Freitag, 21. Februar 2014

Medaillen, Majdan und Vanity Fair

Politische Wirklichkeit und mediale Virtualität sind  in der Wahrnehmung eines Bloggers schwer auseinderzuhalten, deshalb der Reihe nach:

1. Während Maria Höfl-Riesch hinter einer weiteren Medaille her durch die Slalomtore jagt, müssen wir TV-Wintersport-Teilzeit-Patrioten uns betreten fragen, ob selbst ein so erfrischend  offen herzensfroh lachendes Mädchen wie Evi (auch schon 32 J.)  der im 21. Jahrhundert noch einzig verbliebenen  Sünde -  des "Doping" -, genauer: des auf Medaillen zielenden,  medikamental induzierten  zusätzlichen Leistungsschubs nicht entsagen  konnte oder auf Anraten ihres Trainers nicht verzichten sollte.

Ganz im Ernst: Wir mögen´s nicht glauben und  bangen um die Bewahrung des strahlenden Lachens  der gutbayerischen Evi. Außerdem sind wir froh, daß die Deutschen - in Sotschi noch  ohne merklichen Migrationshintergrund - im Wettstreit um Medaillen ihre Spitzenposition inzwischen an die Norweger und/oder die USA verloren haben, sonst ginge in den Feuilletons gleich wieder unisono das Geheule über den deutschen medaillenberauschten Nationalismus los.

2. Respekt verdient die Ukrainerin, die als Reaktion auf das anhaltend blutige Spektakel auf dem Majdan in Kiew ihre weitere Teilnahme an den Wettkämpfen absagte. Daß die Ukrainer keinen Trauerflor anlegen durften, war vorhersehbar. Die politisch angereicherte olympische Festesfreude duldet keine Störung durch die  politische Realität.

Welche Wirklichkeit und welche  Dramaturgie hinter den Kulissen, hinter der mit immer mehr Blut, mit Feuer und Zerstörung illuminierten Bühne auf dem Kiewer Majdan zu suchen sei, bedürfte einer umfassenden Analyse. Daß die "Massen", die Zigtausende seit Wochen  Demonstrierenden, Grund zum Aufbegehren gegen ein von Korruption und Gewalt geprägtes Regime unter Janukowitsch - der saß zu Sowjetzeiten wegen einer Gewalttat ein, ehe er in der kommunistischen Partei Karriere machte -  haben, steht außer Frage. Dennoch gilt es weitere Fragen zu stellen: Warum betrachtete die EU Janukowitsch bis zu dem Zeitpunkt als passablen Geschäftspartner, als er - sicher auch auf Druck aus Moskau - die Unterzeichnung des  Assoziierungsvertrag  verweigerte? Warum sieht man in den TV-Bildern derzeit nur noch blau-gelbe Fahnen und keine rot-schwarzen mehr? (Zur Erläuterung: Es handelt sich um die Farben der westukrainischen, galizischen Nationalisten, nicht um das Schwarz-Rot der Berlin-Kreuzberg-Friedrichshainer Freizeit-Antifa-Aktivisten, die bei jeder Gelegenheit [nunmehr auch mit Staaatsknete aus dem "Extremismus"-Topf] den Spanischen Bürgerkrieg nachspielen.)

Frieden, die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, materielle Besserung, Demokratie im guten Sinne all das ist den Ukrainern von Herzen zu wünschen. Ob es dafür derzeit noch irgendeine Chance gibt, steht dahin. Falls das Land in West (die Provinzen um Lemberg) und Ost (Donezk-Becken)  zerfallen sollte, dürfte das blutige Spiel weitergehen. Eine "Lösung" - jenseits der EU-Sanktionen - haben wahrscheinlich  weder Fabius, noch Steinmeier noch Sikorski, weder Catherine Ashton noch Barack Obama parat. Was Putin und Lawrow im Schilde führen, ist ungewiß. Was bei distanzierter Betrachtung deutlich wird, ist, daß  auf dem Majdan zu Kiew, in Lemberg,  in Odessa, im Donbas und auf der Krim letztlich ein geopolitisches Machtspiel ausgetragen wird. In diesem Spiel ist Putin nicht der einzige Provokateur, der mit seiner Vision eines (erneuerten) Eurasien die westliche Wertewelt herausfordert.  Inwieweit die - teilweise selbst längst auch gewaltsam operierenden -  "Massen" auf dem Majdan, die von Scharfschützen, den Medien zufolge im Solde von Janukowitsch, niedergehalten werden sollen, sich ihrer Rolle in diesem Spiel bewußt sind?

