Dienstag, 23. Februar 2016

Leseempfehlung: Kissler

Das unersprießliche Thema "Flüchtlingskrise",  in diesen Tagen  befeuert von den Jagdszenen in Sachsen, wird noch lange nicht beendet sein. Solange die Begriffe - politische Verfolgte, Kriegsflüchtlinge, Immigranten - gründeutsch vermengt und übertüncht werden, solange Bundeskanzlerin Merkel, obgleich  in Europa erkennbar isoliert und von ihrem Wunschpartner Erdogan desavouiert, moralisch überhöhte politische Unvernunft exerziert, ist auf Besserung der Zustände "in unserem Land" nicht zu rechnen. Ist überhaupt noch auf eine "Lösung" des durch die seit Jahren anhaltende, durch Merkels einsame Entscheidung  im September 2015 potenzierte "Zuwanderung" (german. Neologismus) akkumulierten Problemkomplexes zu hoffen? Wenn Merkel zur Erläuterung  ihrer "Flüchtlingspolitik" verkündet, sie wünsche sich, dass "Deutschland auch in Zukunft Deutschland bleibt", ist sie entweder politisch begnadet mit der Naivität einer Konfirmandin oder aber politisch gewitzt in der Verachtung der durchschnittlichen Intelligenz des Volkes - des Souveräns, laut Theorie.

Man mag spekulieren, ob Merkel, bis dato  gestützt auf eine größtkoalitionäre Mehrheit in Parlament und Medien, nach den anstehenden Landtagswahlen, welche eine deutliche Veränderung der Parteienlandschaft der Bundesrepublik mit sich bringen werden, einen Kurswechsel in der "Flüchtlingspolitik" in  Betracht zieht. Es handelt sich um eine müßige Spekulation, die den politischen und historischen Kern der mit der "Zuwanderung" verknüpften epochalen Problematik kaum berührt. Die Kernfrage ist die nach der inneren - kulturell und zivilreligiös gestützten - Verfassung "unseres Landes", genauer: nach der Zukunft der historisch, nicht abstrakt, begründeten Nationen Europas.

Zu dieser, in der Debatte über die "Flüchtlingskrise" systematisch vermiedenen Thematik hat Alexander Kissler in "Cicero" einen ins Grundsätzliche zielenden Beitrag verfasst: http://www.cicero.de/berliner-republik/merkels-asyl-und-fluechtlingspolitik-wo-steckt-denn-nun-das-volk/60534
Ich empfehle dem Publikum den zitierten Aufsatz.

Mittwoch, 17. Februar 2016

Bilder und Berichte aus Syrien: zweierlei Opfer

I.
Ein Ende des "Bürgerkriegs"  in Syrien ist nicht abzusehen. Entgegen der auf der Münchner Sicherheitskonferenz zwischen den Außenministern Lawrow und Kerry, den Vertretern der am nahöstlichen Chaos von Anbeginn beteiligten "Konfliktpartner" Rußland und USA,   für den 1. März vereinbarten Feuerpause wird das mörderische Spiel weitergehen. Als indirekt - und durch die "Flüchtlingskrise" direkt - betroffene Bundes- und EU-Bürger verfügen wir leider weder über Mittel noch Wege, den Fortgang des blutigen Geschehens zu beenden.

Hingegen verfügt Bundeskanzlerin Merkel, die durch Aufklärungsflugzeuge ihren Verbündeten und EU-Partner Hollande unterstützt, der wiederum seit Anbeginn für die "demokratischen Rebellen" mit Bombern Partei ergriff, jetzt anscheinend über ein  Konzept, das sie in Merkelsche Worte faßte: "In der jetzigen Situation wäre es hilfreich, wenn es dort ein Gebiet gäbe, auf das keine der Kriegsparteien Angriffe fliegt - also eine Art Flugverbotszone". Leider spricht Merkel im Irrealis.  Und selbst wenn sich Assad, Putin, Hollande (nicht auch Obama?) auf Merkels Vorstellung "einer Art Flugverbotszone" einigen könnten, gingen die Kämpfe zu Boden fraglos noch ungehindert weiter: Erdogan fliegt Raketenangriffe und beschießt mit Kanonen über die Grenze hinweg die Kurden, die ihrerseits offenbar erfolgreich (mit amerikanischer und russischer Unterstützung) vorrücken. Wenn die kurdische YPG ihr Terrain ausweiten und sichern kann, wird Erdogan vermutlich direkt mit türkischen Truppen intervenieren. Auch wird es noch eine Weile dauern, bis Assad  mit russischer Hilfe sämtliche Aufständische - vom IS bis zu den "demokratischen Rebellen" - besiegt hat (oder auch nicht, wenn die Saudis ihre frommen Verbündeten nicht fallen lassen wollen).

