülern gebildete Gruppe GIRA ("Gesprächsrunde für interreligiösen Dialog"): "Bei den Gesprächen geht es oft um den Islam und um Erfahrungen mit Diskriminierung, um das Islambild von Donald Trump, aber auch ums Deutschsein, um religiösen Gruppenzwang, den Hitzestau unter dem Kopftuch (sic!), oder ganz praktisch: Wie halal muss das Schulessen sein?"
Den Artikel über religiöse Vielfalt ("Schön, meine vielen Facetten") und Dialog illustrieren Moschee und Kirche, dazu die christlichen und jüdischen Symbole. In fröhlicher Eintracht strahlen zwei junge Gesichter, ohne und mit Kopftuch, den Leser an. Es handelt sich um Neta-Paulina Wagner (christlich-jüdisch), die über Landkarten in den Köpfen von Palästinensern an der Universität Nimwegen eine Doktorarbeit schreibt, und um Larissa Zeiger (28 J.). Die ist seit fünf Jahren Muslima. In Kreuzberg geboren, besuchte sie dort eine anthroposophische Schule. Für Religion hat sie sich lange wenig interessiert. Doch bereits mit 21 Jahren führte sie im KZ Ravensbrück Workshops mit Jugendlichen durch, "ließ sie mit Videokameras das Gebäude und Gelände erkunden." Jetzt, fest mit Kopftuch im wahren Glauben stehend, schreibt sie in London "an ihrer Magisterarbeit über den jüdisch-islamischen Dialog."
Der "Chrismon"-Redakteur Burkhard Weiz macht sich Gedanken über die Herkunft der Menschenwürde und der Menschenrechte. Mit einem der Leserschaft inzwischen vertrauten Begriff erläutert er den historischen Hintergrund der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948: "Ein Populist versprach 1933: Deutschland den Deutschen". Des weiteren geht es ihm um die Klärung der Kontroverse über die historische Herkunft der Begriffe: aus dem Gottes- und Menschenbild des Christentums oder aus der antikirchlichen Kritik der Aufklärer? Zum Reformationstag wird auch Luther mit seinem Gewissensbegriff als Mitschöpfer der transzendenten Menschenwürde zitiert. Zuvor heißt es: "Jede Religion, jede Kultur der Welt kennt Fairness, Gastfreundschaft, Solidarität mit Schwachen, das Ideal der Gleichheit aller, den Schutz vor Folterung und Erniedrigung." Hier irrt der Verfasser gründlich.
In dem erwähnten Interview erklärt Martin Schulz, dank der seit seiner Zeit als Bürgermeister von Würselen hochgeschätzten Rolle der Kirchen für die Erhaltung des Sozialstaats zahle er "seine Kirchensteuer gern." Oft genug, nicht allein nach der Lektüre des "Chrismon-Spezial" zum Reformationstag, fragt sich der Leser, für welch gutgemeinte Zwecke seine Kirchensteuer dient. Unlängst war zu lesen, dass die EKD beabsichtige, die Zuschüsse für die konservative, zu "evangelikal" eingefärbte Zeitschrift "idea" zu streichen.
Titel und Untertitel ("Martin Schulz und Iris Berben übers Hinfallen und Aufstehen und den Aufbruch den wie jetzt brauchen") machen deutlich, was den Leser im Interview erwartet: Selbstverständlich kein Aufruf zur kollektiven Beschleunigung des Abgangs der Kanzlerin Merkel - das Interview wurde vor der Hessenwahl und vor Merkels halbem Rückzug geführt -, sondern die allfällige Ermahnung zur Abwehr der Gefahren von "rechts". Immerhin erfahren wir auch allerhand Lustiges: Schulz hat unlängst in Sao Paolo "den ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Lula da Silva" besucht, "der jetzt im Gefängnis sitzt - auch einer, der von ganz oben abgestürzt ist." Außerdem erklärt er - einst Jesuitenschüler, jetzt nicht mehr religiös - auf die Frage nach seiner spirituellen Praxis ("Schon mal in der Kirche eine Kerze angezündet?"), er zünde Kerzen für den Sieg des 1. FC Köln an, beispielsweise vor ein paar Jahren in Paris, "als der FC gegen Bayern München 0:2 zurücklag." Das habe geholfen. Der FC siegte 3:2.
Iris Berben erlaubt sich einen islamkritischen Witz über den Himmel, wo "manche Muslime" auf "72 unbekannte Jungfrauen rechnen" dürfen. Sonst gilt ihr Engagement dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. "Ich verstehe nicht, warum die Demonstrationen gegen die Rechten so zaghaft sind. Das macht mich fassungslos." Offenbar sind ihr ihr bei den Demonstrationen bislang jene Aktionen entgangen, die weniger zaghaft sind.
In seinem Editorial freut sich der EKD-Ratsvorsitzende und "Chrismon"-Herausgeber Heinrich Bedford-Strohm darüber, dass in den norddeutschen Bundesländern - er ignoriert offenbar die Lage in der Bundeshauptstadt - der Reformationstag "als gesetzlicher Feiertag auf Dauer eingeführt" wurde. Ob sich die VW-Bosse in Wolfsburg darüber gefreut haben, scheint fraglich, ebenso, ob die muslimischen Neubürger mit der protestantischen Reformation viel anfangen können (wohl aber mit dem freien Schul- und Arbeitstag). "Das tut nicht nur der Seele gut. Wir können daraus auch Kraft gewinnen für unser gesellschaftliches Engagement." Nichts anderes ist von jenem halbsäkularisierten Geist des deutschen Protestantismus zu erwarten, der sich ungeachtet der schwindenden Glaubens- und Kirchenbindungen sowie allgemein angesichts der Demographie in seiner festen Burg sicher wähnt - solange die Kirchensteuer das Wohlbefinden sichert.
Im "Chrismon Spezial" äußern sich "fünf Studierende und Auszubildende" zu Glaubensfragen. In einem Interview erläutert Lola ("26 Jahre, studiert Germanistik und evangelische Religionslehre in Münster und engagiert sich bei den Grünen") ihren durchs Studium erweiterten evangelischen Glaubenshorizont: "Jesus hatte oft sozialpolitische Ideen, Nächstenliebe zum Beispiel, daraus kann ich ein modernes politisches Programm formen." Die Studentin ist auch mit Bibelkritik vertraut ("Die Evangelien sind nicht von Gott geschrieben..."), was hermeneutische Fragen aufwirft, denn "auch die Übersetzung aus dem Griechischen ist subjektiv geprägt: Übersetze ich das Wort junge Mutter oder Jungfrau?" Gemeint ist wohl die Bezeichnung (und Bedeutung) Mariens als parthenos. Lolas Gottesbegriff ist multikultitauglich: "Auch im Hinduismus, im Buddhismus, im Islam, im Judentum kann ich Gott treffen. Gott ist der Gleiche, auch wenn er anders heißt. Man glaubt an Gott, die religiöse Form ist abhängig von sozialen Gegebenheiten."
Auf den nächsten Seiten geht´s, wie auch anders, um den interreligösen Dialog, vor allem zwischen den "drei abrahamitischen Religionen." Am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Hamburg gibt es eine von Lehrern und ehemaligen Schülern gebildete Gruppe GIRA ("Gesprächsrunde für interreligiösen Dialog"): "Bei den Gesprächen geht es oft um den Islam und um Erfahrungen mit Diskriminierung, um das Islambild von Donald Trump, aber auch ums Deutschsein, um religiösen Gruppenzwang, den Hitzestau unter dem Kopftuch (sic!), oder ganz praktisch: Wie halal muss das Schulessen sein?"
Den Artikel über religiöse Vielfalt ("Schön, meine vielen Facetten") und Dialog illustrieren Moschee und Kirche, dazu die christlichen und jüdischen Symbole. In fröhlicher Eintracht strahlen zwei junge Gesichter, ohne und mit Kopftuch, den Leser an. Es handelt sich um Neta-Paulina Wagner (christlich-jüdisch), die über Landkarten in den Köpfen von Palästinensern an der Universität Nimwegen eine Doktorarbeit schreibt, und um Larissa Zeiger (28 J.). Die ist seit fünf Jahren Muslima. In Kreuzberg geboren, besuchte sie dort eine anthroposophische Schule. Für Religion hat sie sich lange wenig interessiert. Doch bereits mit 21 Jahren führte sie im KZ Ravensbrück Workshops mit Jugendlichen durch, "ließ sie mit Videokameras das Gebäude und Gelände erkunden." Jetzt, fest mit Kopftuch im wahren Glauben stehend, schreibt sie in London "an ihrer Magisterarbeit über den jüdisch-islamischen Dialog."
Der "Chrismon"-Redakteur Burkhard Weiz macht sich Gedanken über die Herkunft der Menschenwürde und der Menschenrechte. Mit einem der Leserschaft inzwischen vertrauten Begriff erläutert er den historischen Hintergrund der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948: "Ein Populist versprach 1933: Deutschland den Deutschen". Des weiteren geht es ihm um die Klärung der Kontroverse über die historische Herkunft der Begriffe: aus dem Gottes- und Menschenbild des Christentums oder aus der antikirchlichen Kritik der Aufklärer? Zum Reformationstag wird auch Luther mit seinem Gewissensbegriff als Mitschöpfer der transzendenten Menschenwürde zitiert. Zuvor heißt es: "Jede Religion, jede Kultur der Welt kennt Fairness, Gastfreundschaft, Solidarität mit Schwachen, das Ideal der Gleichheit aller, den Schutz vor Folterung und Erniedrigung." Hier irrt der Verfasser gründlich.
In dem erwähnten Interview erklärt Martin Schulz, dank der seit seiner Zeit als Bürgermeister von Würselen hochgeschätzten Rolle der Kirchen für die Erhaltung des Sozialstaats zahle er "seine Kirchensteuer gern." Oft genug, nicht allein nach der Lektüre des "Chrismon-Spezial" zum Reformationstag, fragt sich der Leser, für welch gutgemeinte Zwecke seine Kirchensteuer dient. Unlängst war zu lesen, dass die EKD beabsichtige, die Zuschüsse für die konservative, zu "evangelikal" eingefärbte Zeitschrift "idea" zu streichen.
Sonntag, 28. Oktober 2018
Kaffeesatzlesen nach der Hessenwahl: Was bringt uns die Jugend?
Vermutlich geht´s in Hessen weiter mit Schwarz-Grün, mit Al-Wazir unter Ministerpräsident Bouffier. Aber das ist nicht die relevante Frage. Auf lange Sicht entscheidend ist auch nicht, wie lange es noch weiter geht mit Merkel und der großen Koalition (Groko). Bedeutsam ist vielmehr die Frage, wie es politisch weitergeht im deutschen Parteienstaat und kulturell-sozial in der deutschen Gesellschaft.
Die Zeit der "Volksparteien" ist - entgegen allen Beschwörungen seitens der CDU-Spitzen - vorbei. In der SPD setzt sich diese Erkenntnis bereits allmählich durch. Dagegen wollen jetzt die Grünen dank ihrer - westdeutschen - Wahlerfolge und Umfrageergebnisse "Volkspartei" werden. Diese Selbstdarstellung ist nicht völlig falsch, denn das junge Volk wählt grün.
Grün ist schick, da Umweltbewusstsein nichts kostet, da man grüne Landschaften und "Kulturen" dank Billigflügen am besten an noch unbebauten Stränden, auf Skipisten, allgemein im global village genießen kann. Hierzulande kann man guten Gewissens gegen den Landfraß und für die Landschaftsverschönerung durch umweltschonende Windräder sein. Wer es über entsprechende Studiengänge in die gehobenen Einkommensgruppen geschafft hat, quartiert sich mit oder ohne Partner/in, mit oder ohne Nachwuchs in innerlichkeitsgeschützten Wohnvierteln (e.g. Prenzlauer Berg) ein.
Eine gewisse Konkurrenz besteht für die Grünen seitens der "Linken", da diese außer der sozialen Gerechtigkeit auch die Umwelt und die "offene Gesellschaft" entdeckt hat und überdies über eine aktivistische ("kämpferische") mit hoher Moral ausgestattete Jungmannschaft verfügt. Katja Kippings Eifer spricht der jugendfrischen Moral aus der Seele, Rietzinger beherrscht noch die Rhetorik des Klassenkampfes fürs linke, mehr männliche Gemüt.
Das Problem für die "Linke" liegt bei Sahra Wagenknecht und ihrer stärker realitätsbezogenen Bewegung "Aufstehen". Sollte sich aus dieser "Bewegung" so etwas herausbilden wie die "Cinque Stelle" - mit einwanderungskritischer Tendenz -, hätte nicht nur die Linke, z.T. auch die AfD im "Osten", nicht zuletzt die SPD ein Problem. Als Partei wäre die stolze, "älteste Partei Deutschlands" dann endgültig am Ende.
Ein nicht minder großes Problem als die SPD hat die CDU, wie an der am hessischen Wahlabend nach Altersgruppen sortierten Statistik der CDU-Wählerschaft abzulesen ist. Die Zukunft, die Jugend, gehört nicht mehr zum Reservoir der einst mächtigen, unter christlichem Signum firmierenden "Volkspartei". Das junge Volk identifiziert sich mit jugendfrischem Grün. Frage: umfasst der Begriff "Jugend" auch die permanent anwachsende junge Bevölkerung mit "Migrationshintergrund", und welche politischen Präferenzen - außerhalb oder jenseits der grünen oder "linken" Glücksverheißung - bilden sich dort heraus?
Bleibt die ungeliebte, von Bouffier soeben erneut - neben der "Linken" - aus der guten Gesellschaft der Demokraten ausgeschlossenen - Formation der AfD. In den jüngsten Umfragen hat sie die SPD überflügelt und konkurriert um Platz drei mit den erfolgreichen Grünen. Ob sie - nach den jüngsten Worten ihres Spitzenmannes Meuthen - von CDU und FDP am Ende doch noch als "bürgerlicher" Bündnispartner akzeptiert wird, steht dahin.
Für die politische Zukunft Deutschlands und Europas wird entscheidend sein, wie die Eliten - in Brüssel, in Paris und in Berlin - mit der bereits bestehenden Problematik der Einwanderungsgesellschaft und dem anhaltenden Einwanderungsdruck umzugehen gedenken. Wie die absehbar wachsenden innergesellschaftlichen - und außenpolitischen - Spannungen sich parteipolitisch und/oder koalitionär niederschlagen, ist für diese grundlegenden Fragen von geringerem Belang. Letztlich ist es auch nur noch von minderer Bedeutung, ob und wann Angela Merkel, die Haupt- , nicht Alleinverantwortliche für die derzeitige Lage, nach der für die beiden "Volksparteien" deprimierende Hessenwahl als Kanzlerin endlich abgelöst wird.
Die Zeit der "Volksparteien" ist - entgegen allen Beschwörungen seitens der CDU-Spitzen - vorbei. In der SPD setzt sich diese Erkenntnis bereits allmählich durch. Dagegen wollen jetzt die Grünen dank ihrer - westdeutschen - Wahlerfolge und Umfrageergebnisse "Volkspartei" werden. Diese Selbstdarstellung ist nicht völlig falsch, denn das junge Volk wählt grün.
Grün ist schick, da Umweltbewusstsein nichts kostet, da man grüne Landschaften und "Kulturen" dank Billigflügen am besten an noch unbebauten Stränden, auf Skipisten, allgemein im global village genießen kann. Hierzulande kann man guten Gewissens gegen den Landfraß und für die Landschaftsverschönerung durch umweltschonende Windräder sein. Wer es über entsprechende Studiengänge in die gehobenen Einkommensgruppen geschafft hat, quartiert sich mit oder ohne Partner/in, mit oder ohne Nachwuchs in innerlichkeitsgeschützten Wohnvierteln (e.g. Prenzlauer Berg) ein.
Eine gewisse Konkurrenz besteht für die Grünen seitens der "Linken", da diese außer der sozialen Gerechtigkeit auch die Umwelt und die "offene Gesellschaft" entdeckt hat und überdies über eine aktivistische ("kämpferische") mit hoher Moral ausgestattete Jungmannschaft verfügt. Katja Kippings Eifer spricht der jugendfrischen Moral aus der Seele, Rietzinger beherrscht noch die Rhetorik des Klassenkampfes fürs linke, mehr männliche Gemüt.
Das Problem für die "Linke" liegt bei Sahra Wagenknecht und ihrer stärker realitätsbezogenen Bewegung "Aufstehen". Sollte sich aus dieser "Bewegung" so etwas herausbilden wie die "Cinque Stelle" - mit einwanderungskritischer Tendenz -, hätte nicht nur die Linke, z.T. auch die AfD im "Osten", nicht zuletzt die SPD ein Problem. Als Partei wäre die stolze, "älteste Partei Deutschlands" dann endgültig am Ende.
Ein nicht minder großes Problem als die SPD hat die CDU, wie an der am hessischen Wahlabend nach Altersgruppen sortierten Statistik der CDU-Wählerschaft abzulesen ist. Die Zukunft, die Jugend, gehört nicht mehr zum Reservoir der einst mächtigen, unter christlichem Signum firmierenden "Volkspartei". Das junge Volk identifiziert sich mit jugendfrischem Grün. Frage: umfasst der Begriff "Jugend" auch die permanent anwachsende junge Bevölkerung mit "Migrationshintergrund", und welche politischen Präferenzen - außerhalb oder jenseits der grünen oder "linken" Glücksverheißung - bilden sich dort heraus?
Bleibt die ungeliebte, von Bouffier soeben erneut - neben der "Linken" - aus der guten Gesellschaft der Demokraten ausgeschlossenen - Formation der AfD. In den jüngsten Umfragen hat sie die SPD überflügelt und konkurriert um Platz drei mit den erfolgreichen Grünen. Ob sie - nach den jüngsten Worten ihres Spitzenmannes Meuthen - von CDU und FDP am Ende doch noch als "bürgerlicher" Bündnispartner akzeptiert wird, steht dahin.
Für die politische Zukunft Deutschlands und Europas wird entscheidend sein, wie die Eliten - in Brüssel, in Paris und in Berlin - mit der bereits bestehenden Problematik der Einwanderungsgesellschaft und dem anhaltenden Einwanderungsdruck umzugehen gedenken. Wie die absehbar wachsenden innergesellschaftlichen - und außenpolitischen - Spannungen sich parteipolitisch und/oder koalitionär niederschlagen, ist für diese grundlegenden Fragen von geringerem Belang. Letztlich ist es auch nur noch von minderer Bedeutung, ob und wann Angela Merkel, die Haupt- , nicht Alleinverantwortliche für die derzeitige Lage, nach der für die beiden "Volksparteien" deprimierende Hessenwahl als Kanzlerin endlich abgelöst wird.
Dienstag, 23. Oktober 2018
Einträge ins Logbuch, 23.Oktober 2018
I.
First things first, das wichtigste (a.R.) vom Tage zuerst: Fällig ist ein Kommentar zum perfekt mörderischen Dilettantismus der saudischen "Reformer", die den "liberalen" Moslembruder und Washington-Post-Kommentator Jamal Khashoggi in Istanbul mit Axt und Knochensäge bei einem zufällig ausgebrochenen Handgemenge umbrachten und die Reste im Koffer beseitigten. Unter Demokraten sind derartige Usancen unüblich, sie verletzten die Menschenrechte. Während Kanzlerin Merkel Bedenken hinsichtlich der deutschen Waffenexporte ins orientalische Wunderland äußert, sieht der Siemens-Chef Joe Kaeser (urspr. Josef Käser), sonst sehr um die Menschenrechte und den Ruf Deutschlands besorgt, in derlei kulturspezifischem, d.h. undemokratischen Umgang mit politischen Gegnern keinen Hinderungsgrund für die Fortführung der exzellenten Wirtschaftsbeziehungen seines Konzerns zu den Saudis.
II.
In den social media, wo es oft genug so zugeht, wie es der Volksmund (noch unzensierter Begriff der deutschen Hochsprache) den sog. "Asis" zuschreibt, herrscht große Aufregung: Da geht es um die Rolex-Uhr der dank migrationspolitischer Qualifikation übers SPD-Ticket ins Amt einer Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales (kein Fake! keine Satire!) gelangten Sawsan Chebli. Die Diplom-Politologin ist in ihren Kreisen sowie in den auf hate messages in den "sozialen Medien" spezialisierten "Haters" (O-Ton Chebli) wegen ihres Umgangs mit Logik und Sprache hochgeschätzt. In einem Porträt der "Zeit" liest man über sie folgendes: "Ja, sie lebt in zwei Welten. Und diese Welten driften immer weiter auseinander. An jedem Übergang von der einen in die andere lauert der Verratsvorwurf. Kein Wunder, dass sie und ihr Mann Nizar Maarouf, Geschäftsführer bei den Vivantes-Kliniken, sich, so oft es geht, in New York aufhalten. Sobald sie am Flughafen ankommen, fühlen sie eine Last von sich abfallen. Dort wird Chebli nicht angestarrt, zum "Alien" gemacht, wie sie das mal genannt hat. Dort sagt man einfach "Darling" zu ihr. Wie zu allen anderen auch." (https://www.zeit.de/2017/05/sawsan-chebli-berlin-senat-islamismus/seite-3)
Dank der Aufregung um das Statussymbol der Staatssekretärin, die es aus der Moabiter Bedrängnis ihrer Großfamilie dank deutscher Sozialstaatlichkeit sowie Fürsorglichkeit ihres Vaters - laut Chebli ist dieser als Analphabet "besser integriert" als biodeutsche AfD-Leute - in den Vorhof der Macht geschafft hat, ist Cheblis Familiensituation einem breiteren Publikum bekannt geworden. Ihr Ehegatte ist "in leitender Funktion für die Berliner "Vivantes International Medicine tätig" (Wikipedia). Die Privatisierung der einst staatlichen Kliniken sorgt bis heute für allerlei Unmut beim überlasteten Personal. Es ist andererseits nicht bekannt, dass die in Berlin mitregierende "Linke" das Thema sonderlich bewegt. Dagegen dürfte die Rolex-Uhr vielleicht noch im nächsten Wahlkampf (2021) für die AfD verwertbar sein.