3. Zum Schluß: das vom Rumor und Soupcon gegen das "Volk" genährte  Feuilleton führt seine Privatkriege, besser die üblichen linksliberalen Scheingefechte, für die sich niemand interessiert außer den  in ihrer Eitelkeit rivalisierenden Helden des Kampfes mit Tinte und Feder (heute PC) selbst. Das FAZ-Feuilleton macht mit einer vollen Seite auf, auf der Redakteur Dietmar Dath die in der "Zeit" vorgetragenen Unterstellungen des Autors Maxim Biller,  die liberale, in Wahrheit verkappt deutschnationale Literatenwelt schotte sich gegen  Migrationsliteraten ab, in einem langen Elaborat zurückweist. Der aus Prag in den 1980er (?) Jahren immigrierte Biller suggeriert einen unverändert völkischen, "habituell christlich" (oder post-christlich) eingefärbten, von Suhrkamp genährten deutschen Nationalismus bei all jenen  Enkeln  "halb umerzogener Naziis"  usw. usw. usw.,  in jenen Kreisen, die man ehedem zur Bildungswelt zählte und die heute den Literaturbetrieb unter sich ausmachen. Dahinter steckt bei Biller  natürlich nichts anderes als der übliche marktgängige Antisemitismus-Verdacht. Immerhin konnte er diesen seinerzeit  nicht mobilisieren, als er sich gerichtlich mit seiner türkischen Ex-Frau auseinanderzusetzen hatte, die ihn wegen seiner  literarischen Vermarktung ehelicher Sexintimitäten juristisch belangte.

Gegen Billers Attacken führt der linksliberale Neo-Neo-Neo-Marxist Dath, genetischer Abkömmling eines von Wagners Weihespielen völkisch-geistlich erhobenen  Großelternpaares,  seine unangreifbare,  ex-protestantische, kreuzbergisch-kosmopolitisch bestückte, mit Hip-Hop-Jargon angereicherte Bildungswelt ins Feld. Er verstehe sich und verständige sich - auch rein sprachlich - mit jedem "gebildeten" Migranten besser als beispielsweise mit seinem ignoranten Friseur. Mag sein: Der Glatzenträger Biller benötigt zur Selbstbestätigung seiner geistigen Überlegenheit keinen Friseur mehr. Dath hingegen wäre zur Bereicherung seines kosmopolitischen Vokabulars der Gang zu einem literarisch gebildeten MHG-Haarkünstler zu empfehlen.

Auf dem Majdan sterben jede Nacht , wohl auch bei Tag, zahlreiche Menschen. Das postdeutsche Feuilleton beschäftigt sich mit seinen Obsessionen. Mal noch kurz in die Glotze sehen, ob Höfl-Riesch weiterhin "auf Medaillenkurs" durch die Stangen jagt...

P.S.
In meinem Blog blieb das Kriegsgeschrei von BHL, dem französischen Philosophen der globalen militärischen Intervention (China ausgenommen), erhoben  im heutigen FAZ-Feuilleton,  unerwähnt. Falls das heute wider alle Erwartungen von den EU-Außenministern durchgesetzte Abkommen der Opposition mit Janukowitsch halten sollte und  zum Ende des Bürgerkriegs, zu einem friedlichen Neubeginn in der Ukraine führen sollte, käme der Philosoph - anno 2011 konnte er Nicolas Sarkozy von der Notwendigkeit des Krieges gegen Gaddafi überreden -  als Praeceptor Occidentis zu spät.

P.P.S.
Maria Riesch-Höfl wurde leider  nur Vierte. Des weiteren die bedrückende Frage: Wer hat Evi Sachenbacher-Stehle zum Doping verführt? Wir haben inzwischen erfahren, daß es sich bei dem leistungssteigernden Zaubermittel nicht um ein per Spritze zu verabreichendes Medikament, sondern um einen angereicherten Energieriegel handelte. Evis Blutwerte stimmten angeblich schon vor vier Jahren nicht so richtig. Auf welche Werte dürfen wir Demokratinnen und Demokraten danach überhaupt noch  bauen?

