Freitag, 17. Juni 2016

German Polspeak and German empirical sociology


I.
Die satirische Qualität von Merkels Polspeak ist inzwischen selbst einigen medialen Merkel-Anhängern aufgegangen, nicht allein dem als einstiger „Ossi“ an der Geistesverfassung der Bundesrepublik (ver)zweifelnden Michael Klonovsky. Dessen auch in Buchform („Acta diurna“) vorliegenden Sprachanalysen der Verlautbarungen der in Templin (ehedem Bezirk Neubrandenburg, heute Bundesland Brandenburg) zu einem DDR-Einser-Abitur – damals noch mit Deutsch als Erstsprache - gelangten Pastorentochter bieten inmitten unseres sonst tristen Politalltags vergnügliche Lektüre.

In der heutigen FAZ wird der Leser (sc. -eXYZ-in) erneut mit stilistischen Hervorbringungen unserer Kanzlerin beglückt. Unter Bezug auf eine  Umfrage der Universität Leipzig, die  correcto modo wachsende Vorurteile gegen Homosexuelle diagnostizerte, forderte Merkel  in einer "offenen und freien" Gesellschaft "Respekt" gegenüber dem (m.) jeweils anderen, "egal, was er glaubt [gilt nicht für Ludendorffer, H.A.], egal, wie er aussieht [gilt auch für Burka-Träger, m., H.A., s.a: http://herbert-ammon.blogspot.de/2014/06/beichtspiegel-und-burka.html.], und egal, wen er (m.) liebt". (Die Ergänzung des Bloggers: " gilt mithin auch für Hundeliebhaber/Kynophile" unterliegt der Selbstzensur; H.A.] Mutmaßlich  im Hinblick auf die angestrebte großgründeutsche, schwarz-grün-gelbe Koalition, sodann anläßlich des vom Massaker in Orlando, Fla.,  überschatteten CSD, eines der höchsten Feiertage unserer Zivilreligion, verlieh Merkel in folgenden Worten ihren Überzeugungen Ausdruck: „Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft stark genug ist, auch diesen bedrückenden Hass zu überwinden und zu überstehen." Frage: Sind wir  "stark genug", Merkels Erfolge als Willkommenskulturalistin zu überstehen, insbesondere auch ihre rhetorischen Leistungen hinreichend zu würdigen? Schaffen wir das? (Siehe auch: H.A.http://herbert-ammon.blogspot.de/2015/09/historisch-politische-bilanz-der.html)

II.
In derselben Ausgabe der Qualitätszeitung darf sich als „Fremde Feder“ Katrin Göring-Eckardt, die unvollendete Theologin und Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, zum Thema „Für einen sozialen Aufbruch" äußern. Wer soll mit wem wohin aufbrechen? Da das Proletariat sich realsoziologisch und begrifflich bereits in den 1950er Jahren dank wachsendem Wohlstand in der kapitalistischen Industriegesellschaft aufgelöst hat und das jüngere Prekariat als Adressat grüner sozialer Fürsorglichkeit nicht in Frage kommt, gilt Göring-Eckardts Sorge allen, die "keine Chance auf Aufstieg haben, auf ein anderes Leben". Dazu gehören "der  Kurierfahrer genauso wie diejenigen mit Uniabschluss und Auslandserfahrungen." Doch nicht nur das akademische Prekariat gehört zu  Göring-Eckardts grünen Sorgenkindern: "Armut, gerade von Kindern, hat nicht abgenommen, und sie trifft besonders Kinder von Alleinerziehenden, meist Frauen." 

Dass Göring-Eckardts Aufbruch in die bessere Zukunft  - "ein sozialer Aufbruch kann gelingen, wenn wir klarmachen , dass mehr Gerechtigkeit sich für alle lohnt" - nur durch bessere Bildung gelingen wird, versteht sich von selbst: "Die nächste Gründerin eines Dax-Unternehmens könnte heute in Duisburg-Marxloh zur Kita gehen, aber nur, wenn wir sie früh genug fördern, wird sie ihren Weg gehen können."

Für Göring-Eckardt geht es beim Aufruf zum letzten deutschen Aufbruch "aber nicht um Arm und Reich, sondern darum, dass sich alle nach ihren Möglichkeiten an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. [...] Wirksam wird nur en stimmiger Mix sein, der es schafft, bröckelnden Arbeitseinkommen und der fortschreitenden Konzentration von Megavermögen gleichsam zu begegnen." Quasi.

III.
Naturgemäß geht es unseren bundesrepublikanischen Sozialforschern darum, in der „Mitte“ unserer Gesellschaft „rechte“, für die pluralistisch-demokratische Werteordnung brandgefährliche Sentiments und Tendenzen offenzulegen und als „erschreckende“ Mahnung in den medialen Diskurs einzuspeisen. Der empirisch-wissenschaftliche Befund stützt sich in der Regel auf Fangfragen („loaded questions“) sowie auf Aussagesätze ("items" oder „statements“), denen der Befragte ob ihrer geistigen Schlichtheit ("Sehen Sie für die Zukunft schwarz? - Ja/ein bißchen/Nein") rat- und hilflos gegenübersteht. Ich darf vermerken, dass ich dergleichen „empirisch-wissenschaftliche“ Verfahren bereits anno 1981 bezüglich einer damals „aufsehenerregenden“ SINUS-Studie („13 Prozent der Deutschen: ´Wir sollten wieder einen Führer haben´“) in Zweifel gezogen habe. Was eine jüngste alarmistische Studie eines Leipziger Instituts (s.o.) betrifft – es ging wieder mal um die kryptonazistische Seele der Ethno-Deutschen -, so empfehle ich dem Publikum folgenden Aufsatz: http://www.rolandtichy.de/kolumnen/alexander-wallasch-heute/studie/

Dazu noch ein Zitat des stets vergnüglich zu lesenden Harald Martenstein: „Immer wenn ich Nazivergleiche lese, denke ich: Da sind jemandem die Argumente ausgegangen. Da war jemand intellektuell ein bisschen überfordert, deshalb musste er Adolf Hitler zu Hilfe rufen. Wenn man es in Deutschland verbieten würde, in Debatten seinen jeweiligen Widerpart mit den Nazis zu vergleichen, würde dies sofort zu einer Niveausteigerung in den Feuilletons führen.“ (Harald Martenstein, ZEIT)