II.
Die Sache ist kompliziert, und so hüten wir uns vor einfacher Parteinahme. (Ich verweise die Leser auf meine diesbezüglichen Kommentare, u.a.meine frühen Einträge: Rupert Neudecks Ruf zu humanitärer Waffenhilfe; des weiteren: http://www.globkult.de/herbert-ammon/866-zum-unfrieden-in-nahost-unbequeme-faktenlage, http://herbert-ammon.blogspot.de/2016/02/mein-globkult-beitrag-vom.html, zuletzt h.A.: Kritik an der Kritik einer Syrien-Beschreibung: http://herbert-ammon.blogspot.de/2016/02/mein-globkult-beitrag-vom.html ) Als mündige Bürger sind wir  zwecks Urteilsbildung auf unsere medialen Informationen angewiesen. Zu Wochenbeginn präsentierten die Medien Bilder eines  laut Berichterstattung von russischen Raketen zerstörten Krankenhauses in einer Stadt nahe des umkämpften Aleppo. Die betrübliche, maßgeblich von "Médecins Sans Frontières" verbreitete Nachricht nannte eine Opferzahl von mindestens sieben Toten.

In der heutigen FAZ (v. 17.02.2016), S.2: "Gegenangriff der Rebellen") referiert  Rainer Hermann ein Telefongespräch mit dem römisch-katholischen Bischof in Aleppo Georges Abu Khazen. Der Bischof berichtete von einer Gegenoffensive der Rebellen auf christliche und andere Viertel. Durch Raketen seien zuletzt die armenisch-protestantische Kirche sowie  ein katholisches Gemeindezentrum zerstört worden. Es seien acht Christen getötet worden. Unter den Christen - von den einst 180 000 in Aleppo sind bereits mehr als die Hälfte  geflüchtet - befürchte man, dass die Rebellen demnächst Chlorgas einsetzen könnten...

Was in der Berichterstattung unserer am Wunschbild der "demokratischen Rebellen"  orientierten "Leitmedien"  kaum je - schon gar nicht in den headlines - zur Sprache kommt,  geht aus den Worten des zitierten Bischofs hervor: Es gebe keine "gemäßigte Opposition", wie selbst US-Präsident Obama festgestellt habe, das sei alles "Phantasie". Heute (!?) seien die meisten Assad-Gegner nichts als Dschihadisten, bewaffnet von den prowestlichen Ländern Türkei und Saudi-Arabien. Für Minderheiten sei in in deren Ideologie kein Platz.  Bischof Georges verteidigte die russische Intervention, da allein Russland eine säkulare (besser: religiös plurale) Ordnung in Syrien sichern könne.

III.
In dem Bericht aus Aleppo verkündet der Bischof nichts Neues. Er widerspricht lediglich erneut der in westlichen Medien noch stets mehrheitlich gepflegten Vorstellung einer "demokratischen Opposition" gegen den blutigen Tyrannen Assad. Dass dessen Regime seinerseits von  einem demokratischen Idealbild weit entfernt war, tut nichts zur Sache. Festzuhalten bleibt, dass die westlich-liberale Brille von Anbeginn den Blick auf  die Realität im Nahen Osten getrübt hat. Nicht zuletzt hat die westliche Medienöffentlichkeit, geleitet vom  Wunschbild des "arabischen Frühlings" und einer "demokratischen Opposition" in Syrien, kaum je das Schicksal der orientalischen Christen im Auge gehabt. Aus dieser Wahrnehmung resultiert auch die mediale Gewichtung der Opferzahlen. Wer den politischen - und politisch-ethischen - Akzent anders setzt, ist gemäß der prävalenten gründeutschen Ideologie ein "Kulturalist", "Rassist", "Essentialist" etc.etc.etc.