III.
Des weiteren herrscht Aufregung über einen großkoalitionären Appell von sechs mehrheitlich pensionierten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft, Wissenschaft, Ideologie und Politik. Bert Rürup (SPD), Jürgen Habermas (SPD), Brigitte Zypries (SPD), Friedrich Merz (CDU), Roland Koch (SPD), Hans Eichel (SPD) proklamieren im "Handelsblatt": "Wir sind in tiefer Sorge um die Einigung Europas und die Zukunft Deutschlands". Über die Ursachen ihrer Sorge geben die sechs Personen keine Auskunft. Es ist anzunehmen, dass ihnen das Schreckgespenst AfD, allgemein der Populismus, der nationale Starrsinn der Polen und Ungarn, die Neuverschuldung der Italiener, nicht aber die unsoliden - kontinuierlich entschuldeten - Staatsfinanzen der Regierung Tsipras Sorge bereiten. Es sei vermerkt, dass Bert Rürup dereinst (1992) zu den Kritikern der Euro-Einheitswährung gehörte, die wesentlich zur ökonomischen Instabilität der "Südstaaten" beigetragen hat.
Als einzigen Ausweg aus der sorgenreichen Gegenwart "fordern" die sechs Besorgten eine vertiefte Integration Europas, die Auflösung der nationalen Armeen zugunsten einer europäischen Einheitstruppe und - wichtiger noch - eine gemeinsame Haushalts- und Arbeitsmarktpolitik sowie eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung. Es ist ziemlich genau das Programm des in den französischen sondages derzeit abstürzenden Präsidenten Emanuel Macron ("En marche"). Die deutschen Steuerzahler sollten sich auf "die Zukunft Deutschlands" schon mal einstellen. Immerhin darf sich dabei wiederum die AfD über ein Prozent mehr bei den nächsten Bundestagswahlen freuen.
IV.
Ob sich Merkel am kommenden Sonntag nach den ersten Hochrechnungen nach der Landtagswahl in Hessen noch freut, hängt von den Launen des Souveräns ab. Die Auguren sagen den Absturz der CDU unter Merkels Mitstreiter Volker Bouffier voraus. Merkel hat in letzter Minute die Diesel-Schadstoffgrenze um ein paar Promille/Prozente erhöht. Reicht´s dann trotzdem noch für Rot-Rot-Grün oder gar für Grün-Rot-Rot? Und was taugen die letzten Umfragen - vor allem im Hinblick auf die "Populisten" von rechts, nicht links - nunmehr, da man vorsichtshalber in dieser Woche keine Umfragen mehr starten - oder zulassen - will? - Auf Tichys Einblick kann man Wetten abschließen. Dem Gewinner winkt eine Flasche Schampus.
First things first, das wichtigste (a.R.) vom Tage zuerst: Fällig ist ein Kommentar zum perfekt mörderischen Dilettantismus der saudischen "Reformer", die den "liberalen" Moslembruder und Washington-Post-Kommentator Jamal Khashoggi in Istanbul mit Axt und Knochensäge bei einem zufällig ausgebrochenen Handgemenge umbrachten und die Reste im Koffer beseitigten. Unter Demokraten sind derartige Usancen unüblich, sie verletzten die Menschenrechte. Während Kanzlerin Merkel Bedenken hinsichtlich der deutschen Waffenexporte ins orientalische Wunderland äußert, sieht der Siemens-Chef Joe Kaeser (urspr. Josef Käser), sonst sehr um die Menschenrechte und den Ruf Deutschlands besorgt, in derlei kulturspezifischem, d.h. undemokratischen Umgang mit politischen Gegnern keinen Hinderungsgrund für die Fortführung der exzellenten Wirtschaftsbeziehungen seines Konzerns zu den Saudis.
II.
In den social media, wo es oft genug so zugeht, wie es der Volksmund (noch unzensierter Begriff der deutschen Hochsprache) den sog. "Asis" zuschreibt, herrscht große Aufregung: Da geht es um die Rolex-Uhr der dank migrationspolitischer Qualifikation übers SPD-Ticket ins Amt einer Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales (kein Fake! keine Satire!) gelangten Sawsan Chebli. Die Diplom-Politologin ist in ihren Kreisen sowie in den auf hate messages in den "sozialen Medien" spezialisierten "Haters" (O-Ton Chebli) wegen ihres Umgangs mit Logik und Sprache hochgeschätzt. In einem Porträt der "Zeit" liest man über sie folgendes: "Ja, sie lebt in zwei Welten. Und diese Welten driften immer weiter auseinander. An jedem Übergang von der einen in die andere lauert der Verratsvorwurf. Kein Wunder, dass sie und ihr Mann Nizar Maarouf, Geschäftsführer bei den Vivantes-Kliniken, sich, so oft es geht, in New York aufhalten. Sobald sie am Flughafen ankommen, fühlen sie eine Last von sich abfallen. Dort wird Chebli nicht angestarrt, zum "Alien" gemacht, wie sie das mal genannt hat. Dort sagt man einfach "Darling" zu ihr. Wie zu allen anderen auch." (https://www.zeit.de/2017/05/sawsan-chebli-berlin-senat-islamismus/seite-3)
Dank der Aufregung um das Statussymbol der Staatssekretärin, die es aus der Moabiter Bedrängnis ihrer Großfamilie dank deutscher Sozialstaatlichkeit sowie Fürsorglichkeit ihres Vaters - laut Chebli ist dieser als Analphabet "besser integriert" als biodeutsche AfD-Leute - in den Vorhof der Macht geschafft hat, ist Cheblis Familiensituation einem breiteren Publikum bekannt geworden. Ihr Ehegatte ist "in leitender Funktion für die Berliner "Vivantes International Medicine tätig" (Wikipedia). Die Privatisierung der einst staatlichen Kliniken sorgt bis heute für allerlei Unmut beim überlasteten Personal. Es ist andererseits nicht bekannt, dass die in Berlin mitregierende "Linke" das Thema sonderlich bewegt. Dagegen dürfte die Rolex-Uhr vielleicht noch im nächsten Wahlkampf (2021) für die AfD verwertbar sein.
III.
Des weiteren herrscht Aufregung über einen großkoalitionären Appell von sechs mehrheitlich pensionierten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft, Wissenschaft, Ideologie und Politik. Bert Rürup (SPD), Jürgen Habermas (SPD), Brigitte Zypries (SPD), Friedrich Merz (CDU), Roland Koch (SPD), Hans Eichel (SPD) proklamieren im "Handelsblatt": "Wir sind in tiefer Sorge um die Einigung Europas und die Zukunft Deutschlands". Über die Ursachen ihrer Sorge geben die sechs Personen keine Auskunft. Es ist anzunehmen, dass ihnen das Schreckgespenst AfD, allgemein der Populismus, der nationale Starrsinn der Polen und Ungarn, die Neuverschuldung der Italiener, nicht aber die unsoliden - kontinuierlich entschuldeten - Staatsfinanzen der Regierung Tsipras Sorge bereiten. Es sei vermerkt, dass Bert Rürup dereinst (1992) zu den Kritikern der Euro-Einheitswährung gehörte, die wesentlich zur ökonomischen Instabilität der "Südstaaten" beigetragen hat.
Als einzigen Ausweg aus der sorgenreichen Gegenwart "fordern" die sechs Besorgten eine vertiefte Integration Europas, die Auflösung der nationalen Armeen zugunsten einer europäischen Einheitstruppe und - wichtiger noch - eine gemeinsame Haushalts- und Arbeitsmarktpolitik sowie eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung. Es ist ziemlich genau das Programm des in den französischen sondages derzeit abstürzenden Präsidenten Emanuel Macron ("En marche"). Die deutschen Steuerzahler sollten sich auf "die Zukunft Deutschlands" schon mal einstellen. Immerhin darf sich dabei wiederum die AfD über ein Prozent mehr bei den nächsten Bundestagswahlen freuen.
IV.
Ob sich Merkel am kommenden Sonntag nach den ersten Hochrechnungen nach der Landtagswahl in Hessen noch freut, hängt von den Launen des Souveräns ab. Die Auguren sagen den Absturz der CDU unter Merkels Mitstreiter Volker Bouffier voraus. Merkel hat in letzter Minute die Diesel-Schadstoffgrenze um ein paar Promille/Prozente erhöht. Reicht´s dann trotzdem noch für Rot-Rot-Grün oder gar für Grün-Rot-Rot? Und was taugen die letzten Umfragen - vor allem im Hinblick auf die "Populisten" von rechts, nicht links - nunmehr, da man vorsichtshalber in dieser Woche keine Umfragen mehr starten - oder zulassen - will? - Auf Tichys Einblick kann man Wetten abschließen. Dem Gewinner winkt eine Flasche Schampus.
Donnerstag, 11. Oktober 2018
Gaulands Ghostwriter
I.
In diesem unserem Lande, in dem - aufgrund spezifischer historischer Bedingungen - an Humor bei jener Kaste, die sich Intellektuelle nennt, Mangel herrscht, gibt es ab und zu doch noch etwas zum Lachen. In Erinnerung kommen die von einem sächsischen Schlitzohr anno 1983 kunstvoll in Sütterlin verfassten "Hitler-Tagebücher", die den von permanenten Ansinnungen von Schuld geplagten Geist für einige Zeit mit Heiterkeit erfüllte, bis drei Jahre später der sog. "Historikerstreit" die gelöste Stimmung wieder verdarb.
Auch wer heute meint, er könne - knapp dreißig Jahre nach dem längst verhallten Jubel über den Mauerfall - sich die Freiheit leisten, vom linksliberal und/oder grün-protestantisch humorlos aufgeladenen Zeitgeist abzuweichen, wer etwa Karin Göring-Eckarts Diktum, "wir bekommen Menschen geschenkt", für köstliche (unfreiwillige) Komik hält, hat bald nichts mehr zu lachen. Er wird von den deutschen Tugendwächtern unverzüglich dem Lager der "Neuen Rechten" zugeordnet, wo es aufgrund der Selbstwahrnehmung, "auf verlorenem Posten" (Nicolas Gómez Davila) zu stehen, meist nicht minder humorlos zugeht. Und wer erstmal dort verortet ist, bekommt´s mit Tante Antifa zu tun, der von allen Demokratinnen und Demokraten im "Kampf gegen Rechts" hochgeschätzten Demokratiewächterin.
II.
Und doch: In den letzten Tagen gab´s doch mal wieder was zu lachen. In der FAZ durfte der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland, ehedem Exponent des liberalen Flügels der hessischen CDU, unter der Rubrik "Fremde Federn" einen Artikel zur Erklärung - und Verteidigung - des "Populismus", der bête noire aller Verteidiger der bestehenden Ordnung, veröffentlichen. ("Warum muss es Populismus sein?", FAZ v. 06.10. 2018, S. 8)
In Gaulands Artikel steht - bezogen auf die in internationalen Großunternehmen, internationalen Organisationen, Universitäten, Medien, NGOs usw. vernetzte "globalisierte Klasse" - folgender Passus: "Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell ´bunt´."
Es handelt ich um wenig anderes als die Explikation des Begriffes der "anywheres", den der britische Journalist David Goodhart als Gegensatz zu den "konservativ" empfindenden "somewheres" prägte.
Nichtsdestoweniger schrillte bei einem Leser, der im Zuge seiner politischen Bildung Filmdokumente mit Hitler-Reden angesehen hatte, die Alarmglocke. Er schrieb auf Twitter, der Gauland-Artikel sei von einer Propagandarede des Braunauers anno 1931 inspiriert gewesen, ja nahezu identisch im Wortlaut. Derartiger Quellennachweis inspirierte den Ex-Außenminister Siegmar Gabriel (SPD) zu einem empörten Artikel im Berliner "Tagesspiegel". Gaulands Artikel rief sodann den auf Kirchentagspodien unverzichtbaren Wolfgang Benz - er erkennt in Islamkritik ("Islamophobie") die Neuauflage des Antisemitismus -, aber auch den sonst eher nüchtern urteilenden Michael Wolffsohn auf den Plan: Gaulands Verteidigung des Populismus entstamme directement dem Nazi-Sumpf.
III.
Die Aufregung über Gauland hielt noch an, als sich herausstellte, dass die inkriminierte Passage nahezu wortwörtlich einem Artikel entnommen war, den der Kulturwissenschaftler Michael Seemann anno 2016 im "Tagesspiegel"geschrieben hatte. Angesichts dieser erheiternden Sachlage bleiben noch einige Fragen offen: a) Hat Gauland den Beitrag von Seemann selbst abgeschrieben oder b) war es ein für Pressekram zuständiger Referent? c) Wie stark ist im politischen Betrieb der Termindruck, der die Autoren (sc. -innen) von "Grundsatzartikeln"nötigt, anderswo abzuschreiben, ohne dass sogleich als spiritus rector der Bewohner des Führerbunkers erkennbar wird?
Zum letzten Stand der Empörungswelle: Der Kulturwissenschaftler Seemann überlegt juristische Schritte gegen den Autor des Plagiats.
In diesem unserem Lande, in dem - aufgrund spezifischer historischer Bedingungen - an Humor bei jener Kaste, die sich Intellektuelle nennt, Mangel herrscht, gibt es ab und zu doch noch etwas zum Lachen. In Erinnerung kommen die von einem sächsischen Schlitzohr anno 1983 kunstvoll in Sütterlin verfassten "Hitler-Tagebücher", die den von permanenten Ansinnungen von Schuld geplagten Geist für einige Zeit mit Heiterkeit erfüllte, bis drei Jahre später der sog. "Historikerstreit" die gelöste Stimmung wieder verdarb.
Auch wer heute meint, er könne - knapp dreißig Jahre nach dem längst verhallten Jubel über den Mauerfall - sich die Freiheit leisten, vom linksliberal und/oder grün-protestantisch humorlos aufgeladenen Zeitgeist abzuweichen, wer etwa Karin Göring-Eckarts Diktum, "wir bekommen Menschen geschenkt", für köstliche (unfreiwillige) Komik hält, hat bald nichts mehr zu lachen. Er wird von den deutschen Tugendwächtern unverzüglich dem Lager der "Neuen Rechten" zugeordnet, wo es aufgrund der Selbstwahrnehmung, "auf verlorenem Posten" (Nicolas Gómez Davila) zu stehen, meist nicht minder humorlos zugeht. Und wer erstmal dort verortet ist, bekommt´s mit Tante Antifa zu tun, der von allen Demokratinnen und Demokraten im "Kampf gegen Rechts" hochgeschätzten Demokratiewächterin.
II.
Und doch: In den letzten Tagen gab´s doch mal wieder was zu lachen. In der FAZ durfte der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland, ehedem Exponent des liberalen Flügels der hessischen CDU, unter der Rubrik "Fremde Federn" einen Artikel zur Erklärung - und Verteidigung - des "Populismus", der bête noire aller Verteidiger der bestehenden Ordnung, veröffentlichen. ("Warum muss es Populismus sein?", FAZ v. 06.10. 2018, S. 8)
In Gaulands Artikel steht - bezogen auf die in internationalen Großunternehmen, internationalen Organisationen, Universitäten, Medien, NGOs usw. vernetzte "globalisierte Klasse" - folgender Passus: "Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell ´bunt´."
Es handelt ich um wenig anderes als die Explikation des Begriffes der "anywheres", den der britische Journalist David Goodhart als Gegensatz zu den "konservativ" empfindenden "somewheres" prägte.
Nichtsdestoweniger schrillte bei einem Leser, der im Zuge seiner politischen Bildung Filmdokumente mit Hitler-Reden angesehen hatte, die Alarmglocke. Er schrieb auf Twitter, der Gauland-Artikel sei von einer Propagandarede des Braunauers anno 1931 inspiriert gewesen, ja nahezu identisch im Wortlaut. Derartiger Quellennachweis inspirierte den Ex-Außenminister Siegmar Gabriel (SPD) zu einem empörten Artikel im Berliner "Tagesspiegel". Gaulands Artikel rief sodann den auf Kirchentagspodien unverzichtbaren Wolfgang Benz - er erkennt in Islamkritik ("Islamophobie") die Neuauflage des Antisemitismus -, aber auch den sonst eher nüchtern urteilenden Michael Wolffsohn auf den Plan: Gaulands Verteidigung des Populismus entstamme directement dem Nazi-Sumpf.
III.
Die Aufregung über Gauland hielt noch an, als sich herausstellte, dass die inkriminierte Passage nahezu wortwörtlich einem Artikel entnommen war, den der Kulturwissenschaftler Michael Seemann anno 2016 im "Tagesspiegel"geschrieben hatte. Angesichts dieser erheiternden Sachlage bleiben noch einige Fragen offen: a) Hat Gauland den Beitrag von Seemann selbst abgeschrieben oder b) war es ein für Pressekram zuständiger Referent? c) Wie stark ist im politischen Betrieb der Termindruck, der die Autoren (sc. -innen) von "Grundsatzartikeln"nötigt, anderswo abzuschreiben, ohne dass sogleich als spiritus rector der Bewohner des Führerbunkers erkennbar wird?
Zum letzten Stand der Empörungswelle: Der Kulturwissenschaftler Seemann überlegt juristische Schritte gegen den Autor des Plagiats.
Mittwoch, 3. Oktober 2018
Anstelle eines Kommentars zum 3.Oktober 2018
I.
Aus nicht nur meteorologischen Gründen verzichtete ich am "Tag der deutschen Einheit" auf Teilnahme an dem mit viel Gedröhn zelebrierten Festivitäten vor dem Brandenburger Tor. Womöglich trat dort auch die - von Bundespräsident Steinmeier noch vor ein paar Wochen für Chemnitz empfohlen - akustisch und geistig hervorragende Kampftruppe aus Rostock auf, deren ästhetische Ansprüche meine Sinne überfordern würden. Ich hätte als Demokrat auch Mühe gehabt, inmitten der Massen und ihres mutmaßlich mediengerecht aufgezogenen bunten Regenbogenfahnen- und Ideologiegewirrs die Orientierung zu behalten.
Mir genügte um die Mittagszeit ein TV-Schnipsel aus der Festrede des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble. Er sprach über den "Gemeinsinn, der in unserer offenen Gesellschaft" den Zusammenhalt gewährleisten müsse. Wie der Zusammenhalt in Zukunft zusammengehalten werden soll, wissen - im Nachklang des eindrucksvollen Deutschland-Besuchs des Präsidenten Recep Erdogan - am besten jene Migrantenverbände, die am heutigen "Tag der offenen Moschee" die demokratisch innovative - und integrative - Forderung nach Umbenennung des nationalen Feiertags zum "Tag der deutschen Vielfalt" präsentierten. Merkel und die Große Koalition tun dafür seit Jahren ihr Bestes, politisch-praktisch assistiert von den tätowierten Neonazis, die dem "System" den neuen Faschistengruß mit blankem Hintern entbieten.
II.
Was diejenigen, denen wir den Mauerfall und die Wiedergewinnung der deutschen Einheit zu verdanken haben, in der Zeit der friedlichen deutschen demokratischen Revolution bewegte, welcher Mut und welche Hoffnungen sie inspirierten, ist einem vor drei Jahren erschienenen Buch zu entnehmen, das mir am Vorabend des diesjährigen 3. Oktobers mein Freund Christian Dietrich - derzeit noch Landesbeauftragter des Freistaats Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - schenkte:
Jens Kristen - Christoph Schmitz-Scholemann (Hg.): Vom Geist der Stunde. Vordenker und Wegbereiter. Die Revolution in Deutschlands Mitte 1989, Weimarer Verlagsgesellschaft 2015.
Der Herausgeber Jens Kirsten hat seinem Vorwort als selbstironische Pointe einen Satz des polnischen Aphoristikers Wieslaw Brudzínski vorangestellt: "Mit der Zeit vollbringen unsere Vorfahren immer ruhmreichere Taten." Dass dieser Aphorismus hinsichtlich der DDR-Bürgerrechtsbewegung - und ihrer bescheidenen Zahl von Unterstützern in der alten Bundesrepublik - seine Umkehrung erfahren könnte, lehren die letzten Jahre und Monate.
Im Zuge einer "neuen Gedenkkultur" werden die "ruhmreichen Taten" der Oppositionellen minimiert bzw. ins rechte Licht von anno 2018 gesetzt.Zwar will niemand - weder die Gegner der Einheit von gestern noch die post- oder antinationalen Protagonisten von heute - die Vorzüge der Einheit (Ferienwohnung auf Usedom, Lehrstühle in Jena, Frankfurt/Oder etc., Segelurlaub auf der Müritz, Besuch der Semperoper samt Wanderung im Elbsandsteingebirge) missen, doch kultiviert man in West und Ost das Misstrauen gegen all jene, die mit ihrem Verlangen nach Freiheit und Einheit - und historisch-politisch logisch vice versa - letztendlich den Aufstieg der AfD bewirkt hätten. Die Vorstellung mag noch so absurd sein, so ist sie kennzeichnend für das geistige Klima "in diesem Lande", dem die deutsche Geschichte nur noch als Negativfolie dient. Von derlei Insinuationen ausgenommen bleibt indes unsere Kanzlerin Merkel. Nicht von ungefähr: Vor - und noch lange nach - dem Mauerfall war sie persona ignota.