Sonntag, 12. Juni 2016

EM: europäischer Patriotismus ohne Grenzen

Alle zwei Jahre wieder: In den nächsten vier Wochen versammeln sich die Millionen  vor der Glotze, ob zu Hause mit Bier - ggf. aus religiösen Gründen mit oder ohne Mineralwasser - , ob umsatzsteigernd in der bi- oder mononational beflaggten Kneipe, beispielsweise bei dem als Italiener firmierenden Pizza-Albaner, oder – alle  "antifaschistischen" Proteste der weltoffen-teutophoben Grünen Jugend missachtend - fahnenschwingend auf der für Polit-Demos vorübergehend nicht nutzbaren, rucksackfreien "Fanmeile" vor dem Brandenburger Tor. Wenn einer der Millionen teuren Helden ( alle derzeit noch masc.) ins Tor des Gegners trifft, umschlingen sich – je nach Bevölkerungszahl der sechzehn, pardon, zwanzig EM-Teilnehmer – die Millionen, oder Hunderttausende (wie mutmaßlich in Albanien, inkl. Kosovo und westl. Mazedonien).

Das Spektakel wurde mit allerlei Friede, Freundschaft, Eierkuchen signalisierendem Firlefanz eröffnet, dann ging´s mit den Nationalhymnen, mit der von Rumänien und mit Frankreichs blutig-martialischer Marseillaise, richtig los. Ob der stets sorgengeplagte Francois Hollande auf der Tribüne so richtig mitsang oder nicht, war schwer zu erkennen. Wie auch immer, bei der EM tritt der emotional unklare Doppelcharakter der Inszenierung hervor. Angestrebt ist ein (staats-)völkerverbindendes Schauspiel in geographisch unbestimmtem „europäischen“ Rahmen – in der UEFA-Definition reicht Europa (wie bei der OSZE) von Wladiwostok bis Finistère und Guadeloupe. Doch in den Stadien, wo die Nationalmannschaften aufeinandertreffen, auf den Straßen und vor den Bildschirmen manifestieren sich  national(istisch)e Emotionen, die zuweilen bedrohliche Formen annehmen. Wenn es in Marseille zu blutigen Nahkämpfen zwischen Russen und Engländern kommt, wenden wir friedliebenden Europäer (sc. -innen) uns degoutiert ab. Dass sich derlei Prügelszenen auch bei anderer Gelegenheit zwischen „Ultras“ diverser Clubs abspielen, klingt für uns Fußballpazifisten immerhin einleuchtend, sofern es den Vereinen gelingt, ihre sich als Faschos und/oder Neonazis gerierenden Fans/Hooligans aus den Ultra-Blocks zu verbannen. Andererseits: Wenn Barca spielt, stehen die Fans nach 17 Minuten, 14 Sekunden, im Stadion fahnenschwingend auf. Geprügelt wird dort m.W. jedenfalls nicht.

Bei der EM dürfen/sollen – etwas anders als bei der Pegida in Dresden – allen nationalen Gefühlen zum Trotz die Zuschauer europäische Patrioten sein. Gleichwohl steht angesichts der vornehmlich in städtischen Problembezirken hervortretenden Defizite in der Volksbildung (kaum noch geläufiges Synonym für demokratische Kompetenzvermittlung) zu bezweifeln, dass – nicht anders als beim Eurovision Song Contest – die Fans den richtigen, für den Fußball geltenden Begriff für Europa im Kopf haben. Richtig, Albanien gehört noch nicht zur EU, steht in Brüssel indes auf der Kandidatenliste. Mit dem anderen Aspiranten, mit Erdogans Türkei, haben „wir Europäer“ derzeit einige Nöte, so dass zu hoffen bleibt, dass in keinem der Spiele – schon gar nicht etwa im Finale – Jogi Löws bunte Truppe (mit dem Mekka-Pilger Mesut Özil) auf die Mannschaft vom Bosporus (?) trifft. Die Ukraine, „unser“ heutiger Gegner, hat derzeit in Brüssel anscheinend weniger Chancen als Albanien.

Wir Fans wissen, dass die drei im Hexagon auftretenden Teams aus dem vom Brexit bedrohten United Kingdom aus fußballhistorischen Gründen Sonderstatus genießen. Schottland ist nicht mit dabei, allerdings nicht wegen des im Vorjahr gescheiterten Referendums über die Unabhängigkeit. Damit sich unsere politisch unsichere Vorstellung von Europa wenigstens geographisch in etwas sichereren Grenzen hält, sind in den Vorrunden Kasachstan sowie die Kaukasus-Länder, darunter der vergebliche EU-Aspirant Georgien und das Putin-affine Armenien, schon mal ausgeschieden.

Montag, 6. Juni 2016

Corrigenda et commentarii

I.
Als erstes schulde ich dem Publikum eine Korrektur sowie eine Erklärung:
a) Die solitäre Gegenstimme gegen die Erdogan empörende Armenien-Resolution vom letzten Donnerstag kam von der CDU-Abgeordneten Bettina Kudla, nicht von einem/r Abgeordneten mit Migrationshintergrund. Das Faktum der Fast-Einstimmigkeit der Völkermord-Resolution - dank der Abwesenheit von 400 der 630 Kollegen und -innen im Hohen Haus - bleibt vom Dissens der genannten Abgeordneten nicht berührt.

b) Die Leser meines Blogs mögen sich über die verkorkste Chronologie  der beiden letzten Blog-Einträge gewundert haben. Sie ist der Tücke der digitalen Welt geschuldet. Beim Verfassen des "Nachtrags"  zu "Ageth. Eine Textanalyse" (http://herbert-ammon.blogspot.de/2016/06/zum-gedenken-des-ageth-eine-textanalyse_5.html geriet der "Nachtrag" aus Versehen in die Überschrift der am 3. Juni verfaßten Inhalts- und Sprachanalyse zum Völkermord-Text Volker Kauders. Nach einem weiteren faux pas auf der Tastatur - ein Klick auf den button "Löschen" - schien mein ursprünglicher Text im digitalen Abgrund für immer verschwunden. Allein der globalen Fürsorglichkeit von "Google" ist  zu verdanken, dass es mir gelang, den Text aus dem Nichts  zurückzuholen und dem Publikum - wenngleich mit verkehrtem Datum - weiterhin zu präsentieren.

Ich bitte die  Fan-Gemeinde um Nachsicht und - vor ihrem inneren Auge - um die Umstellung der vertauschten Daten.