Freitag, 12. Februar 2016

Klare Worte zum Dauerthema "Integration"

I.
Wenn ich mich nicht irre, stammt das Wort "Lückenpresse" von Michael Klonovsky. Insofern der Begriff  die bewährte Praxis der vielen um Aufklärung aller Bundesbürger bemühten Medien  trefflich beleuchtet,  ist es ratsam, von Zeit zu Zeit auf verpönte Informationsquellen wie "Russia Today" zuzugreifen. Dort ist zu erfahren (https://deutsch.rt.com/nordamerika/36742-staatsbesuche-mit-schlagertrupp-erdogans-werben/), dass Präsident Erdogan,  Merkels Hauptverbündeter bei der Bewältigung der "Flüchtlingskrise", unlängst eine Besuchsreise in Ländern Lateinamerikas absolviert hat, um für engere Wirtschaftsbeziehungen zu werben.

Angesichts einer beträchtlichen Anzahl von Einwanderern aus dem Nahen Osten (Araber, Türken, Kurden) stieß sein Staatsbesuch nicht allenthalben auf  Sympathien. Bei seinem Auftritt in dem Institut für Hohe Nationale Studien (IEAN) in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito belehrte er das Publikum über die Rolle der kurdischen PKK, die er mit dem Terrorismus des Islamischen Staates gleichsetzte. (Zur Erläuterung: Noch unlängst wickelte der IS mit unserem Nato-Verbündeten und EU-Aspiranten Erdogan  Ölgeschäfte ab.)

Erdogans Rede veranlasste einige Kritiker im Saal zu Protesten ("Erdogan asesino"). Der Besucher hatte vorgesorgt und eine Truppe von Leibwächtern mitgebracht, die sich im Umgang mit den Protestierenden tatkräftig bewährten und dabei auch eine Parlamentarierin des Gastlandes malträtierten.

Die Regierung in Quito hat den türkischen Botschafter  einbestellt. Derlei  peinliche Details der internationalen Beziehungen blieben dem deutschen TV- und Printmedien-Publikum m.W. bis heute erspart. Auch Merkel wird bei ihrem letzten Besuch am Bosporus, wo sie mit dem Flüchtlingshelfer Erdogan über weitere Milliarden verhandelte, den frauenfeindlichen Zwischenfall in Quito nicht zur Sprache gebracht haben. Es ist auch nicht bekannt, dass nach Erdogans Auftritten in Almanya, vorzugsweise Köln, je Ankaras Botschafter einbestellt worden sei.

II.
Vor dem skizzierten Hintergrund, der sich mit dem Bild der "Bunten Republik Deutschland" überlagert,
gewinnt ein Interview, das die Welt-Redakteurin Andrea Seibel mit der Islam-Kritikerin Necla Kelek und deren Sohn Julian (20 J.) an Aussagekraft. Ich zitiere einige Passagen aus dem Gespräch (http://www.welt.de/politik/article152184546/Merkel-muss-darueber-nachdenken-was-sie-uns-zumutet.html ):

