Hingegen hat die jüngste Schiffskatastrophe, die weit über hundert Flüchtlingen - derzeit werden 143 gezählt - einen schrecklichen Tod brachte, europaweites mediales Entsetzen ausgelöst.Von der diesbezüglich deutschnational einzigartigen Inszenierung der Medienberater und -innen erfuhr der Blogger, seit langem ein gemäßigt radikaler media refusenik, erst heute nachmittag beim Sonntagskaffee bei Freunden.Die Moderatoren/Nachrichtensprecher (und - innen) trugen am Tage der Katastrophe schwarz: schwarzer Anzug, schwarzes Kleidchen oder zumindest schwarze Krawatte. Die Medien-PR-Berater hatten ganze Arbeit geleistet. Während zu Bestattungsfeiern das Tragen von Trauerkleidern zugunsten der Alltagsgarderobe - Pullover, immerhin noch überwiegend in gedeckten Farben - erkennbar zurückgeht, bekunden die fürstlich bezahlten TV-anchormen/women kollektive Trauer über den Tod der Flüchtlinge. Derlei Heuchelei will erstmal ohne Bühnenprobe gelernt sein...
Bittere Ironie beiseite: Allenthalben sind Appelle an Mitleid und Mitmenschlichkeit zu vernehmen, erneut aus dem Munde des Papstes, sodann seitens der EU-Kommission, von Präsident Hollande und von Bundespräsident Gauck. Das Staatsoberhaupt, bis zum karriereträchtigen Mauerfall Pastor in Rostock, rief den Bundesbürgern ihre Verpflichtung auf "unsere europäischen Werte" ins Gewissen. Das klingt schön pastoral, in amtsgerechter säkularer Sprache. Was sind die "Werte", außer den von den hungrigen Einwanderern vermittels militant migration erstrebten materiellen Gütern? Geht es um die Früchte europäischer Aufklärung und Emanzipation, um republikanische Tugend? Um die deutsche Schuld/Scham als ideellem Werteangebot an Migrantinnen und Migranten? Um (post-)christliche Nächstenliebe? Um die "kulturelle Bereicherung" der an Hypermoral, Medienhype und geistiger Unterernährung leidenden Europäer, insbesondere der in schwindendem Maße wohlstandsgesättigten Deutschen? Um die Sicherung "unserer Renten" durch die Kinder der in die Sozialsysteme Einwandernden? Um mehr Schwarzarbeit im sozial verachteten unteren Dienstleistungsbereich? Um die Förderung einer "Willkommenskultur" zur Aufnahme von Millionen und Abermillionen in die geburtenschwache Moralfestung Europa?
Mitgefühl reiche nicht, die EU müsse schnell "die richtige Antwort finden", befand zu Recht der französische Premier Ayrault. Unter allen Vorschlägen und "Forderungen" zum Umgang mit den Massen von illegalen Einwanderern (sans-papiers) klingen die vom französischen Außenminister Laurent Fabius vorgetragenen am nüchternsten und vernünftigsten. Fabius plädierte für eine Aufstockung der Entwicklungshilfe - Frage: für welcherlei fruchtbringende Projekte? - und ein entschlossenes Vorgehen gegen die Schlepper. Zudem fordert er mehr Geld für die EU-Grenzagentur Frontex (mit einem derzeitigen Jahresbudget von 50-60 Millionen €). Der italienische Ministerpräsident Letta erklärte, das Problem sei Libyen, Italien könne "nicht alles auf seine Schultern nehmen." Er vergaß hinzuzufügen, dass das "Problem" aufgrund des nach Intervention und Krieg, Sturz und Tod Gaddafis erzeugten Chaos sich verschärft hat. Zudem: Wo liegen die Ursachen für die seit Jahrzehnten andauernden Massaker im tiefsten Afrika? Wie sind die Ethno- und Rohstoffkriege zu beenden?
Das Thema "Flüchtlingselend - illegale Einwanderung", meist subsumiert unter dem Begriff "Migration", wirft eine unendliche Kette von Fragen auf, die selbst mit der für politisches Handeln stets grundlegenden Unterscheidung von gesinnungsethisch spontanem Handeln aus dem Geist der Bergpredigt und verantwortungsethischer Distinktion zwischen Handlungszwängen, zwischen großen und kleineren Übeln nicht ad hoc zu beantworten sind. Für hochkomplexe, schmerzliche, schwierige Probleme gibt es keine einfachen Lösungen, womöglich gar keine Lösung. Mit Geld allein, mit dem Ausbau der Sozialindustrie in den wenigen ökonomisch noch funktionstüchtigen Staaten, geschweige denn mit offenen Grenzen, werden die Einwanderungsströme sowenig zu regulieren sein wie mit schönen Worten. Schon vor etwa dreißig Jahren sagte der Sozialist (und Protestant) Michel Rocard, wir (= die Franzosen / die Europäer) könnten nicht das gesamte Elend der Welt bei uns aufnehmen. Die Völkerwanderung, die "Great Migration" des 21. Jahrhunderts, in die Wohlstandszone Europas wird anhalten (und Europa kulturell und sozial von Grund auf verändern), solange "die Europäer" - d.h. die Macht- und Funktionseliten in der EU- keine verantwortungsvollen - und wirkungsvollen - Konzepte zur Minderung des Einwanderungsdrucks vorlegen und durchsetzen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen