Donnerstag, 29. August 2019

Wahl-O-Matik in Sachsen

Alles starrt gebannt auf das Datum 1. September, auf die Wahlen in Sachsen und Brandenburg - dazu noch der 80. Jahrestag... Wie schlimm steht´s mit der deutschen Demokratie in den nicht mehr so neuen fünf Bundesländern, im "Osten", in "Ostdeutschland" (minus Berlin, genauer: minus Friedrichshain-Kreuzberg)? Welche Koalitionsarithmetik werden/können/sollen die TV-Auguren nach den ersten Hochrechnungen um 18.00 h betreiben? Geht´s in Sachsen noch ohne die "Linke" (was sich in Brandenburg noch nie als Frage gestellt hat)?

Um das demokratische Gewissen zu prüfen, betätigte ich den von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (slpb) hinsichtlich der Landtagswahlen produzierten und ins Netz gestellten Wahl-O-Mat. Wie bei früheren derartigen Internet-Spielen - egal wo offeriert, ob in irgendeinem Bundesland oder auf Bundesebene - wird der mündige Bürger und noch unschlüssige Wähler mit einem Paket von 38 statements konfrontiert, die ihm die Wahl zu drei bzw. vier Antworten eröffnen: (ich) stimme zu /neutral /stimme nicht zu. Wem ein zur "Wahl" gestelltes Thema nichts sagt - oder wer es zu doof findet -, kann die Frage auch überspringen. Letztere Möglichkeit stellt den Demokraten vor eine Gewissensfrage: Bin ich zu feige, drücke ich mich vor einer eindeutigen Antwort, oder bin ich nichts als ein schlecht informierter Politkonsument?

Ich habe mich trotz aller Bedenken wieder mal auf das Spiel eingelassen, nur um festzustellen, dass von den 38 statements  höchstens 10 bis 12 so formuliert sind, dass sie überhaupt zu einer Antwort taugen. In der Überzahl handelt es sich um  von den politische Bildnern mehr oder weniger grün eingefärbte Fragen, die zwar den jeweiligen Simplifikationen in der Wahlpropaganda der Parteien entsprechen mögen, indes ob ihrer geistigen Schlichtheit für den "kritischen" Bürger  eine Zumutung darstellen, beispielsweise: Sollen  entlang aller Landstraßen Radwege angelegt werden?  Sollen alle Kohlekraftwerke schon vor 2038 abgeschaltet werden? Sollen abgelehnte Asylbewerber in Sammelunterkünften untergebracht werden (oder so ähnlich)? Brauchen wir in Sachsen ausländische Facharbeiter? usw.

Aus Zeit- und Hygienegründen habe ich an die 20 Fragen übersprungen, weitere 5 - 10 "neutral" behandelt. Danach galt es den dürftig beantworteten Beichtspiegel mit bis zu 8 Parteien aus dem Angebot abzugleichen. Zu meiner Erleichterung stand bei meiner digital ermittelten Präferenz nicht etwa die AfD ganz oben, sondern die "Freien Wähler". Immerhin die gehören in Sachsen - erst recht in Bayern - zur demokratischen Volkseinheit.

Das lässt hoffen: Wenn in Sachsen die um die welterfahrene Ex-Grüne Antje Hermenau gescharten Freien Wähler die Fünf-Prozent-Hürde überspringen - bei den Kommunalwahlen im Mai 2019 erwiesen sie sich als stärkste Gruppierung -, werden die Karten im Freistaat neu gemischt. Auch die Auswirkungen auf das abgeschottete bundesrepublikanische Parteiensystem und die größtkoalitionäre Regierung wären beträchtlich.

Dienstag, 13. August 2019

Anstelle eines Kommentars zum 13. August 2019

Ich verzichte auf einen eigenständigen Kommentar zum diesjährigen Gedenktag 13. August, an dem vielerorts die Ouvertüre zum deutsch vertiefsinnigten Gedenken des Mauerfalls am 9. November 2019 aufgeführt wurde. Stattdessen stelle ich nachfolgend einige auf Facebook - veniam peto - veröffentlichte Einträge, Kommentare und Repliken zur Debatte..

Der Stasi-Akten-Beauftragte Roland Jahn schrieb folgendes: "Die Mauer hat dazu geführt, dass sich die Menschen in der DDR eingerichtet und sich arrangiert haben. Sie haben in dem Bewusstsein gelebt, sie können sowieso nichts ändern, und eine Flucht ist zu gefährlich. Die Mauer hat die meisten Menschen zur Anpassung getrieben. Das hat eine ganze Gesellschaft geprägt."

Dazu mein Kommentar: "Für diese resignative, ´unpolitische´ Haltung, schwer zu unterscheiden von Opportunismus, werden die ´Ossis´ von nicht wenigen Westdeutschen verachtet, zumindest belächelt. Es sind diejenigen (und deren Nachwuchs), denen die deutsche Teilung gleichgültig war, und vor allem diejenigen, die die Teilung ideologisierten (´unwiderrufbares Urteil der Geschichte´, ´deutsche Teilung als friedenserhaltender Garant des Ost-West-Gleichgewichts´, ´historisch notwendige Folge deutscher Schuld´ usw.) und für unaufhebbar hielten - ganz abgesehen von den ´linken´ Schönrednern des DDR-Regimes."