Die Welt: In Deutschland kann man derzeit über kein anderes Thema als über die Flüchtlinge reden. Ist das typisch deutsch?
Necla Kelek: Dann bin ich auch schon sehr deutsch. Bei uns gibt es kein anderes Thema. Das ist eben mein Lebensthema, alles was mit Migration und Integration zu tun hat.
[...]
Die Welt: Wie kommt es, dass Frauen wie Sie, Seyran Ates oder Güner Balci als islamophob und hetzerisch bezeichnet werden? Ja, dass man ausgerechnet Ihnen vorgeworfen hat, Ängste vor dem Islam zu schüren? Sie sind doch ein solch temperamentvoller, lebensbejahender und humorvoller Mensch.
Mutter (Necla Kelek): Das hat damit zu tun, dass ich mich dem Konsens verweigerte, besonders der muslimischstämmigen Vertreter, nicht über Integration zu reden. Die letzten 20 Jahre waren ja wissenschaftlich geprägt von einer unglaublichen Heroisierung und Romantisierung von Diversität und Multikulturalität. Jede Ethnie, die hier ihre eigene Kultur lebe, wäre eine Bereicherung, lautete das Mantra. Und bitte nicht kritisieren. Wenn dann jemand sagt, das ist aber nicht bereichernd, bei den Muslimen gibt es Menschenrechtsverletzungen, dann gilt er als Störenfried. Was die Rechte der Frauen betrifft, welche Bringschuld die Eltern haben, damit ihre Kinder erfolgreich in der Schule sind. Das ist immer noch nicht Konsens. Aber es stimmt, viele sind zumindest sensibilisiert worden.
[...]
Die Welt: Ist es nicht so, dass die neuen Herausforderungen die frühere öffentliche Debatte fast lächerlich erscheinen lassen? Da stritten wir über Kopftücher, Schwimmbäder oder den Islamrat.
Mutter: Das finde ich überhaupt nicht. Alle behaupten jetzt, die Grünen, die SPD, die frühere Integration sei gelungen. Das ist doch falsch. Diese Relativierung ohne Ende, die keine Fragen über Parallelwelten zulässt! [Hervorh. H.A.] Ich bin empört. Das Machotum und die Gewalt an unseren Schulen wird weiter tabuisiert, die Jungs sind im Bildungssystem Verlierer, die Mädchen werden dann doch unter dem Druck der Familie verheiratet. Wenn das gelungen sein soll, dann gute Nacht, was die Neuen anbelangt.
[...]
Die Welt: Mit der Ankunft der "Araber" erscheinen die früheren türkischen Migranten uns näher. Jahrelang haben wir mit ihnen gerungen und nun empfinden sie sich uns auch verbundener, weil die Neuen Konkurrenten für sie sind.
Mutter: Ich empfinde das nicht so. Im Gegenteil: Die Islamverbände freuen sich, dass sie noch mehr Zulauf bekommen. Sie werden ihren politischen Islam noch besser durchsetzen, weil sie sich anmaßen, im Namen aller Muslime zu reden. Irgendwann werden sie uns auch drohen. Das machen ja junge Männergruppen schon heute gegenüber der Polizei. Bürgerliche Türkischstämmige halten sich wie immer zurück. Sie fühlen sich mit der offenen Debatte über den Islam nicht wohl. Auch unsere "Integrationsbeauftragte" [gemeint ist Aydan Özuguz, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und  Integration, Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, zugleich Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Migration und Vielfalt; Mitglied des Kuratoriums der Muslimischen Akademie, Mitglied im Kuratorium des Deutschen Historischen Museums zu Berlin, verehelicht mit Michael Neumann (SPD), ehem. Innensenator in Hamburg; Quelle: wikipedia]  freut sich über die vielen Muslime. Sie hat selber zwei gefährliche islamistische Brüder, von denen sie sich noch nie distanziert hat und es gibt auch kein kritisches Wort zum politischen Islam. Sie und die meisten Ämter tragenden Türken machen Islampolitik. Auch die Parlamentarier. Das sind Islamversteher, die nicht für Integration, sondern für Multikulti stehen.[Hervorh. H.A.]
[...] 
Die Welt: Wen bedauern Sie am meisten, Merkel, die Flüchtlinge oder die Deutschen?
Mutter: Ich bedauere die Kanzlerin nicht. Ich hoffe sehr, dass sie ernsthaft über ihre Flüchtlingspolitik nachdenkt und was sie uns zugemutet hat. Das Land ist nicht ihr Eigentum. Sie trägt Verantwortung für 80 Millionen. Da kann man nicht einfach die Tür aufmachen.
Sohn: Die Kanzlerin wollte sicher etwas Gutes tun. Aber sie scheint mir auch noch nicht so häufig in Neukölln unterwegs gewesen zu sein. [Hervorh. H.A.]

III.
Frage: Warum fehlt es im Deutschen Bundestag an einer Opposition, welche Merkel nötigte, endlich das Richtige zu tun?


