Dienstag, 30. April 2024

Zm 1. Mai sowie zum Zustand des Landes in der Mitte Europas im Frühling 2024

I.
Sankt Petrus meint es gut mit den multikolorierten Revolutionären (und -innen) Berlins zum diesjährigen 1. Mai. Zur Erläuterung für jüngere, von historischem Grundwissen unbelastete  Bundes- und Neubürger ein paar Notizen zur Bedeutung des Tages: 
 
1) Es handelt sich um den im Juli 1889 zu Paris von der ebendort gegründeten II.Internationalen Arbeiterassoziation - sie erlebte in den Augusttagen 1914 ihr historisches Fiasko - proklamierten Gedenk- und Protesttag a) zur Erinnerung an die Opfer des am 1.Mai 1886 - nach einer Bombenexplosion - blutig geendeten Streiks von hauptsächlich deutschen Arbeitern auf dem Chicagoer Heumarkt. Vier der acht als Anarchisten des Bombenanschlags beschuldigten und zum Tode verurteilten Arbeiter wurden gehängt. b) zur allgemeinen Durchsetzung des von den vergebens streikenden Einwanderern geforderten 8-Stunden-Tages.  

Ungeachtet aller in der Arbeiterbewegung gepflegten Erinnerung an das "Haymarket Massacre" kam der 1. Mai in den USA, kapitalistischer Hauptfeind aller Alten und Neuen Linken, historisch nicht zur Geltung. Stattdessen beschloss der US-Kongress - nach entsprechenden Vorläufern in einigen Bundesstaaten - anno 1894, den ersten Montag im September jeden Jahres als arbeitsfeien nationalen Labor Day zu feiern.
 
Über Jahre hin wurden im Deutschen Reich die zum 1. Mai ausgerufenen Streiks und Kundgebungen (in dt. Neusprech "Demos") von den Behörden unterdrückt bzw. niedergeknüppelt. In den Jahren Weimars kam es an den Tagen des "Blutmai" 1929 - nach einem  Demonstrationsverbot des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Zörgiebel - zu blutigen Zusammenstößen zwischen "roten" Arbeitern und der Berliner Polizei. 33 Menschen verloren ihr Leben.  Fortan gehörte der Proletariertod durch "Zörgiebels Polizei" zur Martyrologie und zum Liedgut der KPD. 
 
Zum "Tag der deutschen Arbeit" erstmals zum arbeitsfreien Feiertag erhoben und in der Reichshauptstadt  auf dem Tempelhofer Feld zelebriert wurde das aus vorindustrieller Tradition stammende Frühlingsfest von den Nazis am 1. Mai 1933. Mit Bratwurst und Freibier gewannen die Nationalsozialisten so manchen deutschen Proletarier für ihre Idee von Volksgemeinschaft im Dritten Reich.
 
In der DDR waren die "machtvollen" Demonstrationen zum 1. Mai Pflichtveranstaltungen für die Werktätigen sowie für die - als Avantgarde der Arbeiterklasse zugerechnete -  Intelligenz. Nicht wenige verdrückten sich aus den Demonstrationszügen zum frühest möglichen Zeitpunkt, um sich an den Wurst- und Bierständen bzw. in den wenigen Kneipen zu verlustieren. 
 
