I. Die Aura des Sakralen und die Abwehr des Populismus
In den herrschenden Diskursen umschließt den Begriff „Demokratie“ die
Aura des Sakralen. Er scheint unantastbar, nicht zufällig an dem Punkt,
wo es um die Definition des edlen Wortes sowie die darin angelegte
semantische Dissonanz – um die Bestimmung des Verhältnisses von dêmos und krátos,
von „Volk“ und „Macht“ und/oder „Herrschaft“ - geht. Zum einen wird
(wie zuletzt in einem Aufsatz des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert:
„Wer sind wir?“,
der im Grundgesetz noch als selbstverständlich zugrundelegte Begriff
des „Deutschen Volkes“ (Kapitelchen in der Präambel des Grundgesetzes)
in seiner historisch-kulturellen Gegebenheit sowie in seiner auf den
Nationalstaat bezogenen Begrenzung relativiert, zum anderen werden die
aus dem Begriff der Volkssouveränität und dessen Institutionalisierung
erwachsenen Widersprüche juristisch und politisch-philosophisch
kunstvoll eskamotiert. Wer wagte heute noch zu spotten wie dereinst Kurt
Tucholsky über Art. 1 der Weimarer Verfassung: „Alle Macht geht vom
Volk aus. Aber wo geht sie hin?“
Die parlamentarische Demokratie in ihren bestehenden Formen
(Gewaltentrennung, Wahlsystem inklusive Fünf-Prozent-Klausel,
Parteiengesetz) ist „alternativlos“. Dass in Art. 20 (2,2) GG die
Übertragung der „vom Volke“ ausgehenden Staatsgewalt – dem Buchstaben
nach offenbar auch auf Bundesebene - außer Wahlen auch „Abstimmungen“, id est Plebiszite,
vorgesehen sind, wird gemeinhin ignoriert. Mehr noch, es geht um die
Abwehr des „Populismus“, der, gefährliches Störelement der etablierten
Ordnung, mit derlei vulgärdemokratischen Vorstellungen das
Repräsentationsprinzip zu unterhöhlen drohe. Nicht zufällig gehören die
„Grünen“, ehedem unter dem Kampfbegriff „Basisdemokratie“ in die Arena
getreten, heute zu den entschlossensten Kämpfern gegen das Gespenst des
Populismus.
Ironie der Geschichte: Mit „We the people“ proklamiert die Präambel
der amerikanischen Verfassung das Subjekt des Gründungsaktes. Als sich
etwa 100 Jahre später (1892-96) die agrarische Protestbewegung im Süden
und Mittelwesten unter dem Namen „The People´s Party“ formierte, wurde
der „Populismus“ geboren – laut US Wikipedia in ihrer politischen
Ausrichtung „left-wing“. Der Ehrentitel kam den lange als demokratische
Reformbewegung behandelten „Populists“ in den 1950er Jahren abhanden,
als Historiker wie Richard Hofstadter auf die weniger liebenswerten Züge
der Agrarrevolte verwiesen. Seither gilt in der etablierten Politik,
assistiert von Politikwissenschaftlern, Populismus als anrüchig,
verdächtig. Nicht das jederzeit verführbare „Volk“ ist zu objektiver und
konstruktiver Kritik des demokratischen ordre établi und
seiner politischen Praxis berufen, sondern die freie Presse, die
kritischen Medien, die „vierte Gewalt“. Als demokratische Leitbilder
fungieren bis heute die Bob Woodward und Carl Bernstein, die als
Reporter für die Washington Post anno 1972 den Watergate-Skandal
aufdeckten.
II. Die politisch-mediale Klasse ist mit einem neuen Phänomen konfrontiert
Die neuen Medien, die Internet-Zeitschriften und Portale, erst recht
die dank Facebook,Twitter, youtube etc. expandierenden „social media“ -
der Plural erscheint im amerikanischen Englisch meist im Singular –
waren in dem politischen System, wie es noch vor 10-15 Jahren bestand,
nicht vorgesehen. Seither untergraben sie nicht nur die materielle Basis
der Presseerzeugnisse – was die Verlage genötigt hat, sich auf
online-Zeitungen umzustellen -, sie stellen nicht nur die Autorität und
das Quasi-Monopol der etablierten Medien ( Presse, TV, Rundfunk) in
Frage, sondern sie konfrontieren die real existierende politisch-mediale
Klasse mit einem neuen Phänomen: der in den Raum des Politischen
permanent hineinwirkenden Kritik „von unten“, der Artikulation des
„Volkes“, der Selbstorganisation von Gruppen als politischer
Willensträger, die sich im bestehenden System nicht – nicht mehr -
vertreten sehen.
Der Wirkkraft der „social media“ verdankt ein Donald Trump seine Wahl
zum Präsidenten der USA. Vereinfacht gesprochen, gelang ihm über
youtube die Mobilisierung der „Massen“ des amerikanischen heartland gegen die vom liberal establishment gelenkte
Massendemokratie. Entsprechend empört reagieren von Tag zu Tag die von
Trump gedemütigten Journalisten der New York Times oder bei CNN. Das
gesamte linksliberale Europa empört sich gleichlautend, jeder Satz des
antiintellektuell auftretenden, ob seiner Vulgarität – die einem Bill
Clinton nicht zum Schaden gereichte - berüchtigten Trump wird zum
Gegenstand des Hohns und der moralischen Entrüstung.