Dienstag, 9. Februar 2016

Merkel ruft an - doch wohl ein Faschingsscherz

Trotz aller Bemühungen rheinischer und zonendeutscher Aktivisten ist es noch nicht ganz gelungen, den Frohsinn des Karnevals, des bayerischen Faschings und des Cottbusser Klamauks in der Hauptstadt zum Kern eines gründeutschen Regierungsprogramms zu machen. Zwar sind wir von der der Verwirklichung der von Merkel verfolgten hidden agenda, d.h. der mutmaßlich angestrebten Koalition Schwarz-Grün, noch "ein Stück weit" entfernt, "wir befinden uns aber auf einem guten Weg dahin", vorausgesetzt, dass es Merkel nach dem 18. Februar (EU-Konferenz) und dem 13. März (dreimal Landtagswahlen) noch schafft, ihre Parteitruppe zusammenzuhalten. Immerhin ist auch denkbar, dass  zum Reformationsjubiläum 2017 vor dem Reichstag ein schwarz-rot-grünes  Maskenspiel nach Art der alemannischen Fasenacht stattfindet.

Parallel zu derartigen Überlegungen, die den Fortbestand der von Fragen des familienfreundlichen Familiennachzuges belasteten Großen Koalition in Zweifel ziehen könnten, stieß der Blogger beim Browsen auf eine von dpa etc. verbreitete Nachricht, Papst Franziskus habe Journalisten des "Corriere della Sera" von einem Anruf erzählt, den er im Sommer 2014 von Angela Merkel bekommen  habe. Der Anlaß sei eine Rede vor dem Straßburger Europaparlament gewesen, in der er Europa mit einer "Großmutter" verglichen habe, "die nicht mehr fruchtbar und vital" sei.

Merkel sei darüber "ein bißchen wütend" gewesen. Sie habe gefragt, "ob ich wirklich glaube, dass Europa keine Kinder mehr bekomme".  Er, Papa Francesco, habe sie indes beruhigen können. Er glaube an die Zukunft Europas, weil der Kontinent tiefe, feste Wurzeln habe...

Frage: Handelt es sich bei der Geschichte von Merkels Anruf in Rom um einen Faschingsscherz oder um eine  Illustration des Regierungsstils der Kanzlerin? Bei Merkel ist alles möglich.



Samstag, 6. Februar 2016

Kritik an der Kritik einer Syrien-Beschreibung

Mein Globkult-Beitrag vom 14.12.2015 (http://www.globkult.de/herbert-ammon/1058-fluechtlingsstroeme-einspruch-gegen-die-leichthaendige-behandlung-eines-schwierigen-themas.html) enthielt im dritten Teil die Besprechung eines von der NDR-Redakteurin  Anja Reschke herausgegebenen Sammelbandes zur "Flüchtlingskrise".  Mein Gesamturteil fiel eher negativ aus. Das Buch trägt m.E. nichts wesentlich Neues zur Erhellung der Problematik bei, enthält auch keinen plausiblen Ansatz zur Lösung oder auch nur Steuerung der Masseneinwanderung (s.a.http://herbert-ammon.blogspot.de/2015/07/the-great-migration.html)

Mit Erstaunen stieß ich in der FAZ  auf eine ausführliche, im Tenor gegensätzliche Besprechung (laut Unterschrift ein "hilfreicher Sammelband zur öffentlichen Debatte über Flüchtlinge in Deutschland") aus der Feder des Mainzer Historikers Adreas Rödder ("Ohne Realismus schafft man gar nichts", in: FAZ  v. 02.02.2016,  S.6).

Rödder verweist auf einen  in der Tat informativen - von mir ausgesparten - Bericht  von Mohamed Amjahid über die Zustände in türkischen Flüchtlingslagern und den über Smartphone von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, übermittelten Stand der "Willkommenskultur" in Deutschland. Es geht darin um die von Merkels Regierung ausgesandten, wechselnden Impulse auf die dem syrischen Chaos Entkommenen. Der Bericht illustriert die Mechanismen des "Pull"-Faktors - wechselnde Signale der deutschen Politik, Chancen des "Durchkommens" auf der "Balkanroute etc. - inmitten des Flüchtlingselends.

