Berlin ist dabei, die ob ihres Frohsinns bekannten Regionen und Ethnien (politisch korrekter Neologismus mit noch ungeklärter Akzentsetzung; ehedem "Stamm, pl. -ä-e") Deutschlands, also den Rheinländern und den Bayern, an Fröhlichkeit und ständiger Festeslaune zu übertreffen. Für die jüngeren Leser des Blogs sei vermerkt, dass die Berliner auch schon früher gern zum Feiern aufgelegt waren, etwa bei Militärparaden Unter den Linden und allgemein bei Kaiserwetter. Auch am 22. Juni 1940 waren bestellte und nichtbestellte Berliner in Massen zum Feiern auf den Beinen, auch wenn George F. Kennan an jenem Tag in der U-Bahn einen deutlich anderen Eindruck hatte.
An diese alte - etwa seit dem 22.Juni 1941 kurzzeitig unterbrochene - Tradition des Feierns knüpft das wiedervereinte, multi- und interkulturell lebendige Berlin an. Zumindest jeden zweiten Sonnabend ziehen freudig erregte Berliner zu einer Demo, d.h. zu einem von Trommeln, "Lautis" (szenetypisches Kosewort für "Lautsprecherwagen") und demokratischem Durst auf das Bier danach inspirierten Umzug durch die Innenstadt, vorzugsweise durch Kreuzberg oder durch Friedrichshain. Damit die Freude an der Demo massenhaft ausfällt, dient der Alex allenfalls als Ausgangspunkt oder als Sammelplatz, nicht jedoch als Ort der Festivität. Die Massen, in der Regel zwischen 1500 bis 3000 antibürgerlich gestimmte Bürgerinnen und Bürger könnten sich rund um die Weltuhr verlaufen, der Lärm verhallte auf Ulbrichts Weltstadt-Piazza vielleicht ungehört. Man braucht also eine für den Verkehr gesperrte Route durch Straßen, auf denen man hörbar trommeln und feiern kann. Seltener ziehen die Demos unter den Linden zum Brandenburger Tor, denn die Linden sind durch den ewigen Bau der U-Bahn Unter den Linden, der Staatsoper, des kaum noch "umstrittenen" Stadtschlosses sowie der demokratischen Luxuswohnungen am Schinkelplatz (wo gerade dank der Berliner Baulust die Statik der Friedrich-Werderschen Kirche ins Rutschen geraten ist) für derlei Zwecke ungeeignet, wohl auch zu breit. Zudem sind die Kneipen unter den Linden rar und teuer, wie das "Einstein".
Die Feste und/oder Demos finden also in der Regel in den bewährten Regionen der Stadt statt. Wie aus der Netzausgabe des "Tagesspiegel" zu erfahren ist, war am letzten Wochenende die Stimmung in Kreuzberg wieder mal toll. 3000 Menschen aus vielerlei Ländern und Kulturen feierten einen "Karneval für Flüchtlinge" unter der Losung "My right is your right". Der Blogger fragt sich a) ob die Veranstalter des - von Merkel leider nicht besuchten - Willkommensfestes über weitere Kenntnisse des Englischen als neudeutscher Erstsprache verfügen b) ob die Organisatoren dank guter Vernetzung auch ein paar weitere refugees willkommen heißen konnten, genauer: die vor einer Woche trotz des mit Flugblättern für refugees multilingual (auch auf arabisch) mit Medienbegleitung - ich erlebte durch Zufall die Inszenierung auf der wie stets sympathetischen Glotze - operierenden moralfaschistischen "Kommando Norbert Blüm" nicht im Grenzfluß bei Idomeni Ertrunkenen und c) ob die zum Fest in Kreuzberg eingeladenen Weltkulturträger(innen) mit dem Köllsch-katholischen Begriff Karneval etwas anfangen können. Falls nein, sollte der Berliner Willkommenssenat für den nächsten Karneval einen vielsprachigen Flyer drucken und verteilen lassen. Zumindest die mit den Riten des Ramadan vertrauten Muslime dürften so den frommen Sinn des Spektakels verstehen.
An Pfingsten (mit pf statt berlinisch f) geht es dann mit dem "Karneval der Kulturen" wieder hoch her. Ein paar Wochen später sorgen die Umzugwägen mit kunstvollen Darbietungen am CSD (Christopher Street Day) für Festeslaune. Der Antikriegstag am 1. September fällt - aus welchen Gründen immer - schon seit Jahren leider sehr gemäßigt aus.
Was danach sonst noch auf dem Berliner Festprogramm steht, entzieht sich meiner Kenntnis. Offenbar stehen - dem Titel nach zu schließen - die gewohnten Berliner Wut-Festspiele zum 1. Mai (weltweiter Kampftag der Arbeiterklasse - außer in den USA - zum Gedenken an das Hay Market Massacre bzw. den Hay Market Riot [am damals ethnisch deutschen Heumarkt] in Chicago 1886) in diesem Jahr noch aus, womöglich mangels werktätiger Massen. Das historisch jüngere Prekariat neigt öffentlich weniger zu machtvollen Demonstrationen seines prekären Zustands. Angekündigt ist ein friedliches, völkerverbindendes "Myfest". Oder sollte ich mich hinsichtlich der innerstädtischen Festtagsplanung für das "Myfest" am 30.4./1.5 d.J. täuschen? Obgleich es doch "mein Fest" sein soll, wurde ich bis dato zur demokratischen Mitwirkung noch nicht eingeladen. Vielleicht kommt noch eine e-mail-Einladung zum Osterfest.
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