Dienstag, 28. Februar 2017

Protestantische Fastenzeit 2017

Heute, am Dienstag, den 28. Februar 2017, nach all den Festsitzungen und Umzügen der Karnevalsvereine, tobt in Deutschland, längst nicht mehr nur in rheinischen, bayerischen, katholischen sowie in einst lutherisch sächsischen, von katholischen Königen regierten Regionen, noch einmal der Frohsinn. Die alemannische Fasnet trägt angesichts der furchterregenden Masken vom Erscheinungsbild her weniger lustigen Charakter, in der zwinglianisch reformierten Schweiz – wo man dereinst erstmals das Fastengebot missachtete, dauert sie gar noch länger.

Morgen ist bereits Aschermittwoch, und wir befinden uns im Wahljahr. Das TV-Volk darf sich am Abend an den kernigen, kämpferischen Stammtischreden der Politiker und -innen ergötzen. Die Reden klingen ähnlich wie bei Trump, der im puritanischen Amerika jedoch keinen Bierkrug schwingen durfte. Leider werden diese Reden von vielen oder „allen, die hier leben“, d.h. von Merkels Volk, aus sprachlichen und sonstigen Gründen gar nicht erst verstanden. Selbst diejenigen, „die schon länger hier leben“, merken kaum noch, dass Merkel - anders als einst Bert Brecht - Volk und Bevölkerung durcheinanderwirft. Auch in den Büttenreden nimmt keiner der Karnevalisten Merkels bescheidene Rhetorik – gar die politische Semantik unserer Kanzlerin – aufs Korn. Der Humor der Jecken befriedigt sich lieber an Donald Trump, der mit der Statue of Liberty kopulieren darf, ohne dass dies irgendeine gründeutsche Moralistin anstößig fände. Es ist ja Karneval. Da lacht über derlei Scherze die ganze deutsche Gemeinschaft der Demokraten. In Aachen, einer Hochburg unseres Humors, verlieh die im Karnevalsverein organisierte Zivilgesellschaft dem Scherzbold Greor Gysi den „Orden wider den tierischen Ernst“, mutmaßlich für seine Verdienste um mehr Lockerheit in seiner Partei, die sich „Die Linke“ nennt.

Gleichwohl beginnt  morgen, Aschermittwoch, die Fastenzeit. Wer indes meint, es gäbe noch Katholiken, die sich in der Frühmesse ein Kreuz aus Asche auf die Stirn zeichnen ließen, und die für die nächsten 40 Tage auf fleischliche Nahrung verzichten, befindet sich im Irrtum. Gut, es gibt noch ein paar „rechte“ Traditionalisten, die sich um die Priesterbruderschaft St. Pius X. scharen, und wir dürfen hoffen, der menschheitsbeglückende Papst Franziskus werde mit ihnen Frieden schließen.

Ebenso irrt derjenige, der meint, die Fest- und Fastentage hierzulande seien durch den christlich-lateinischen Kirchenkalender, letztlich katholisch, festgelegt. Nein, Deutschland, räumlich definiert in den Grenzen des seit 1871 erheblich reduzierten Reiches, ist ungeachtet der wachsenden Kirchenaustrittszahlen sowie der mittlerweile – mit leichter Neigung zur katholischen Seite – ausgeglichenen Konfessionszugehörigkeit ein protestantisches, genauer protestantisch grundiertes Land. Als anno 1990 Lothar de Maizière, der kurzzeitige und letzte DDR-Ministerpräsident, konstatierte, Deutschland sei östlicher und es sei protestantischer geworden, verwunderte dies womöglich manch säkulare, agnostische oder atheistische Zeitgenossen, empörte etwa auch einige mit Helmut Kohl wegen der Frage der deutschen Wiedervereinigung zerfallene Christdemokraten wie Heiner Geißler.

De Maizière hatte recht. Deutschland wird, ungeachtet der erwähnten Kirchenaustritte sowie der unaufhaltsam steigenden Anzahl von Merkels muslimischen Volksgenossen, unter grün-rosa Ägide von Jahr zu Jahr protestantischer. Im Lutherjahr 2017 richtet sich der fromme Glaube – anders als vor 100 Jahren – nicht am „deutschen Protest“ des Reformators auf, sondern zielt, ökumenisch gerichtet, auf die Belehrung der ganzen Welt aus dem Geiste deutscher Gesinnungsethik: Gerade wir (Biodeutsche) haben unsere Lektion gelernt, wir kennen unsre Schuld, wir kämpfen weltweit für den Frieden, wir praktizieren grenzenlose Nächstenliebe. Ob unserer „Willkommenskultur“ für „Geflüchtete“ aus aller Welt beneidet uns die ganze Welt (außer den in Nahost malträtierten Christen).

Wir bewahren die Schöpfung mit unseren Windrädern. Die von Renate Künast (Grüne) einst angekündigte – „geforderte“ – Einführung eines „Veggie Day“ in öffentlichen Einrichtungen ging zwar daneben, kostete den Grünen anno 2013 eine Menge Stimmen. Doch der Kampf geht weiter: Im Ministerium von Barbara Hendricks (SPD) gibt’s seit letzter Woche – nicht erst ab morgen – nur noch fleisch- und fischfreie Mahlzeiten in der Cafeteria. Außerdem werden wir von Politik, Greenpeace und Kirche ermahnt, uns in den nächsten Wochen das Autofasten aufzuerlegen – aus Feinstaub- und ähnlichen Gründen. Flugreisen scheinen aus politischen Gründen von der protestantischen Fastenordnung ausgenommen. Mutmaßlich handelt es sich dabei um ein Residuum göttlicher Gnade in der säkularen Gesellschaft.

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