I.
In Deutschland
geht die Angst um. Ein paar Bürgermeister maßten sich an, Erdogans
Kampf für seine "präsidialdemokratische" Umgestaltung der Türkei auf deutschem Boden zu untersagen. Unverzüglich bekamen
sie die Quittung von dem starken Mann am Bosporus: „Wenn ich
will, komme ich morgen. Ich komme und wenn ihr mich nicht hereinlasst
oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich einen Aufstand
machen." Vor solchen Worten müssen wir, „die schon länger
hier leben“ (Merkel), erzittern.
Oder ist´s
vielleicht doch nicht ganz ernst gemeint? Schließlich ist der Mann
unser Nato-Verbündeter. Bürgerkrieg im Lande der Verbündeten - "das
geht gar nicht" (Merkel). Oder am Ende doch? Droht der AKP-Chef tatsächlich mit Taten,
mit einer Massenerhebung von Erdogan-treuen Patrioten bzw.
Doppelstaatlern in diesem unserem Land? Das revolutionäre Muster ist
bekannt: erst Massendemonstrationen, dann Steinwürfe, gezielte
Angriffe auf die Polizei, ein paar Molotow-Cocktails, ein paar
Schüsse - von wem auch immer - und schon wären Tausende von
waffengeübten Neubürgern auf den Barrikaden. Im Bürgerkrieg –
selbst auf den Barrikaden – verwischen sich die Fronten.
Unvorstellbar, dass sich Tante Antifa die Chance entgehen ließe,
ihre Wut gegen alle Nazis – und das heißt gegen uns Krauts, die
noch länger hier leben wollen – revolutionär zu entfalten.
Wie können wir einem
solchen, von Erdogan angekündigten Bürgerkriegsszenario noch
entgehen? Vermittels der aus der traditionellen Kriegskunst bekannten
Technik des Prävenire. In Berlin, eher noch in Potsdam, am ehesten
in Dresden, erinnert man sich noch an den in Kriegskunst –
Kriegsplanung, Strategie und Taktik – erfahrenen, mit Kriegsglück, sprich: durch Zufall, siegreich davongekommenen großen
Preußenkönig. Sein Denkmal steht seit Honeckers Zeiten wieder Unter
den Linden, die um Fridericus Rex auf dem Sockel Versammelten, Heroen
des Krieges und des Geistes, kennt hierzulande mutmaßlich fast
niemand mehr. Wozu auch? Wir befinden uns in der posthistoire,
wir sind gründeutsch, unversalistisch und – Ausnahme Kosovo,
Afghanistan etc. - pazifistisch gestimmt.
II.
Und nun aus
heiterem Himmel eine solche Drohung. Wie dem über Ditib, die
türkisch-sunnitische Religionsbehörde, „in unser Land“ heineinregierenden
Diktator entgegentreten? Wie den angedrohten Aufstand verhindern?
Mit einer Gegenstrategie, mit Präventivmaßnahmen der Demokratinnen
und Demokraten: beispielsweise zur Pazifizierung jugendlicher
Neubürger mit der Gewährung des Wahlrechts für alle ab 16 Jahre,
mit mehr gendergerechter Pädagogik, mit aggressionsminderndem
Kampfsporttraining, mit Saudi-finanzierten Friedensmoscheen etc.
Derartige Sozialisationstechniken werden junge Neubürger
hindern, uns, die schon länger hier leben, zu verachten, als
„Nazis“ zu beschimpfen und zu hassen.
Wie
es scheint, hat Erdogan derartige, gegen seine neuosmanische
Reichsausdehnung gerichtete deutsche Präventionsstrategien bereits
frühzeitig erkannt und – kühl planend wie dereinst der preußisch-deutsche
Generalstab - seinerseits das Prävenire des Prävenire ins Spiel
gebracht. Um seine Wahlkampfauftritte durchzusetzen, hatte er schon vor
seiner Bürgerkriegsdrohung den Nazi-Knüppel hervorgeholt.
„Deutschland, ihr (sic!)
habt keine Vorstellung von Demokratie. Eure Praktiken machen
keinen Unterschied zu den Nazi-Praktiken in der Vergangenheit".
III.
Bei derlei Worten
erzittert die gründeutsche Republik. Der Kolumnist Harald
Martenstein – wegen seines ironischen Umgangs mit der
gründeutschen Gegenwart der landesüblichen Suggestion „irgendwie
rechts“ ausgesetzt – hat sich über das demokratische
Diskursverfahren in Deutschland lustig gemacht: Wer sich in einer
schwierigen Frage – etwa über die Zukunft dieses unseres Landes –
gegen den Gegner durchsetzen will, muss als erster die Allzweckwaffe
„Nazi“ hervorholen.
Womöglich hat
Erdogan – über Martenstein unterrichtet von Deniz Yücel – den
Nutzen der Technik des Prävenire erlernt.
IV.
P.S. In eigener
Sache: Ulrich Siebgeber ist mir in seiner Kolumne über „Die
Trauben vom Bosporus“ zuvorgekommen. Nichtsdestoweniger darf ich,
in der Hoffnung auf Verständnis bei den Lesern (inkl. Siebgeber) für mein Zuspätkommen,
obige Überlegungen zur Kunst des Prävenire in meinem Blog vorstellen.
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