2) Schon in Jahren vor dem Mauerfall gehörte Randale am Vorabend und Abend des 1.Mai zur Westberliner Folklore. Seit Jahren begeht die dem Arbeitsleben meist fernstehende "linke Szene", verstärkt durch multikulturelle - und/oder nationalkulturell imprägnierte - Kampfgenossen, zu Berlin - mutmaßlich auch in Hamburg, Leipzig und anderswo  -,  stellvertretend für die im Zuge der Automatisierung, Digitalisierung und Globalisierung weithin soziologisch abhanden gekommene, klassenbewusste Arbeiterklasse, den 1. Mai nach strengem Ritual:  Marschkolonnen mit Transparenten und Parolen gegen den allenthalben anwachsenden Faschismus,  vorneweg (auch mittendrin oder als Nachhut) der Schwarze Block, von Trommeln begleitete, von globaler Erwärmung und Bierkonsum gesteigerte antikapitalistische Kampfeswut, die Steine oder Bierflaschen gegen Schaufenster oder  - trotz online-banking noch bestehende - Bankfilialen fliegen läßt, sodann Böller (made in China), brennende Autoreifen und Mülltonnen, und zum Finale ein Steinhagel auf die mit Schutzschilden ausgestatteten, aus anderen  Bundesländern  herangekarrten Polizisten (ohne P- innen). 
 
Die Kampfszenen vom "revolutionären 1. Mai"  in der "Tagesschau" bereiten manchen von der Idee des  Pluralismus überzeugten Demokraten (und -innen) einiges Unbehagen. Ähnliches gilt bei Wahrnehmung des geeordneten Aufmarsches frommer Neubürger unter Führung eines migrantischen Lehramtskandidaten in Hamburg, derfür das Kalifat als "Lösung" aller Probleme in der bunten Republik kämpft. 
 
3) Am Tag danach, 2. Mai, diesmal im Kalender kein "Brückentag", verkünden die Sprecher/die Sprecherinnen der Polizei und des Senats die Bilanz: "Es gab einige (oder zahlreiche) Festnahmen mit Feststellung der Personalien, gegenüber dem Vorjahr eine höhere - oder niedrigere - Zahl von verletzten Polizisten und Demonstranten, die Schäden liegen über oder unter einer Million €.  Die Stadtreingung ist dabei, die Kampfspuren zu beseitigen." 
 
Wie eingangs gesagt: Petrus meint es gut in diesem Jahr mit den Berliner Revolutionären. Auch die Kneipenbesitzer und die Inhaber von Bierständen dürfen sich auf guten Umsatz freuen.    
 
II.
Mit der Verszeile "April is the cruellest month" eröffnete ich in der zweiten Aprilwoche einen Text auf meinem Blog. (https://herbert-ammon.blogspot.com/2024/04/lesefruchte-und-leseempfehlungen.html). Tatsächlich mochte der nachfolgende,  keineswegs ungewöhnliche Wintereinbruch Klimaskeptikern (a.k.a. „Klimaleugner) für ein paar Tage ein schwaches Argument liefern. Doch ging es T.S. Eliot in the „The Waste Land“ nicht um die unberechenbare Natur, sondern um Selbstreflexion und den geistigen Zustand des Abendlands nach dem Großen Krieg.

Mehr als hundert Jahre nach seiner Entstehung erweist sich das Poem in seinen so düsteren wie bitter-ironischen Passagen im Blick auf die gründeutschen Lande, auf EU-Europa und die Außenwelt als zeitlos aktuell.

Als erstes fällt uns, die schon länger hier leben, das Erscheinungsbild deutscher Großstädte ins Auge: Vermüllte Bürgersteige und Bushaltestellen, „Grafitti“, sprich Schmierereien, allerorten, an frisch getünchten Fassaden, an den Rollläden noch bestehender oder leer stehender Geschäfte, an U-Bahn-Waggons, an Straßenschildern, Briefkästen usw., dazu monokulturell verhüllte Frauengestalten inmittten des multikulturellen Gewoges auf Straßen und Plätzen und eine wachsende Zahl von Obdachlosen in schmuddeligen Schlafsäcken unter Brücken und Unterführungen.