Das bereits vor drei Jahren erschienene Buch versammelt Texte, die ein Bild von der geistigen Landschaft Thüringens vermitteln, in der die Opposition gegen das SED-Regime und das Verlangen nach Überwindung der deutschen Teilung hervorwuchs. In seinem Nachwort erläutert Christoph Schmitz-Scholemann das Konzept des Buches: "Es ging darum, das Zittern des Augenblicks einzufangen und es ging darum, das Rollen der Zeit abzubilden oder besser gesagt: das allmähliche Anlaufen der Zentrifuge, die Steigerung auf den Kulminationspunkt und das Nachlassen bis zum Wiedereintritt in eine gleichmäßige Bewegung." (S. 238). Es ist ein Satz, der als Beschreibung eines Revolutionsverlaufs klassische Geltung beanspruchen kann.
Der Band versammelt über dreißig Autoren, von denen die große Mehrheit nur im engeren mitteldeutschen bzw. ostdeutschen Raum Bedeutung erlangten, wie der 2013 verstorbene Pfarrer Walter Schilling, andere wie Christine Lieberknecht und Wolfgang Thierse nach der zur "Wende" abgewerteten friedlichen Revolution die politische Bühne betraten. Wenn ich an dieser Stelle insbesondere auf die Texte von Edelbert Richter ("Abgrenzung und nationale Identität", 1988; "Demokratischer Aufbruch, sozial und ökologisch", 1991) und Christian Dietrich ("Mitteleuropa in uns", November 1989) verweise, so liegt dies in deren spezifischer Betonung der "nationalen Frage" innerhalb der Opposition. Eine ironisch erleichterte Stimmungslage eröffnet sich in der mit "Altenburger Wochenblatt" betitelten Notiz des Schriftstellers Ingo Schulze, der am 23.3.1990 die Wahlen zur ersten freien und letzten Volkskammer (am 18.März 1990) wie folgt kommentierte: "Wann hatte es das für uns je gegeben? Jeder durfte sagen, welche Regierung er/sie wünscht. Waren Sie stolz darauf, IHRE Kandidaten wählen zu können? Wie erlebten Sie den Abend? Die einzige Überraschung war wohl das schlechte Abschneiden der Biertrinkerunion. Aber deren Mitglieder entschieden sich wohl geschlossen für eine andere Partei. [...]"
Zitationswürdig sind zwei weitere Textpassagen. In der ersten begründet Schmitz-Scholemann, der begründet warum sich die Herausgeber auf das heimatliche Thüringen und Weimar konzentriert haben. Zum einen liege ihnen ihre engere Heimat am Herzen. "Es hat aber noch eine weitere Bewandtnis. Thüringen ist das Land von Walther von der Vogelweide und Martin Luther, das Land von Bach und Cranach, das Land der klassischen deutschen Literatur, mit Wieland in Erfurt und Weimar, mit Goethe, Schiller, Herder, Jean Paul in Weimar, das Land auch des romantischen Denkens, Fichte und Hegel lehrten in Jena, es ist das Land von Liszt und Nietzsche und der Urort der modernen Architektur und es wurde hier die erste deutsche Republik gegründet. Man muss sagen: Thüringen hat als Land des schöpferischen Denkens und der Künste in Deutschland seinesgleichen nicht. Und doch ist es auch das nicht nur geografisch mitten im Zentrum gelegene Land der nationalsozialistischen Schmach und der entsetzlichsten Verirrung des deutschen Geistes. Das und die vier Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft bildet die disparate Folie, vor der die Ereignisse von 1989/90 abspielten. Eben deshalb fanden wir es richtig, den Geist der Stunde genau hier bei seinem revolutionären Treiben zu beobachten: Thüringen als Teil fürs Ganze genommen." (S. 239)
Der Autor lässt diesen Reflexionen einen Passus folgen: "Es gibt keinen für das Geistesleben unseres Landes fruchtbareren Ort als das evangelische Pfarrhaus... Auch wer der christlichen Religion nicht hold ist, muss erkennen, dass der einfachen und tiefen Frömmigkeit, dass dem Glauben an Jesus Christus eine befreiende und angstlösende Kraft innewohnen kann. Wer niemanden zu fürchten hat als Gott, der muss keine weltliche Macht fürchten." (S.240) Solche Sätze mögen anno 2018 in den Ohren mancher Zeitgenossen, ob mehr postnational oder mehr atheistisch gestimmt, obsolet, wenn nicht ungeheuerlich provokativ klingen.
Das andere Zitat ist einem Interview entnommen, das Willy Brandt am 27.1.1990 dem 1953 in Workuta geborenen Schriftsteller Sergej Lochthofen, seinerzeit Redakteur bei der "Thüringer Allgemeinen" gab. Lochthofen erinnerte an Willy Brandts historischen Besuch als Bundeskanzler in Erfurt zwanzig Jahre zuvor. Auf die Frage nach der Richtigkeit des im Zuge der damaligen Ostpolitik verfolgten Kurses antwortete Brandt, es sei mit dem angestrebten Grundlagenvertrag um Ziele gegangen, die - etwa beim Reiseverkehr - "bei weitem nicht befriedigend" erreicht werden konnten, und doch sei ihm die humanitäre Frage auch politisch wichtig gewesen. "Weil ich immer gesagt habe, wenn die Familien einander nicht begegnen können, dann übersteht die Nation eine solche Krise nicht." (S.149)
Den Blick auf die historische Situation - und auf die von einem neuen Ost-West-Konflikt überschattete Gegenwart - öffnen Brandts Worte am Ende des Interviews: "Dafür [für eine Neutralisierung] werden wir, auch wenn wir es selbst für wichtig hielten, nicht die Übereinstimmung erzielen mit unseren Nachbarn. die überwältigende Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik ist sich einig, daß nicht nur die Europäische Gemeinhaft weiterzuentwickeln ist, sondern auch, daß wir Mitglied der NATO bleiben müssen, bis aus den Verhandlungen in Wien und Genf solch ein europäisches Sicherheitssystem entwickelt hat, das zu einem europäischen Sicherheitssystem führt, das die heutigen Bündnisse überflüssig macht. Denn (sic!) ist die Situation da für ein bündnisfreies Deutschland, weil die Bündnisse sich selbst überlebt haben. Daß sie sich überleben, sieht man übrigens ja im Warschauer Pakt noch deutlicher als auf der westlichen Seite." (S.152) - Das war im Januar 1990.
Aus nicht nur meteorologischen Gründen verzichtete ich am "Tag der deutschen Einheit" auf Teilnahme an dem mit viel Gedröhn zelebrierten Festivitäten vor dem Brandenburger Tor. Womöglich trat dort auch die - von Bundespräsident Steinmeier noch vor ein paar Wochen für Chemnitz empfohlen - akustisch und geistig hervorragende Kampftruppe aus Rostock auf, deren ästhetische Ansprüche meine Sinne überfordern würden. Ich hätte als Demokrat auch Mühe gehabt, inmitten der Massen und ihres mutmaßlich mediengerecht aufgezogenen bunten Regenbogenfahnen- und Ideologiegewirrs die Orientierung zu behalten.
Mir genügte um die Mittagszeit ein TV-Schnipsel aus der Festrede des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble. Er sprach über den "Gemeinsinn, der in unserer offenen Gesellschaft" den Zusammenhalt gewährleisten müsse. Wie der Zusammenhalt in Zukunft zusammengehalten werden soll, wissen - im Nachklang des eindrucksvollen Deutschland-Besuchs des Präsidenten Recep Erdogan - am besten jene Migrantenverbände, die am heutigen "Tag der offenen Moschee" die demokratisch innovative - und integrative - Forderung nach Umbenennung des nationalen Feiertags zum "Tag der deutschen Vielfalt" präsentierten. Merkel und die Große Koalition tun dafür seit Jahren ihr Bestes, politisch-praktisch assistiert von den tätowierten Neonazis, die dem "System" den neuen Faschistengruß mit blankem Hintern entbieten.
II.
Was diejenigen, denen wir den Mauerfall und die Wiedergewinnung der deutschen Einheit zu verdanken haben, in der Zeit der friedlichen deutschen demokratischen Revolution bewegte, welcher Mut und welche Hoffnungen sie inspirierten, ist einem vor drei Jahren erschienenen Buch zu entnehmen, das mir am Vorabend des diesjährigen 3. Oktobers mein Freund Christian Dietrich - derzeit noch Landesbeauftragter des Freistaats Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - schenkte:
Jens Kristen - Christoph Schmitz-Scholemann (Hg.): Vom Geist der Stunde. Vordenker und Wegbereiter. Die Revolution in Deutschlands Mitte 1989, Weimarer Verlagsgesellschaft 2015.
Der Herausgeber Jens Kirsten hat seinem Vorwort als selbstironische Pointe einen Satz des polnischen Aphoristikers Wieslaw Brudzínski vorangestellt: "Mit der Zeit vollbringen unsere Vorfahren immer ruhmreichere Taten." Dass dieser Aphorismus hinsichtlich der DDR-Bürgerrechtsbewegung - und ihrer bescheidenen Zahl von Unterstützern in der alten Bundesrepublik - seine Umkehrung erfahren könnte, lehren die letzten Jahre und Monate.
Im Zuge einer "neuen Gedenkkultur" werden die "ruhmreichen Taten" der Oppositionellen minimiert bzw. ins rechte Licht von anno 2018 gesetzt.Zwar will niemand - weder die Gegner der Einheit von gestern noch die post- oder antinationalen Protagonisten von heute - die Vorzüge der Einheit (Ferienwohnung auf Usedom, Lehrstühle in Jena, Frankfurt/Oder etc., Segelurlaub auf der Müritz, Besuch der Semperoper samt Wanderung im Elbsandsteingebirge) missen, doch kultiviert man in West und Ost das Misstrauen gegen all jene, die mit ihrem Verlangen nach Freiheit und Einheit - und historisch-politisch logisch vice versa - letztendlich den Aufstieg der AfD bewirkt hätten. Die Vorstellung mag noch so absurd sein, so ist sie kennzeichnend für das geistige Klima "in diesem Lande", dem die deutsche Geschichte nur noch als Negativfolie dient. Von derlei Insinuationen ausgenommen bleibt indes unsere Kanzlerin Merkel. Nicht von ungefähr: Vor - und noch lange nach - dem Mauerfall war sie persona ignota.
Das bereits vor drei Jahren erschienene Buch versammelt Texte, die ein Bild von der geistigen Landschaft Thüringens vermitteln, in der die Opposition gegen das SED-Regime und das Verlangen nach Überwindung der deutschen Teilung hervorwuchs. In seinem Nachwort erläutert Christoph Schmitz-Scholemann das Konzept des Buches: "Es ging darum, das Zittern des Augenblicks einzufangen und es ging darum, das Rollen der Zeit abzubilden oder besser gesagt: das allmähliche Anlaufen der Zentrifuge, die Steigerung auf den Kulminationspunkt und das Nachlassen bis zum Wiedereintritt in eine gleichmäßige Bewegung." (S. 238). Es ist ein Satz, der als Beschreibung eines Revolutionsverlaufs klassische Geltung beanspruchen kann.
Der Band versammelt über dreißig Autoren, von denen die große Mehrheit nur im engeren mitteldeutschen bzw. ostdeutschen Raum Bedeutung erlangten, wie der 2013 verstorbene Pfarrer Walter Schilling, andere wie Christine Lieberknecht und Wolfgang Thierse nach der zur "Wende" abgewerteten friedlichen Revolution die politische Bühne betraten. Wenn ich an dieser Stelle insbesondere auf die Texte von Edelbert Richter ("Abgrenzung und nationale Identität", 1988; "Demokratischer Aufbruch, sozial und ökologisch", 1991) und Christian Dietrich ("Mitteleuropa in uns", November 1989) verweise, so liegt dies in deren spezifischer Betonung der "nationalen Frage" innerhalb der Opposition. Eine ironisch erleichterte Stimmungslage eröffnet sich in der mit "Altenburger Wochenblatt" betitelten Notiz des Schriftstellers Ingo Schulze, der am 23.3.1990 die Wahlen zur ersten freien und letzten Volkskammer (am 18.März 1990) wie folgt kommentierte: "Wann hatte es das für uns je gegeben? Jeder durfte sagen, welche Regierung er/sie wünscht. Waren Sie stolz darauf, IHRE Kandidaten wählen zu können? Wie erlebten Sie den Abend? Die einzige Überraschung war wohl das schlechte Abschneiden der Biertrinkerunion. Aber deren Mitglieder entschieden sich wohl geschlossen für eine andere Partei. [...]"
Zitationswürdig sind zwei weitere Textpassagen. In der ersten begründet Schmitz-Scholemann, der begründet warum sich die Herausgeber auf das heimatliche Thüringen und Weimar konzentriert haben. Zum einen liege ihnen ihre engere Heimat am Herzen. "Es hat aber noch eine weitere Bewandtnis. Thüringen ist das Land von Walther von der Vogelweide und Martin Luther, das Land von Bach und Cranach, das Land der klassischen deutschen Literatur, mit Wieland in Erfurt und Weimar, mit Goethe, Schiller, Herder, Jean Paul in Weimar, das Land auch des romantischen Denkens, Fichte und Hegel lehrten in Jena, es ist das Land von Liszt und Nietzsche und der Urort der modernen Architektur und es wurde hier die erste deutsche Republik gegründet. Man muss sagen: Thüringen hat als Land des schöpferischen Denkens und der Künste in Deutschland seinesgleichen nicht. Und doch ist es auch das nicht nur geografisch mitten im Zentrum gelegene Land der nationalsozialistischen Schmach und der entsetzlichsten Verirrung des deutschen Geistes. Das und die vier Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft bildet die disparate Folie, vor der die Ereignisse von 1989/90 abspielten. Eben deshalb fanden wir es richtig, den Geist der Stunde genau hier bei seinem revolutionären Treiben zu beobachten: Thüringen als Teil fürs Ganze genommen." (S. 239)
Der Autor lässt diesen Reflexionen einen Passus folgen: "Es gibt keinen für das Geistesleben unseres Landes fruchtbareren Ort als das evangelische Pfarrhaus... Auch wer der christlichen Religion nicht hold ist, muss erkennen, dass der einfachen und tiefen Frömmigkeit, dass dem Glauben an Jesus Christus eine befreiende und angstlösende Kraft innewohnen kann. Wer niemanden zu fürchten hat als Gott, der muss keine weltliche Macht fürchten." (S.240) Solche Sätze mögen anno 2018 in den Ohren mancher Zeitgenossen, ob mehr postnational oder mehr atheistisch gestimmt, obsolet, wenn nicht ungeheuerlich provokativ klingen.
Das andere Zitat ist einem Interview entnommen, das Willy Brandt am 27.1.1990 dem 1953 in Workuta geborenen Schriftsteller Sergej Lochthofen, seinerzeit Redakteur bei der "Thüringer Allgemeinen" gab. Lochthofen erinnerte an Willy Brandts historischen Besuch als Bundeskanzler in Erfurt zwanzig Jahre zuvor. Auf die Frage nach der Richtigkeit des im Zuge der damaligen Ostpolitik verfolgten Kurses antwortete Brandt, es sei mit dem angestrebten Grundlagenvertrag um Ziele gegangen, die - etwa beim Reiseverkehr - "bei weitem nicht befriedigend" erreicht werden konnten, und doch sei ihm die humanitäre Frage auch politisch wichtig gewesen. "Weil ich immer gesagt habe, wenn die Familien einander nicht begegnen können, dann übersteht die Nation eine solche Krise nicht." (S.149)
Den Blick auf die historische Situation - und auf die von einem neuen Ost-West-Konflikt überschattete Gegenwart - öffnen Brandts Worte am Ende des Interviews: "Dafür [für eine Neutralisierung] werden wir, auch wenn wir es selbst für wichtig hielten, nicht die Übereinstimmung erzielen mit unseren Nachbarn. die überwältigende Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik ist sich einig, daß nicht nur die Europäische Gemeinhaft weiterzuentwickeln ist, sondern auch, daß wir Mitglied der NATO bleiben müssen, bis aus den Verhandlungen in Wien und Genf solch ein europäisches Sicherheitssystem entwickelt hat, das zu einem europäischen Sicherheitssystem führt, das die heutigen Bündnisse überflüssig macht. Denn (sic!) ist die Situation da für ein bündnisfreies Deutschland, weil die Bündnisse sich selbst überlebt haben. Daß sie sich überleben, sieht man übrigens ja im Warschauer Pakt noch deutlicher als auf der westlichen Seite." (S.152) - Das war im Januar 1990.
Montag, 3. September 2018
Rock´n Roll in Chemnitz
Die Demokratie im freiesten Staat der deutschen Geschichte steht bekanntlich am Abgrund, wie uns tagtäglich die Bilder aus Chemnitz beweisen: Wir müssen mit ansehen, wie das letzte Aufgebot der Freiheit, todesmutige Töchter und Söhne von Tante Antifa, mit nichts als politisch aufklärenden Transparenten bewaffnet, an die Front ziehen, zum Kampf gegen die braunen Horden in Sachsen. Adnote: Wer meint, in diesem Text sollten die nackten Hintern und das sonstige Gebaren der jederzeit gewaltbereiten tätowierten Kostümnazis verharmlosend ästhetisiert werden, gehört zu den politischen Legasthenikern.
Eine Rekonstruktion der von Merkels "Grenzöffnung" ausgelösten politischen Erschütterungen der bundesrepublikanischen Wohlgefälligkeit ist nicht nötig. Stattdessen sei verwiesen auf die Analyse dessen, was derzeit hinter den TV-Spots aus Chemnitz als deutsche historisch-politische Realität hervortritt, die der aus DDR-Opposition stammende Historiker und Publizist Klaus-Rüdiger Mai heute in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) präsentiert https://www.nzz.ch/feuilleton/alles-beginnt-mit-herkunft-weshalb-ostdeutschland-sich-zur-provokation-entwickelt-ld.1415437).
Mein Thema sind nicht die Hintergründe der abstoßenden - realen und inszenierten ("gefaketen", siehe https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/polizei-ermittelt-gegen-gruppe-syrischer-maenner_aid-32314203?output=amp&__twitter_impression=true) - Szenen, sondern die der von ganz oben - von dem dereinst zu Wahlkampfzwecken im Problembezirk Neukölln mit dem sensiblen Dichter-Migranten Bushido rappenden Bundespräsidenten Steinmeier - empfohlenen und öffentlich finanzierten Veranstaltung zur Verteidigung der Demokratie in Chemnitz: Ja doch, wieder mal "Rock gegen Rechts". (Merke: Rechts, großgeschrieben, gilt als bedrohliches Substantiv).
Weder dem Gedröhn der Verstärker noch den ohnehin unverständlichen Texten der auf der Bühne versammelten demokratischen Kampfgruppen, im Erscheinungsbild kaum zu unterscheiden von den "rechten" Nazi-Rock-Bands, könnte ich etwas abgewinnen. Die Sinne, die Nerven, sind zu schonen. Den Lesern, die sich aufgerufen fühlen, als TV-Demokraten dem Spektakel beizuwohnen, seien indes ein paar Verse jener schönen Texte vorgestellt, welche die Band "Frische Sahne Fischfilet" - die aus ein paar Akkorden und viel Lärm bestehende Kunst des Polit-Rock erlernte ihr tätowierter Frontmann dereinst bei der bei Verfassungsschützern beliebten Nazi-Band "Landser" - zur demokratischen Erbaung ihres Publikums gedichtet haben:
„Leere Gesichter, viele Fragen
Niemand der ihnen Antwort gibt
Was können sie hier noch wagen?
Heute Nacht - schlagen sie zurück
Helme warten auf Kommando
Knüppel schlagen Köpfe ein
Wasser peitscht sie durch die Straßen
Niemand muss Bulle sein!
Und der Hass - Der steigt
Und unsere Wut - Sie treibt
Unsere Herzen brennen..."
Der demokratisch befreiende Hass gilt den "Bullen", der Polizei. Ähnlich feinsinnige Lyrik erwartet das aus ganz Deutschland - Ost und West - vielfach in Bussen demokratisch gratis herangekarrte Publikum heute abend in Chemnitz.
Womöglich handelt es sich nur um eine Geschmacksfrage. Zu meinen Zeiten gefielen mir die fröhlichen Verse und die Rhythmen von Chuck Berry:
"Rock`n`roll music just, let me hear some of that rock 'n' roll music
Any old way you choose it
It's got a back beat, you can't lose it
Any old time you use it
It's gotta be rock 'n' roll music
If you wanna dance with me..."
Tempi passati. Insgesamt glücklichere Zeiten, glücklichere Tage, lange vor dem großen Glück des Mauerfalls, Äonen vor Merkels Okkupation der deutschen Politik. Dafür, dass sich die Dinge - so oder so, hoffentlich noch zum Guten - ändern, dass die Ära Merkel zu Ende geht, gibt es hinreichend Anzeichen. Nicht zufällig forderte der tätowierte Millionär Campino, Superstar des Chemnitzer Spektakels, Angela Merkel zum "Durchhalten" auf - eine aus der deutschen Geschichte bekannte Parole.
Eine Rekonstruktion der von Merkels "Grenzöffnung" ausgelösten politischen Erschütterungen der bundesrepublikanischen Wohlgefälligkeit ist nicht nötig. Stattdessen sei verwiesen auf die Analyse dessen, was derzeit hinter den TV-Spots aus Chemnitz als deutsche historisch-politische Realität hervortritt, die der aus DDR-Opposition stammende Historiker und Publizist Klaus-Rüdiger Mai heute in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) präsentiert https://www.nzz.ch/feuilleton/alles-beginnt-mit-herkunft-weshalb-ostdeutschland-sich-zur-provokation-entwickelt-ld.1415437).