II.
Ich hoffe auf Vergebung, wenn ich gestehe, mich am gestrigen Sonntagabend als Konsument auf das Niveau der Anne-Will-Show begeben zu haben. Ob Gauland - ohne Frage dem FAS-Journalisten Eckart Lohse im Interview ins Garn gegangen - angesichts der von Will eingespielten Szenen aus Elsterwerda seine Rolle als väterlich seriöse Führungsfigur der AfD eingebüßt hat, und ob die AfD sich auf Dauer  im Quarantäne-Camp einrichten muß, ist schwer zu prognostizieren. Immerhin war die Debatte - mit den die "Deutschen", die "deutsche Gesellschaft" oder wen auch immer wortreich, aber begriffsschief attackierenden Auslassungen der "Migrationsforscherin"  (mit anatolischem Migrationshintergrund) zum Thema "Rassismus" - in einem Punkte erhellend: Justizminister Heiko Maas erklärte mit mildem Lächeln, die - laut Umfrage negative Folgen/Gefahren der "Migration" nicht  erkennen wollende, mithin in glatter Gegenrechnung zu 80 % befürwortende "schweigende Mehrheit" (!) müsse über den ökonomischen Nutzen zusätzlich notwendiger Einwanderung in der globalisierten Wirtschaft des Exportlandes Bundesrepublik noch weiter aufgeklärt werden. Die im September 2015  von Merkel eingeladene Million jungen Männer sei, wenn schon nicht dem angekündigten Ausbildungsstand entsprechend, äußerst bildungswillig und alsbald in der Lage, die von Autochthonen ("Biodeutsche") verursachte demographische Lücke zu schließen.

Unsere Renten sind somit in der brave new world  bis ins Jahrzehnt 2025-2035 wieder sicher... Zweifel kamen auf, als in der anschließenden Tagesschau in Zorn über die Bundestags-Deutschen entbrannte türkische Mitbürger (ohne -innen) im Fußballstadion von Duisburg gezeigt wurden. In völkischer Empörung verkündete ein graumelierter Mitbürger: "Wir Türken sind ein stolzes Volk." Merkel fehlte nicht nur bei der Abstimmung im Bundestag, sondern auch im Duisburger Stadion.

III.
Der heute (Montag, 9.Juni 2016) feierlich angekündigte Verzicht des Bundespräsidenten Joachim Gauck auf eine weitere Amtszeit ist in den Qualitätszeitungen Gegenstand vorgezogener elegischer Nachrufe. Mein Blogger-Kommentar: Gaucks (Selbst-)Inszenierungen im höchsten  Staatsamt der Bundesrepublik waren wenigstens weniger peinlich als die Auftritte - und der Abtritt  mit Großem Zapfenstreich - seines ehedem von Angela Merkel lancierten  Widerparts und Vorgängers Christian Wulff. Mal sehen, wer (w/m) uns - dem Souverän, den Bürgern (...***###etc.), dem desethnifizierten "Volk", im kommenden Jahr 2017 in der Bundesversammlung als über den Parteien stehendes Staatsoberhaupt präsentiert wird.

Sonntag, 5. Juni 2016

Zum Gedenken des Ageth. Eine Textanalyse

I.
Den an ihrem Volk vor hundert Jahren verübten, als historisches  Trauma virulenten Massenmord bezeichnen die  Armenier als ageth. Gestern, am 2. Juni 2016, verurteilte der Bundestag "fast einstimmig"  - unter Abwesenheit einer nicht näher benannten Gruppe von Volksvertretern, bei einer Ablehnung seitens eines weiblichen MdB "mit Migrationshintergrund" sowie einer Enthaltung (mit/ohne Mhg) - eine Resolution, in der die im Kriegsjahr 1915 vom jungtürkischen Triumvirat an der Spitze des Osmanischen Reiches initiierten Massaker an den Armeniern "und anderen christlichen Minderheiten" als "Völkermord" bezeichnet  werden. Der verabschiedete Text spricht auch von der Mitverantwortung der Führung des Deutschen Reiches für die von seinen Verbündeten in Konstantinopel organisierten Greueltaten.

Nicht zufällig fand die Verabschiedung einer  Resolution, auf die man im Gedenkjahr 2015 noch aus "realpolitischer " Rücksicht auf die NATO-verbündete Türkei verzichtet hatte,  im Bundestag (im Reichstag mit Signum "Dem Deutschen Volke") - begründet mit Amtspflichten, notwendigen Auslandsreisen usw. - ohne die Bundeskanzlerin Merkel, ohne Vizekanzler Gabriel, ohne Außenminister Frank Steinmeier  und andere Minister statt. Die politischen Konsequenzen der Resolution waren gleichwohl absehbar: Der für Merkels "Flüchtlingspolitik" unverzichtbare Geschäftspartner Recep Erdogan zeigte sich empört und berief unverzüglich seinen Botschafter aus Berlin ab.

II.
Es geht hier nicht darum, vordergründige Zweifel am Sinn historisch-moralisch begründeter Symbolpolitik zu wecken. Angebracht ist indes die Textanalyse eines Beitrags, den der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Volker Kauder, zusammen mit dem Grünen-Politiker Cem Özdemir einer der Initiatoren der jetzigen Erklärung, unter dem Titel "Frieden durch Erinnerung" in der gestrigen FAZ (v. 2.6.2015, S. 10) zur Erläuterung vorgelegt hat.

Kauder - der Text unter der Rubrik "Fremde Federn" könnte natürlich auch aus der Feder einer/-s Referentin/-en stammen - beginnt mit dem Verweis auf das Ziel deutscher Außenpolitik, "zur Wahrung der Menschenrechte und des Friedens in aller Welt beizutragen, speziell in Europa und in den angrenzenden Regionen". An dieser Stelle sind bereits ein paar Fragezeichen zu setzen: Wie war das in den 1990er Jahren während der Balkankriege im zerfallenden Jugoslawien, wie war das anno 2003 beim zweiten Irak-Krieg, 2011 in Libyen, wie steht es heute mit den Möglichkeiten deutscher Friedenspolitik in Syrien oder mit der "richtigen" Einflußnahme auf die Türkei bei deren Umgang mit den aufständischen Kurden?

