In der gestrigen Samstagausgabe der FAZ ist ein Beitrag von Rupert Neudeck unter dem Titel "In Syrien nicht nur den Christen helfen"erschienen. Neudeck hat sich seit Jahrzehnten (Stichwort Rettungsschiff "Cap Anamur" 1979) mit menschlichen Rettungs- und Hilfsaktionen hohe Anerkennung erworben. Aus seinem jüngsten Beitrag wird leider ersichtlich, wie die besten humanistischen Absichten in Gefahr geraten, in einer umfassend mörderischen, unmenschlichen politischen Realität - wie derzeit in Syrien - das Gegenteil des angestrebten Guten zu bewirken.
Neudecks humanitäre, menschenrechtliche Sorge gilt nicht allein den Christen (von denen sich die große Mehrheit anscheinend noch immer unter der Diktatur des Alawiten Assad sicherer fühlt als unter einem künftigen Sunniten-Regime), sondern allen vom Bürgerkrieg Betroffenen, gleich welcher religiösen Zugehörigkeit. Mit diesem universalistisch ausgerichteten Moralappell lässt es der katholische Universalist/ Aktivist Neudeck aber nicht bewenden: Er fordert Waffenlieferungen an die Rebellen, unter denen nach seiner durch Reisen und Kontakte begründeten Wahrnehmung die politisch-religiös toleranten Freiheitskämpfer die überwältigende Mehrheit stellten. Die als harte Kämpfer immerhin gefürchteten Djihadisten/Islamisten bildeten hingegen nur eine quantité negligeable. (Es gibt leider auch gut fundierte andere Wahrnehmungen.) Es sei die Verpflichtung des Westens, so Neudeck, den eine friedliche Zukunft nach Assad anstrebenden Aufständischen zum Sieg zu verhelfen.
Am Schluss seines Artikels beruft sich Neudeck auf die erfolgreiche NATO-Intervention im Kosovo-Krieg, d.h. den mit Bomben erzielten Sieg über Serbien unter dem Regime Milosevic. Neudeck bekennt sich - m.W. erstmals - dazu, kein Pazifist zu sein. Als geistige Kampfgefährtin nennt er - sie zustimmend zitierend - die Grünen-Politikern Marie-Luise Beck ("Eine Politikerin ist kein scheues Reh. Es geht um Macht"), die seinerzeit - nicht anders als der grüne Außenminister J. Fischer - den Kosovo-Krieg wie folgt begründete: "Auschwitz wurde von Soldaten befreit." (Richtig, es waren Soldaten der Roten Armee.) Die Grünen, die dereinst mit pazifistischen Parolen ihren Platz in der in der alten Bundesrepublik eroberten, sind längst unübertroffen als Protagonisten "humanitärer Intervention", wenn diese zur Errichtung der Zivilgesellschaft geboten scheint. Die Letztbegründung für den eigenes Risiko ausschließenden Einsatz der Berufsarmee lautet: "Auschwitz".
Der Friede muss bewaffnet sein, hieß es einst im sozialistischen Friedenslager. Heute, in Zeiten des globalen - falsch: selektiven - Interventionismus geht es - weniger sozialistisch als kapitalistisch-feministisch - wieder mal um die Notwendigkeit von Waffen für Frieden und Menschenrechte. Die Kritik an derlei Moral richtet sich - etwa im Hinblick auf die im Irak erzielte "Friedensordnung" - nicht allein auf deren ideologische Fadenscheinigkeit, sondern auf die - womöglich aus lauteren Motiven - mit militärischen oder nichtkriegerischen Mitteln betriebene Politik: Wer übernimmt die Verantwortung für die unbeabsichtigten Folgen?
Neudeck glaubt an eine friedliche Zukunft für alle - Sunniten, Schiiten, Alawiten, Drusen, Kurden und Christen nach dem erfolgreichen Aufstand gegen Assad. Dazu benötigten die Rebellen mehr Waffen. Seit ca. einer Woche ist hierzulande die Empörung groß, dass Deutschland bei Waffenexporten - sind darin die an Israel gelieferten U-Boote mitgerechnet oder nur die Leopard-Panzer an die Saudis? - ganz vorne liege. Die Auflösung des Widerspruchs: die Rebellen brauchen die richtigen Waffen... Aber kamen die nicht schon von Anbeginn aus Saudi-Arabien? - Wir bereiten uns schon mal - auch aus demographischen Gründen - auf die zahllosen Flüchtlinge aus Syrien vor.
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