Vom
Wesen gelebter Demokratie in Deutschland
von
Herbert Ammon
I.
Was
sich seit dem 05.02.2020 in Thüringen abspielt, ist ein Lehrstück
in demokratischer Theorie und Praxis. Was immer man vom demos und
seiner Befähigung zur Herrschaft (kratía)
halten mag – bitte sehr: wir sind hier nicht in der einer
Aufführung eines Stückes von Aristophanes -, der Theorie (und dem
Grundgesetz nach) beruht unsere politische Ordnung auf dem Prinzip
der Volkssouveränität. Etwas anders ausgedrückt: Das Volk (Wer ist
das Volk? „Wir sind das Volk!“ Wer ist Wir? We, the
people!? Das Deutsche Volk gemäß
Präambel des GG?) übt seine Macht (krátos)
aus, indem es über sich selbst herrscht. Den theoretischen Zirkel
durchbrechen allein die Staatstheoretiker oder eben - gemäß
marxistischer Theorie – die real Herrschenden.
In
der DDR war das theoretische Problem ehedem - ehe sie vor dreißig
Jahren an einer von den Sowjets (=Rätedemokraten) unter Gorbatschow
erlaubten - Volkserhebung zugrunde ging - in der Praxis vorbildlich
gelöst: Es herrschte die Partei als Vorhut des werktätigen Volkes.
Ein paar Sitze in der Volkskammer und Posten auf Bezirksebene
kriegten auch die anderen Parteien ab, von der CDU bis hin zur NDPD.
Damit war die Einheit von Volk und Staat verwirklicht und garantiert.
In den Anfangsjahren des ersten sozialistischen Staates auf
deutschem Boden gebrauchten seine Theoretiker auch den Begriff
„Volksdemokratie“.
Womöglich
wurde einigen Theoretikern – etwa nach Hinweisen von staatsfrommen,
aus dem Westen übergesiedelten Theologen mit griechischen
Grundkenntnissen - der Pleonasmus peinlich, so dass sie ihn
irgendwann fallen ließen, ohne dass sich an der Praxis – der
Diktatur mit „Schwert und Schild“ (=Stasi) bewehrten SED -
wesentliches änderte. Einige DDR-Denker erklärten das politische
System jetzt als Umsetzung der von Rousseau proklamierten Identität
von Volk und Regierung. Immerhin verzichtet man aus
Reputationsgründen in den 1980er Jahren auf die von Rousseau
geforderte Todesstrafe für Feinde der réligion civile.
Auch baute Honecker nach den von
F.J. Strauß vermittelten Milliardenkrediten die Selbstschussanlagen
ab. Geschossen wurde an der Staatsgrenze auch noch danach. Der
einstige braun glattrasierte, mit Minen bestückte Grenzstreifen ist
jetzt ein grüner Streifen durch Deutschland, begrünt von den
Grünen, die einst die Deutschen vor der Einheit des Volkes schützen
wollten und die jetzt im Bündnis mit der „Linken“, der SPD und
Merkels CDU das Land, die grüne Natur und die Demokratie vor der
Machtergreifung Höckes bewahren.
II.
In
der durch Beitritt der DDR 1990 erweiterten Bundesrepublik
Deutschland hat man – von einigen Ausnahmen auf den Lehrstühlen
abgesehen – die zur Diktatur verführende – demokratische
Identitätstheorie des „Bürgers von Genf“ stets abgelehnt. Auch
mit dem in GG 20(1) vorgesehenen Prinzip der (Volks-)Abstimmungen
als Instrument der Volkssouveränität geht man in der Praxis
dergestalt um, dass man es gar nicht erst anwendet und die Forderung
nach Umsetzung den „Populisten“ als demagogische Parole
überlässt. Ehedem waren die Grünen Vorkämpfer direkter
Demokratie, bis sie ihre Liebe zum Parlamentarismus und zum
Parteienstaat entdeckten.
Danach
gehörte die „Linke“ (hervorgegangen aus allerlei Metamorphosen)
neben der AfD zu den Populisten, jetzt gibt es nur noch „rechte“
Populisten: die AfD. Gegen die „Rechten“, gegen die AfD
insgesamt, nicht nur gegen den „Flügel“ um Höcke, auch gegen
alle, die als „Rechte“ identifiziert werden, ist der
Schulterschluss aller Demokraten geboten. Von Fall zu Fall ist für
den demokratischen Kampf gegen „rechts“ auch der Einsatz von
Freikorps - im zeitgemäß schwarzen Gewand der „Antifa“ -
unverzichtbar.