Montag, 10. Februar 2014

Sehr deutlich auf dem Weg zur Demokratie

Uns schmerzt noch immer, dass unser Bundespräsident Joachim Gauck aus tiefster Überzeugung sowie aufgrund seines demokratischen Terminplans der Teilnahme an der Eröffnungsfeier der Winter Olympics in Sotschi entsagen musste. Während das weniger um demokratische Werte besorgte Volk  beim Wettkampf der Nationen daheim patriotisch um Medaillen fiebert, geht der Bundespräsident seinen präsidialen Pflichten nach, knüpft für Deutschland Kontakte zu Burma - so die Überschrift in der heutigen FAZ (10.02.2014, S. 6). Laut wikipedia (Am. ed.) heißt der Name des Landes, in dem der Vater der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, Antiimperialist, zwischendurch Kommunist, stets Nationalist,  einst im Bündnis mit den Japanern  die britischen Kolonialisten vertreiben wollte, nach wie vor Myanmar (The Republic of the Union of).

Auf derlei Petitessen kommt es in der Berichterstattung über den Staatsbesuch unseres Bundespräsidenten nicht an. Angetan mit  weißem Hemd und Wickelrock,  die Hände gen Himmel erhoben, in Begleitung der Lebensgefährtin Daniela Schadt, bewunderte Gauck die Kulturmonumente des goldpagodenreichen Landes: "Ich bin noch nie hier in dieser Weltgegend gewesen, und mich beeindrucken die Zeugnisse des buddhistischen Glaubens schon sehr." Dies die Worte eines Mannes, der   zu DDR-Zeiten als  Friedenspastor vom Friedensstaat am Reisen gehindert, auf exotische Reiseeindrücke verzichten musste.

Nicht minder beeindruckt zeigte sich Gauck vom Fortschritt der Demokratie in dem Lande, das jüngeren Zeitgenossen wegen des Kampfes der schönen Tochter  Aung Sans für die Menschenrechte, älteren durch den River Kwai March bekannt ist: "Dies ist ein Land, das sehr deutlich den Weg hin zur Demokratie beschritten hat und das nach einer sehr, sehr deutlichen Diktatur."  Anmerkung: Falls die Leser des Blogs vor dem zweiten gleichgeordneten Satzteil ein Komma vermissen sollten, so geht dieser Fehler auf das Konto der FAZ.

Samstag, 8. Februar 2014

German Rainbow Warriors in Sochi (Sotschi)

In gespannter Erwartung betätigte der Blogger gestern abend (a.R.) die Fernbedienung seines TV-Geräts, um des global erhebenden Spektakels  in Sotschi ansichtig zu werden. Er hoffte auf einen Eklat, etwa, daß beim fahnengesättigten Einmarsch  Vertreter oder -innen der einen oder anderen bekannten Wintersportnation (beispielsweise der Bermudas, der Kaiman-Inseln oder der Dominikanischen Republik) eine  Regenbogenfahne aus der Hose ziehen würden, um mit einem schwulen Bruderkuß die ganze Menschheit zu umarmen, kurz: man hoffte auf einen Akt der Zivilcourage.

Die Sache verlief   leider ziemlich enttäuschend. Alle Nationen - von den Bermudas (völkerrechtlicher Status unklar, als Steueroase beliebt) bis Marokko, von Nepal bis Malta, von Brasilien bis Zypern - zogen jubelnd, lächelnd, winkend hinter ihrem/ihrer Fahnenträger und/oder -in her. Eine nicht endende Manifestation national(istisch)er Einfalt.

Für den demokratischen Kontrast sorgte allein unsere deutsche Truppe, wenngleich auch sie im Lockerschritt hinter der Nationalfahne her, geschwenkt von Maria Höfl-Riesch. Unsere Mannschaft, falsch: unsere Frauen, unsere Männer, falsch: unsere ungegenderte Jugend (?)  kam bunt daher wie Pippi Langstrumpf im indizierten Kinderbuch. Menschlich anrührende, olympisch beglückende Worte dazu fand  der Kommentator: Das deutsche Team sei in Regenbogenfarben gekleidet, die Ausstattung - wie stets von Bogner-Moden München - sei bereits konzipiert (und mutmaßlich  in China oder in Indonesien konfektioniert. H.A.) worden, ehe sie durch die jüngste Auseinandersetzung über Putins Umgang mit den Minderheiten hohe politische Aktualität gewonnen habe. Der Blogger schaute nochmal genauer auf seine deutsche Truppe:  hellblau, hellgrün, dazwischen gelbe Streifen, die Mützen andeutungsweise in burschenschaftlich-bundesdeutschen Farben,  jedenfalls nichts, was an Noahs Regenbogen erinnerte. Der Ausstatter hatte offensichtlich die  in der  Bibel empfohlene schwul-lesbische Farbkombination verfehlt, was wiederum dem von  politisch-pädagogischem Eifer erfüllten  Reporter entgangen war.