Immerhin stimmt  Rödder in der Wertung der polemisch aufgeladenen Artikel von Gabriele Gillen und Daniela Dahn mit meinem Urteil überein. Gänzlich anders, als "informativ und eingängig" beurteilt er den Beitrag der langjährigen Syrien-Korrespondentin Kristin Hellberg. Die Beschreibung des Assad-Regimes sowie der konkurrierenden Rebellen-Gruppen vermittle ein zutreffendes Bild der Lage. Zugleich sieht  Rödder in Hellbergs Forderung, Flugverbots- und Schutzzonen einzurichten sowie aus diesen Zonen "großzügige Kontingente, mit denen man die Menschen nach humanitären Kriterien aussuchen und geregelt nach Deutschland bringen könnte", eine plausiblen - letztlich indes nur partiellen  und temporären (H.A.) - Lösungsansatz. Er teilt Hellbergs Warnung, den Gewaltherrscher Baschar Assad als  das kleinere Übel zu akzeptieren.

Aus meiner Sicht weist der von Rödder gelobte Aufsatz einige Defizite auf. Es fehlt - außer der chronologischen Darstellung des 2011 - im Gefolge des "arabischen Frühlings" - durch blutige Repression von Demonstrationen ausgelösten "Bürgerkriegs" die tiefere Analyse des vor und während des syrischen bellum omnium contra omnes  angelagerten Konfliktensembles. (S. dazu http://www.globkult.de/herbert-ammon/866-zum-unfrieden-in-nahost-unbequeme-faktenlage)

Die Autorin läßt stattdessen einzelne Stimmen zu Wort kommen, die als Vertreter der "demokratischen Kräfte" allesamt dem Lager der Assad-Feinde zugehören. Auch wenn darunter ein Alawit zitiert wird - warum wird das Faktum des anno 1970 von Assad Sr. per Putsch etablierten Alawiten-Regimes, das in den 1980er Jahren Aufstände der sunnitischen Mehrheit, initiiert von der Moslem-Bruderschaft, in einem Blutbad erstickte, nicht deutlich herausgearbeitet? Die politisch-religiöse Zerrissenheit der nahöstlichen Landschaft rückt nicht ins Bild, der die Lage seit  Jahrzehnten prägende Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten wird unterbewertet, nicht anders der regionale Großmachtkonflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien. Last but not least  gerät der geopolitische Aspekt - einerseits die Achse Teheran-Damaskus samt der mit seinem (noch einzigen)  - Marinestützpunkt am Mittelmeer interessierten Großmacht Russland, andererseits  die Strategien der Saudis und Erdogans im Bündnis mit den USA  - aus dem Blick.

Wie will man zu einer "Lösung" des unendlichen "Bürgerkriegs" kommen, wenn man zuvörderst den Machthaber Assad, soeben dank russischer Unterstützung wieder auf dem Vormarsch, beseitigen will? Wie unterscheiden sich die Saudis, alles andere als Parteigänger der "vom Westen" geförderten "demokratischen Kräfte" von Assad, unter dessen "säkularem" Regime zumindest Ruhe zwischen den Religionen und Konfessionen herrschte? Zielte Baschar al-Assad bei seiner Machtübernahme tatsächlich nur auf eine "Modernisierung" Syriens, ohne am ererbten Gewaltregime das geringste ändern zu wollen? Oder folgt die Autorin mit dieser These nicht vielmehr nur der Wahrnehmung ihrer Zeugen aus der "gemäßigten" Opposition?

Ob die von Hellberg geforderte Flugverbotszone die Massaker hätte beenden können, ist angesichts der allseits mit Waffen im Überfluß ausgestatteten Bürgerkriegsparteien zweifelhaft. Fraglos würde sie Assad schwächen, dafür die nicht minder rabiaten "Rebellen" stärken.

Wir mögen angesichts der Zustände in Nahost ratlos sein. Aber zumindest sollte man in der Analyse nüchterne Distanz wahren und nicht allein Assad als den einzigen - oder auch nur hauptsächlichen -  Schurken im blutigen Spiel benennen. Meine Kritik an dem betreffenden Aufsatz halte ich entgegen Rödders Urteil aufrecht.

