Samstag, 7. Juli 2018

Lingua Francfurtensis

In meinem letzten Blog-Eintrag würdigte ich die politsprachliche Begabung unserer Kanzlerin. Ihr Leib- und Magenthema - die Bereicherung ihres Landes durch europäische Lösungen für außereuropäische Migrationswillige - findet in der Qualitätszeitung FAZ seinen Niederschlag in der Berichterstattung über die Mühen der EU-Europäer, unter der langjährigen Ägide des Luxemburger Kommissionspräsidenten Juncker einerseits, unter der  halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft des Österreichers Sebastian Kurz andererseits, einen einheitlichen Kurs in der "Flüchtingsfrage" zu bestimmen. Schlicht und einfach ausgedrückt, geht es darum, wie man mit dem anhaltenden Einwanderungsdruck umgehen soll oder will: Außen- und Binnengrenzen auf oder zu? "Festung Europa" oder "Willkommenskontinent"?

Keine Frage, die Materie ist kompliziert, weil Interessen und Moral, Ideologie und Wirklichkeit durcheinandergehen. Wenn man sich auch in der Sommerpause mit dem unendlichen Thema belasten will, trägt leider auch die Berichterstattung ("Mit mangelnder Zurückhaltung, in:  FAZ v. 07.07.2018, S. 4) über einen Besuch Junckers bei Kurz in Wien - Themen waren "Schutz der Außengrenzen" sowie der "Brexit"- nur mit äußerster Mühe zur Klärung der Lage bei. Der Autor frappiert den Leser mit folgenden Sätzen bezüglich Kurz´  Rolle als "Brückenbauer": "Im Fokus hat er dabei aber vor allem, die Interessen der in der Migrationspolitik auf seiner Linie liegenden Staaten wie Ungarn oder auch Rumänien vertreten."  Offenbar befindet sich der Verfasser nicht auf derselben Linie wir Kurz. Jedenfalls ist ihm dabei die Syntax aus dem Fokus geraten.

Die Gegenposition zu Kurz vertreten Stimmen wie unsere Kanzlerin Merkel, "die reine Konzentration auf den Schutz der Außengrenzen kritisieren und Solidarität mit einer fairen Lastenteilung anmahnen." (Ibid.) Derlei Sprachkunst wäre ehedem - in alten Zeiten des Bleisatzes - am Rotstift des Korrektors gescheitert. Heute gehört sie zum Stil des Frankfurter Qualitätsblattes.

Zum richtigen Verständnis der Materie und zur moralischen Erhebung verhilft ein Artikel von Melanie Mühl ("Je ärmer einer ist, desto fremder kommt er uns vor", ibid., S.13) über die Aktualität eines vor einem Vierteljahrhundert erschienenen Büchleins "Die große Wanderung" von Hans Magnus Enzensberger. Da heißt es in dem Artikel zum Schluß: "Wer versucht, sich, wo es nur geht, zu verbarrikadieren, der verhärtet auch emotional, weil ihn das Schicksal der Schutzsuchenden nicht mehr berühren muss. Die Barbaren stehen nicht vor unseren Toren. Sie sind mitten unter uns. Heute wie früher." In einfachen Sätzen formuliert, ist die Sache endlich wieder  klar. 


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