Mein Thema sind nicht die Hintergründe der abstoßenden - realen und inszenierten ("gefaketen", siehe https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/polizei-ermittelt-gegen-gruppe-syrischer-maenner_aid-32314203?output=amp&__twitter_impression=true) - Szenen, sondern die der von ganz oben - von dem dereinst zu Wahlkampfzwecken im Problembezirk Neukölln mit dem sensiblen Dichter-Migranten Bushido rappenden Bundespräsidenten Steinmeier - empfohlenen und öffentlich finanzierten Veranstaltung zur Verteidigung der Demokratie in Chemnitz: Ja doch, wieder mal "Rock gegen Rechts". (Merke: Rechts, großgeschrieben, gilt als bedrohliches Substantiv).
Weder dem Gedröhn der Verstärker noch den ohnehin unverständlichen Texten der auf der Bühne versammelten demokratischen Kampfgruppen, im Erscheinungsbild kaum zu unterscheiden von den "rechten" Nazi-Rock-Bands, könnte ich etwas abgewinnen. Die Sinne, die Nerven, sind zu schonen. Den Lesern, die sich aufgerufen fühlen, als TV-Demokraten dem Spektakel beizuwohnen, seien indes ein paar Verse jener schönen Texte vorgestellt, welche die Band "Frische Sahne Fischfilet" - die aus ein paar Akkorden und viel Lärm bestehende Kunst des Polit-Rock erlernte ihr tätowierter Frontmann dereinst bei der bei Verfassungsschützern beliebten Nazi-Band "Landser" - zur demokratischen Erbaung ihres Publikums gedichtet haben:
„Leere Gesichter, viele Fragen
Niemand der ihnen Antwort gibt
Was können sie hier noch wagen?
Heute Nacht - schlagen sie zurück
Helme warten auf Kommando
Knüppel schlagen Köpfe ein
Wasser peitscht sie durch die Straßen
Niemand muss Bulle sein!
Und der Hass - Der steigt
Und unsere Wut - Sie treibt
Unsere Herzen brennen..."
Der demokratisch befreiende Hass gilt den "Bullen", der Polizei. Ähnlich feinsinnige Lyrik erwartet das aus ganz Deutschland - Ost und West - vielfach in Bussen demokratisch gratis herangekarrte Publikum heute abend in Chemnitz.
Womöglich handelt es sich nur um eine Geschmacksfrage. Zu meinen Zeiten gefielen mir die fröhlichen Verse und die Rhythmen von Chuck Berry:
"Rock`n`roll music just, let me hear some of that rock 'n' roll music
Any old way you choose it
It's got a back beat, you can't lose it
Any old time you use it
It's gotta be rock 'n' roll music
If you wanna dance with me..."
Tempi passati. Insgesamt glücklichere Zeiten, glücklichere Tage, lange vor dem großen Glück des Mauerfalls, Äonen vor Merkels Okkupation der deutschen Politik. Dafür, dass sich die Dinge - so oder so, hoffentlich noch zum Guten - ändern, dass die Ära Merkel zu Ende geht, gibt es hinreichend Anzeichen. Nicht zufällig forderte der tätowierte Millionär Campino, Superstar des Chemnitzer Spektakels, Angela Merkel zum "Durchhalten" auf - eine aus der deutschen Geschichte bekannte Parole.
Samstag, 1. September 2018
Post mortem Giselher Suhr
Jahrelang habe ich mich geweigert, mich den Tentakeln des Kraken Facebook auszusetzen. Schließlich ließ ich mich von einem Freund überreden, der mir die Chancen auf ein breiteres Publikum für meine Publizistik vor Augen stellte.
Über das - nach wie vor fragwürdige - Medium gewinnt man "friends", teils wird man von anderen, nicht immer ganz vertrauenswürdigen friends angefragt bzw. kooptiert, teils stößt man auf Namen, die man - teilweise von ganz früher her - kennt, mit denen man gerne wieder in Kontakt treten möchte. Daraus können zuweilen sogar noch reale Freundschaften hervorgehen.
Giselher Suhr, über lange Jahre Redakteur bei "Kennzeichen D" sowie Studioleiter des ZDF in Berlin, gehört zu denjenigen "friends", deren Wiedersehen über Facebook sympathische Erinnerungen erweckte. Es war in den 1980er Jahren im eingemauerten West-Berlin, als ich ihn über eine in der damaligen Friedensbewegung - sofern diese aus ideologisch gefestigten und entsprechend unfriedlich rivalisierenden Friedensfreunden, glaubwürdigen (und weniger glaubwürdigen) Pazifisten sowie gläubigem Fußvolk zusammengesetzte Assoziation die Bezeichnung rechtfertigt - engagierten grünen Freundin kennenlernte. Ich weiß nicht mehr, ob er es oder ein Kollege war, der mich auf einem Ausflugsschiff auf der Havel zu einem Interview zum Thema "Frieden in Europa und deutsche Frage" einlud.
Die Ironie bei der damaligen Erregung über die im Zeichen der Nato-"Nachrüstung" - oder sowjetischen "Vorrüstung" - als Vorspiel der Apokalypse in Europa wahrgenommenen Neuauflage des Wettrüstens lag darin, dass die Friedensbewegten aller Schattierungen zwar die potenzierte Kriegsgefahr "auf deutschem Boden" beschworen, einige diese Wahrnehmung sogar in patriotischen Reden kundtaten. Die Mehrheit der Protagonisten der "neuen sozialen Bewegung" (in jenen Jahren kreierter terminus sociologicus) aber wollte des Pudels Kern der Friedensfrage - die in den Blockstrukturen konservierte, durch die Mauer anscheinend ad ultimo vertagte Deutsche Frage - nicht erkennen oder auch nur als Frage nicht zulassen. Zwar hatte Ende 1981 der von zahlreichen Promis unterzeichnete Brief des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Partei- und Staatschef Leonid Breschnew Aufsehen erregt, aber der Impuls eines "neuen Patriotismus", wie ihn damals ein schriller Aufmacher im "Stern" beschwor, erstarb in kurzer Zeit. Der Friede in Europa wurde spätestens nach der "erfolgreichen" Stationierung von Mittelstreckenraketen "auf (west-)deutschem Boden erneut auf der Basis des Status quo definiert. Die wenigen Dissidenten in der DDR, die sich als "unabhängige" Friedensbewegung verstanden und dafür die Repressionen des SED-Regimes in Kauf nahmen, fanden im Westen - selbst bei den zusehends vom "Realo" Joschka Fischer und seinesgleichen dominierten Grünen - nur abgeschwächte Sympathien.
Zu den wenigen Ausnahmen gehörte damals - als Mitglied der SPD - der Journalist Giselher Suhr. Er verfügte über allerlei Kontakte zu den Dissidenten und stellte in seinen TV-Beiträgen die deutsche Misere vor Augen. An einem regnerischen Tag Mitte der 1980er Jahre traf ich ihn auf der großen Wiese vor dem verwaisten Reichstagsgebäude. Er hatte sich jenem Häuflein von Friedensbewegten zugesellt, die dank günstigem Westwind Luftballons mit und ohne Friedensbotschaften gen Osten fliegen ließen. Insofern, als womöglich einige Ballons nicht nur bei der Stasi, sondern auch bei Bärbel Bohley, Ulrike Poppe und anderen landeten, war die Westaktion vielleicht mehr als nur gut gemeint.
Danach verlor ich Giselher Suhr aus den Augen. Ich begegnete ihm erst wieder digital nach meinem mit Bedenken vollzogenen Beitritt zu den Facebook-"friends" im November 2016. Er schrieb: "Lieber Herbert, hab Dank für Deine FB-Freundschaft. Nun sage ich zu Freunden, auch wenn sie nicht grade meiner Meinung sind, gerne ´du´. Ist das OK? Dann freue ich mich auf Infos, Diskussion und mEHR. Als dein FB-Freund GiselHER."
Zu einem intensiveren Austausch von "Infos" und mehr ist es dann doch nicht gekommen. Ich erfuhr nur, dass Giselher Suhr der AfD beigetreten war. Auf seinem FB-Selbstporträt postete er "Nie wieder SPD". Außerdem "outete" sich Giselher Suhr, geboren - mutmaßlich als Flüchtlingskind - am 14. August 1945 in Tauberbischofsheim, als Mitglied der - naturgemäß revanchistisch-faschistischen - Facebook-Gruppe "Schlesier". Außerdem gehörte er einer mit "Freunde Israels" oder so ähnlich betitelten Fb-Gruppe an.
Am 14. August 2018 sandte ich Giselher Suhr einen Fb-Gruß: "Alles Gute zum Geburtstag!.
Und gute Laune trotz allem (und fast aller)!" Seine Antwort: "Merci! Jetzt erst Recht, Rechtswahl... ´rechts´ statt Rechtswahl.... ( Tippfehler)". Heute stieß ich in der FAZ auf die Todesanzeige.
Giselher Suhr ist nach langer Krankheit am 22.8.2018 gestorben.
In der für Demokratinnen und Demokraten für biographische und politikwissenschaftliche Zwecke unentbehrlichen Allwissensquelle "Wikipedia" ist u.a. folgendes zu lesen: "Suhr trat 1965 in die SPD ein, er war Anhänger der Ostpolitik Willy Brandts. Auch die Agenda 2010 befürwortete er, doch wuchs nach Jahrzehnte langer Zugehörigkeit die Distanz zur Partei. Er wurde AfD-Mitglied und stellte Interviews mit und Auftritte von AfD-Politikern auf seinem Youtube-Kanal ein."
Klar doch - all das reicht zur demokratisch korrekten (e.g. "indymedia", "Spiegel", Göring-Eckardt (etc.) Klassifikation als "Nazi". Trotz alledem und trotz allem Irrsinn in diesem unserem Land: R.I.P.
Über das - nach wie vor fragwürdige - Medium gewinnt man "friends", teils wird man von anderen, nicht immer ganz vertrauenswürdigen friends angefragt bzw. kooptiert, teils stößt man auf Namen, die man - teilweise von ganz früher her - kennt, mit denen man gerne wieder in Kontakt treten möchte. Daraus können zuweilen sogar noch reale Freundschaften hervorgehen.
Giselher Suhr, über lange Jahre Redakteur bei "Kennzeichen D" sowie Studioleiter des ZDF in Berlin, gehört zu denjenigen "friends", deren Wiedersehen über Facebook sympathische Erinnerungen erweckte. Es war in den 1980er Jahren im eingemauerten West-Berlin, als ich ihn über eine in der damaligen Friedensbewegung - sofern diese aus ideologisch gefestigten und entsprechend unfriedlich rivalisierenden Friedensfreunden, glaubwürdigen (und weniger glaubwürdigen) Pazifisten sowie gläubigem Fußvolk zusammengesetzte Assoziation die Bezeichnung rechtfertigt - engagierten grünen Freundin kennenlernte. Ich weiß nicht mehr, ob er es oder ein Kollege war, der mich auf einem Ausflugsschiff auf der Havel zu einem Interview zum Thema "Frieden in Europa und deutsche Frage" einlud.
Die Ironie bei der damaligen Erregung über die im Zeichen der Nato-"Nachrüstung" - oder sowjetischen "Vorrüstung" - als Vorspiel der Apokalypse in Europa wahrgenommenen Neuauflage des Wettrüstens lag darin, dass die Friedensbewegten aller Schattierungen zwar die potenzierte Kriegsgefahr "auf deutschem Boden" beschworen, einige diese Wahrnehmung sogar in patriotischen Reden kundtaten. Die Mehrheit der Protagonisten der "neuen sozialen Bewegung" (in jenen Jahren kreierter terminus sociologicus) aber wollte des Pudels Kern der Friedensfrage - die in den Blockstrukturen konservierte, durch die Mauer anscheinend ad ultimo vertagte Deutsche Frage - nicht erkennen oder auch nur als Frage nicht zulassen. Zwar hatte Ende 1981 der von zahlreichen Promis unterzeichnete Brief des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Partei- und Staatschef Leonid Breschnew Aufsehen erregt, aber der Impuls eines "neuen Patriotismus", wie ihn damals ein schriller Aufmacher im "Stern" beschwor, erstarb in kurzer Zeit. Der Friede in Europa wurde spätestens nach der "erfolgreichen" Stationierung von Mittelstreckenraketen "auf (west-)deutschem Boden erneut auf der Basis des Status quo definiert. Die wenigen Dissidenten in der DDR, die sich als "unabhängige" Friedensbewegung verstanden und dafür die Repressionen des SED-Regimes in Kauf nahmen, fanden im Westen - selbst bei den zusehends vom "Realo" Joschka Fischer und seinesgleichen dominierten Grünen - nur abgeschwächte Sympathien.
Zu den wenigen Ausnahmen gehörte damals - als Mitglied der SPD - der Journalist Giselher Suhr. Er verfügte über allerlei Kontakte zu den Dissidenten und stellte in seinen TV-Beiträgen die deutsche Misere vor Augen. An einem regnerischen Tag Mitte der 1980er Jahre traf ich ihn auf der großen Wiese vor dem verwaisten Reichstagsgebäude. Er hatte sich jenem Häuflein von Friedensbewegten zugesellt, die dank günstigem Westwind Luftballons mit und ohne Friedensbotschaften gen Osten fliegen ließen. Insofern, als womöglich einige Ballons nicht nur bei der Stasi, sondern auch bei Bärbel Bohley, Ulrike Poppe und anderen landeten, war die Westaktion vielleicht mehr als nur gut gemeint.
Danach verlor ich Giselher Suhr aus den Augen. Ich begegnete ihm erst wieder digital nach meinem mit Bedenken vollzogenen Beitritt zu den Facebook-"friends" im November 2016. Er schrieb: "Lieber Herbert, hab Dank für Deine FB-Freundschaft. Nun sage ich zu Freunden, auch wenn sie nicht grade meiner Meinung sind, gerne ´du´. Ist das OK? Dann freue ich mich auf Infos, Diskussion und mEHR. Als dein FB-Freund GiselHER."
Zu einem intensiveren Austausch von "Infos" und mehr ist es dann doch nicht gekommen. Ich erfuhr nur, dass Giselher Suhr der AfD beigetreten war. Auf seinem FB-Selbstporträt postete er "Nie wieder SPD". Außerdem "outete" sich Giselher Suhr, geboren - mutmaßlich als Flüchtlingskind - am 14. August 1945 in Tauberbischofsheim, als Mitglied der - naturgemäß revanchistisch-faschistischen - Facebook-Gruppe "Schlesier". Außerdem gehörte er einer mit "Freunde Israels" oder so ähnlich betitelten Fb-Gruppe an.
Am 14. August 2018 sandte ich Giselher Suhr einen Fb-Gruß: "Alles Gute zum Geburtstag!.
Und gute Laune trotz allem (und fast aller)!" Seine Antwort: "Merci! Jetzt erst Recht, Rechtswahl... ´rechts´ statt Rechtswahl.... ( Tippfehler)". Heute stieß ich in der FAZ auf die Todesanzeige.
Giselher Suhr ist nach langer Krankheit am 22.8.2018 gestorben.
In der für Demokratinnen und Demokraten für biographische und politikwissenschaftliche Zwecke unentbehrlichen Allwissensquelle "Wikipedia" ist u.a. folgendes zu lesen: "Suhr trat 1965 in die SPD ein, er war Anhänger der Ostpolitik Willy Brandts. Auch die Agenda 2010 befürwortete er, doch wuchs nach Jahrzehnte langer Zugehörigkeit die Distanz zur Partei. Er wurde AfD-Mitglied und stellte Interviews mit und Auftritte von AfD-Politikern auf seinem Youtube-Kanal ein."
Klar doch - all das reicht zur demokratisch korrekten (e.g. "indymedia", "Spiegel", Göring-Eckardt (etc.) Klassifikation als "Nazi". Trotz alledem und trotz allem Irrsinn in diesem unserem Land: R.I.P.
Mittwoch, 15. August 2018
Leseempfehlung: Die Zukunft in Syrien
Dass Hintergründe und Verlauf - bis zum endlich absehbaren Ende - des Bürgerkriegs in Syrien vielschichtiger und widersprüchlicher sind, als in der vorherrschenden Berichterstattung, die über Jahre hin auf Verständnis für die "demokratischen Rebellen" und Verdammnis des Diktators Assad sowie seines Schutzherrn Putin ausgerichtet war, ist einem distanziert kritischen Beobachter der nahöstlichen Szenerie stets klar gewesen. (Siehe meine Kommentare in Globkult, e.g. https://globkult.de/politik/deutschland/864-zum-unfrieden-in-nahost-unbequeme-faktenlage; https://globkult.de/politik/deutschland/880-politische-bildung-vi-westerwelles-schutzfaehige-opposition-und-obamas-chemielabor-fuer-syrien.) Obgleich sich jetzt der Sieg Assads über über die hierzulande stets mit Sympathie gehandelten Rebellen, nicht zuletzt über die auf vereinzelte Stützpunkte zurückgedrängten Terrorbanden des IS("Islamischer Staat"), immer deutlicher abzeichnet, vermisst man in den Medien und in den Verlautbarungen unserer classe politica konzeptionelle Überlegungen zur Zukunft des Landes in Nahost. Man spricht allenfalls über die fortschreitende Integration von Flüchtlingen.
Eine Ausnahme bildet das Interview, das der Redakteur Simon Strauß mit der seit 2009 in Wien lebenden Frauenrechtlerin Rasha Corti führte ("Jetzt kann sich endlich alles ändern", in: FAZ v. 14.08.2018, S. 9). Die aus Raqqa - die Stadt wurde 2013 von diversen islamistischen Milizen, zuletzt vom IS überrannt - stammende Dokumentarfilmerin hält Assad keineswegs für unschuldig am Eklat und an den Gräueln des Bürgerkriegs, aber eben auch nicht für den alleinschuldigen.
Erhellend - wenngleich politisch unerwünscht - sind die Kommentare zur Rolle der beiden Großmächte: "Russland hat immer zu uns gestanden, anders als die Amerikaner, die in anderen Ländern Rebellen wie die Taliban unterstützt haben." Auf die Frage, welche Rolle Russland künftig spielen solle: "Ja, Russland ist die einzige Hoffnung. Denn nur Putin kann Syrien vor dem Machthunger Erdogans schützen." Die Syrerin erläutert dessen - auf die Vereinnahmung Aleppos zielenden - Ambitionen anhand von Details der türkischen Okkupation in den nördlichen Landesteilen.
Was weniger das Kopftuch als den Islam als solchen betrifft, erklärt die Frauenrechtlerin, dass nach der "unmittelbaren Begegnung mit dem IS vielen Menschen begonnen [haben], den Islam und seine Radikalisierungspotentiale kritisch zu sehen." Hierzulande will man - etwa im "Dialog" von Christen und Muslimen - derlei kritische Fragen an die "dritte abrahamitische Religion" lieber nicht stellen.
Als peinliche Provokation für das gründeutsche Publikum müssen vor allem Frau Cortis Worte über die Zukunft ihres Landes wirken. Nötig sei eine gemeinsame Syrienpolitik, auf die sich die Europäer und Russland verständigen sollten. Auch die Zukunft der vor und nach 2015 Geflüchteten sieht sie in ihrem Heimatland. Zwar sei die Integration auf dem hiesigen Arbeitsmarkt die effektivste Integrationsmaßnahme, aber zugleich "halte ich es für die eigentliche Aufgabe einer verantwortungsvollen Integrationspolitik, dass sie ihre Einwanderer auch dazu ermutigt, in absehbarer Zeit in ihre Heimatländer zurückzukehren... Meine große Hoffnung besteht darin, dass diejenigen, die jetzt nach Europa geflüchtet sind, nach Syrien zurückkehren mit all den Fähigkeiten, die sie hier erworben haben."
Eine Ausnahme bildet das Interview, das der Redakteur Simon Strauß mit der seit 2009 in Wien lebenden Frauenrechtlerin Rasha Corti führte ("Jetzt kann sich endlich alles ändern", in: FAZ v. 14.08.2018, S. 9). Die aus Raqqa - die Stadt wurde 2013 von diversen islamistischen Milizen, zuletzt vom IS überrannt - stammende Dokumentarfilmerin hält Assad keineswegs für unschuldig am Eklat und an den Gräueln des Bürgerkriegs, aber eben auch nicht für den alleinschuldigen.
Erhellend - wenngleich politisch unerwünscht - sind die Kommentare zur Rolle der beiden Großmächte: "Russland hat immer zu uns gestanden, anders als die Amerikaner, die in anderen Ländern Rebellen wie die Taliban unterstützt haben." Auf die Frage, welche Rolle Russland künftig spielen solle: "Ja, Russland ist die einzige Hoffnung. Denn nur Putin kann Syrien vor dem Machthunger Erdogans schützen." Die Syrerin erläutert dessen - auf die Vereinnahmung Aleppos zielenden - Ambitionen anhand von Details der türkischen Okkupation in den nördlichen Landesteilen.
Was weniger das Kopftuch als den Islam als solchen betrifft, erklärt die Frauenrechtlerin, dass nach der "unmittelbaren Begegnung mit dem IS vielen Menschen begonnen [haben], den Islam und seine Radikalisierungspotentiale kritisch zu sehen." Hierzulande will man - etwa im "Dialog" von Christen und Muslimen - derlei kritische Fragen an die "dritte abrahamitische Religion" lieber nicht stellen.