Donnerstag, 4. Februar 2016

Leserbriefe II - und Raum für ungewollte Satire

I.
In meinem vorletzten Eintrag (http://herbert-ammon.blogspot.de/2016/01/unbotmaige-fakten-per-leserbrief-ultima.html v. 25.Januar 2015) fand ich lobende Worte für die pluralistische, für Kritik und divergierende Meinungen offene Haltung der FAZ-Leserbriefseite. Dies gilt auch für die heutige Ausgabe (04.02,2016, S. 29), in der in zwei Zuschriften die auf Sozialethik, politisch passend auf die "Asylkrise", sowie auf universale Weltoffenheit reduzierte frohe Botschaft der beiden Kirchen fundierter Kritik unterzogen wird ("Christliche Sozialethik, o je"; "Die Kirchen und die Islamkritik").

Aus dem erstgenannten Leserbrief sei folgender Passus zitiert: "Die christliche Sozialethik ist in der Vergangenheit allen Modethemen hinterhergelaufen, von Gender über Inklusion bis Postdemokratie. Nun sitzen die Bischöfe einer moralisierenden Willkommenskultur auf, die nicht mehr zwischen legitimen Asylgründen, ungerechtfertigter Einwanderung oder Kriminalität zu differenzieren vermag.  Vergessen ist das hohe Reflexionsniveau, das die christliche Staatslehre einmal auszeichnete und das Europa geistesgeschichtlich stark gemacht hat. Souveränität, Staatsräson, Ordre public, Leistungefähigkeit des Staates oder die kulturelle Identität des Staasvolkes scheinen für die Bischöfe inzwischen unbekannte Vokabeln zu sein. Als sozialethisch kluge Ratgeber angesichts des derzeitigen Staatsversagens fallen die Kirchen leider aus."

II.
Hinzuzufügen bleibt an dieser Stelle, dass die Zahl der Kirchenaustritte aus der EKD im Jahre 2015 mit 270 000 einen neuen Rekord erreicht hat. Die Kirchenoberen deuten das für sie unbequeme Faktum mit der schlichten Aussage, der Exodus habe mit Geld und Geiz, also nichts mit dem Glaubensverlust der einst Gläubigen, mit dem Glaubwürdigkeitsverlust der Kirchenoberen und ihrer Theologie, kurz: mit der Banalität der Postmoderne, zu tun. Bei den Abtrünnigen handle es sich hauptsächlich um dem Mammon zugetane Scheinchristen, die sich aus Ärger über die durch Kirchensteuer zusätzlich zur Kapitalertragssteuer geminderten Kapitaleinkünfte davongemacht hätten. Das mag für ein paar besitzbürgerliche Nichtkirchengänger in Hamburg, in der Rhein-Main-Gegend oder in Oberbayern durchaus zutreffen, nicht jedoch für die anhaltende Zahl von Austritten in den östlichen Landeskirchen. Es dürfte sich bei den Kirchenflüchtigen um nicht wenige halten, die in den Jahrzehnten des atheistischen DDR-Staates ihrer Kirche die Treue gehalten hatten.


Womöglich sind es auch deren Kinder, die in einem Prozess nachgeholter Wertesozialisation sich westlicher Weltlichkeit (samt  Hypermoral) zugewandt haben.  Der Blogger, noch unentwegter Kirchensteuerzahler, sieht diesbezüglich einer von Bundeskanzlerin Merkel ("Wer Angst hat vor einer Islamisierung hat, dem sage ich, er soll doch wieder mehr in die Kirche gehen" - frei zitiert) oder der Reformationsexpertin Käßmann anzuregenden kirchensoziologischen Untersuchung  mit Interesse entgegen.

Vorschlag für eine Umfrage: 1) "Halten Sie 9 Prozent Kirchensteuer auf Ihre Einkommensteuer für zu hoch?" - Ja/Nein/Weiß nicht 2) Welche Weltreligionen kennen Sie? - Offene Antwort. Mehrere Nennungen möglich. 3) Glauben Sie an die abrahamitische Trinitätslehre? - Ja/Nein/Weiß nicht? 4) Stehen Ihnen die christlichen Glaubensbrüder im Nahen Osten näher als die bärtigen Imame in Ihrer Nachbarschaft? - Ja/Nein/Weiß nicht. Wenn ja, welche?/ Ich wohne nicht in der Nachbarschaft 5) Sollte die Scharia mit den 10 Geboten kombiniert werden oder genügt Ihnen eine demokratische Werteerziehung?  - Ja/Nein/Weiß nicht.