Trump war im amerikanischen System nicht vorgesehen. Der Brexit war
weder in London noch in Brüssel vorgesehen. Ähnlich wäre der Durchbruch
der AfD – unbeschadet von Prozentschwankungen in den Umfragen – als
neue, das Parteiensystem der Bundesrepublik herausfordernde „rechte“
Kraft ohne die neuen Medien kaum denkbar gewesen.
Das „Volk“ - versammelt um eine Anzahl von rhetorisch, intellektuell
und medial gewieften Führungsfiguren – formierte sich gegen die
„alternativlose“, oppositionsfreie, größtkoalitionäre Politik der
Kanzlerin Merkel. Insofern die AfD Widerspruch zu fragwürdigen – gemäß
Gutachten des Staatsrechtlers Udo di Fabio mit der Verfassung
unvereinbaren - Entscheidungen und Strategien der politischen Eliten,
unterstützt von der „Zivilgesellschaft“, genauer: von Aktivisten und
pressure groups, zum Vorschein brachte, verfügt sie – aller Empörung der
„demokratischen Parteien“ zum Trotz - über demokratische Legitimation.
Die Reden eines Björn Höcke oder das Gebaren anderer AfD-Chargen stehen
auf einem anderen Blatt. Auch derlei Manifestationen würden ohne
Verbreitung durch „social media“ weniger Beachtung finden.
III. Die neuen Medien und die Chancen auf Teilhabe
Verstehen wir unter „demokratisch“ den Anspruch auf geistige
Autonomie, auf Information, auf Meinungsfreiheit, auf Kritik und
Kontrolle der Eliten, last but not least auf Partizipation im
politischen Prozess, so erweisen sich die neuen Medien als demokratische
Segnungen. Aus Internetzeitschriften beziehen wir sonst schwer
zugängliche – oder schlicht ungedruckte, womöglich gar oder unterdrückte
Informationen. Wie anders als über die „social media“ bekämen wir ein
komplexeres, objektiveres Bild vom Bürgerkrieg in Syrien, von den realen
Zuständen in Aleppo, von der peinlichen Farce hinter dem Dresdner
Kunstwerk deutschen Schuldgedenkens? Ausschließlich aus den neuen Medien
erfahren wir derzeit etwas darüber, dass sich – eine Reprise der
wochenlangen Unruhen in den Banlieues 2005 - seit mehr mehr als zwei
Wochen in Paris und anderswo bürgerkriegsähnliche Szenen abspielen, die
das politisch korrekte Bild der durch Einwanderung kulturell
bereicherten Gesellschaft widerlegen. Wo hören, wo lesen wir etwas über
den fortbestehenden Ausnahmezustand (état d´urgence) in den Städten des Nachbarlandes?
Unübersehbar sind die Schattenseiten der neuen Medien. Als User von
Facebook stößt man auf Pöbeleien, die an Vulgarität, Dummheit,
Gemeinheit, Aggressivität schwer zu übertreffen sind. Unverzüglich
ertönte daher die Forderung nach Zensur (am besten nach chinesischem
Vorbild), und Mark Zuckerberg zeigte bei Angela Merkel volles
Verständnis. Schon werden Autoren für Beiträge gesperrt, über deren
Anrüchigkeit die „Freunde“ sich kein Urteil bilden können.
Zuletzt: Wer glaubt, die neuen Medien eröffneten den neuen Königsweg
zur direkten Demokratie, befindet sich auf dem Holzweg. Auch für den mit
einer eigenen Website operierenden Einzelkämpfer besteht als Blogger
nur eine geringe Chance, im digitalen Labyrinth gesehen, gehört und
anerkannt zu werden. Um Beachtung zu finden bedarf es der Vernetzung,
für den Zugang zu einer Internetzeitschrift – wie beispielsweise bei
meiner bevorzugten Plattform „Globkult“
- bedarf es der Kooperation von Mitstreitern und das gilt auch für
Portale wie „Die Achse des Guten“. Gleichwohl sind die Chancen auf
Teilhabe an der politischen Meinungsbildung ungleich größer als im
vordigitalen Zeitalter. Über die neuen Medien wird die vom herrschenden
Diskurs gespannte Schweigespirale durchbrochen. Und so bedanke ich mich
für den Kreis der demokratischen Abweichler, die sich um die „Achse des
Guten“ versammeln. Im Rahmen der von sich selbst legitimierenden Eliten
dominierten Massendemokratie fungiert die „Achse“ als Agora für freie
Bürger.
P.S. Der obige Aufsatz erschien am 27.02.2017 auf der Achse des Guten. Da er eine unverminderte Aktualität beanspruchen kann, präsentiere ich ihn hier noch einmal auf meinem Blog.
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