Als peinliche Provokation für das gründeutsche Publikum müssen vor allem Frau Cortis Worte über die Zukunft ihres Landes wirken. Nötig sei eine gemeinsame Syrienpolitik, auf die sich die Europäer und Russland verständigen sollten. Auch die Zukunft der vor und nach 2015 Geflüchteten sieht sie in ihrem Heimatland. Zwar sei die Integration auf dem hiesigen Arbeitsmarkt die effektivste Integrationsmaßnahme, aber zugleich "halte ich es für die eigentliche Aufgabe einer verantwortungsvollen Integrationspolitik, dass sie ihre Einwanderer auch dazu ermutigt, in absehbarer Zeit in ihre Heimatländer zurückzukehren... Meine große Hoffnung besteht darin, dass diejenigen, die jetzt nach Europa geflüchtet sind, nach Syrien zurückkehren mit all den Fähigkeiten, die sie hier erworben haben."
Samstag, 11. August 2018
Eine Kritik des grünen Gesamtkunstwerks
I.
Dass die Deutschen - die Biodeutschen, die Neudeutschen, die Passdeutschen, die cosmopolitan Germans sowie selbst die Antideutschen - grün fühlen, grün denken und vor allem grün fühlen sollen, wird bei jeder TV-Nachrichtensendung ersichtlich. Zugegeben, der Tagesrhythmus des Bloggers orientiert sich seit langem nicht mehr an den öffentlich-rechtlichen TV-News, in denen er wenig Neues, schon gar nichts über die Hintergründe der gezeigten Spots erfährt, wohl aber ständig ermahnt wird, sich seiner Verantwortung für das das globale Elend, für die von uns Wohlstandsbürgern misshandelte Natur, für den Klimawandel und die Klimaflüchtlinge bewusst zu sein. Die relevanten Informationen und Bilder sind immer noch besser in Druckerzeugnissen zu finden, nicht zuletzt in den social media.
Den Hütern der politischen Moral erscheinen diese neuen Informationsquellen als konsensstörend. Einige entrüsten sich gar in harten Worten über die "asozialen Medien", was offenkundig auf Fehlwahrnehmung beruht. Denn dass solcherlei Abwertung falsch ist, wird in diesen Augusttagen von Bildsequenzen auf youtube oder sonstwo belegt.
II.
Der Betrachter darf die politische Elite der Bundesrepublik beim Aufstieg auf den Grünen Hügel von Bayreuth bewundern. Das Festspielhaus oberhalb der fränkischen Markgrafenstadt hat seit seiner Eröffnung 1876 unbeschadet - bei der Bombardierung Bayreuths im April 1945 klammerte der "masterbomber" den Wagner-Tempel ausdrücklich als Zielobjekt aus - vier politische Systeme erlebt. Jahr für Jahr, von Ende Juli bis Ende August, wallfahrtet die gute Gesellschaft des Landes auf den Grünen Hügel, um das von Wieland und Wolfgang in den 1950er Jahren von jeglicher Erinnerung an Onkel Wolf bereinigte Gesamtkunstwerk des Meisters zu erleben und durch ihre bloße Präsenz zu vollenden.
Die ästhetische Tendenz der Bayreuther Weihespiele wechselte im vergangenen Jahrhundert im Sinne der jeweils herrschenden geistigen und politischen Ordnung. Dass anno 2018 der deutsche Geist grün durchtränkt ist, kam beim Einzug unserer Bundeskanzlerin zur diesjährigen Eröffnung zum Ausdruck. Sie erschien in prächtig grüner, langer Garderobe, nicht etwa in gewohntem Hosenanzug. Eröffnet wurde die Saison mit "Lohengrin". Das Lächeln der Kanzlerin, die Feierlichkeit der Stunde, die Inszenierung des Politischen im Dienste des Erhabenen verbot die Frage nach dem tieferen Sinn des Ganzen.
III.
Wie monochrom grün es auf dem Grünen Hügel - mit Ausstrahlung auf das grüngeistige Volk - zugeht (und künftig zugehen soll), demonstrierten sodann in strahlender Zweisamkeit Claudia Roth in hochgeschlossenem AfD-Blau und Anton Hofreiter in schwarzem Smoking mit schwarzer Fliege.
Den Kommentar zum Auftritt des Paares liefert Necla Kelekin einem für eine Provinzzeitung verfassten Aufsatz, der wiederum nur im Internet zu finden ist ( http://www.buerstaedter-zeitung.de/panorama/aus-aller-welt/gastkommentar-von-necla-kelek-zu-den-gruenen-partei-ist-eine-fortschrittsbremse_18991171.htm#). Zu welcher Aufführung ist das grüne Heldenpaar den Grünen Hügel hinaufgeschritten? Gehört auch Karin Göring-Eckardt zu den Festspielgästen? Gibt´s noch andere grüne Wagnerianer/***Innen?
Statt mit derlei Klatschnachrichten befasst sich Kelek, deutsche Dissidentin mit Migrationshintergrund, mit Fragen zur grünen Weltmoral: "Herrn Hofreiter und Frau Roth hätte die Geschichte von „Lohengrin“ gefallen, fordert er doch das, was die abwesenden Grünen und die anwesende Kanzlerin Merkel in der Flüchtlingspolitik geschehen lassen: ´Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art.´ Die Rolle des Lohengrin ist allerdings nicht mit einem Flüchtling besetzt und der Schwan kein Schlauchboot. Deshalb der Verzicht? Aber vielleicht kommen sie ja noch, denn das Frageverbot, an das Lohengrin seine Hilfe knüpft, erinnert an die Einwanderungspolitik, die die links-grüne Mitte seit Jahren betreibt. Da wird das Benennen der Probleme vor allem der muslimischen Migrantinnen – wie Frauenunterdrückung, Zwangsheirat, Vollverschleierung, das Kinderkopftuch und die Bildung von Gegengesellschaften, ebenfalls mit einem Frageverbot belegt. Unterstützt durch die Migrationsforschung wird mit stattlichen Beträgen der Rassismus der Deutschen erforscht, keine Forschungsgelder werden ausgegeben, um die Rolle der Moscheen in den Schulen zu ermitteln oder Verwandtenehen zu thematisieren... Die grüne Parteispitze versucht, wie der Soziologe Max Weber es in Politik als Beruf formuliert hat, alles zu tun, damit ´die Flamme der eigenen Gesinnung nicht erlischt´. Moralische Überlegenheit ersetzt das Argument, die eigene Befindlichkeit entscheidet über Dringlichkeiten... Claudia Roth redet mit erwachsenen Menschen so, als wären die in der Kita... Das ´Ach´ und Weh´´, (Lohengrin, Schluss des letzten Akts) der Berufspolitikerin Roth ist ein rührseliges Selbstbild, das belegt, dass sie die Probleme unseres Landes nicht begreift, sondern sie sich wie in ihrem blauen Kleid immer nur um sich selbst dreht. Wie ihre Partei!"
IV.
Zur Klärung der Lage, zum Begreifen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, können marxistische Begriffe nach wie vor hilfreich sein. Das grüne Gesamtkunstwerk, ob nun dargeboten von Merkel oder von Roth, bildet den ideologischen Überbau der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Wenn die Basis, die Wohlstandssicherheit der einst bürgerlichen Mittelschichten, ins Rutschen kommt, gerät auch der grüne Überbau ins Wanken.
Dass die Deutschen - die Biodeutschen, die Neudeutschen, die Passdeutschen, die cosmopolitan Germans sowie selbst die Antideutschen - grün fühlen, grün denken und vor allem grün fühlen sollen, wird bei jeder TV-Nachrichtensendung ersichtlich. Zugegeben, der Tagesrhythmus des Bloggers orientiert sich seit langem nicht mehr an den öffentlich-rechtlichen TV-News, in denen er wenig Neues, schon gar nichts über die Hintergründe der gezeigten Spots erfährt, wohl aber ständig ermahnt wird, sich seiner Verantwortung für das das globale Elend, für die von uns Wohlstandsbürgern misshandelte Natur, für den Klimawandel und die Klimaflüchtlinge bewusst zu sein. Die relevanten Informationen und Bilder sind immer noch besser in Druckerzeugnissen zu finden, nicht zuletzt in den social media.
Den Hütern der politischen Moral erscheinen diese neuen Informationsquellen als konsensstörend. Einige entrüsten sich gar in harten Worten über die "asozialen Medien", was offenkundig auf Fehlwahrnehmung beruht. Denn dass solcherlei Abwertung falsch ist, wird in diesen Augusttagen von Bildsequenzen auf youtube oder sonstwo belegt.
II.
Der Betrachter darf die politische Elite der Bundesrepublik beim Aufstieg auf den Grünen Hügel von Bayreuth bewundern. Das Festspielhaus oberhalb der fränkischen Markgrafenstadt hat seit seiner Eröffnung 1876 unbeschadet - bei der Bombardierung Bayreuths im April 1945 klammerte der "masterbomber" den Wagner-Tempel ausdrücklich als Zielobjekt aus - vier politische Systeme erlebt. Jahr für Jahr, von Ende Juli bis Ende August, wallfahrtet die gute Gesellschaft des Landes auf den Grünen Hügel, um das von Wieland und Wolfgang in den 1950er Jahren von jeglicher Erinnerung an Onkel Wolf bereinigte Gesamtkunstwerk des Meisters zu erleben und durch ihre bloße Präsenz zu vollenden.
Die ästhetische Tendenz der Bayreuther Weihespiele wechselte im vergangenen Jahrhundert im Sinne der jeweils herrschenden geistigen und politischen Ordnung. Dass anno 2018 der deutsche Geist grün durchtränkt ist, kam beim Einzug unserer Bundeskanzlerin zur diesjährigen Eröffnung zum Ausdruck. Sie erschien in prächtig grüner, langer Garderobe, nicht etwa in gewohntem Hosenanzug. Eröffnet wurde die Saison mit "Lohengrin". Das Lächeln der Kanzlerin, die Feierlichkeit der Stunde, die Inszenierung des Politischen im Dienste des Erhabenen verbot die Frage nach dem tieferen Sinn des Ganzen.
III.
Wie monochrom grün es auf dem Grünen Hügel - mit Ausstrahlung auf das grüngeistige Volk - zugeht (und künftig zugehen soll), demonstrierten sodann in strahlender Zweisamkeit Claudia Roth in hochgeschlossenem AfD-Blau und Anton Hofreiter in schwarzem Smoking mit schwarzer Fliege.
Den Kommentar zum Auftritt des Paares liefert Necla Kelekin einem für eine Provinzzeitung verfassten Aufsatz, der wiederum nur im Internet zu finden ist ( http://www.buerstaedter-zeitung.de/panorama/aus-aller-welt/gastkommentar-von-necla-kelek-zu-den-gruenen-partei-ist-eine-fortschrittsbremse_18991171.htm#). Zu welcher Aufführung ist das grüne Heldenpaar den Grünen Hügel hinaufgeschritten? Gehört auch Karin Göring-Eckardt zu den Festspielgästen? Gibt´s noch andere grüne Wagnerianer/***Innen?
Statt mit derlei Klatschnachrichten befasst sich Kelek, deutsche Dissidentin mit Migrationshintergrund, mit Fragen zur grünen Weltmoral: "Herrn Hofreiter und Frau Roth hätte die Geschichte von „Lohengrin“ gefallen, fordert er doch das, was die abwesenden Grünen und die anwesende Kanzlerin Merkel in der Flüchtlingspolitik geschehen lassen: ´Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art.´ Die Rolle des Lohengrin ist allerdings nicht mit einem Flüchtling besetzt und der Schwan kein Schlauchboot. Deshalb der Verzicht? Aber vielleicht kommen sie ja noch, denn das Frageverbot, an das Lohengrin seine Hilfe knüpft, erinnert an die Einwanderungspolitik, die die links-grüne Mitte seit Jahren betreibt. Da wird das Benennen der Probleme vor allem der muslimischen Migrantinnen – wie Frauenunterdrückung, Zwangsheirat, Vollverschleierung, das Kinderkopftuch und die Bildung von Gegengesellschaften, ebenfalls mit einem Frageverbot belegt. Unterstützt durch die Migrationsforschung wird mit stattlichen Beträgen der Rassismus der Deutschen erforscht, keine Forschungsgelder werden ausgegeben, um die Rolle der Moscheen in den Schulen zu ermitteln oder Verwandtenehen zu thematisieren... Die grüne Parteispitze versucht, wie der Soziologe Max Weber es in Politik als Beruf formuliert hat, alles zu tun, damit ´die Flamme der eigenen Gesinnung nicht erlischt´. Moralische Überlegenheit ersetzt das Argument, die eigene Befindlichkeit entscheidet über Dringlichkeiten... Claudia Roth redet mit erwachsenen Menschen so, als wären die in der Kita... Das ´Ach´ und Weh´´, (Lohengrin, Schluss des letzten Akts) der Berufspolitikerin Roth ist ein rührseliges Selbstbild, das belegt, dass sie die Probleme unseres Landes nicht begreift, sondern sie sich wie in ihrem blauen Kleid immer nur um sich selbst dreht. Wie ihre Partei!"
IV.
Zur Klärung der Lage, zum Begreifen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, können marxistische Begriffe nach wie vor hilfreich sein. Das grüne Gesamtkunstwerk, ob nun dargeboten von Merkel oder von Roth, bildet den ideologischen Überbau der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Wenn die Basis, die Wohlstandssicherheit der einst bürgerlichen Mittelschichten, ins Rutschen kommt, gerät auch der grüne Überbau ins Wanken.
Freitag, 27. Juli 2018
Zur deutschen Katastrophe in Kasan
Wir dürfen annehmen, dass bis zum 27.
Juni 2018 der Masse der deutschen Fußballfans (mit oder ohne
Migrationshintergrund), nicht anders als großen Teilen der
bundesrepublikanischen classe politica, ganz zu schweigen von
Koryphäen wie Annalena Baerbock, Sawsan Chebli oder Jens Maier, Geographie und
Geschichte der Stadt Kasan unbekannt war. Zwar stellen manche
besorgte Kommentatoren in den Qualitätszeitungen den Schröder-Freund
Wladimir Putin zuweilen in eine russische Traditionslinie, die sie
auf Iwan IV. Grosny zurückführen. Der ob seiner
Herrschaftsmethoden im Westen als Iwan der Schreckliche bekannte, dem
Namen nach erste Zar der Reußen eroberte anno 1552 die
Tatarenfestung Kasan und zwang den muslimischen Khan zur Konversion. Doch was
soll uns Zeitgenossen die russische Geschichte? Wir, genauer: die
Minderheit der historisch noch interessierten Biodeutschen – haben
mit unserer verkorksten Geschichte genug zu tun.
Derlei Selbstzweifel sind dem Rest
unserer Fußballnation in der Regel fremd oder waren es zumindest bis
zum obigen Datum. Die Fans, das gesamte Fernsehvolk war stolz auf
unsere Mannschaft, wir waren Weltmeister und wollten es mit Jogi
Löws Truppe wieder werden. Wir freuten uns mit Angela Merkel auf den
Endsieg.(S.: https://herbert-ammon.blogspot.com/2018/06/merkels-truppe-vor-dem-endsieg.html) Für Theoretiker der modernen Demokratie, selbst für
linksliberale, galt der deutsche Fußballstolz als akzeptabler
Wesenskern deutscher Identität. Für gewissen Unmut sorgten zwar die
Bilder von Özil und Gündogan mit „ihrem“ Präsidenten, aber die
politisch zweckdienliche kollektive Hoffnung auf deutsches
Siegesglück, Siegesglanz und Gloria wurde erst an jenem Tag in Kasan
zunichte, als Südkorea „unsere“ matte Mannschaft aus dem Turnier
warf.
Seither füllt die Debatte um Özil, um
Özils Millionen und um Özils Frömmigkeit, um deutschen Rassismus
und Erdogans Pluralismus, um die Demokratieverträglichkeit
gespaltener – oder verweigerter – Identität(en) das Sommerloch,
dazu die Bilder geretteter refugees und jubelnder militanter
Migranten. Die Fußballkrise vermengt sich mit der Flüchtlingskrise.
Die Brisanz der miteinander verquickten Fragen haben – im Hinblick
auf die Wahlumfragen – nicht nur die Grünen erkannt, sondern auch
der Bundespräsident sowie der Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle,
zuletzt inzwischen selbst die von diesem gerügte CSU-Führung.
Merkels Außenminister Maas erinnert an
Özils Millionenverdienst in England - genauer: bei dem von einem der
russischen Oligarchen mitfinanzierten Club Arsenal London – und
möchte die ganze Geschichte zu einer Bagatelle herabstufen. Das ruft
Entrüstung bei Altkanzler Schröder hervor, der als Vertreter der
Bundesregierung bei der Vereidigung des türkischen Präsidenten
sowie als führender Gazprom-Vertreter bzw. Nordstream-Vorstand auch
über zwischenmenschliche Beziehungen zu Özils Präsidenten
verfügt. Usw.
Die „Katastrophe“ von Kasan – die
Hauptstadt der Republik Tatarstan liegt etwa 1000 km nördlich von
Wolgograd/Stalingrad/Zarizyn - erweist sich so doch noch als Glück für die
politisch-mediale Klasse. Sie eignet sich trefflich, um das
populistisch erregbare „Volk“ von den bedrängenden
Zukunftfragen, von den realen politischen Fragen – Demographie und Demokratie, außereuropäische
Immigration und kulturelle Integration, Islam(isierung) und postchristliche Säkularisierung, Massengesellschaft und
politische Loyalitäten angesichts ethnisch-kultureller Spaltungen -
abzulenken und bei Laune zu halten.
Die „richtige“ Sicht der Dinge –
die Auflösung des Problemkomplexes in Wohlgefallen – liefert
Jürgen Kaube, Herausgeber der FAZ (in seinem Leitartikel vom
26.07.18, S.1): „Wer verlangt, eine von Ausländern abstammende
Person müsse, um Inländer zu werden, irgendwie mit den Deutschen
und deren Kultur verschmelzen, ist genauso wenig bei Trost wie
diejenigen, die behaupten, Multikulturalität und die
Einwanderungsgesellschaft seien ohne Vorurteile, Distanznahmen und
Härten vorstellbar.“ Distanz zu derlei Perspektive sollte noch erlaubt
sein. Sonst wird diese Geschichte noch vollends trostlos.
Samstag, 7. Juli 2018
Lingua Francfurtensis
In meinem letzten Blog-Eintrag würdigte ich die politsprachliche Begabung unserer Kanzlerin. Ihr Leib- und Magenthema - die Bereicherung ihres Landes durch europäische Lösungen für außereuropäische Migrationswillige - findet in der Qualitätszeitung FAZ seinen Niederschlag in der Berichterstattung über die Mühen der EU-Europäer, unter der langjährigen Ägide des Luxemburger Kommissionspräsidenten Juncker einerseits, unter der halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft des Österreichers Sebastian Kurz andererseits, einen einheitlichen Kurs in der "Flüchtingsfrage" zu bestimmen. Schlicht und einfach ausgedrückt, geht es darum, wie man mit dem anhaltenden Einwanderungsdruck umgehen soll oder will: Außen- und Binnengrenzen auf oder zu? "Festung Europa" oder "Willkommenskontinent"?
Keine Frage, die Materie ist kompliziert, weil Interessen und Moral, Ideologie und Wirklichkeit durcheinandergehen. Wenn man sich auch in der Sommerpause mit dem unendlichen Thema belasten will, trägt leider auch die Berichterstattung ("Mit mangelnder Zurückhaltung, in: FAZ v. 07.07.2018, S. 4) über einen Besuch Junckers bei Kurz in Wien - Themen waren "Schutz der Außengrenzen" sowie der "Brexit"- nur mit äußerster Mühe zur Klärung der Lage bei. Der Autor frappiert den Leser mit folgenden Sätzen bezüglich Kurz´ Rolle als "Brückenbauer": "Im Fokus hat er dabei aber vor allem, die Interessen der in der Migrationspolitik auf seiner Linie liegenden Staaten wie Ungarn oder auch Rumänien vertreten." Offenbar befindet sich der Verfasser nicht auf derselben Linie wir Kurz. Jedenfalls ist ihm dabei die Syntax aus dem Fokus geraten.
Die Gegenposition zu Kurz vertreten Stimmen wie unsere Kanzlerin Merkel, "die reine Konzentration auf den Schutz der Außengrenzen kritisieren und Solidarität mit einer fairen Lastenteilung anmahnen." (Ibid.) Derlei Sprachkunst wäre ehedem - in alten Zeiten des Bleisatzes - am Rotstift des Korrektors gescheitert. Heute gehört sie zum Stil des Frankfurter Qualitätsblattes.
Zum richtigen Verständnis der Materie und zur moralischen Erhebung verhilft ein Artikel von Melanie Mühl ("Je ärmer einer ist, desto fremder kommt er uns vor", ibid., S.13) über die Aktualität eines vor einem Vierteljahrhundert erschienenen Büchleins "Die große Wanderung" von Hans Magnus Enzensberger. Da heißt es in dem Artikel zum Schluß: "Wer versucht, sich, wo es nur geht, zu verbarrikadieren, der verhärtet auch emotional, weil ihn das Schicksal der Schutzsuchenden nicht mehr berühren muss. Die Barbaren stehen nicht vor unseren Toren. Sie sind mitten unter uns. Heute wie früher." In einfachen Sätzen formuliert, ist die Sache endlich wieder klar.