III.
Zur Erhellung der bundesrepublikanischen Geistesverfassung  sei noch aus der -  auf der erwähnten Seite unter der  proklamatorischen Überschrift  "Unser Land wird sich verändern" obenan gestellte - Zuschrift einer Leserin zitiert: "Die CDU ist Welten entfernt von meinen Überzeugungen. [...] Aber an diesem Punkt [keine Einschränkung des Asylrechts] bin ich zum ersten Mal in [Merkels] Kanzlerschaft mit ihr einig. Wir sind ein sehr reiches Land mit einer sehr gut gesicherten Bevölkerung, in der jetzt viele noch rüstige Rentner und Pensionäre nun ein Betätigungsfeld gefunden haben, Deutschunterricht geben, Fußballtrainer werden, Rechtsberatung anbieten, Kleiderkammern verwalten und ähnliche gute Dinge tun. Und ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit auch dank der Flüchtlinge auf ein erstaunlich niedriges Niveau gesunken ist. Es gibt noch viel zu tun, und die Strukturen müssen verbessert und weiterentwickelt werden. Klar. Ohne Risiko ist das alles nicht. Unser Land wird sich verändern. Für die Richtung tragen wir die Verantwortung. Aber ein Land im Chaos oder rechtsfreien Raum sind wir wahrlich nicht."

Zitatende. Für den Text trägt die Leserbriefschreiberin aus Dortmund die Verantwortung. Wenn bei einem Leser (sc. einer Leserin)  des Blogs der Eindruck entstanden sein sollte, es handle sich bei dem zweiten Leserbrief  um Satire, so befindet er/sie sich im Irrtum.




Montag, 1. Februar 2016

Merkels sprachliche Obergrenze

Dass Merkel und ihre innerparteiliche Leibgarde (Kauder, Altmeier, Laschet et al.) rhetorisch dabei sind, einen Kurswechsel  in der seit September 2015 eröffneten "Open Border Policy" vorzunehmen, ist nicht  zu überhören. Ob sie gewillt sind, derlei Rhetorik nach den Landtagswahlen im März fortzusetzen oder gar in politische Praxis umzusetzen (in Politsprech: "zurückzurudern"), muss offen bleiben. Immerhin: Einige grüne Bessermenschen, an der Spitze die Vorsitzende Simone Peter, kritisieren bereits Merkels jüngste Worte als "ein trauriges Abrücken von der Willkommenskultur". Anders als in Nachrufen auf gewisse abgeschiedene Verwandte könnte die gründeutsche Trauer sogar echt gemeint sein.

Was immer in der "Flüchtlingskrise" von "der Politik" noch zu erwarten ist - das Merkel-Diktum hinsichtlich der Asyl(bewerber*innen)zahlen "Es gibt keine Obergrenze" darf aus politisch-taktischen Umständen keinesfalls zurückgenommen werden. Das offene Eingeständnis eines Irrtums wäre Ausdruck politischer und - medial vermitttelt - moralischer Schwäche, kommt  für Merkel also nicht in Frage.

Den Kursschwenk kündigte Merkel vor unwilligem CDU-Publikum in Neubrandenburg unter Bezug auf  - bis dato kaum je  zitierte - Passagen der Genfer Flüchtlingskonvention an, die für den Flüchtlingsstatus eine temporäre Grenze nach Ende der Bedrohung für Leib und Leben vorsieht. Merkel  überraschte ihr Publikum mit einer - rhetorisch an syrische Flüchtlinge adressierten - Ankündigung: "Wir (!?) erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak [nicht auch in Syrien? H.A.] besiegt ist, dass ihr auch wieder, mit dem Wissen, was ihr jetzt bei uns bekommen habt, in eure Heimat zuückgeht."

Mit dieser überraschenden Ermahnung an die seit September zum Eintritt in die deutsch-demokatische Grundschule ermutigten Migranten aus dem Morgenlande erreichte die Bundeskanzlerin erneut ihre sprachliche Obergrenze.