Sonntag, 21. Januar 2018

Koalitionäre Endspiele

Das Spiel ging  362:279 deutlich aus, weniger deutlich (323:313), wenn man die PV-Stimmen abzieht. Doch schon wird in den social media spekuliert, ob das Ergebnis der Partei unter Schulz, Nahles, Gabriel etc. zum Segen gereicht oder zum Verhängnis. Wir als interessierte Zuschauer (sc. mündige Bürger) fragen uns a) wie lange jetzt noch die Koalitionsverhandlungen dauern b) ob die Merkel-Kamarilla sich genötigt sieht, der SPD  noch in irgendwelchen Punkten  - im Bairischen bekannt als "Nachtarocken"  - entgegenzukommen c) wie breit die interessierte  "Basis" bei der  allfälligen Zustimmung in der SPD-Mitgliederbefragung zum Vertragskonvolut ausfällt d) wie die Postenverteilung im Kabinett Merkel IV aussehen wird e) wie lange die neue alte Liebe hält oder wann endlich Merkel aus dem Koalitionsbett - und/oder aus dem Kanzleramt - gedrängt wird.

Wir (pluralis maiestatis) können uns rühmen, nach dem 24. September 2017 die Fortsetzung der Großen Koalition prognostiziert - somit Martin Schulz´ Kehrtwendung um 180 Grad - unter leichtem Vorbehalt vorhergesagt zu haben (https://herbert-ammon.blogspot.de/2017/09/nach-merkels-septemberwahlen-nachtrag.html). Dass sich die repräsentativ-demokratische Willensbildung der Parteienoberen so lange hinziehen würde, war indes nicht vorhersehbar. Wer unsere meinungsbildenden Medien verfolgte, weiß natürlich, dass Lindner an allem schuld war, oder doch etwa Merkel? An Trittin, Karin Göring-Eckardt und Claudia Roth hat´s jedenfalls nicht gelegen, dass Merkel nicht Jamaika-bunt weiterregieren durfte. Wie hätten wir uns doch so über das Farbenspiel gefreut!

Dass der Wähler (die Wählerinnen und Wähler, quodlibet der Souverän, das Volk ) von der Wahl und deren Folgen nichts gemerkt hat, lag selbstverständlich an der AfD und den Leistungen der geschäftsführenden Regierung Merkel/Gabriel. Merkel nahm mit bewährt unbewegter Miene hin, dass der junge Österreicher Kurz sie an körperlicher, geistiger und rhetorischer Statur überragt. Außenminister Gabriel empfing seinen türkischen Kollegen zum Tee in seiner Goslarer Privatwohnung, wodurch etwaige türkisch-deutsche Irritationen bezüglich Immigration/Migration, ungekündigter türkischer EU-Anwartschaft sowie des Umgangs mit Syrien und den Kurden, mit Assad und Putin geklärt wurden. Den Tee brachte Mevlüt Cavusoglu mutmaßlich aus der Provinz Rize, angrenzend ans georgische Adscharien, mit. In Adscharien betreiben Türken und Saudis Hand in Hand die Reislamisierung der Bevölkerung. Gut, was gehen uns die dortigen Georgier an, wir haben uns um mehr "gesteuerte" Zuwanderung und gekappte Obergrenzen für "Schutzsuchende" zu kümmern...

Die Bürgerversicherung, die unser Gesundheitssystem womöglich egalitärer, aber noch schwerer finanzierbar gemacht hätte, wurde zum Verdruss der Jusos auf dem renovierten Koalitionsaltar geopfert. Europa wird teurer und - unter demokratischer Flagge - noch etwas zentralistischer, und dies nicht allein wegen des Brexit. Das nennt man "Aufbruch".

Die zentrale Zukunftsfrage, wie der Masseneinwanderung - die der traditionellen, reaktionären Kleinfamilie an sich abgeneigten "Linken" von Grün-Rot bis Merkel-Schwarz sorgen sich stets rührend bezüglich der Migranten  um Familiennachzug - angesichts der von Schulz um ein paar zehntausend nach oben aufgelockerten Zahlen für 200 000 Asylsuchende per annum  zu bewältigen sei, wird im Koalitionsvertrag fraglos gekonnt mit zig Seiten Papier unter der Rubrik "Integration" verhüllt. Täglich überqueren bis zu 1500 refugees mit weggeworfenen Papieren (sans papiers) trotz Bundespolizei an einigen Kontrollstationen die Grenze nach Bayern. Unser Sozialstaat schafft das, ad infinitum. Oder mehr wissenschaftlich, verfassungstheoretisch ausgedrückt: Essentialistisch-kulturalistische Begriffe vertragen sich nicht mit dem Universalismus des GG. Außerdem: Aufgrund unserer deutschen Vergangenheit haben gerade wir eine moralische Verpflichtung zur interkulturellen Begegnung und multikulturellen Transformation. Die Referenten arbeiten bereits am entsprechenden Text im Koalitionsvertrag. Die schaffen das, wenn schon nicht das BafM.


Auf dieser großkoalitionär gesicherten Basis werden wir nach Monaten des Bangens und Hoffens trefflich weiterregiert. Wann im Verlauf der Endphase der Ära Merkel neue Koalitionsspiele - mit oder ohne Neuwahlen - einsetzen, ist noch nicht abzusehen. Britische Buchmacher - Brexit hin oder her -  nehmen gewiss schon Wetten für die deutschen Endspiele an.