Als nächstes kommen andere Phänomene des politischen Alltags in den Sinn: die Statistiken zu Wirtschaft und Finanzen, zu Demographie und Sicherheit. Mit einem auf knapp über null Prozent geschrumpftem BIP befindet sich Deutschland am unteren Ende der Skala in Europa. Die Infrastruktur (Straßen, Brücken, Schienennetz) liegt darnieder, das flache Land leidet an fehlender Verkehrsanbindung, Ärztemangel u. dergl. Die Staatsschulden liegen mit 2,6 Billionen Euro exorbitant hoch, die deutschen Privatvermögen hingegen niedriger als anderswo. Das Rentensystem ist auf Dauer nicht mehr finanzierbar, die Geburtenquote ist 2023 mit 1,46 Kinder pro gebärfähiger Frau erneut gesunken (erhellend dazu die Cora Stephan: https://www.achgut.com/artikel/babys_sind_der_goldstandard_des_menschenhandels), während die registrierte Zahl der Abtreibungen anno 2023 mit 106 000 gegenüber dem Vorjahr erneut gestiegen ist. Die - um petty crimes bereinigte - Kriminalitätsrate ist seit 2015 zwar gesunken, doch ist eine "neue Gewaltdynamik" (FAZ v. 08.04.2024, S.1) zu verzeichnen, die - um politisch unerwünschte Nachfragen zu vermeiden -  statistisch nicht weiter aufgeschlüsselt wird. 

Ungewissheit überlagert die Große Politik. Wie es im Gaza-Krieg – und danach - weitergehen soll, weiß Israels Ministerpräsident Netanjahu womöglich selbst nicht. Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht abzusehen. Besorgnis bereitet die schwindende Widerstandskraft der Ukraine, während Putin eine Sommeroffensive vorbereitet. Damit schwinden von Tag zu Tag Aussichten auf einen Waffenstillstand, der von realen oder vermeintlichen „Putinverstehern“ beschworen wird.

Mehr noch: Wir („Wir“ - der peinlich kollektivistisch , „rechts“ klingende - Titel des Buches unseres Bundespräsidenten), wir, die friedensgewohnten Deutschen, werden von dem - laut Umfragen - populären Verteidigungsminister Pistorius ermahnt, wieder „kriegstüchtig“ zu werden. Ob „wir“ - gemeint ist die Bundesregierung unter Kanzler Scholz – bereit sind, die von Selenskyj geforderten „Taurus“-Raketen zu liefern, um Putins Sieg zu verhindern, hängt nicht von „uns“, sondern vom politisch-strategischen Kalkül der westlichen Führungsmacht USA und unserer Nato—Verbündeten ab. Immerhin gibt es auch in und außerhalb der Ampelregierung hinreichend Befürworter einer – naturgemäß als defensiv deklarierten - Eskalation der Kriegstechniken zum Schutz der Ukraine. Wie reagiert der Westen, wenn sich der militärische Zusammenbruch der – in Teilen kriegsmüden - Ukraine abzeichnen sollte?

Kurz: Zu Frohsinn besteht in diesen schönen Frühlingstagen wenig Anlass. Was den Missmut befördert, sind die wie stets auf Kritiklosigkeit des Wahlvolks zielenden Plakate der Parteien zur Europa-Wahl im Juni. Die Banalität der Slogans (SPD: „Mitte, Maß und Frieden“; "In Stadt und Land - und Wir-Gefühl" (sic!) Grüne: „Klima schützen, Wirtschaft stärken“; CDU: „Europa braucht dich“, FDP mit Konterfei von Strack-Zimmermann: „Europas Rückgrat“ usw.) soll über die Fehlentscheidungen, Unterlassungen und Anmaßungen deutscher Politik seit der Ära Merkel –  Nährstoff der „in Teilen rechtsextremen“ AfD - hinwegtäuschen. In zentralen Fragen – obenan Migration, Energiegewinnung, innere und äußere Sicherheit – hat die etablierte Politik seit langem an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verloren.

