Donnerstag, 4. April 2019

Reflexionen zum NATO-Jubiläum

Die NATO, das Verteidigungsbündnis unter Führung der USA, feierte am 4. April 2019 ihr 70jähriges Bestehen. Das historisch bedeutsame Datum findet in Deutschland – ein Land, das sich in der Rolle des europäischen Musterlandes gefällt - außerhalb der Medien kaum Beachtung. Die in etwa gleichen Teilen moralistisch, pazifistisch, alarmistisch, hedonistisch oder egoistisch gestimmten Deutschen entrüsten sich allenfalls über den ach so primitiven US-Präsidenten Donald Trump sowie dessen Botschafter in Berlin, wenn diese Amerikaner – wie eben zuvor schon der demokratische Präsident Obama - einen höheren Beitrag der Bundesrepublik zu den Bündniskosten fordern.

Historisch-politische Zusammenhänge sind den Deutschen, genauer: denen, „die schon länger hier leben“ (A. Merkel), längst aus dem Blick geraten. Was die bereichernde Diversität betrifft: Für neudeutsche Staatsbürger ist die deutsche Geschichte und politische Geographie nur insoweit relevant, wie sie sich mit jeweils eigenen historischen Erinnerungen sowie heutigen Interessen berühren. Was wissen die autochthonen, was die migrationshintergründigen Deutschen von der Genese und raison d´être der NATO im Kalten Krieg: „To keep the Russians out, to keep the Americans in, and to keep the Germans down“ (dixit Lord Ismay, erster NATO-Generalsekretär 1952-1957)? Alt- und Neubürger wissen davon natürlich nichts. In der grünen Gesamtschule kommt Interessenpolitik (implicite Machtpolitik) als Unterrichtsthema nicht mehr vor.

Das ist auch nicht mehr nötig. Denn alle jüngeren Autochthonen fühlen grün, also global friedenspolitisch, außer wenn - nein, gerade wenn es um die militärische Durchsetzung der Menschenrechte geht. Ach ja: Womöglich hätte Hillary Clinton dem mörderischen Treiben eines Baschar al-Assad ein Ende bereitet und hätte in Syrien die Demokratie und Menschenrechte durchgesetzt, wenn nicht dieser Trump usw. Andererseits: Gerhard Schröder tat anno 2003 recht, als er sich dem Kriegszug des US-Präsidenten George W. Bush gegen Saddam Hussein verweigerte. Usw. usw.

Widersprüche bleiben in gründeutschem Gefühlsdenken unterhalb der Bewusstseinsschwelle. Das gilt offenkundig auch für die Wahrnehmung des – zumindest militärisch - wiedererstarkten Russland und seines Präsidenten Putin. Gegen die aggressiven Aktionen und bedrohlich imperialen Absichten der Moskowiter ist europäische Wachsamkeit geboten. Dafür braucht man indes wieder die NATO und die ungeliebte amerikanische Führungsmacht. An ein auf die EU-Staaten beschränktes Militärbündnis ist – ungeachtet aller deutsch-französischer Gemeinschaftsunternehmen in Mali - nicht zu denken. Zwar mag Merkels Verteidigungsministerin von der Leyen von einem deutschen – oder deutsch-französischen - Flugzeugträger träumen. Ein deutsches Ansinnen auf gemeinsame Befehlsgewalt über die force de frappe kommt für die Franzosen  nicht in Frage. Bleibt also wiederum nur die NATO als letzte deutsche Sicherheitsgarantie. Außerdem haben „wir Deutschen“ eine besondere Verantwortung für die in Moskaus Schatten existierenden ostmitteleuropäischen Staaten.

Die Faktenlage scheint somit einfach und moralisch klar. Gab es nach dem Mauerfall, gibt es in der Gegenwart Alternativen zu der ungewissen - von neuem Wettrüsten gefährdeten - Sicherheitslage? An der Notwendigkeit der NATO und der von Putin ausgehenden Gefahr zweifeln doch nur die Partei, die sich „Die Linke“ nennt, sowie ihr „rechtes“ Gegenstück, die AfD, dazu vielleicht noch ein paar suspekte Putin-Versteher...

Vor diesem Hintergrund verdient ein Aufsatz des Historikers Michael Stürmer – ein unverdächtiger, amerikafreundlicher Autor - in der „Welt“ (https://www.welt.de/debatte/kommentare/article191302767/70-Jahre-Nato-Deutschland-ist-nicht-mehr-buendnisfaehig.html?fbclid=IwAR0K5BBeP6zV1kqZZUpxL0jgxDdO-JYkSxYVRirfIXlc23qOm9LXuQ0Fc1E Interesse. Er schreibt:

„Mit der Osterweiterung der Nato in den Neunzigerjahren indes hat sich das Bündnis auf eine Politik eingelassen, deren politische Kosten noch immer steigen. Russland erschien damals schwach, Rücksichtnahme auf imperiale Nostalgie in Moskau und Sankt Petersburg entbehrlich.
Maßgeblich getrieben von amerikanischer Innenpolitik und dem Interesse der Rüstungsindustrie, ließ sich das Bündnis, statt finnische oder österreichische Lösungen auszuloten, auf Erweiterungen im postsowjetischen Raum ein, die den russischen Phantomschmerz angesichts des zerbrochenen eurasischen Imperiums steigerten.
Zugleich fehlte es, auch von europäischer und deutscher Seite, an konstruktiven Strategien der Gefahrenabwehr mit Russland, von nuklearer Proliferation über konventionelle Rüstungskontrolle bis Terrorabwehr und Klimarettung. Die Nato hat eine Agenda, für die sie nicht gemacht ist.“


Gefragt sind „konstruktive Strategien“. d.h. konzeptionelle Alternativen zum derzeitigen, von Sanktionen geprägten konfrontativen Umgang mit Russland. Stürmer bezieht sich auf „den in Sachen Russland erfahrenen“ einstigen Kohl-Vertrauten und Wegbereiter der Wiedervereinigung Horst Teltschik als Ideengeber. In der ausgehenden Ära Merkel, in der von der Einheitsparole „Mehr Europa“ übertönten politischen Landschaft der Bundesrepublik, gehört Teltschik zu den verachteten „weißen alten Männern“.









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