Die Richtigkeit und Bedeutung der Resolution, die begrifflich explizit den Völkermord "an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten" anprangert, begründet Kauder wie folgt: "Nachdem auch die Historiker ganz überwiegend diese Auffassung vertreten haben, ist es auch gerade heute geboten, diese Verbrechen als Völkermord zu bezeichnen." Hier gerät der Autor sichtlich an seine argumentativen ("auch die Historiker ganz überwiegend") und stilistischen Grenzen. Weiter: "Überall in der Welt, gerade im Orient und in Nordafrika, werden wir Zeugen der Verfolgung von Minderheiten, weil sie einer anderen Religion oder Glaubensrichtung angehören." Wurden nicht vor ein paar Wochen - zur Eindämmung der "Zuwanderung" - die maghrebinischen Staaten zu "sicheren Ländern" erklärt? Wie stellt sich die Bundesregierung die Befriedung Libyens - und damit die Minderung des Flüchtlingsstroms übers Mittelmeer - vor?

In den vergangenen Jahren seien zunehmend Muslime "Opfer von Muslimen geworden. Aber auch Christen werden überall auf der Welt bedrängt, verfolgt, ermordet." Kauder ist bestrebt, Präferenzen unter den Opfern zu vermeiden, kommt aber dann doch über den "Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten" in den Jahren 1915 und 1916"  auf das heikle Thema Christenverfolgung: "Dass in Vorderasien und dem Orient manche Regionen nunmehr ´christenfrei´ sind, hat dort seinen Anfang genommen."  Im folgenden Absatz werden zugunsten der mit der "Mitverantwortung" des "Deutschen Kaiserreiches" - der Mitinitiator der Resolution Cem Özdemir sprach im Bundestag von der "Komplizenschaft" des Deutschen Reiches, im heutigen FAZ -Kommentar  schreibt Klaus-Dieter Frankenberger von "einer Mitschuld an den Verbrechen" -  verknüpften Begründung der Resolution  wesentliche historische Fakten schlicht ignoriert.  Die seit Jahren anhaltende massive Verdrängung und Flucht der Christen aus Irak und Syrien ist nicht die Spätfolge des Armeniermords , sondern die Folge des  durch den Irak-Krieg 2003 ausgelösten Chaos sowie des in Gewalt und Zerstörung mündenden "arabischen Frühlings". [Adnote 1): Natürlich ließen  sich die historischen Linien weiter zurück ausziehen - dabei käme indes die gleichfalls bis 1915/16 zurückreichende Verantwortung der Westmächte und deren Nahostpolitik ins Spiel...]


Sodann wendet sich Kauder gegen die Suggestion, die Kennzeichnung des Völkermords an den Armeniern könne "die Bewertung des Holocausts...relativier(en)." Es folgt der Bezug auf die offenbar für die multiethnische "Einwanderungsgesellschaft" nach wie vor verbindliche nationale Identität: "Wir Deutsche werden uns immer mit der Vernichtung unserer jüdischen Mitbürger und anderer Opfergruppen in ganz besonderer Weise auseiandersetzen müssen." Dem Satz ist prima facie ohne Einschränkung zuzustimmen. Ihm gebricht es indes im Blick auf die faktische - und von den "Eliten" kontinuierlich geförderte - Entwicklung Deutschlands zu einer multiethnischen  Gesellschaft an gedanklicher Logik. "Wir Deutsche" ist nichts anderes als der Ausdruck eines historisch-kulturell begründeten Selbstverständnisses, welches seit einigen Jahren von den Diskursverwaltern der "erweiterten Bundesrepublik" (J.H.) als "völkisch" denunziert wird. [Adnote 2): Ein "völkisches" Nationsverständnis offenbarte dieser Tage der Putin-Freund Gerhard Schröder, der "wehleidigen" Gemütern in der einstigen DDR (also einigen "Ostdeutschen"), die noch immer über angebliche Annexionspraktiken westdeutscher "Eliten" lamentierten, vorhielt, sie seien zu keiner Zeit eine eigene Nation noch ein Staatsvolk gewesen, (FAZ v. 3.6.1016, S.4), was nicht anderes heißt, als dass die Bevölkerung zwischen Werra, Elbe und Oder Teil des deutschen.Volkes war und geblieben sei.]

Dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine "wertegeleitete Außenpolitik" betreibe, sei Volker Kauder konzediert. In der Politik führt indes nicht selten der Weg von der guten Absicht zum schlechten Ziel - oder wird auf halbem Weg abgebrochen, wie die von "Mother Merkel"  im Einvernehmen mit Erdogan  beendete "Willkommenskultur". Kauder proklamiert  "das Recht und vielleicht sogar die Pflicht, Vorgänge in der Türkei zu bewerten, wenn er (der Bundestag) dies für notwendig hält." Denn "in einem demokratischen Staat sind selbstverständlich alle Staatsorgane (sic!) frei, historische Vorgänge einzuordnen." Den Protesten aufgebrachter (in casu specifico: türkischen) Bürger hält der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende entgegen: "Ein Parlament in einer Demokratie hat aber ein Recht auf eine eigene Meinung."

In der Schlußpassage wiederholt der Autor seine oben gelieferte Begründung. Der Antrag zur Verurteilung des Völkermords an den Armeniern (und anderen christlichen Minderheiten) "beschreibt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit den Worten, die den Vorgang auch aus Sicht der Historiker [s.o., H.A.] richtig bewerten." Die politische Crux, dass türkische Historiker - erst Recht Recep Erdogan, die MHP, und die kemalistische CHP - den Armeniermord noch immer anders "richtig" bewerten, wird mit derlei Affirmation leider nicht ausgeräumt.

"Er (der Antrag) wählt das Wort Völkermord, damit ein solcher sich nirgendwo auf der Welt wiederholt. Der Antrag ist eine Beitrag zur Wahrheit und zum Schutz der Menschenrechte in der Gegenwart." - Wir wollen es glauben.