Christian Dietrich veröffentlichte einen vor zehn Jahren von Reinhard Mohr verfassten "Spiegel"  -Artikel (26.10.209), in dem der Autor seine  von seinen "linken" Frankfurter Freunden keineswegs geteilte, versteckte - gar von Tränen begleitete - Freude zum Ausdruck brachte (https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wendejahr-1989-jubel-wir-sind-so-frei-a-656203-2.html). Er ziterte aus diesem Artikel mit dem unter westdeutschen "Linken" unstatthaften Bekenntnis folgende Passagen:

Reinhard Mohr: "Diese eigentümlich verschrobene Wirklichkeitswahrnehmung hat Tradition. In beinah Sarrazinscher Unverfrorenheit sprach im Frühsommer 1990 die damalige sozialdemokratische Kulturdezernentin von Frankfurt am Main, Linda Reisch, eine verquere Wahrheit aus, die allerdings für einen großen Teil der linken ´Toskana´-Fraktion zu traf: Freiwillig fahre sie nicht nach Leipzig - nach Mailand aber immer gern. Schon der schönen Schuhe wegen.
...
Die vielleicht größte Kränkung jedoch bestand darin, dass hinter dem Rücken der westdeutschen Linken – und gleichsam ohne ihre geschichtsphilosophische Erlaubnis – europäische Geschichte geschrieben wurde, und das ausgerechnet von Mandy, Cindy, Kevin & Co., die wahrscheinlich kein Wort von Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno gelesen und keine Ahnung hatten, von der repressiven Toleranz des post-fordistischen Spätkapitalismus."

Ich kommentierte den Auszug aus Mohrs Artikel wie folgt: "Zum [heutigen] Gedenktag des 13. August 1961: Die Gedenkredenschreiber mögen noch so viel über ´die unmenschliche Grenze´, ´das Leiden der Menschen´, ´die Spaltung unseres Landes und Europas´ phrasieren. Die hard facts der Nachkriegsgeschichte werden kaum je benannt, [sind] dank entsprechend dürftigem, PC-gerechten Gechichtsunterricht auch kaum bekannt. - Zur Erinnerung und im Hinblick auf den Aufstieg der AfD im ´Osten´: Die westdeutsche Intelligentsija hat den ´Ossis´, den Kevins, Cindys, Maiks &  Co.,  den Mauerfall bis heute nicht verziehen."

Eine Facebook-Autorin - auf Fb gibt´s  nur friends ohne spezifisch deutschnationale Gender-Markierung - fühlte sich (mit der per Sternchen nachgereichten Einschränkung: "wahrscheinlich wahr")  zu folgendem Kommentar berufen: "*Manch einer, der damals im Osten bis zum letzten Fackelmarsch der FDJ am Abend des 7. Oktober 1989 dem SED-Regime die Treue gehalten hat, versucht noch heute, die eigene Feigheit zu rechtfertigen, anstatt sich mit ihr ehrlich auseinanderzusetzen. *wahrscheinlich wahr

... und manch einer, der damals kurz NACH dem Mauerfall ´mutig´ auf die Straße ging und mit den Schreien nach der D Mark gleichzeitig drohte, dass [,] gäbe man sie ihm nicht [,] auch dahin ginge [,] wo die DM ist. Dies und davon bin ich fest überzeugt, sind vielfach heute diejenigen [,] die heute der AfD, PEGIDA usw. nachhecheln."


Dazu mein Entgegnung: "Diese These/Anklage hat gewiss einiges für sich. Andererseits: Ohne die Opportunisten, ´Wendehälse´ und die - von wem auch immer inspirierten - ´D-Mark-Schreier´ müssten Sie auf Ihre schönen Fb-Urlaubsbilder (Alpen, Europa und die ganze Welt) noch heute verzichten. Und noch was: Einige der so apostrophierten ´Mutigen´ von damals können sich mit den heutigen Möchtegern-Mutigen (Zentrum für pol. Schönheit u.a.) nicht so recht anfreunden. Bösartige Dummheit - um mit Bonhoeffer zu sprechen - kann auch im Gewand des Guten daherkommen."

Darauf die pikierte Antwort. "diese These wie Du sie nennst, ist reales Er,- und durchleben (sic).
Wen meinst Du mit den heutigen Möchtegern-Mutigen? Wer muss heute noch mutig sein, außer vielleicht diejenigen[,] welche sich in den Neuen Bundesländern offen gegen die zahlreichen Rechten stell[en]?"


Dazu my final comment: "Wer ist mitverantwortlich für das Aufkommen der ´zahlreichen Rechten´ in der Ex-DDR? Gestern wählten viele von ihnen noch CDU und SPD (und natürlich die Partei, die sich ´Die Linke´ nennt). Dass es einen braunen Bodensatz bereits in der DDR gab, der nach dem Mauerfall wiederholt hervorquoll, ist ein betrübliches Faktum. Nur: Wer und was begünstigte den Aufstieg der AfD zu einer 20-Prozent-Partei im Osten? - P.S. Wer Kreuze an der einstigen Mauer entwendet, um gegen gegen die ´Mauer im Mittelmeer´ zu protestieren, beweist nicht Mut, sondern geschichtslose Überheblichkeit. Die AfD verdankt nicht zuletzt solchen Leuten ihre Erfolge. Schlimmer noch: Die real neonazistischen ´Rechten´ fühlen sich in ihrem Hass bestätigt."