Last but not least geht es um den Kern der immer deutlicher werdenden Misere. Ungeachtet des historischen Glücksfalls der Wiedervereinigung fehlt es der deutschen res publica – entgegen aller Betonuung „unserer Werte“ - an innerer Substanz. Sinnfällig wurde die geistige Leere der Bundesrepublik beim jüngsten Staatsbesuch des Bundespräsidenten, als er dem türkischen Präsidenten Erdogan als Gastgeschenk einen gefrorenen Dönerspieß überreichte. Dass sich hierzulande niemand über diese peinliche Geste mokierte, bestätigt nur das Bild – das beschädigte Selbstbild - eines waste land.

So führt jegliche Betrachtung der deutschen Gegenwart auf den von Deutschen inszenierten „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) im Zweiten Weltkrieg zurück, der wiederum – von seinen tiefliegenden ideologischen Wurzeln abgesehen – aus der europäischen Urkatastophe des Ersten Weltkriegs hervorging. Im Zeichen der jüngsten ideologischen Mode der decolonization, die – bittere Ironie – de facto in der radikalen Kriminalisierung der neuzeitlichen Geschichte Europas die geschichtliche Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen relativiert, ist nicht zu hoffen, dass es noch zu einer Regeneration des „öden Landes“ in der Mitte Europas kommen könnte. In den Bologna-Universitäten Westeuropas und in den deutschen Feuilletons vertrocknet alles, was nicht lila-grün-wokem Saatgut entsprungen ist.

 

 

Siehe auch: https://www.achgut.com/artikel/am_ende_des_deutschen_april

Montag, 8. April 2024

Lesefrüchte und Leseempfehlungen im April

"April is the cruellest month" heißt es bei Chaucer und T.S. Eliot. Zumindest für die Natur trifft das Dichterwort im gründeutschen Lande in diesenTagen nicht zu. Denn erfreulich anzusehen ist das zarte Grün der Parks und die Blütenpracht in den Obstgärten. 

Wenig Freude hingegen bereitet der morgendliche Streifgang durch Zeitung und Internet. Ein Ende des Gaza-Krieges ist so wenig abzusehen wie ein Ende des Ukraine-Krieges. "Einfrieren", Verhandlungen mit Aggressor Putin oder mehr Geld und "deutsche" Waffen (und Ausbilder), damit Putin "nicht gewinnen" darf, wenn schon ein Sieg der Ukraine nicht mehr in Aussicht steht? Trifft die in den Medien vermittelte Stimmungslage in den USA zu, so steht im November 2024 wieder Trump vor der Tür des Weißen Hauses. Dann wird es für die "Europäer" - gemeint sind "wir Deutsche" - richtig teuer. Nur weiß man nichts Genaues, etwa wem die angeblich wahlentscheidenden Frauen in den Suburbs der "swing states" den Vorzug geben - dem senilen Biden oder dem noch rüstigen Macho Trump? - oder ob die Demokraten die von ihnen abgefallenen weißen Arbeiter zurückgewinnen können. 

Noch leben wir nicht in dem T.S. Eliot vor hundert Jahren beschriebenen "öden Land". Gleichwohl: Die Statistiken zu Wirtschaft und Finanzen, zu Demographie und Sicherheit sehen nicht rosig aus. In Europa befindet sich Deutschland mit dem schrumpfenden BIP am unteren Ende, die Infrastruktur (Straßen, Brücken, Schienennetz) liegt darnieder, die Staatsschulden liegen mit 2,6 Billionen Euro exorbitant hoch, die deutschen Privatvermögen niedriger als anderswo, das Rentensystem ist auf Dauer nicht mehr finanzierbar, die Geburtenquote ist 2023 mit 1,46 Kinder pro gebärfähiger Frau erneut gesunken (zum Thema "Kind als Luxusgegenstand"  siehe die Rezension von Cora Stephan: https://www.achgut.com/artikel/babys_sind_der_goldstandard_des_menschenhandels), die - um petty crimes bereinigte - Kriminalitätsrate ist seit 2015 zwar gesunken, doch ist eine "neue Gewaltdynamik" (FAZ v. 08.04.2024, S.1) zu verzeichnen, die - um politisch unerwünschte Nachfragen zu vermeiden -  statistisch lieber nicht weiter aufgeschlüsselt wird. 