III.
Zur  Problematik siehe auch: H.A. http://herbert-ammon.blogspot.de/2013/12/die-armenier-zur-politischen-sicht-der.html.; H.A.:https://www.academia.edu/10673989/Fragen_zu_deutschem_Gedenken_unter_den_Bedingungen_der_neuen_Gesellschaft

Zur historischen Erhellung des betrüblichen Themas verweise ich auf meinen letzten Beitrag, eine Buchbesprechung, in Globkult: http://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/1099-kerop-bedoukian-the-urchin-an-armenian%C2%B4s-escape,-london-john-murray-1978,-192-seiten

Freitag, 3. Juni 2016

Nachtrag: Lücke in der Presse, Leere im Plenarsaal

Ein notwendiger Nachtrag: Mein letzter Blog befaßte sich mit der inhaltlich und sprachlich angestrengten Begründung, die CDU/CSU-Fraktionschef Kauder für die Bundestagsresolution zum als solchen nunmehr klassifizierten Völkermord an den Armeniern "und anderen christlichen Minderheiten" in der FAZ (v. 2.6.2016) zu Papier brachte.  (Siehe:http://herbert-ammon.blogspot.de/2016/06/zum-gedenken-des-ageth-eine-textanalyse_5.html ) Ich verwies auf die in der Presse  erwähnte  Abwesenheit der Regierungsspitze ( Merkel, Steinmeier, Gabriel), die von deren diplomatischer Rücksichtnahme auf den Bündnis- und Geschäftspartner Erdogan zeugte. Dessen Reaktion blieb nicht aus: Einbestellung des deutschen Botschafters in Ankara, Abberufung des eigenen Botschafters aus Berlin.

So weit, so vordergründig, so typisch für Diplomatie unter "befreundeten" Staaten... Mit Erleichterung notierten Politiker und Zeitungen, dass die Erdogan-Regierung - anders als die vor nationaler Empörung überfließenden türkischen Zeitungen - offenbar eine Zuspitzung des geschichtspolitischen Konflikts vorerst nicht beabsichtigt. Erdogans neuer Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte, niemand solle erwarten, dass sich "mit dieser oder ähnlichen Entscheidungen plötzlich unsere Beziehungen vollständig verschlechtern." Die Berliner Regierungskreise werden´s mit Erleichterung vernommen haben...

Für die Leser dieses Blogs mag eine weitere  Information in Yildirims auf Beruhigung zielender Stellungnahme wesentlich aufschlußreicher sein. Zu einem völligen Bruch werde es zwischen den für einander wichtigen Bündnispartnern auch deshalb nicht  nicht kommen, .weil von den 650 - hier irrt Yildirim: es sind nur 630 - Bundestagsabgeordneten lediglich 250 an der Abstimmung teilgenommen hätten. Man rechnet nach: Im Hohen Haus fehlten laut Yildirim 400 - in Worten: vierhundert - unserer Volksvertreterinnen und -vertreter. Warum wohl?

Da ich mir die TV-Nachrichten, i.e. as mediale Abendgebet mit der vorwurfsvolle dreinblickenden Marietta Slomka oder mit dem empfindsamen Claus Kleber fast immer erspare, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob unsere um politisch-moralische Volksbildung bemühten Kameraleute am Donnerstagmittag das Publikum mit Zoom-Aufnahmen ins Plenum des Bundestags beglückten. Wenn ja, so hätte sich ein Bild blaubestuhlter Leere geboten.

Ich verließ mich - wie mutmaßlich auch Sie, liebe Leser - auf die Berichterstattung in der Qualitätspresse.In der besagten FAZ (v. Freitag 3.6) war zwar von einer Anzahl abwesender Abgeordneter die Rede. Bezüglich der überwältigenden Zahl von 400 Fehlenden blieb der Leser jedoch im unklaren über das demokratische Erscheinungsbild im Reichstag. Fazit des Bloggers: Gähnende Leere im Plenarsaal, arithmetische Lücke in  der Presse.

Die Gründe des Fernbleibens von 400 Volksvertreterinnen und -vertretern sind - bei aller Dringlichkeit sonstiger Geschäfte - mutmaßlich nicht allein terminlicher Natur. Denkbar ist, dass die Abgeordneten aus Wahlkreisen mit prekären Stimmenverhältnissen kommen und um ihre Wiederwahl besorgt waren. Nicht auszuschließen ist  auch eine Art Sicherheitsprophylaxe gegen unerwünschten Besuch empörter Mitbürger und/oder Wähler) im Bürgerbüro ihres Wahlkreises.

Samstag, 28. Mai 2016

Religio civilis: Ein Nachfahre Kettelers zum Katholikentag

I.
Der Blogger, evangelischer Kirchensteuerzahler, hat sich zu Fragen der Relevanz  des tradierten Christentums in der radikal säkularisierten Welt des einstigen "Abendlands", mehrfach geäußert. Ich verweise auf die entsprechenden Globkult-Aufsätze zu Dietrich Bonhoeffer sowie auf einen 1999 erschienenen Aufsatz "Zum Elend des deutschen Protestantismus am Ausgang des 20. Jahrhunderts", der soeben in  Mai-Nummer des "Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken" aufgelistet wurde: https://volltext.merkur-zeitschrift.de/article/mr_2016_05_0053-0062_0053_01.pdf?; s..a.: H.A.: "Zur Identitätskrise des deutschen Protestantismus A.D.. 2001", in: Thomas A. Seidel (Hg.): Gottlose Jahre? Rückblicke auf die Kirche im Sozialismus der DDR, 2002: https://www.academia.edu/3208028/Zur_Identit%C3%A4tskrise_des_deutschen_Protestantismus_A.D._2001; s.a. den aus einem Beitrag für die "Junge Freiheit" zu Bonhoeffer entstandenen Essay https://www.academia.edu/17510695/Zum_biographischen_Umgang_mit_dem_Bild_Dietrich_Bonhoeffers)

Es geht um das Dahinschwinden der christlich-religiösen Sinngebung in der  westlichen ("abendländischen") Moderne/Postmoderne, welches die - aus eben diesen Gründen, keineswegs bloß vulgär materiellen/ materialistischen Motiven -  schrumpfenden "Volkskirchen" durch  politischen Aktivismus, d.h. durch verabsolutierte gesinnungsethische Konzepte, vermeinen kompensieren zu können. Eklatante Beispiele dafür bieten seit langem die mit medialem Aufwand und Politikerprominenz betriebenen evangelischen oder katholischen Kirchentage. Das Großthema beim derzeitigen Katholikentag in Leipzig bildet parallel zur "Flüchtlingskrise" naturgemäß der "interreligiöse Dialog". .

II.
Was beide Kirchen dabei tunlichst vermeiden, ist eine überzeugende, realitätsgerechte Auseinandersetzung mit der Problematik des durch Jahrzehnte von  "Zuwanderung" sowie zuletzt durch die  Fluchtbewegungen aus dem nahöstlichen Chaos in Europa unübersehbar anwachsenden Islam - in all seinen  Spielarten. Auf die Selbstausdeutungen und die Selbstgewißheiten der betreffenden, der Aufklärung  und Säkularisierung abholden Offenbarungsreligion reagieren die Kirchen - von kritischen Stimmen wie dem einstigen EKD-Vorsitzenden Wolfgang Huber oder dem zurückgetretenen Papst Benedikt XVI.  abgesehen - durchwegs wohlwollend verständnisvoll.