Keine Frage, die Materie ist kompliziert, weil Interessen und Moral, Ideologie und Wirklichkeit durcheinandergehen. Wenn man sich auch in der Sommerpause mit dem unendlichen Thema belasten will, trägt leider auch die Berichterstattung ("Mit mangelnder Zurückhaltung, in: FAZ v. 07.07.2018, S. 4) über einen Besuch Junckers bei Kurz in Wien - Themen waren "Schutz der Außengrenzen" sowie der "Brexit"- nur mit äußerster Mühe zur Klärung der Lage bei. Der Autor frappiert den Leser mit folgenden Sätzen bezüglich Kurz´ Rolle als "Brückenbauer": "Im Fokus hat er dabei aber vor allem, die Interessen der in der Migrationspolitik auf seiner Linie liegenden Staaten wie Ungarn oder auch Rumänien vertreten." Offenbar befindet sich der Verfasser nicht auf derselben Linie wir Kurz. Jedenfalls ist ihm dabei die Syntax aus dem Fokus geraten.
Die Gegenposition zu Kurz vertreten Stimmen wie unsere Kanzlerin Merkel, "die reine Konzentration auf den Schutz der Außengrenzen kritisieren und Solidarität mit einer fairen Lastenteilung anmahnen." (Ibid.) Derlei Sprachkunst wäre ehedem - in alten Zeiten des Bleisatzes - am Rotstift des Korrektors gescheitert. Heute gehört sie zum Stil des Frankfurter Qualitätsblattes.
Zum richtigen Verständnis der Materie und zur moralischen Erhebung verhilft ein Artikel von Melanie Mühl ("Je ärmer einer ist, desto fremder kommt er uns vor", ibid., S.13) über die Aktualität eines vor einem Vierteljahrhundert erschienenen Büchleins "Die große Wanderung" von Hans Magnus Enzensberger. Da heißt es in dem Artikel zum Schluß: "Wer versucht, sich, wo es nur geht, zu verbarrikadieren, der verhärtet auch emotional, weil ihn das Schicksal der Schutzsuchenden nicht mehr berühren muss. Die Barbaren stehen nicht vor unseren Toren. Sie sind mitten unter uns. Heute wie früher." In einfachen Sätzen formuliert, ist die Sache endlich wieder klar.
Mittwoch, 4. Juli 2018
Lingua Angelae
Anstelle eines umfangreichen Blog-Eintrags nur ein zitationswürdiges Diktum unserer ewigen Kanzlerin. Bekanntlich legte sie das Abitur - auch im Fache Deutsch - in Templin, Uckermark, Bezirk Prenzlau (?), DDR, ab. Offenbar gab es dort auch Noten für hervorragende Leistungen im Fach Deutsch als Fremdsprache. (In der erweiterten Bundesrepublik heißt das Fach jetzt Deutsch als Zweitsprache.)
Zitat Merkel:
"Es muss mehr Ordnung in alle Arten von Migration kommen, damit Menschen den Eindruck haben, Recht und Ordnung werden durchgesetzt." - Bemerkung im alsbald fälligen Abiturzeugnis: Die Kanzlerin beeindruckte über Jahre hin durch politische Geradlinigkeit, charakterliche Stärke und Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck.
Zitat Merkel:
"Es muss mehr Ordnung in alle Arten von Migration kommen, damit Menschen den Eindruck haben, Recht und Ordnung werden durchgesetzt." - Bemerkung im alsbald fälligen Abiturzeugnis: Die Kanzlerin beeindruckte über Jahre hin durch politische Geradlinigkeit, charakterliche Stärke und Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck.
Mittwoch, 27. Juni 2018
Historische Grundbegriffe und Zukunftsaussichten anno 2018
I.
Nein, es geht in diesem Blog-Eintrag nicht um das achtbändige Geschichtslexikon, herausgegeben von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, erschienen 1972-2004, welches auch in Zeiten umfassender ("totaler") genderisierten Entgeistigung der Geisteswissenschaften für unideologische historische Arbeit unentbehrlich ist. Nein, es geht in gebotener Kürze um den Niederschlag historischen Grundwissens und entsprechender Grundbegriffe im politischen Raum des Feuilleton der Qualitätszeitung FAZ.
Einige Bekannte von mir haben aus unterschiedlichen Gründen - deutsche Sparsamkeit (siehe die Ausstellung im DHM, Merkelfromme Generallinie, taz-ähnliche Monotonie in der Mehrzahl der Feuilleton-Artikel, sinnverquerende Angriffe auf die Orthographie (vorzugsweise "Referenz", wo es darum geht, einem Dichter oder Denker Achtung zu erweisen) usw. - das Abonnement gekündigt. Aus spezifischen Gründen habe ich mich dem Exodus bislang nicht angeschlossen, vielleicht auch aus sündhafter Eitelkeit. Denn "hinter dieser Zeitung" soll bekanntlich noch immer ein kluger Kopf stecken. Dieser alte Anspruch erhebt den Leser dieser Tage, da die Zeitung auf einer Doppelseite Eigenwerbung betreibt. Auf dem in sanften Brauntönen gehaltenen Foto einer asiatischen Teestube sehen wir - inmitten einer Männerschar und einer ostentativ emanzipatorisch zugesellten Kopftuchschönheit - einen weltläufigen, hinter seiner Zeitung verborgenen "klugen Kopf".
II.
Unlängst belohnte mich der Verlag - mutmaßlich als Entschädigung für eine mehrtägige Nichtzustellung - mit einem (Werbe-)Exemplar des Hochglanz-Produktes "Frankfurter Allgemeine Quarterly". Anstrengende oder - für Leser mit Flugmeilenbonus - eher leichtverdauliche Lektüre? Schwierige Frage. 178 Seiten, inklusive der Werbeseiten, beispielsweise: "Ulrich Tukur fragt: Verdient meine Bank mit meinem Geld mehr als ich. Fragen Sie doch mal uns. qurinprivatbank.de". Auf der linken Seite zuvor geht es um "Offene Fragen" zu "wirklich existentiellen Themen", obenan zu Markus Söders Kreuz-Erlass. Frage 03: "Spürt man in Bayern schon den Effekt. Fühlt man sich dort jetzt christlicher, abendländischer, identischer?" Frage 16: "Gibt es keine wichtigeren Probleme [als die Flüchtlingsdebatte]?" Erheiternd Frage 20: "Wann fordert Horst Seehofer eine Obergrenze für Algorithmen?"
Offenbar zielt das zukunftsorientierte Magazin - im Proust-Fragebogen auf der letzten Seite fragt der/die Interviewer/in: "Wie möchten Sie sterben, Matthias Brandt?" - auf noch klügere Köpfe als das - der Antifa zum Trotz? - noch immer in altdeutscher Fraktur im Titel aufgemachte Tagesleitmedium. Jedenfalls ermutigt das "Quarterly" den Leser zum angstfreien Blick in die Zukunft, nicht zuletzt in der Rubrik "Wirtschaft". Auch da geht es um "Frequently Asked Questions". Ein Bericht über die boomende - unlängst von der Kanzlerin besichtigte - 21-Millionen-Stadt Shenzhen ermuntert den von jäher Zukunftsangst beseelten Leser unter Verweis auf die beispielhaften Lebenserfahrungen Angela Merkels. "Was geschieht, wenn man den Wettbewerb um die Zukunft selbst aufgibt, hat die Kanzlerin in der späten DDR erfahren. Sie hat gesehen, dass ein ganzes System zusammenbricht, wenn es wirtschaftlich nicht mehr mithalten kann. Sie hatte nie die Illusion, dass allein die Bürgerrechtler mit ihrem Ruf nach Demokratie zum Einsturz brachten. Zur Implosion kam es erst, als die Mehrheit an den materiellen Verhältnissen verzweifelte. Deshalb weiß sie: Die Zukunft der Demokratien auf der Welt entscheidet sich auch daran, ob sie noch Lust auf jene Zukunft haben, die in Shenzhen schon zu besichtigen ist." Exemplarisch tritt in derlei Sätzen die bei Marx noch dialektisch gespaltene Einheit von Sein und Bewusstsein hervor.
Merkel ("Ich als Physikerin") macht Hoffnung.Was bedarf es da noch eines Blicks in die Vergangenheit, in die Realgeschichte? Warum an Afghanistan, an das Ende des Kalten Krieges - Folge des von der Sowjetunion verlorenen Rüstungswettlaufs - an Reagan, an Gorbatschow und an Helmut Kohl erinnern? Wir vertrauen auf Angela Merkels nüchtern-kühlen Blick in die postdeutsche Zukunft. Wir schaffen das.
Ganz ohne Geschichte geht es dann im "Quarterly" doch nicht. Als Experte für Historisches, als Kronzeuge dafür, dass "die Deutschen [nicht] nur Gehorsam und Untertanengeist kennen", wird der Grünen-Chef Robert Habeck interviewt. Habeck verpasste als Zwanzigjähriger leider den 9. November 1989, was ihn "heute total ärgert". Er hat indes mit seiner Ehefrau ein Theaterstück "Neunzehnachtzehn" über den die Novemberrevolution auslösenden Matrosenaufstand in Kiel verfasst. (Adnote H.A.: Die Männer hatten recht, als sie die Kessel löschten, um sich nicht in einer "letzten" Prestigeschlacht verheizen zu lassen.) Habeck freut sich, dass am Ende der Aufführung seines Stückes 2008 auch ranghohe Marineoffiziere lange klatschten.
Das Verhältnis zu revolutionärer Gewalt ist bei Habeck nicht ganz eindeutig zu definieren. Er seziert die Dialektik der Revolution, etwa der Französischen, wo "der Mordrausch das Gute [vernichtete], für das sie einst eintrat." Gewalt - wie zuletzt beim G-20-Gipfel in Hamburg - ist nicht seine Sache. "Scheiben einschmeißen ändert nicht die Politik. Das ist die falsche Projektion einer Haltung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aus einer totalitären Kaiserzeit auf die Gegenwart." - Mit dieser ins Kaiserreich projezierten Ausweitung des Totalitarismusbegriffs findet der Grünen-Vorsitzende Habeck womöglich auch bei bei Katja Kipping und der Geschichtskommission der "Linke"-Partei Zustimmung.
III.
"Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen", heißt es bei George Santayana. Gegen derlei Verdammnis sind wir Deutschen dank einer Vielzahl von Gedenktagen und - jahren (siehe auch oben) mutmaßlich geschützt, es sei denn, der AfD gelinge schon morgen die Machtergreifung im Bündnis mit einer preußisch-deutschnational umgefärbten CSU. Glücklicherweise ist auch das Jahr 2018 wieder reichlich mit Gedenkdaten ausgestattet, darunter die Erinnerung an den Prager Fenstersturz und den Dreißigjährigen Krieg.
Die potenzielle politische Zwecknutzung des Dreißigjährigen Krieges liegt in der Vorstellung eines "Westfälischen Friedens" (siehe H.A.: https://www.iablis.de/iablis/themen/2016-die-korruption-der-oeffentlichen-dinge/rezensionen-2016/115-kissingers-amerikanische-weltordnung) zur hinlänglichen Befriedung einer noch immer unfriedlichen multipolaren Welt. Die Verknüpfung des spätestens mit dem zweiten Golfkrieg über den Nahen Osten hereingebrochenen Chaos, insbesondere mit dem seit 2011 andauernden Gemetzel in Syrien liegt nahe. Eben dies unternimmt die TV-Dokumentation "Glaube, Leben, Sterben" anhand der überlieferten Selbstzeugnisse von fünf Zeitzeugen - darunter die lutherische Bäuerin Martha Küzinger aus Oberösterreich - des "Teutschen Krieges".
In der Kritik des Doku-Dramas mit fünf Personen (Heike Huppertz: "Als die Mordbrenner die Gaukler ablösten") war in der FAZ (v. 15.06.2018, S. 16) folgendes zu erfahren: Der Calvinist Hans de Witte fungierte von Prag aus "als Finanzier des katholischen Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen" (bis er fallierte und Selbstmord beging). Der Jesuitenpater Jeremias Drexel sei "im Tross des bayerischen Königs Maximilian erst gegen die Böhmen und dann sozusagen gegen des Rest des Abendlandes zu Felde gezogen".
Die Feuilleton-Kritikerin empfahl das Werk dem "breiten Populärpublikum" auch dafür, dass es "die großen Linien des ereignisgeschichtlichen Schulbuchwissens ...im Vorübergehen auf kursorische, aber doch gründliche Weise mitserviert." - Gewiss doch, im Sinne politischer Bildung geht es zuvörderst um die großen Linien, erst in zweiter oder dritter Linie um für die lebendige Demokratie eigentlich unnötige Grundkenntnisse. Auch bei Begriffen sollte man nicht zu pingelig sein, außer um deutschem Größenwahn entgegenzuarbeiten. Wir sollten uns als Deutsche (und Österreicher) mit einer - im 15. Jahrhundert dem Namen des Reiches hinzugefügten - "Deutschen Nation" im Zuge historischer Amnesie nahezu vergessenen Heiligen Römischen Reich bescheiden. Auch die CSU in Bayern sollte mit einer historisch vorzeitigen Rangerhöhung des bayerischen Zweiges des Hauses Wittelsbach - Kurfürsten erst ab 1623, Könige erst ab 1806 - vorsichtiger umgehen. Hochmut kommt vor dem Fall.
Über mehr Bescheidenheit, über solidere historische Grundkenntnisse - und über die richtigen Grundbegriffe der heutzutage allein maßgeblichen Ökologie - verfügt fraglos der bayerische MdB Anton Hofreiter. Ob er das Doku-Drama gesehen hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls findet er - nicht anders als die Mehrheit aller Abgeordneten, nicht nur der Grünen, im Bundestag - die Analogie zwischen dem "Teutschen Krieg" und dem Glaubenskrieg in Syrien unmittelbar einleuchtend.
Nein, es geht in diesem Blog-Eintrag nicht um das achtbändige Geschichtslexikon, herausgegeben von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, erschienen 1972-2004, welches auch in Zeiten umfassender ("totaler") genderisierten Entgeistigung der Geisteswissenschaften für unideologische historische Arbeit unentbehrlich ist. Nein, es geht in gebotener Kürze um den Niederschlag historischen Grundwissens und entsprechender Grundbegriffe im politischen Raum des Feuilleton der Qualitätszeitung FAZ.
Einige Bekannte von mir haben aus unterschiedlichen Gründen - deutsche Sparsamkeit (siehe die Ausstellung im DHM, Merkelfromme Generallinie, taz-ähnliche Monotonie in der Mehrzahl der Feuilleton-Artikel, sinnverquerende Angriffe auf die Orthographie (vorzugsweise "Referenz", wo es darum geht, einem Dichter oder Denker Achtung zu erweisen) usw. - das Abonnement gekündigt. Aus spezifischen Gründen habe ich mich dem Exodus bislang nicht angeschlossen, vielleicht auch aus sündhafter Eitelkeit. Denn "hinter dieser Zeitung" soll bekanntlich noch immer ein kluger Kopf stecken. Dieser alte Anspruch erhebt den Leser dieser Tage, da die Zeitung auf einer Doppelseite Eigenwerbung betreibt. Auf dem in sanften Brauntönen gehaltenen Foto einer asiatischen Teestube sehen wir - inmitten einer Männerschar und einer ostentativ emanzipatorisch zugesellten Kopftuchschönheit - einen weltläufigen, hinter seiner Zeitung verborgenen "klugen Kopf".
II.
Unlängst belohnte mich der Verlag - mutmaßlich als Entschädigung für eine mehrtägige Nichtzustellung - mit einem (Werbe-)Exemplar des Hochglanz-Produktes "Frankfurter Allgemeine Quarterly". Anstrengende oder - für Leser mit Flugmeilenbonus - eher leichtverdauliche Lektüre? Schwierige Frage. 178 Seiten, inklusive der Werbeseiten, beispielsweise: "Ulrich Tukur fragt: Verdient meine Bank mit meinem Geld mehr als ich. Fragen Sie doch mal uns. qurinprivatbank.de". Auf der linken Seite zuvor geht es um "Offene Fragen" zu "wirklich existentiellen Themen", obenan zu Markus Söders Kreuz-Erlass. Frage 03: "Spürt man in Bayern schon den Effekt. Fühlt man sich dort jetzt christlicher, abendländischer, identischer?" Frage 16: "Gibt es keine wichtigeren Probleme [als die Flüchtlingsdebatte]?" Erheiternd Frage 20: "Wann fordert Horst Seehofer eine Obergrenze für Algorithmen?"
Offenbar zielt das zukunftsorientierte Magazin - im Proust-Fragebogen auf der letzten Seite fragt der/die Interviewer/in: "Wie möchten Sie sterben, Matthias Brandt?" - auf noch klügere Köpfe als das - der Antifa zum Trotz? - noch immer in altdeutscher Fraktur im Titel aufgemachte Tagesleitmedium. Jedenfalls ermutigt das "Quarterly" den Leser zum angstfreien Blick in die Zukunft, nicht zuletzt in der Rubrik "Wirtschaft". Auch da geht es um "Frequently Asked Questions". Ein Bericht über die boomende - unlängst von der Kanzlerin besichtigte - 21-Millionen-Stadt Shenzhen ermuntert den von jäher Zukunftsangst beseelten Leser unter Verweis auf die beispielhaften Lebenserfahrungen Angela Merkels. "Was geschieht, wenn man den Wettbewerb um die Zukunft selbst aufgibt, hat die Kanzlerin in der späten DDR erfahren. Sie hat gesehen, dass ein ganzes System zusammenbricht, wenn es wirtschaftlich nicht mehr mithalten kann. Sie hatte nie die Illusion, dass allein die Bürgerrechtler mit ihrem Ruf nach Demokratie zum Einsturz brachten. Zur Implosion kam es erst, als die Mehrheit an den materiellen Verhältnissen verzweifelte. Deshalb weiß sie: Die Zukunft der Demokratien auf der Welt entscheidet sich auch daran, ob sie noch Lust auf jene Zukunft haben, die in Shenzhen schon zu besichtigen ist." Exemplarisch tritt in derlei Sätzen die bei Marx noch dialektisch gespaltene Einheit von Sein und Bewusstsein hervor.
Merkel ("Ich als Physikerin") macht Hoffnung.Was bedarf es da noch eines Blicks in die Vergangenheit, in die Realgeschichte? Warum an Afghanistan, an das Ende des Kalten Krieges - Folge des von der Sowjetunion verlorenen Rüstungswettlaufs - an Reagan, an Gorbatschow und an Helmut Kohl erinnern? Wir vertrauen auf Angela Merkels nüchtern-kühlen Blick in die postdeutsche Zukunft. Wir schaffen das.
Ganz ohne Geschichte geht es dann im "Quarterly" doch nicht. Als Experte für Historisches, als Kronzeuge dafür, dass "die Deutschen [nicht] nur Gehorsam und Untertanengeist kennen", wird der Grünen-Chef Robert Habeck interviewt. Habeck verpasste als Zwanzigjähriger leider den 9. November 1989, was ihn "heute total ärgert". Er hat indes mit seiner Ehefrau ein Theaterstück "Neunzehnachtzehn" über den die Novemberrevolution auslösenden Matrosenaufstand in Kiel verfasst. (Adnote H.A.: Die Männer hatten recht, als sie die Kessel löschten, um sich nicht in einer "letzten" Prestigeschlacht verheizen zu lassen.) Habeck freut sich, dass am Ende der Aufführung seines Stückes 2008 auch ranghohe Marineoffiziere lange klatschten.
Das Verhältnis zu revolutionärer Gewalt ist bei Habeck nicht ganz eindeutig zu definieren. Er seziert die Dialektik der Revolution, etwa der Französischen, wo "der Mordrausch das Gute [vernichtete], für das sie einst eintrat." Gewalt - wie zuletzt beim G-20-Gipfel in Hamburg - ist nicht seine Sache. "Scheiben einschmeißen ändert nicht die Politik. Das ist die falsche Projektion einer Haltung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aus einer totalitären Kaiserzeit auf die Gegenwart." - Mit dieser ins Kaiserreich projezierten Ausweitung des Totalitarismusbegriffs findet der Grünen-Vorsitzende Habeck womöglich auch bei bei Katja Kipping und der Geschichtskommission der "Linke"-Partei Zustimmung.
III.
"Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen", heißt es bei George Santayana. Gegen derlei Verdammnis sind wir Deutschen dank einer Vielzahl von Gedenktagen und - jahren (siehe auch oben) mutmaßlich geschützt, es sei denn, der AfD gelinge schon morgen die Machtergreifung im Bündnis mit einer preußisch-deutschnational umgefärbten CSU. Glücklicherweise ist auch das Jahr 2018 wieder reichlich mit Gedenkdaten ausgestattet, darunter die Erinnerung an den Prager Fenstersturz und den Dreißigjährigen Krieg.
Die potenzielle politische Zwecknutzung des Dreißigjährigen Krieges liegt in der Vorstellung eines "Westfälischen Friedens" (siehe H.A.: https://www.iablis.de/iablis/themen/2016-die-korruption-der-oeffentlichen-dinge/rezensionen-2016/115-kissingers-amerikanische-weltordnung) zur hinlänglichen Befriedung einer noch immer unfriedlichen multipolaren Welt. Die Verknüpfung des spätestens mit dem zweiten Golfkrieg über den Nahen Osten hereingebrochenen Chaos, insbesondere mit dem seit 2011 andauernden Gemetzel in Syrien liegt nahe. Eben dies unternimmt die TV-Dokumentation "Glaube, Leben, Sterben" anhand der überlieferten Selbstzeugnisse von fünf Zeitzeugen - darunter die lutherische Bäuerin Martha Küzinger aus Oberösterreich - des "Teutschen Krieges".