Anders
als die Weimarer Republik ist die Bundesrepublik eine wehrhafte
Demokratie. Ein breites Bündnis demokratischer Parteien verteidigt
die Republik und die „offene Gesellschaft“ („bunt statt braun“)
gegen ihre Feinde. Wo der Feind in die Parlamente vorgedrungen ist,
gilt es das Prinzip der parlamentarischen Demokratie und ihre
Verfahrensweisen im demokratischen Sinne zu modifizieren. Alles
andere wäre vor dem Hintergrund der (ethnisch-)deutschen Geschichte
unverzeihlich.
III.
Die
Ereignisse im Erfurter Landtag bieten Stoff für Dramatiker, denen
der Sinn - nicht nur - nach Satire steht: Nach den Wahlen reicht es
für den amtierenden Ministerpräsidenten nicht mehr zur
parlamentarischen Mehrheit. Der CDU-Vorsitzende weiß nicht recht, ob
er dem als seit einigen Jahren protestantisch-frommen Chef einer
atheistischen Partei zur Wiederwahl verhelfen soll. Während seine
„Freunde“ auf höheren Parteiebenen ihm demokratisch abraten,
begehrt die Basis (das Partei-Volk) im Lande auf. Da sieht der
allseits gehasste Höcke seine Chance, das „Machtkartell“ aus
lauter lupenreinen Demokraten aufzubrechen. Gewählt wird ein
unbescholtener Unbekannter aus dem Kreis der Freien Demokraten. Er
nimmt die Wahl an und leistet seinen Amtseid sogar mit religiöser
Bekräftigung.
Auf
dem - vorläufigen – Höhepunkt des Stückes wirft eine Dame dem
soeben gemäß Verfassung des Freistaats Thüringen erwählten
Ministerpräsidenten einen Blumenstrauß vor die Füße. Das hätte
dem Stück eine Wende geben können – das Bild
bürgerlich-demokratischer Wohlanständigkeit ist dahin, die „Linke“
in Thüringen kehrt zu ihren unbürgerlich-proletarischen Ursprüngen
zurück.
Nichts
dergleichen. In Gestus und Worten der Dame – sie studierte dereinst
Pädagogik für Massenerziehung - bewährt sich der Geist der alten
Volksdemokratie: „Wir
werden Bodo Ramelow aufstellen, wenn wir wissen, wir haben eine
demokratische Mehrheit, ansonsten orientieren wir auf Neuwahlen.“
In
einem
Spiel
mit
lauter wankelmütigen Figuren ragt sie als Person mit unbeugsam
demokatischen Überzeugungen hervor. Sie kämpft seit Pioniers- und
Kindestagen (geb.1977), seit ihrem frühen Eintritt ins politische
Leben, seit 2004 dauerhaft mit Sitz im thüringischen Landtag, gegen
den wieder aufkommenden Faschismus.
(S. Henryk F. Broder:
https://www.achgut.com/artikel/bedeutende_denkerinnen_und_denker_des_21._jahrhunderts_s._h._w
Jetzt
endlich, in der Abwehr des Faschismus – über dessen Herkunft sie
sich als kämpferische Demokratin keine Gedanken zu machen braucht -
findet die Pädagogin von allen Seiten Unterstützung. Aus Afrika
spricht die in der DDR sozialisierte Kanzlerin (dea ex ac in
machina) auf Smartphone ein Machtwort, in Bayern fordert ihr
potentieller Nachfolger die Errichtung einer Brandmauer, um das
braune Gelichter vom inneren Reich der Demokratie fernzuhalten. Es
geht längst nicht mehr um den Freien Demokraten Kemmerich, über
dessen Cowboystiefel sich die FAZ
mokiert
(und nicht über die blauen Söckchen der Blumenstraußwerferin). Es
geht um die Rettung der repräsentativen Demokratie in Deutschland.
Das muss endlich auch der vom Landtag der Vertretung des Volkes,
erwählte Ministerpräsident einsehen. Er tritt vom Amt zurück.
IV.
Für
Kemmerichs demokratische Gewissensentscheidung war nicht zuletzt das
volksdemokratische Engagement der Antifa ausschlaggebend. Sie
verzierte das Haus des FDP-Politikers Thomas Emmerich mit
Kampfparolen und bedrohte seine Familie. Derlei Spiele erheitern den
demokratischen Alltag der Berliner Republik. Sie bieten den
Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland Anschauung
vom Wesen gelebter Demokratie.