Die Vorstellung friedlicher Koexistenz und Kooperation in der "globalisierten" Gegenwart und Zukunft gründet vorwiegend  in Bild und Begriff der "drei abrahamitischen Religionen". Weder eine historisch.-kritische noch eine theologisch differenzierende Reflektion des - letztlich auf die politisch-gesellschaftliche Gegenwart gemünzten - Begriffs findet statt. Stattdessen "fordert" - anders als das "Volk" fühlen sich die Vertreter der "Eliten" stets aufgerufen zu "fordern"- der derzeitige EKD-Vorsitzende Bedford-Strohm "flächendeckenden" Islamunterricht im (neuen) Deutschland. Als ob dadurch die Problematik der von der türkischen Ditib, von diversen Islamräten oder sonstigen Saudi-finanzierten Moscheeen und Koranschulen betriebene "Wertevermittlung" erfasst wäre. Als ob damit die tieferliegende Frage, wie die der kulturell-sozialen "Integration" in die - hierzulande mit spezifisch deutschen -  zivilreligiösen Dogmen ausgestattete Gesellschaft zu gewährleisten sei, beantwortet wäre...

 III.
Vor diesem Hintergrund spielt sich der Katholikentag im ehedem real-sozialistischen, heute nur noch real atheistischen sowie westlich-demokratisch umgeformten Leipzig statt. Zur ideologischen Absicherung des katholischen Politspektakels hat man Vertreter der AfD von vornherein ausgesperrt, obgleich zum Spitzenpersonal der verpönten "Populisten"-Partei konservativ fromme Protestantinnen wie Beatrix on Storch oder der bekennende - wenngleich progressiv geschiedene - Katholik Jörg Meuthen gehören.

Widerspruch gegen das kirchentagspolitische Arrangement ist in einem Artikel in "Cicero" zu finden. Darin verweist der Autor Klaus-Rüdiger Mai auf die lange heruntergespielte Gewalt gegen Christen in Nahost sowie derzeit in deutschen Flüchtlingsheimen: http://www.cicero.de/salon/streit-um-katholikentag-die-kirche-ordnet-sich-der-parteipolitik-unter/60957 . Ein Kommentar dazu kam von  einem (indirekten) Nachfahren des Gründers des I. Deutschen Katholikentages anno 1848 (und somit eines  historischen Stammvaters der CDU/CSU). Unter der Überschrift "Kath. Kirche im Sog des mainstreams" schreibt Michael von Ketteler: "Einer unserer berühmtesten Vorfahren, Bischof Wilhelm-E. von Ketteler aus Mainz, ein Mitbegründer des Kath.tags 1848, mußte sich in jüngster Zeit öfter im Grabe drehen. Ausschluß AfD, aber mit Herrn MP Ramelow (LINKE) und dem wegen einer Beleidigung von Kardinal Meissner verurteilten Volker Beck (B90/G) auf dem Podium. Ausschluß bekennender Christen, aber Betonung der Ökumene. Hier stimmt was nicht. Katholisches, christliches Bekenntnis sieht anders auch. Die CDU (Sternberg) hat den "Schuß" noch nicht gehört, "schießt" aber selbst - vereint mit rot-rot und grün auf mündige Wähler, statt Flagge zu zeigen. Wofür steht die DBK und das ZDK noch? Hört sich eher nach Merkel-Wahlverein an. Herr Sternberg spricht nicht für alle Katholiken, für mich schon lange nicht mehr. Schade."

Dienstag, 24. Mai 2016

Vorschlag: Regierungssitz an den Bosporus

Die Rhetorik der Kanzlerin findet in der ihr mehrheitlich noch immer gewogenen Qualitätspresse ihren Niederschlag in ausführlichen Zitaten, nicht etwa in knappen, konjunktivisch vermittelten Zusammenfassungen. In der  FAS ("Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung") war zuletzt folgender Merkel-Satz zu lesen: "Wenn Schwierigkeiten auftauchen, versuche ich sie zu überwinden oder andere Wege zu finden, damit wir es schaffen, eine Herausforderung zu meistern."

Merkel antwortete auf Fragen, die sich auf ihre Schwierigkeiten im Umgang mit Person und Politik des Präsidenten Erdogan bezogen. Übers Wochende weilte Merkel erneut - zum wievielten Male eigentlich? - in der Türkei, diesmal in Istanbul, um mit Erdogan über gewisse Unstimmigkeiten in der Ausdeutung und Anwendung des unter EU-Vorzeichen mit dem inzwischen - wegen Erdogan - zurückgetretenen Ministerpräsidenten Davutoglu geschlossenen Abkommens zur besseren Bewältigung der "Flüchtlingskrise" zu sprechen.

Nicht nur die Details des Abkommens sind für den bundesrepublikanischen Abendschau-Konsumenten etwas kompliziert: Es geht um die Rücknahme von offenbar unberechtigt in Europa (sprich: in Deutschland)  Asyl Begehrenden im Tausch gegen "Kontingente" von Berechtigten; vor allem aber geht´s um Visafreiheit für alle Bürger(-innen) der Türkischen Republik, die als prospektive Europäer die touristischen Schönheiten des Kontinents, ihre Verwandten und möglichen Ehegatten besuchen  und suchen möchten. Weiter hinten in der Türkei, mittlerweile auch schon in Istanbul, warten überdies noch eine Anzahl türkischer Bürger  kurdischer Herkunft, Sprache oder Gesinnung, der Drangsalierung in den anatolischen  Heimatregionen zu entkommen und/oder die PKK im sicheren deutschen Exil zu verstärken.

Wie den Internet-Zeitungen, nicht zuletzt dem vom Blogger ob seiner geistigen Schlichtheit geschätzten Yahoo!, zu entnehmen war, geht  Erdogan beim Tausch ("Deal") - migrantische refugees gegen
unglückliche Syrer mit realer Asylaussicht -  selektiv vor. Er behält die aus seiner Sicht besser qualifizierten Syrer, d.h. die von Merkels medialen supporters in der Phase der "Willkommenskultur" angekündigten Ärzte, Ingenieure, Professoren usw., bei sich im Land und schickt vor allem Kranke zur Genesung und geringer Qualifizierte (sprich: Analphabeten) zur Ausbildung gen Westen. Immerhin könnte es sich mangels verifizierbarer Daten bei derlei Yahoo!-Meldungen um ein bloßes Gerücht handeln.