In der Kritik des Doku-Dramas mit fünf Personen (Heike Huppertz: "Als die Mordbrenner die Gaukler ablösten") war in der FAZ (v. 15.06.2018, S. 16) folgendes zu erfahren: Der Calvinist Hans de Witte fungierte von Prag aus "als Finanzier des katholischen Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen" (bis er fallierte und Selbstmord beging). Der Jesuitenpater Jeremias Drexel sei "im Tross des bayerischen Königs Maximilian erst gegen die Böhmen und dann sozusagen gegen des Rest des Abendlandes zu Felde gezogen".
Die Feuilleton-Kritikerin empfahl das Werk dem "breiten Populärpublikum" auch dafür, dass es "die großen Linien des ereignisgeschichtlichen Schulbuchwissens ...im Vorübergehen auf kursorische, aber doch gründliche Weise mitserviert." - Gewiss doch, im Sinne politischer Bildung geht es zuvörderst um die großen Linien, erst in zweiter oder dritter Linie um für die lebendige Demokratie eigentlich unnötige Grundkenntnisse. Auch bei Begriffen sollte man nicht zu pingelig sein, außer um deutschem Größenwahn entgegenzuarbeiten. Wir sollten uns als Deutsche (und Österreicher) mit einer - im 15. Jahrhundert dem Namen des Reiches hinzugefügten - "Deutschen Nation" im Zuge historischer Amnesie nahezu vergessenen Heiligen Römischen Reich bescheiden. Auch die CSU in Bayern sollte mit einer historisch vorzeitigen Rangerhöhung des bayerischen Zweiges des Hauses Wittelsbach - Kurfürsten erst ab 1623, Könige erst ab 1806 - vorsichtiger umgehen. Hochmut kommt vor dem Fall.
Über mehr Bescheidenheit, über solidere historische Grundkenntnisse - und über die richtigen Grundbegriffe der heutzutage allein maßgeblichen Ökologie - verfügt fraglos der bayerische MdB Anton Hofreiter. Ob er das Doku-Drama gesehen hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls findet er - nicht anders als die Mehrheit aller Abgeordneten, nicht nur der Grünen, im Bundestag - die Analogie zwischen dem "Teutschen Krieg" und dem Glaubenskrieg in Syrien unmittelbar einleuchtend.
Donnerstag, 14. Juni 2018
Merkels Truppe vor dem Endsieg
Vor ein paar Wochen outete sich Angela Merkel wieder mal als patriotische Fußball-Fanin (gendergerechtes und natürlich-geschlechtliches Suffix). Ungeachtet ihrer immensen Arbeitsbelastung als Bundeskanzlerin, fand sie in ihrem Terminkalender genügend Zeit und Muße, "unsere Mannschaft" im Traningscamp zu besuchen. Sie weiß, in schwierigen Zeiten - wie in der sich unendlich hinziehenden "Flüchtlingskrise" - müssen wir, die schon länger hier leben, und diejenigen, die noch nicht so lange hier leben, zusammenhalten. Das von Herzen kommende, patriotische "Wir-Gefühl" bedarf - anders als der Habermas-Rothsche Verfassungspatriotismus - von Zeit zu Zeit der emotionalen Stärkung, vor allem wenn das Volk, der alte Lümmel, anfängt zu grummeln. Im Fußballkrieg geht kein Deutscher von der Fahne.
Das weiß auch Merkel. Frage: Rührt ihre Begeisterung für den deutschen Fußball, für "unsere" Nationalelf, allein daher? Vor Augen treten TV-Bilder, wo wir unsere Kanzlerin in liebesrotem Blazer die Arme hochreißend über ein Tor unserer Truppe jubeln sehen. Die Frau ist also zu Emotionen fähig. Ihre Fußballbegeisterung schweißt - im Rhythmus von EM und WM - das Volk als Post-Nation zusammen.
Für ein paar Wochen dürfen, ja sollen auch Fahnen geschwenkt werden. Selbst Tante Antifa muss im Kampf gegen den Nationalismus eine Pause einlegen. Und die - erkennbar naivere - Seelenverwandte Karin Göring-Eckardt springt ihrer Kanzlerin bei, indem sie auch türkische Fahnen geschwenkt sehen möchte, da oder obgleich Erdogans Truppe in Russland nicht mitmachen darf. Außerdem kämpfen mit Özil und Gündogan zwei bekennende Herzenstürken und Erdogan-Anhänger in Russlands Stadien für den deutschen Endsieg. Den beiden Millionenverdienern sowie der ganzen deutschen Löw- Mannschaft galt Merkels Besuch im Trainingslager zu Eppan, Südtirol. Merkel, protestantische Pfarrerstochter, trat dort als Seelsorgerin auf. Sie sorgte sich darum, dass die deutsche Volksseele angesichts von Jogi Löws - Grünen-Deputierter bei der Wahl des Bundespräsidenten - Nationalelf beim "public viewing" - oder gar in russischen Stadien - sich nicht in Pfeifkonzerten ergießen möge.
Derlei "hässliche" Bilder könnten Merkels Image als krisenfeste Kanzlerin beschädigen. Denn Politiker und Sportsoziologen wissen: Fußball war noch nie die wichtigste Nebensache der Welt. Er ist auf allen Ebenen seiner Inszenierung - von der Vergabe der WM an Länder wie Qatar oder jüngst an die von Trump gefährdete nordamerikanische Staatengemeinschaft über die vermeintlich völkerverbindenden Schlachten bei der WM oder EM ("Respekt") bis hin zu dem Gejohle und den Prügeleien in der "Fankurve" der Stadien - ein Politikum. Wer bei Fußballspielen "seiner" Mannschaft sich nicht in der Ehrenloge sehen lässt, hat als Politiker beim (lokal-)patriotischen Wahlvolk schlechte Chancen.
Für ein paar Tage oder Wochen - je nach Laune des Fußballkriegsgottes - darf sich Merkel über die möglichen Erfolge von Löws Truppe - ihrer Truppe - in Russland freuen. Sie weiß um die angeschlagene Moral ihrer Mannschaft und ihres Volkes nach den politischen Verfehlungen der Migrantensöhne Mesut und Ilkay. Und auch wir wissen, dass Merkel auf einen deutschen Endsieg hofft. Denn das Fußballspektakel, glaubt Merkel, lenkt das Volk für ein paar Wochen von seinem Unmut über die ewige "Flüchtlingskrise" ab.
Darüberhinaus ist das heute eröffnete schwarz-rot-goldene Fahnenspektakel - von noch ungewisser Dauer - auf den Straßen und in den Kneipen geeignet, das Volk von seiner "kollektiv" erlittenen - und unter veränderten Umständen erleidenden - Geschichte abzulenken. Zwei Geschichtsdaten zur Erinnerung: 1) Am 16. Juni 1953 legten die Bauarbeiter auf der Stalinallee ihre Arbeit nieder - die Ouvertüre zum Volksaufstand am 17. Juni (ehedem "Tag der deutschen Einheit"). 2) Am 22. Juni 1941 eröffnete Hitler seinen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Anders als in Merkels Multikulti-Deutschland ist das Datum in Russland unvergessen.
Was Merkels termingerecht erwachten Fußballpatriotismus betrifft, so finden wir die Erklärung in Roland Tichys jüngstem Kommentar (unter der Überschrift "Merkel oder die Morde, die Deutschland verändern"https://www.tichyseinblick.de/tichys-einblick/merkel-oder-morde-die-deutschland-veraendern/ ): "Ihr Scheitern ist offensichtlich: Ein früher vorzüglich verwaltetes Land versinkt in einem Strudel des Staatsversagens. Seine Institutionen sind der Lächerlichkeit preisgegeben – das Parlament ebenso wie Polizei und Gerichtsbarkeit; der so schmerzhaft sanierte Sozialstaat wird geplündert; die Bundeswehr kümmert sich um Babyausstattung und, man glaubt es nicht, um Luftregulierung in den Schützenpanzern, die auch Schwangeren den Einsatz erlauben sollen.
Aber Merkel bleibt. Eisern. Wie festgeklebt. Die Pattex-Kanzlerin hätte längst zurücktreten müssen, schreibt der britische Historiker Niall Ferguson. Mehr Regierung gegen das eigene, ungeliebte Volk war nie."
Das weiß auch Merkel. Frage: Rührt ihre Begeisterung für den deutschen Fußball, für "unsere" Nationalelf, allein daher? Vor Augen treten TV-Bilder, wo wir unsere Kanzlerin in liebesrotem Blazer die Arme hochreißend über ein Tor unserer Truppe jubeln sehen. Die Frau ist also zu Emotionen fähig. Ihre Fußballbegeisterung schweißt - im Rhythmus von EM und WM - das Volk als Post-Nation zusammen.
Für ein paar Wochen dürfen, ja sollen auch Fahnen geschwenkt werden. Selbst Tante Antifa muss im Kampf gegen den Nationalismus eine Pause einlegen. Und die - erkennbar naivere - Seelenverwandte Karin Göring-Eckardt springt ihrer Kanzlerin bei, indem sie auch türkische Fahnen geschwenkt sehen möchte, da oder obgleich Erdogans Truppe in Russland nicht mitmachen darf. Außerdem kämpfen mit Özil und Gündogan zwei bekennende Herzenstürken und Erdogan-Anhänger in Russlands Stadien für den deutschen Endsieg. Den beiden Millionenverdienern sowie der ganzen deutschen Löw- Mannschaft galt Merkels Besuch im Trainingslager zu Eppan, Südtirol. Merkel, protestantische Pfarrerstochter, trat dort als Seelsorgerin auf. Sie sorgte sich darum, dass die deutsche Volksseele angesichts von Jogi Löws - Grünen-Deputierter bei der Wahl des Bundespräsidenten - Nationalelf beim "public viewing" - oder gar in russischen Stadien - sich nicht in Pfeifkonzerten ergießen möge.
Derlei "hässliche" Bilder könnten Merkels Image als krisenfeste Kanzlerin beschädigen. Denn Politiker und Sportsoziologen wissen: Fußball war noch nie die wichtigste Nebensache der Welt. Er ist auf allen Ebenen seiner Inszenierung - von der Vergabe der WM an Länder wie Qatar oder jüngst an die von Trump gefährdete nordamerikanische Staatengemeinschaft über die vermeintlich völkerverbindenden Schlachten bei der WM oder EM ("Respekt") bis hin zu dem Gejohle und den Prügeleien in der "Fankurve" der Stadien - ein Politikum. Wer bei Fußballspielen "seiner" Mannschaft sich nicht in der Ehrenloge sehen lässt, hat als Politiker beim (lokal-)patriotischen Wahlvolk schlechte Chancen.
Für ein paar Tage oder Wochen - je nach Laune des Fußballkriegsgottes - darf sich Merkel über die möglichen Erfolge von Löws Truppe - ihrer Truppe - in Russland freuen. Sie weiß um die angeschlagene Moral ihrer Mannschaft und ihres Volkes nach den politischen Verfehlungen der Migrantensöhne Mesut und Ilkay. Und auch wir wissen, dass Merkel auf einen deutschen Endsieg hofft. Denn das Fußballspektakel, glaubt Merkel, lenkt das Volk für ein paar Wochen von seinem Unmut über die ewige "Flüchtlingskrise" ab.
Darüberhinaus ist das heute eröffnete schwarz-rot-goldene Fahnenspektakel - von noch ungewisser Dauer - auf den Straßen und in den Kneipen geeignet, das Volk von seiner "kollektiv" erlittenen - und unter veränderten Umständen erleidenden - Geschichte abzulenken. Zwei Geschichtsdaten zur Erinnerung: 1) Am 16. Juni 1953 legten die Bauarbeiter auf der Stalinallee ihre Arbeit nieder - die Ouvertüre zum Volksaufstand am 17. Juni (ehedem "Tag der deutschen Einheit"). 2) Am 22. Juni 1941 eröffnete Hitler seinen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Anders als in Merkels Multikulti-Deutschland ist das Datum in Russland unvergessen.
Was Merkels termingerecht erwachten Fußballpatriotismus betrifft, so finden wir die Erklärung in Roland Tichys jüngstem Kommentar (unter der Überschrift "Merkel oder die Morde, die Deutschland verändern"https://www.tichyseinblick.de/tichys-einblick/merkel-oder-morde-die-deutschland-veraendern/ ): "Ihr Scheitern ist offensichtlich: Ein früher vorzüglich verwaltetes Land versinkt in einem Strudel des Staatsversagens. Seine Institutionen sind der Lächerlichkeit preisgegeben – das Parlament ebenso wie Polizei und Gerichtsbarkeit; der so schmerzhaft sanierte Sozialstaat wird geplündert; die Bundeswehr kümmert sich um Babyausstattung und, man glaubt es nicht, um Luftregulierung in den Schützenpanzern, die auch Schwangeren den Einsatz erlauben sollen.
Aber Merkel bleibt. Eisern. Wie festgeklebt. Die Pattex-Kanzlerin hätte längst zurücktreten müssen, schreibt der britische Historiker Niall Ferguson. Mehr Regierung gegen das eigene, ungeliebte Volk war nie."
Freitag, 1. Juni 2018
Biographische Rückschau auf "1968"
Auf Facebook, dem so bescheuerten wie - leider - unentbehrlichen, wenn auch gemäßigter Zensur unterliegendem Kommunikationsraum deutscher Dissidenten, kündigte Cora Stephan eine Veranstaltung an: "Früher traf man sich im Republikanischen Club, heute in der Bibliothek des Konservativismus". Die Botschaft kam sicher auch bei Tante Antifa an, die auf Teilnahme indes verzichtete, mutmaßlich da sie ihre politische Energie im Dienste der Demokratie gegen die "Konservativen", d.h. gegen "Rechts", gewöhnlich erst in nächtlichen Morgenstunden entfaltet. Die erwähnte Bibliothek in der Charlottenburger Fasanenstraße erfreut sich regelmäßig derartiger, von demokratischer "Wut" inspirierter Visiten.
An einem klimabedenklich hochsommerlichen Maienabend hatte die Bibliothek vier namhafte Persönlichkeiten (besser "Menschen", am./engl. humans, substantiviertes Adjektiv unter Weglassung des Bezugsworts beings) zu einer Podiumsdiskussion zum Thema "Kulturbruch ´68?" geladen: Jörg Friedrich, Bettina Röhl, Cora Stephan und Gerd Held. Sie gehören jener Kategorie von Selbstdenkenden an, die Thomas Schmid, Frankfurter Alt-68er und emeritierter Chefredakteur der "Welt", auf seinem Blog als ins konservative Lager übergewechselte "Ex-Linke", sprich Renegaten, identifiziert hat.
Das Thema, mit einem nicht ganz ernst gemeinten Fragezeichen versehen, war dem Titel des jüngsten Buches des unbeirrt "neurechten" Vordenkers Karlheinz Weißmann entnommen. "1968" ist der einzige Geschichtsmythos, der in der ahistorisch-postnationalen Bundesrepublik an nationalen Mythen übrig geblieben ist. Nach weithin akzeptierter Selbstinterpretation linksgrüner Protagonisten handelt es sich um die eigentliche "Zweitgründung" der (west-)deutschen Nachkriegsdemokratie. In den Augen ihrer Gegner sind die "Achtundsechziger" für alles Unheil der Gegenwart - Multikulti, Masseneinwanderung, Auflösung aller "Werte" usw. - verantwortlich. Die triviale, ironische historische Wahrheit bleibt bei derlei Ideologiegefechten auf der Strecke. Sie besteht zum einen darin, dass die von sozialistisch-kommunistischen Utopien besessenen "Revolutionäre" von damals die revolutionäre Dynamik des globalen Kapitalismus beschleunigten und zum anderen darin, dass "Emanzipation" von Grünen-Frontfrauen heute vornehmlich als Kampf für das Kopftuch betrieben wird.
Aufgefordert zu biographischen Auskünften, boten die Diskutanten Jörg Friedrich (Geburtsjahr 1944), Cora Stephan (geb. 1951), Bettina Röhl (geb. 1962) und Gerd Held (geb. 1951) - der Altersdifferenz entsprechend - allerlei Erhellendes zum diesjährigen Dauerthema "1968". Bettina Röhl, als Kind Objekt und Opfer ideologischen Wahns, seit langem unerbittliche Kritikerin des Mythos und seiner Inkarnationen (e.g. Joschka Fischer), erinnerte sich aus ihrer Kindheit an Auftritte des ungekämmten Rudi Dutschke im Hause Röhl-Meinhof (also noch vor dem Hinauswurf des "Konkret"-Gründers Röhl und vor Ulrike Meinhofs Abtauchen in den Untergrund im Mai 1970). In früher Kindheit erlebte sie eine Art duale Sozialisation: morgens in noch eher bürgerlichen Familienverhältnissen, nachmittags im "antiautoritären" Kinderladen. Amüsant ihr Bericht über jugendlichen "Widerstand" gegen den neulinken Geist an einem Hamburger Gymnasium, wo sich die Schüler sträubten, den herumlümmelnden Lehrer mit "Rolf" anzureden und zu duzen. Sie wollten lieber etwas lernen.
Cora Stephan gehörte zu den jüngeren Aktivistinnen der Revolte. Ihre Karriere begann - durchaus repressionsfrei - als Redakteurin bei der Schülerzeitung, sodann im AUSS (Abkürzung für eine der allerorts aufspringenden sozialistischen Schülergruppen). Ihre Liebe zu "´68" entdeckte sie als Schülerin im "swinging London", über die Beatles und die amerikanische Folk-Musik. Als Studentin ackerte sie sich - für wissenschaftliche Arbeit (eine Examensarbeit über Rudolf Hilferding) nutzbringend - durch das Marxsche "Kapital" und andere blaue MEW-Bände. Aus ihrer Frankfurter Sekte - im typischen Umschwung zu revolutionärer Verbissenheit - schloss man sie wegen "Hedonismus" aus. Die meisten westdeutschen "Neulinken" lebten in ihrer heilen Welt der Revolution, ohne die deutschen Zustände jenseits der Mauer zur Kenntnis nehmen zu wollen.
Gerd Held, wie Röhl und Stephan Autor auf der "Achse des Guten", erlebte seine "linke" Initiation bei einer Vietnam-Demonstration, wo die Protestierer die nationale Parole "USA-SA-SS" skandierten. Schon als Schüler wurde er - womöglich gerade wegen seiner ausgezeichneten Leistungen an einem liberalen Gymnasium in Osnabrück - anno 1970 Mitglied des maoistischen KBW, der - unter der Ägide Joscha Schmierers, des späteren Fischer-Adlatus im AA - den Adepten revolutionäre Betriebsarbeit (samt einer Revolutionssteuer von 10 Prozent des Einkommens) verordnete. Er blieb in dieser doktrinären K-Gruppe bis zu deren Selbstauflösung 1982, die einherging mit der Kaperung der "grünen" Bewegung durch die bis dato konkurrierenden "linken" Sekten. Erst danach ging er an die Universität, wo er seine späte akademische Karriere als Privatdozent für Regional- und Stadtplanung beendete. Sein in Praxis und Theorie geschulter Sachverstand vermag "grünen" Konzepten - die ins Grüne abgewandelte Zwangsbeglückung von "´68" -, erst recht der moralisch aufgeladenen Naivität einer Claudia Roth oder Karin Göring-Eckardt keinen Charme abzugewinnen.
Am schärfsten attackierte rückblickend der Historiker Jörg Friedrich, der älteste in der Runde der vemeintlichen "Renegaten", den revolutionären "Geist von ´68". Er schilderte seine Bekehrung zum Revolutionär: Nach West-Berlin gefahren, um dem Wehrdienst zu entgehen und zu studieren, erweckten Mao- und sonstige Plakate in einer Wohngemeinschaft bei ihm zunächst nur Befremden und Interesse. Binnen einer Woche jedoch hatte er sich im neuen Milieu in einen glühenden Revolutionär verwandelt: Man verfügte jetzt über eine Theorie, hatte auf alle Fragen die einzig richtige Antwort (i.e. der US-Kapitalismus-Imperialismus), fühlte sich als revolutionäre Avantgarde den vom Kapital manipulierten, jedoch irgendwie, wenn nötig mit Gewalt, zu erweckenden Volksmassen haushoch überlegen. Die "Gewaltfrage" hatte man im Sinne der befreienden Gewalt eindeutig entschieden. In den zahllosen Kneipen entlang der Schlüterstraße bewegten sich die Studenten in ihrem "revolutionär" abgeschirmten Binnenmilieu.
Zum Verständnis von "1968" gehört dessen Vorgeschichte. Friedrichs pointiert vorgetragene Ausführungen trugen einiges - den jüngeren Zeitgenossen, ob mehrheitlich modisch-linksgrün oder minoritär "neurechts" weithin unbekannt - zum besseren Verstehen der Empfindungen seiner Generation bei. In der - in bürgerlichen Verhältnissen aufwachsenden, von kontinuierlich wachsendem Wohlstand profitierenden - Nachkriegsgeneration tat sich ein innerer Spalt auf. Auf der einen Seite begeisterte man sich - auch in Abwendung von den kompromittierten deutschen Traditionen - für die französische und amerikanische Kultur, man identifizierte sich mit den humanistischen Ideen der westlichen Demokratie, auf der anderen Seite sah man, dass Frankreich im Algerienkrieg, die Belgier im Kongo, die USA in Vietnam mit brutaler Gewalt, mit Folter und Napalmbomben ihre humanistischen Prinzipien und Proklamationen widerlegten. Und dagegen erhoben sich - mit befreiender Gewalt - die Völker der Dritten Welt, die "Verdammten dieser Erde" (Frantz Fanon).