Aufgehellt wird die Mißstimmung eines lesenden Bürgers durch die süßsauren Kommentare in den "Leitmedien" zum 80. Geburtstag von Gerhard Schröder, der zu Zeiten seiner Regierungsjahre  nicht nur durch flotte Sprüche für  gute Laune sorgte. Ich empfehle Roland Tichys Laudatio auf  den Jubilar Schröder auf "Tichys Einblick". Daraus folgendes Zitat: "Gegen den Apparat der SPD von gestern und der sektiererhaft triumphierenden Grünen hat Schröder Deutschland viele gute Jahre gesichert, sich selbst auch. Was wäre geschehen, wenn er [2005] ein paar Wählerstimmen mehr gewonnen hätte? Merkel wäre Deutschland erspart geblieben – schon das eine vertane historische Chance." https://www.tichyseinblick.de/meinungen/gerhard-schroeder-80-geburtstag/

Meinem Blog-Publikum empfehle ich zudem -  nicht zu Erheiterung - meinen jetzt auch auf "Globkult" https://www.globkult.de/politik/deutschland/2357-der-kampf-um-begriffe-und-die-verfassung erschienenen "Achse-des-Guten"-Aufsatz zum Umgang Haldenwangs und anderer Verfassungsschützer mit dem im Grundgesetz fixierten Begriff "deutsches Volk". Man soll sich ja nicht selbst zitieren, aber trotzdem: "Der von links-progressiver Seite propagierte, politisch beliebige Volksbegriff ist nicht nur ahistorisch, sondern zielt evident am Selbstbewusstsein der ›neuen Deutschen‹ vorbei. Die Veränderung der Gesellschaft im Zeichen von ›Multikultur‹ und/oder unter den – in sich widersprüchlichen Leitbildern von ›Vielfalt‹ hier und ›Identität‹ dort (diversity vs. identity) – führt entgegen aller Intention dazu, dass in der ›demokratisch‹ deklarierten politischen Sozialisation der NS-Bezug an Relevanz verliert. Sichtbar und lautstark hörbar wurde diese Negativkonsequenz für das am Gegenbild des Nazi-Regimes orientierte nationale – zugleich postnationale – Selbstbild der Bundesrepublik in den antiisraelischen – und antisemitischen – Parolen (›Free Palestine From German Guilt‹) auf den Demonstrationen im Gefolge des Gaza-Krieges."

Mittwoch, 3. April 2024

Wer schützt die deutsche Sprache vor dem Verfassungsschützer?

Dass "in der Nachkriegsgeschichte die Demokratie in unserem Land selten so in Gefahr [war] wie heute", verkündet Thomas Haldenwang unter der Rubrik "Fremde Federn" in der FAZ vom 2. April 2024, S. 10. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gehört unter den politischen Beamten der Bundesrepublik zu einer jüngeren Generation, für die die höchst reale Bedrohung der Nachkriegsdemokratie durch den Terrorismus der RAF offenbar nur noch eine ferne historische Episode darstellt. 

Namen von Personen und Gruppen, von denen die heutigen Gefahren für "die Demokratie in unserem Land" ausgehen, nennt der Autor nicht. Stattdessen konstatiert er, dass "die Zahl der Extremisten und das Extremismuspotential seit Jahren [steigen]. Digitalisierung  und Virtualisierung helfen einschlägigen Organisationen und Akteuren bei der Verbereitung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ideologien und von hasserfüllter Hetze." Im folgenden wird er konkreter: "Die zu Jahresbeginn bekannt gewordenen Vernetzungstreffen zwischen Rechtsextremisten  und Teilen der gesellschaftlichen Mitte (sic!) belegen Entgrenzungsprozesse, vor denen das BfV zuvor schon gewarnt hatte." 