Wie auch immer. Die Bewältigung der "Flüchtlingskrise, genauer. der mit der noch am 5. September 2015 proklamierten Einladung an alle schwerlich vereinbare Stopp der Einwanderung über die Agäis und die "Balkanroute", erweist sich als äußerst komplexe Materie, selbst für die "als Physikerin" stets rational operierende Kanzlerin Merkel. Wann immer es Erdogan beliebt, die Versuchsanordnung in Merkels Sozialexperiment durcheinanderzubringen, stehen neue Verhandlungen in Ankara oder Istanbul an. 

Noch macht Merkel, ungeachtet aller sonstigen Belastungen, etwa im Umgang mit der CSU und angesichts der Unsicherheitsfaktoren in dem künftigen schwarz-grün-gelben Koalitionskalkül, einen robusten Eindruck. Dennoch könnten zahllose weitere Flugreisen in die Türkei zu Erdogan an ihren Kräften - und an den Umfragewerten der CDU - zehren. Wäre es unter derlei Umständen nicht eine real denkbare Alternative, für die Dauer weiterer Verhandlungen mit dem starken Mann am Bosporus Teile der Bundesregierung - Kanzleramt, Inneres, Verteidigung, Familie - an den Bosporus zu verlagern, wenigstens zeitweise? In Istanbul, am grünen Ufer des Bosporus, stünden einige Gebäude in deutschem Besitz seit Kaisers Zeiten zur Verfügung. Ein längerer Aufenthalt in Ankara hingegen wäre Frau Merkel und ihren Getreuen kaum zuzumuten. Am Bosporus entginge man auch der im Zeichen des Klimawandels, verstärkt von sozialdemokratischen Kohlekraftwerken,  zu erwartenden  Berliner Sommerhitze.

Donnerstag, 12. Mai 2016

Unstatthafte Liaison: Landsleute unter sich

Letzte Woche waren in einer versteckten Randspalte der FAZ - die exakte Datierung ist mir wegen des Verlustes des betreffenden Exemplars nicht möglich - biographische Informationen von äußerst bedenklicher Natur zu lesen. Da ging es um die begrifflich und moralisch unzulässige, allein mit wissenschaftlich negativ besetzten Begriffen wie "kulturalistisch" und/oder "essentalistisch" zu definierende, auf landsmannschaftlicher Verbundenheit beruhende Beziehung zwischen dem anno 1975 verstorbenen Diktator Francisco Bahamonde Franco und Cubas Diktator Fidel Castro. Mir war bekannt, dass sich Fidel mit Francos Informationsminister - derartige Ämter sind in derlei Regierungssystemen unverzichtbar - Fraga Iribarne stets gut verstanden hatte. Nun war zu erfahren, dass der zum Kommunismus konvertierte Revolutionär Fidel anlässlich des Ablebens des unerbittlichen Reaktionärs Franco, Namensgeber des Franco-Faschismus, eine dreitägige Staatstrauer anordnen liess.


Wie ist derartiges politisches und begriffliches Fehlverhalten zu erklären? Aus der Geistesverwandtschaft von Diktatoren? Aus der geschichtsnotorischen Aversion der beiden gegen die Yanquis? Aus der intimen Nähe des bigotten Franco und des von franquistischen Jesuiten erzogenen Atheisten Fidel zur härteren Version des Katholizismus? Derlei Spekulationen führen wissenschaftlich nicht weiter.

Somit bleibt als einzige überzeugende Erklärung die vor- sowie antidemokratische, mithin RECHTE an im rauhen Galizien verwurzelte Seelenverwandtschaft. Auch der Castro-Freund Fraga Iribarne kam aus der Region...

Nachdem die Globkult-Leser/##**--Innen soeben erneut von Henning Eichberg über die Links-Rechts-Phänomenologie aufgeklärt wurden, werden sie womöglich durch die hier kolportierte FAZ-Randnotiz in neuerliche Verwirrung gestürzt.

Montag, 9. Mai 2016

Zum 8./9.Mai 1945: Eine Schachmiszelle

Den Kriterien einer Novelle mag die nachfolgende Geschichte nicht genügen, obgleich sie in diesem unserem Lande mit seiner spezifischen Erinnerungskultur durchaus als eine novella, als erzählenswerte Episode, gelten kann. Literarische Ansprüche liegen dem Blogger fern. Bezeichnen wir die kleine Geschichte - sie hat mit der in Russland besonders gepflegten Kunst des Schachspiels zu tun - als Schachmiszelle.

In einer Kleinstadt im Südwesten gibt es einen Schachclub, in dem sich mein fünfjähriger Enkelsohn anschickt, das königliche Spiel zu erlernen. Einer seiner Lehrmeister (oder auch Trainer, Partner, noch kaum Gegner) ist ein Herr in den hohen Siebzigern. Der erzählte ihm, wie er selbst in etwa gleichem Alter - in den Kriegsjahren - zum Schachspielen kam.

Der alte Herr stammt von einem Bauernhof in der Eifel. Im Krieg - wichtig wäre an dieser Stelle eine genauere Zeitangabe - wurde seinem Vater ein russischer Kriegsgefangener zugewiesen. Mit den Sprachkenntnissen scheint es auf beiden Seiten nicht weit her gewesen zu sein, was indes kein Hindernis war, dass sich der Gefangene mit dem kleinen Jungen (und umgekehrt) anfreundete. Der russische (begrifflich genauer: der sowjetische) Kriegsgefangene schnitzte für sich und den Jungen ein Schachspiel und brachte ihm die ersten Züge bei.

Es muss hier offen bleiben, ob der Krieg - er war an diesem Teil der Westfront 1945 im Hürtgenwald und an der Rur monatelang blutig festgefahren  - bereits im März mit dem Vormarsch der Amerikaner auf den Rhein beendet war. Es ist auch nicht bekannt, ob der russische Kriegsgefangene sich sogleich bei Ankunft der Amerikaner von den Bauersleuten verabschiedete. Der alte Herr, der die Geschichte seines frühen Schachunterrichts erzählte, erinnert sich jedoch an die Abschiedsworte seines jungen Lehrers: "Krieg kaputt, ich nach Hause."