Vielleicht erfüllt sich das farbliche Wunschbild beim Auszug unserer  sieg- und medaillenreichen Biathletinnen, Curlerinnen, Bobfahrerinnen, Halfpiperinnen und Kunstläuferinnen. Oder es outet sich bis dahin noch ein Rennrodler -  das deutsche Wintermärchen von Sotschi. Und am Ende besinnt sich Joachim Gauck doch noch anders und kommt zur Schlußfeier. Wenn das Regenbogenwunder eintreten sollte, könnte es unserem einstigen Friedenspastor aus Rostock gelingen, den homophoben Autokraten  Putin mit sanften Worten zu den Grundwerten westlicher Demokratie zu bekehren.

Donnerstag, 6. Februar 2014

Così fan tutte: vom Umgang mit dem Fiskus und umgekehrt

Im Vergleich mit den Italienern, erst recht mit den Griechen, die schon wieder an die 20 Milliarden Euro Schuldennachlass erwarten  dürfen, bis sie denn endlich - ad Kalendas Graecas - ihr Besteuerungssystem und ihre Steuermoral in Ordnung gebracht haben, konnten die Deutschen bislang auf ihre treudeutsche Ehrlichkeit in puncto Steuern  stolz sein. Der deutsche Bürger, die deutsche Bürgerin, wusste um seine/ihre Pflicht, dem Staate  und dem Gemeinwohl zu dienen. Steuerbetrug war der deutschen bürgerlichen Moral ein Fremdwort. (Unberührt von bürgerlichen Moralbedenken war stets allein die Parteienfinanzierung.)

Aber ach, mit derlei patriotischem Stolz ist es nun vorbei. Die vor einigen Jahren von Finanzminister Schäuble (CDU), in bestem Einvernehmen mit den steuer- und umverteilungshungrigen Sozialdemokraten, ersonnene fiskalische Doppeltechnik,  "Steuersündern", die ihrer Sünde vornehmlich in der Schweiz huldigten, einerseits durch Selbstanzeige zur (partiellen) Absolution zu verhelfen, andererseits anonymen  Erpressern deren Datensammlung abzukaufen, um säumige  Steuerbetrüger (sc. - innen) mit gestohlenen Daten zu überführen (bzw. zu erpressen), hat Abgründe deutscher Doppelmoral aufgerissen.

Wer sich gestern noch über den Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß empörte, der muss heute doppelt entsetzt sein, wenn  lautere, namhafte Hüter bundesrepublikanischer Moral  als Steuertrickbetrüger dastehen: Alice Schwarzer, die als vom Fiskus (masc.) verfolgte Feministin keinen Grund zu Reue sieht, oder der einstige ZEIT-Chefredakteur Theo Sommer, der vor lauter Bücherschreiben nicht zum richtigen Ausfüllen seiner Steuererklärung kam - so sein schamvolles Eingeständnis -  und/oder mutmaßlich seinem Steuerberater nicht richtig zuhörte. Richtig böse sind wir auf den Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD), dessen Verdienste um die Berliner Kultur plötzlich in Zweifel geraten sind. Schlimmer noch, dessen in der Schweiz verborgenen Nebenverdienste drohen  auch Berlins Regierenden Wowereit (ehedem Aspirant aufs Kanzleramt)  innerparteilich zu Fall zu bringen und somit neue Koalitionschancen (Rot-Rot) zu eröffnen (mit einem nicht minder verdienstvollen - mutmaßlich knapp unter € 10.000 brutto -  Kulturstaatssekretär). Was soll da die Erregung über den CDU-Bundesschatzmeister Linssen, der nichts anderes getan hat, als das Erbe seiner Mutter sicher - vor dem Fiskus - auf den Bahamas anzulegen?

Dem Blogger geht´s - von der Häme über die Doppelmoral der erwähnten Chefmoralisten/Innen abgesehen - nicht um die Moral als solche, genauer: um die Steuermoral. Diese wird von einem deutschen citoyen  hochgehalten. Das Problem bei den Steuern, mit dem Recht und der Macht des Fiskus, sieht er, als zum hilflosen Wähler im Parteienstaat degradierter Radikaldemokrat,  im Umgang des Staates mit seinen Steuergeldern: Wer bestimmt, wie und was wofür ausgegeben wird, z.B. in Berlin im Sektor Kultur und Soziales: für "Kiezkultur", für "Projekte" aller Art, für die Förderung von diversity oder aber für elementare Schulbildung, einschließlich der Reinigung von Schulgebäuden?