Gemeint ist das Potsdamer "Geheimtreffen" im November 2023 von AfDlern und Mitgliedern der - damals noch innerhalb der CDU existierenden - "Werteunion".  In all der Aufregung über den dort von demokratisch wachsamen Investigativjournalisten mit- oder abgehörten Plan zur "Massendeportation" von Staatsangehörigen nichtdeutscher Herkunft wurde nie gefragt, warum die verfassungsfeindliche Zusammenkunft erst ca. sechs Wochen nach dem eigentlichen Treffen von den  Journalisten des staatlich geförderten Portals "Correctiv" ans Licht gebracht wurde.

Haldenwangs Artikel ist übertitelt "Meinungsfreiheit ist kein Freibrief". Darin proklamiert er, "um unmissverständlich klarzustellen: In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit - und das ist gut so!" Die Meinungsfreheit im Grundgesetz schütze "selbst anstößige, absurde und radikale Meinungen". "Meinungsfreiheit und Diskurs" seien  "nämlich das, was eine Demokratie von einer Autokratie oder Diktatur mit ihrem staatlich vorgegebenen propagandistischen Einheitsbrei unterscheidet." Dass auch im  - vor allem im öffentlich-rechtlichen - Medienbetrieb der Bundesrepublik meist nur politischer Einheitsbrei angeboten wird, scheint dem Geschmackssinn - und dem Sprachstil - des obersten Verfassungsschützers besser zu entsprechen. 

Laut Art. 5(2) GG finden die Freiheitsrechte (Meinungs- und Pressefreiheit, Freiheit der Kunst und der Wissenschaft) "ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre." Kraft seines Amtes versteht sich Haldenwang zu einer eigenständigen Auslegung des Verfassungsartikels berufen: Meinungsäußerungen können "auch unterhalb ihrer strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität verfassungsrechtlich von Belang sein." Aufgabe seines Amtes sei, in Meinungsäußerungen "tatsächliche Anhaltspunkte" von "verfassungsschutzrechtlicher Relevanz" aufzuspüren, unabhängig davon, "ob diese strafbar oder illegal sind."

Was für Anhaltspunkte er im Auge hat, erläutert Haldewang in einem Endlossatz:  "Wenn beispielsweise Bestandteile unserer freiheitlichen Grundordnung attackiert werden, zum Beispiel die Menschenwürde von Angehörigen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder politischer Akteure verletzt wird, wenn zulässige Kritik und demokratischer Protest in Teilen umschlägt, eskaliert und zu aggressiver, systematischer Delegitimierung staatlichen Handelns wird bis hin zu Gewaltaufrufen, wenn an sich legitime  Kritik und Meinungen in extremistische Agitation umschlagen, die die Grundfesten unserer demokratischen Ordnung erschüttern sollen und so den Boden für unfriedliche und gewalttätige Aktivitäten bereiten können, können solche Äußerungen Belege für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen darstellen." 

Spätestens an dieser Stelle des Haldenwang-Aufsatzes würde jeder Deutschlehrer wutentbrannt den Rotstift ansetzen und ihn mit zig Ausrufe- und Fragezeichen garnieren. Haldenwangs zu Papier gebrachter Kreuzzug gegen reale und imaginierte Verfassungsfeinde scheitert bereits an der Syntax, nicht allein am Stil.   Dass bei Haldenwangs Kampf gegen "systematische Delegitimierung staatlichen Handelns" demokratische Grundprinzipien auf der Strecke bleiben, hat unlängst Henryk Broder auf der "Achse" verdeutlicht.https://www.achgut.com/artikel/kein_freibrief_von_haldenwang. (Siehe auch:https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/tichys-einblick-04-2024-angriff-auf-die-verfassung) Für mich geht es um eine ästhetische - im Hinblick auf den Gender-Unsinn auch politische - Grundsatzfrage: Wer schützt die deutsche Sprache vor dem Verfassungsschützer Haldenwang?