Bekanntlich endete der Krieg für die sowjetischen Kriegsgefangenen nicht mit dem 8. oder 9. Mai 1945 (d´en pob´edyi). Stalin hatte sie von vornherein als "Verräter" und/oder "Feiglinge" qualifiziert. Da sie überdies Vergleiche mit den Zuständen  in der sozialistischen Sowjetunion hätten anstellen können, landeten die von den westlichen Siegermächten an den Hauptverbündeten überstellten Kriegsgefangenen, auch die Überlebenden deutscher Gefangenenlager, für lange Jahre im GULAG.

Für literarische Zwecke - das dénouement einer Novelle - ließe sich aus der obigen Episode eine Geschichte glücklichen Wiedersehens nach Jahrzehnten der von Ideologie, Haß und Gewalt dekretierten Feindschaft konstruieren. Indes handelt es sich nur um eine kleine, nicht gänzlich bedeutungslose Miszelle. Den Lesern dieses Blogs empfehle ich, die kleine Geschichte zusammen mit dem Bericht "Die Schura" von Michael Milutin Nickl  zu lesen: http://www.globkult.de/geschichte/personen/689-die-schura

Mittwoch, 4. Mai 2016

Zum Muttertag: Merkels Vermächtnis

I.
Am kommenden 8. Mai - ein Sonntag im wunderschönen Monat Mai - fallen mehrere Feiertage zusammen: Frankreich gedenkt - unter der Regie des Front National mit Marine Le Pen als Reinkarnation der Jungfrau von Orléans - seiner "rechten" Nationalheiligen Jeanne d´Arc. In Deutschland gedenkt man - nicht so medienwirksam wie im Vorjahr  - des 8. Mai 1945, den die "Linke", mutmaßlich inspiriert von einem Korps gehorsamer, unbekannter Parteisoldaten der "Linken"-Mitchefin  Katja Kipping, in guter alter DDR-Tradition zum nationalen Gedenktag - oder nicht eher zum arbeitsfreien postproletarischen Feiertag? - erheben möchte.

Zum dritten begeht man USA-, europa- und weltweit (?) den Muttertag. Hierzulande gedenken wir dabei all der Jahre, in denen "die Kanzlerin" Merkel ob ihres umfassend fürsorglich lächelnden Auftretens  als "Mutti" tituliert wurde. Diese Zeiten sind spätestens seit jenem 5. September 2015 vorbei, als "Mother Merkel" sich zur Schutzpatronin der alles Volk, genauer alle gründeutschen Enthusiasten und - innen,  berauschenden "Willkommenskultur" erhob.

II.
Die Folgen der medial befeuerten "Willkommenskultur" sind bekannt: Erdogan diktierte Merkel und "Europa" die eigenen Bedingungen für die  Sperrung der "Ägäis-Route" für alle "refugees", mit Ausnahme derer, die Merkel  vielleicht noch in "ihr Land"  lassen will. Entsprechend hat sich Merkels Physiognomie merklich verändert:  Statt mit dem einst allmütterlichem Lächeln wird sie in den Print- und Netzmedien derzeit hauptsächlich mit steifer Oberlippe und verschlossener Kinnlade abgebildet.

Dass sich ihre Miene wieder aufhellt, ist nicht zu erwarten. Der Eindruck entspringt keineswegs der bekanntermaßen Merkel-misslaunigen Stimmung des Bloggers. Eine so nüchterne wie zutreffende, zugleich ironisch-kaustische Abrechung mit der politischen Lebensleistung der als Kohls "Mädchen" zur Königsmörderin gereiften CDU-Chefin und Kanzlerin - jene von mir mehrfach skizzierte Mischung aus Machtinstinkt und -kalkül, aus Opportunismus und Prinzipienlosigkeit, von deutscher Vorzeigemoral und sprachlicher Insuffizienz - war in der gestrigen FAZ auf der ersten Seite des Feuilletons -  illustriert mit einem mit "der Kanzlerin" in  liebevoller Predigerinnenpose - zu lesen. Der Titel: "Merkels neue Kleider".  Der Autor Wolfgang Streeck, ehedem Direktor am Max-Planck-Institut  für Gesellschaftsforschung in Köln, wird von der Redaktion als "ein Merkel-Kritiker von links" vorgestellt.
Ich empfehle Streecks Aufsatz dem Publikum zum Muttertag:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/regierungsstil-merkels-neue-kleider-14212048.html

III.
Dass in den "Qualitätsmedien" die großkoalitionäre Merkel-Hofberichterstattung tendenziell einer kritischeren Betrachtung ihrer performance gewichen ist, war bereits vor dem Integrationsfest (Silvesternacht 2015/16) auf der Kölner Domplatte zu beobachten. Die Tendenz hat über die Monate hin - auch im Hinblick auf die Wahlerfolge der AfD - deutlich zugenommen. Heute (in der FAZ v. 04.05.2016, S.1 unter der Überschrift "Merkel: Kein Kurswechsel der CDU wegen AfD") wird Merkel bezüglich ihrer Zurückweisung der Suggestion, sie könne ihren Regierungsstil etwas mehr ins National-Konservative ändern, mit folgenden - zitierwürdigen - Worten zitiert: "Es gibt keinerlei neue Strategie, sondern es gibt die Aufgabe, die noch entschiedener angegangen werden muss, aus uns selber heraus darzustellen, was wir wollen, wohin wir gehen und welche Überzeugungen uns tragen." Bezüglich der EU-kritischen AfD bekundet Merkel ihre Überzeugung so: "Mich trägt zum Beispiel die Überzeugung, dass wir Europa stärken müssen." Der FAZ-Kurzbericht zu Merkels Überzeugungen schließt wie folgt:  "So könnten ´die Menschen´ überzeugt werden."

Eine kleine Anthologie Merkelscher Worte beglückt uns alle so in "ihrem Land"  zum Muttertag 2016. Ob Merkel ihre bis dato größtkoalitonär gestützte Kanzlerschaft bis zu den nächsten Bundestagswahlen 2017 durchsteht, ob ein Kanzlerinnensturz oder ein kurzzeitig inszenierter Koalitionsbruch bevorsteht,  sei als Spekulation in den Raum zwischen Kanzleramt und Bundestag (im Reichstag) gestellt. Bei Merkel ist alles möglich. Eine historische Leistung hat "die Kanzlerin" , nach fast 11 Jahren im Amt, jedenfalls schon vollbracht: Sie hat es geschafft, zu schaffen, was nicht sein durfte: eine neue Partei rechts von der CDU.