Über den erwähnten inneren Zwiespalt setzten sich die ´68er "Revolutionäre" durch Identifikation mit der Dritten Welt hinweg. Die zuvor noch gepflegte - und in der Identifikation mit dem amerikanischen Vietnam-Protest und dessen Folklore weiterhin kultivierte - Wertschätzung der USA schlug in Hass auf den "US-Imperialismus" um - ein befriedigender Seelenzustand. Vergessen war die Absage eines Albert Camus an den in der Nachkriegszeit stalinistisch eingefärbten, jetzt die Revolution, Fidel Castro und den toten Che Guevara preisenden Jean-Paul Sartre. Für den aus dem von den Nazis ins Exil gezwungenen, ins zerstörte Deutschland zurückgekehrten Willy Brandt, Außenminister unter Bundeskanzler Kiesinger - dem die ach so couragierte "Antifaschistin" Beate Klarsfeld eine Ohrfeige verpasste -, hegte man nichts als Verachtung.
Zu den spezifisch deutschen Tiefenschichten der "Kulturrevolution von ´68" drang gleichwohl weder die Diskussionsrunde noch das unter der Hitze leidende Publikum vor. Einigkeit herrschte, dass von der von Rudi Dutschke (anstelle der von der RAF mörderisch praktizierten "revolutionären" Gewalt) proklamierte - und ausgehend von den "68ern" über mehrere Generationen der Bundesrepublik hinweg geführte - "Marsch durch die Institutionen" hinweg zum totalen Erfolg geführt hat. Immerhin endete der Abend nicht in allgemeinem Lamento über die "linken" gründeutschen Zustände unter der CDU-Kanzlerin Merkel. Auch die Frage, warum die Eliten der - realiter demokratisch-liberalen - westdeutschen Gesellschaft sich vor fünfzig Jahren von den 68er-"Revolutionären" kampflos überwältigen ließen, wurde nicht gestellt.
An einem klimabedenklich hochsommerlichen Maienabend hatte die Bibliothek vier namhafte Persönlichkeiten (besser "Menschen", am./engl. humans, substantiviertes Adjektiv unter Weglassung des Bezugsworts beings) zu einer Podiumsdiskussion zum Thema "Kulturbruch ´68?" geladen: Jörg Friedrich, Bettina Röhl, Cora Stephan und Gerd Held. Sie gehören jener Kategorie von Selbstdenkenden an, die Thomas Schmid, Frankfurter Alt-68er und emeritierter Chefredakteur der "Welt", auf seinem Blog als ins konservative Lager übergewechselte "Ex-Linke", sprich Renegaten, identifiziert hat.
Das Thema, mit einem nicht ganz ernst gemeinten Fragezeichen versehen, war dem Titel des jüngsten Buches des unbeirrt "neurechten" Vordenkers Karlheinz Weißmann entnommen. "1968" ist der einzige Geschichtsmythos, der in der ahistorisch-postnationalen Bundesrepublik an nationalen Mythen übrig geblieben ist. Nach weithin akzeptierter Selbstinterpretation linksgrüner Protagonisten handelt es sich um die eigentliche "Zweitgründung" der (west-)deutschen Nachkriegsdemokratie. In den Augen ihrer Gegner sind die "Achtundsechziger" für alles Unheil der Gegenwart - Multikulti, Masseneinwanderung, Auflösung aller "Werte" usw. - verantwortlich. Die triviale, ironische historische Wahrheit bleibt bei derlei Ideologiegefechten auf der Strecke. Sie besteht zum einen darin, dass die von sozialistisch-kommunistischen Utopien besessenen "Revolutionäre" von damals die revolutionäre Dynamik des globalen Kapitalismus beschleunigten und zum anderen darin, dass "Emanzipation" von Grünen-Frontfrauen heute vornehmlich als Kampf für das Kopftuch betrieben wird.
Aufgefordert zu biographischen Auskünften, boten die Diskutanten Jörg Friedrich (Geburtsjahr 1944), Cora Stephan (geb. 1951), Bettina Röhl (geb. 1962) und Gerd Held (geb. 1951) - der Altersdifferenz entsprechend - allerlei Erhellendes zum diesjährigen Dauerthema "1968". Bettina Röhl, als Kind Objekt und Opfer ideologischen Wahns, seit langem unerbittliche Kritikerin des Mythos und seiner Inkarnationen (e.g. Joschka Fischer), erinnerte sich aus ihrer Kindheit an Auftritte des ungekämmten Rudi Dutschke im Hause Röhl-Meinhof (also noch vor dem Hinauswurf des "Konkret"-Gründers Röhl und vor Ulrike Meinhofs Abtauchen in den Untergrund im Mai 1970). In früher Kindheit erlebte sie eine Art duale Sozialisation: morgens in noch eher bürgerlichen Familienverhältnissen, nachmittags im "antiautoritären" Kinderladen. Amüsant ihr Bericht über jugendlichen "Widerstand" gegen den neulinken Geist an einem Hamburger Gymnasium, wo sich die Schüler sträubten, den herumlümmelnden Lehrer mit "Rolf" anzureden und zu duzen. Sie wollten lieber etwas lernen.
Cora Stephan gehörte zu den jüngeren Aktivistinnen der Revolte. Ihre Karriere begann - durchaus repressionsfrei - als Redakteurin bei der Schülerzeitung, sodann im AUSS (Abkürzung für eine der allerorts aufspringenden sozialistischen Schülergruppen). Ihre Liebe zu "´68" entdeckte sie als Schülerin im "swinging London", über die Beatles und die amerikanische Folk-Musik. Als Studentin ackerte sie sich - für wissenschaftliche Arbeit (eine Examensarbeit über Rudolf Hilferding) nutzbringend - durch das Marxsche "Kapital" und andere blaue MEW-Bände. Aus ihrer Frankfurter Sekte - im typischen Umschwung zu revolutionärer Verbissenheit - schloss man sie wegen "Hedonismus" aus. Die meisten westdeutschen "Neulinken" lebten in ihrer heilen Welt der Revolution, ohne die deutschen Zustände jenseits der Mauer zur Kenntnis nehmen zu wollen.
Gerd Held, wie Röhl und Stephan Autor auf der "Achse des Guten", erlebte seine "linke" Initiation bei einer Vietnam-Demonstration, wo die Protestierer die nationale Parole "USA-SA-SS" skandierten. Schon als Schüler wurde er - womöglich gerade wegen seiner ausgezeichneten Leistungen an einem liberalen Gymnasium in Osnabrück - anno 1970 Mitglied des maoistischen KBW, der - unter der Ägide Joscha Schmierers, des späteren Fischer-Adlatus im AA - den Adepten revolutionäre Betriebsarbeit (samt einer Revolutionssteuer von 10 Prozent des Einkommens) verordnete. Er blieb in dieser doktrinären K-Gruppe bis zu deren Selbstauflösung 1982, die einherging mit der Kaperung der "grünen" Bewegung durch die bis dato konkurrierenden "linken" Sekten. Erst danach ging er an die Universität, wo er seine späte akademische Karriere als Privatdozent für Regional- und Stadtplanung beendete. Sein in Praxis und Theorie geschulter Sachverstand vermag "grünen" Konzepten - die ins Grüne abgewandelte Zwangsbeglückung von "´68" -, erst recht der moralisch aufgeladenen Naivität einer Claudia Roth oder Karin Göring-Eckardt keinen Charme abzugewinnen.
Am schärfsten attackierte rückblickend der Historiker Jörg Friedrich, der älteste in der Runde der vemeintlichen "Renegaten", den revolutionären "Geist von ´68". Er schilderte seine Bekehrung zum Revolutionär: Nach West-Berlin gefahren, um dem Wehrdienst zu entgehen und zu studieren, erweckten Mao- und sonstige Plakate in einer Wohngemeinschaft bei ihm zunächst nur Befremden und Interesse. Binnen einer Woche jedoch hatte er sich im neuen Milieu in einen glühenden Revolutionär verwandelt: Man verfügte jetzt über eine Theorie, hatte auf alle Fragen die einzig richtige Antwort (i.e. der US-Kapitalismus-Imperialismus), fühlte sich als revolutionäre Avantgarde den vom Kapital manipulierten, jedoch irgendwie, wenn nötig mit Gewalt, zu erweckenden Volksmassen haushoch überlegen. Die "Gewaltfrage" hatte man im Sinne der befreienden Gewalt eindeutig entschieden. In den zahllosen Kneipen entlang der Schlüterstraße bewegten sich die Studenten in ihrem "revolutionär" abgeschirmten Binnenmilieu.
Zum Verständnis von "1968" gehört dessen Vorgeschichte. Friedrichs pointiert vorgetragene Ausführungen trugen einiges - den jüngeren Zeitgenossen, ob mehrheitlich modisch-linksgrün oder minoritär "neurechts" weithin unbekannt - zum besseren Verstehen der Empfindungen seiner Generation bei. In der - in bürgerlichen Verhältnissen aufwachsenden, von kontinuierlich wachsendem Wohlstand profitierenden - Nachkriegsgeneration tat sich ein innerer Spalt auf. Auf der einen Seite begeisterte man sich - auch in Abwendung von den kompromittierten deutschen Traditionen - für die französische und amerikanische Kultur, man identifizierte sich mit den humanistischen Ideen der westlichen Demokratie, auf der anderen Seite sah man, dass Frankreich im Algerienkrieg, die Belgier im Kongo, die USA in Vietnam mit brutaler Gewalt, mit Folter und Napalmbomben ihre humanistischen Prinzipien und Proklamationen widerlegten. Und dagegen erhoben sich - mit befreiender Gewalt - die Völker der Dritten Welt, die "Verdammten dieser Erde" (Frantz Fanon).
Über den erwähnten inneren Zwiespalt setzten sich die ´68er "Revolutionäre" durch Identifikation mit der Dritten Welt hinweg. Die zuvor noch gepflegte - und in der Identifikation mit dem amerikanischen Vietnam-Protest und dessen Folklore weiterhin kultivierte - Wertschätzung der USA schlug in Hass auf den "US-Imperialismus" um - ein befriedigender Seelenzustand. Vergessen war die Absage eines Albert Camus an den in der Nachkriegszeit stalinistisch eingefärbten, jetzt die Revolution, Fidel Castro und den toten Che Guevara preisenden Jean-Paul Sartre. Für den aus dem von den Nazis ins Exil gezwungenen, ins zerstörte Deutschland zurückgekehrten Willy Brandt, Außenminister unter Bundeskanzler Kiesinger - dem die ach so couragierte "Antifaschistin" Beate Klarsfeld eine Ohrfeige verpasste -, hegte man nichts als Verachtung.
Zu den spezifisch deutschen Tiefenschichten der "Kulturrevolution von ´68" drang gleichwohl weder die Diskussionsrunde noch das unter der Hitze leidende Publikum vor. Einigkeit herrschte, dass von der von Rudi Dutschke (anstelle der von der RAF mörderisch praktizierten "revolutionären" Gewalt) proklamierte - und ausgehend von den "68ern" über mehrere Generationen der Bundesrepublik hinweg geführte - "Marsch durch die Institutionen" hinweg zum totalen Erfolg geführt hat. Immerhin endete der Abend nicht in allgemeinem Lamento über die "linken" gründeutschen Zustände unter der CDU-Kanzlerin Merkel. Auch die Frage, warum die Eliten der - realiter demokratisch-liberalen - westdeutschen Gesellschaft sich vor fünfzig Jahren von den 68er-"Revolutionären" kampflos überwältigen ließen, wurde nicht gestellt.
Montag, 14. Mai 2018
Interkulturelles Lernen hierzulande und in Afrin
I.
Die Deutschen sind lernfähig, denn sie haben aus ihrer Geschichte gelernt. Dies jedenfalls glauben jene Deutschen mit gutem Gewissen, die sich selbst für geläutert und für gut, nein, für besser als die anderen halten. Dazu gehört etwa Katrin Göring-Eckardt, die sich darauf freut, dass sich "Deutschland verändern wird, und zwar gründlich." Auf andere Weise auch der neue Grünen-Mitchef Robert Habeck, der weiß, dass es gar kein "Volk" gibt, sondern nur noch beliebige, grün einzufärbende gesellschaftliche Aggregate, angetrieben von energiespendenden Windrädern.
Europäische - christliche und aufklärerische, tendenziell atheistische - Kulturtraditonen, deutsche Geschichte, kollektive Erinnerung als ideelles Substrat von Politik - wenn überhaupt, dann nur selektiv und in richtiger Aufbereitung! Die Nazi-Verbrechen. Richtig, wir haben uns - dies im totalen Gedenkjahr und zur Selbstbeweihräucherung von 1968 - all das schlechte Alte hinter uns gelassen und befinden uns endlich auf dem Weg zu einer neuen, bunten Gesellschaft. Bunt statt braun. Multikulti. (Bloß zur Erinnerung: "Multikulti ist gescheitert", dixit Angela Merkel anno 2008.)
II.
Die multikulturelle Gesellschaft ist der Nährboden unserer lebendigen, wertebewussten Demokratie. An unseren Bildungseinrichtungen - von den Kitas über die Grundschulen bis zum Graduiertenkolleg - wird interkulturelles Lernen gefordert und gefördert. "Biodeutsche" Kids lernen diverse Geschlechterrollen und außerdem noch, sich möglichst vegan zu ernähren. Migrantenkinder bekommen Halal-Geflügel, genießbar für Muslime und Hindus gleichermaßen. In der Lesefibel für die Grundschule im Bundesland Rheinland-Pfalz erfahren die Kleinen, dass Leyla im fernen und doch so nahen - offenbar bürgerkriegsfreien - Land Jemen sich darauf freut, einen Schleier tragen zu dürfen. Schleier steht für die die Buchstabenfolge sch und den entsprechenden Zischlaut (im Deutschen).
Oberster Leitwert in der bunten Republik ist die Toleranz. Vom Übel ist jeglicher Nationalismus, außer bei der Fußball-WM, wo jeder die Fahnen raushängen darf, die man sonst nur noch auf Pegida-Demos und auf CDU-Wahlplakaten zu sehen kriegt. Zur hoffentlich wieder siegreichen deutschen Nationalelf gehören u.a. Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Unlängst - nur noch ein paar Wochen vor der menschenrechtswidrigen Fußball-WM im Reiche Putins - ließen sich die beiden türkischstämmigen Fußballheroen, mutmaßlich Doppelpassbesitzer, abbilden, wie sie ihrem gerade in London weilenden Präsidenten Recep Erdogan signierte Trikots überreichten. (https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/article176343687/Foto-mit-Erdogan-Oezil-und-Guendogan-sorgen-fuer-Wirbel.html)
Das missfiel sogar dem ansonsten stets für Toleranz werbenden Deutschen Fußballbund. Der DFB-Präsident Grindel befand, die beiden (deutschen) Nationalspieler hätten sich für ein Wahlkampfmanöver Erdogans "missbrauchen lassen". Ob es sich um einen Fall von Missbrauch handelte, ist schwer zu beurteilen. Es könnte sich um auch um eine patriotisch-friedfertige, politisch-interkulturelle Begegnung gehandelt haben. Deutsche Sportfunktionäre und -reporter(innen), erst recht die grünen Politprofis, registrieren sonst halb mit Genugtuung, halb mit Erstaunen, dass Özil beim Absingen der Nationalhymne vor Spielbeginn aufs Mitsingen verzichtet.
III.
Dass interkulturelles Lernen über alle EU-Grenzen hinweg stattfindet, somit auch Lernerfolge bezüglich der Kenntnis europäischer und deutscher Geschichte, genauer: historisch-politischer Symbole, zu verzeichnen sind, war einem youtube-Link im Internet zu entnehmen: https://www.facebook.com/search/top/?q=erdogan%20afrin.
https://www.facebook.com/tobias.huch/videos/10156194873411142/
Das Video zeigt ein militärisches Zeremoniell in dem vor kurzem von türkischen Truppen eroberten - bis dato überwiegend kurdisch besiedelten - Gebiet um Afrin im Norden Syriens. Es ist zu sehen, wie eine vor ihrem Kommandeur angetretene Einheit unseres Nato-Verbündeten Erdogan unter Allahu-akbar-Rufen und mit erhobenem rechten Arm - mit dem faschistischen Gruß - Achtung und Kampfbereitschaft bezeigt.
Leider war die Szene auf dem oben zuerst angezeigten Link nur kurz abrufbar. Vielleicht fuhr inzwischen ein Internet-Zensor digital dazwischen.Vielleicht handelte es sich aber auch nur um "fake-news". Wer weiß das schon in Zeiten, wo interkulturelles Lernen nur bei äußerster Lerndisziplin gelingen kann...
Die Deutschen sind lernfähig, denn sie haben aus ihrer Geschichte gelernt. Dies jedenfalls glauben jene Deutschen mit gutem Gewissen, die sich selbst für geläutert und für gut, nein, für besser als die anderen halten. Dazu gehört etwa Katrin Göring-Eckardt, die sich darauf freut, dass sich "Deutschland verändern wird, und zwar gründlich." Auf andere Weise auch der neue Grünen-Mitchef Robert Habeck, der weiß, dass es gar kein "Volk" gibt, sondern nur noch beliebige, grün einzufärbende gesellschaftliche Aggregate, angetrieben von energiespendenden Windrädern.
Europäische - christliche und aufklärerische, tendenziell atheistische - Kulturtraditonen, deutsche Geschichte, kollektive Erinnerung als ideelles Substrat von Politik - wenn überhaupt, dann nur selektiv und in richtiger Aufbereitung! Die Nazi-Verbrechen. Richtig, wir haben uns - dies im totalen Gedenkjahr und zur Selbstbeweihräucherung von 1968 - all das schlechte Alte hinter uns gelassen und befinden uns endlich auf dem Weg zu einer neuen, bunten Gesellschaft. Bunt statt braun. Multikulti. (Bloß zur Erinnerung: "Multikulti ist gescheitert", dixit Angela Merkel anno 2008.)
II.
Die multikulturelle Gesellschaft ist der Nährboden unserer lebendigen, wertebewussten Demokratie. An unseren Bildungseinrichtungen - von den Kitas über die Grundschulen bis zum Graduiertenkolleg - wird interkulturelles Lernen gefordert und gefördert. "Biodeutsche" Kids lernen diverse Geschlechterrollen und außerdem noch, sich möglichst vegan zu ernähren. Migrantenkinder bekommen Halal-Geflügel, genießbar für Muslime und Hindus gleichermaßen. In der Lesefibel für die Grundschule im Bundesland Rheinland-Pfalz erfahren die Kleinen, dass Leyla im fernen und doch so nahen - offenbar bürgerkriegsfreien - Land Jemen sich darauf freut, einen Schleier tragen zu dürfen. Schleier steht für die die Buchstabenfolge sch und den entsprechenden Zischlaut (im Deutschen).
Oberster Leitwert in der bunten Republik ist die Toleranz. Vom Übel ist jeglicher Nationalismus, außer bei der Fußball-WM, wo jeder die Fahnen raushängen darf, die man sonst nur noch auf Pegida-Demos und auf CDU-Wahlplakaten zu sehen kriegt. Zur hoffentlich wieder siegreichen deutschen Nationalelf gehören u.a. Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Unlängst - nur noch ein paar Wochen vor der menschenrechtswidrigen Fußball-WM im Reiche Putins - ließen sich die beiden türkischstämmigen Fußballheroen, mutmaßlich Doppelpassbesitzer, abbilden, wie sie ihrem gerade in London weilenden Präsidenten Recep Erdogan signierte Trikots überreichten. (https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/article176343687/Foto-mit-Erdogan-Oezil-und-Guendogan-sorgen-fuer-Wirbel.html)
Das missfiel sogar dem ansonsten stets für Toleranz werbenden Deutschen Fußballbund. Der DFB-Präsident Grindel befand, die beiden (deutschen) Nationalspieler hätten sich für ein Wahlkampfmanöver Erdogans "missbrauchen lassen". Ob es sich um einen Fall von Missbrauch handelte, ist schwer zu beurteilen. Es könnte sich um auch um eine patriotisch-friedfertige, politisch-interkulturelle Begegnung gehandelt haben. Deutsche Sportfunktionäre und -reporter(innen), erst recht die grünen Politprofis, registrieren sonst halb mit Genugtuung, halb mit Erstaunen, dass Özil beim Absingen der Nationalhymne vor Spielbeginn aufs Mitsingen verzichtet.
III.
Dass interkulturelles Lernen über alle EU-Grenzen hinweg stattfindet, somit auch Lernerfolge bezüglich der Kenntnis europäischer und deutscher Geschichte, genauer: historisch-politischer Symbole, zu verzeichnen sind, war einem youtube-Link im Internet zu entnehmen: https://www.facebook.com/search/top/?q=erdogan%20afrin.
https://www.facebook.com/tobias.huch/videos/10156194873411142/
Das Video zeigt ein militärisches Zeremoniell in dem vor kurzem von türkischen Truppen eroberten - bis dato überwiegend kurdisch besiedelten - Gebiet um Afrin im Norden Syriens. Es ist zu sehen, wie eine vor ihrem Kommandeur angetretene Einheit unseres Nato-Verbündeten Erdogan unter Allahu-akbar-Rufen und mit erhobenem rechten Arm - mit dem faschistischen Gruß - Achtung und Kampfbereitschaft bezeigt.
Leider war die Szene auf dem oben zuerst angezeigten Link nur kurz abrufbar. Vielleicht fuhr inzwischen ein Internet-Zensor digital dazwischen.Vielleicht handelte es sich aber auch nur um "fake-news". Wer weiß das schon in Zeiten, wo interkulturelles Lernen nur bei äußerster Lerndisziplin gelingen kann...
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