Samstag, 8. November 2014

Zum Jubiläum des Mauerfalls

Reflektionen zum 25jährigen Jubiläum des Mauerfalls sind angebracht. Ich muss das Publikum leider vertrösten. Immerhin bot die gestrige Gedenkstunde im blau bestuhlten Bundestag  Gelegenheit zu einigen Beobachtungen:

Der Plenarsaal war bestenfalls zu drei Vierteln besetzt. Dem Rest der Abgeordneten (w/m) schienen andere Termine offenbar wichtiger.

Wolf Biermann spielte nicht nur bemerkenswert gut Gitarre, ehe er zur Rede - und danach erst zum Singen -anhob, sondern brachte es fertig, die "Linken"-Bänke für deren BenutzerInnen sichtlich unbequem zu machen. Die meisten rutschten hin und her, pflegten mit Hinter- und Nebenmännern/-frauen kurze Konversation oder  feixten (wenn ich den bärtigen Dieter Dehn, einst Biermann-Manager im Westen und Stasi-Konfident in der westdeutschen Musik- und Politszene, richtig erkannt habe). Einzig Petra Sitte, in der ersten Reihe neben Gregor Gysi, hielt unbewegt die Stellung. Sie saß da, angetan mit buntem Hemd (Bluse?) und ärmellosem Pulli, wie in Ufa-Filmen  der Klassenstreber in der ersten Bank.

Um den richtigen Eindruck von Biermanns Auftritt - als ironisch souveräner "Drachtentöter" - zu vermitteln, zitiere ich die nachfolgenden Google-Überschriften aus unseren bundesrepublikanischen  Qualitätsorganen:

Mauerfall-Gedenken Bundestag: Biermann beschimpft ...
www.zeit.de › Politik › Deutschland
vor 1 Tag - Mauerfall-Gedenken: Biermann attackiert Linke im Bundestag scharf ... "Sobald Sie für den Bundestag kandidieren und gewählt werden, ...




  • Mauerfall-Gedenken: Eklat im Bundestag - Biermann nennt ...

    www.spiegel.de › Politik › Deutschland › 25 Jahre Mauerfall
    vor 1 Tag - Der Liedermacher Wolf Biermann teilt im Bundestag kräftig gegen die Linke aus. Bei der Feierstunde zum Mauerfall bezeichnet er die Partei ...
  • Mauerfall-Gedenken: Biermann-Auftritt im Bundestag nervt

    www.spiegel.de › Politik › Deutschland › 25 Jahre Mauerfall
    vor 2 Tagen - Der Liedermacher und DDR-Kritiker Wolf Biermann soll beim Mauerfall-Gedenken im Bundestag singen. Die Linke sieht die Einladung kritisch .

  • Gerda Hasselfeldt (CSU) verkündete, die "Union" habe als einzige Kraft in der alten Bundesrepublik stets   die Fahne der nationalen Einheit hochgehalten. Der Blogger erinnert sich an so aufrichtige Patrioten wie   Heiner Geißler, Rita Süßmuth oder Dorothea Wilms (zur Erinnerung: Gesamtdeutsche Ministerin) et  al., denen alles Mögliche am Herzen lag, nur nicht die deutsche Einheit.

    Katrin Göring-Eckardt unterließ es -  gleichsam dem Fraktionszwang genügend - zu erwähnen, dass anno 1989 unter den westdeutschen Grünen kaum mehr Einheitsbefürworter zu finden waren. Im Bundestag waren sie  grade noch mit  zwei, maximal drei Leuten vertreten, die unter den für ihren Humor bekannten
    Grünen nichts zu lachen hatten. . Die Grünen fanden seinerzeit nichts dabei,  den - damals  als solchen noch nicht identifizierten - Stasi-Mann Dirk Schneider zum "Deutschlandpolitischen Sprecher" zu erheben, selbst wenn sie über ihn zugleich als "Ständige Vertretung  der DDR bei den Grünen" ihre Witzchen machten.

    Göring-Eckardt absolvierte ihre grün-demokratische Pflichtlektion, indem sie behauptete, der Fall der Mauer sei  "keine schwarz-rot-goldene Revolution gewesen". Dann habe ich als Fernsehpatriot damals beim Eintreffen der  DDR-"Ausreiser" in Passau (im September 1989 aus Ungarn) sowie  in Hof (im Oktober  aus Prag), sodann  ad oculos beim Sturz der Mauer, danach  in Leipzig am 11. Dezember ("Deutschland einig Vaterland!") wohl die falschen Fahnen gesehen.

    Gysi musste bestrebt sein,  sich und seiner Partei mit einem pari-pari-Katalog, die Treue der Anhänger im Osten (Weise und Text: "Nicht alles war schlecht") zu erhalten, den Beitritt der DDR als "Beitritt" zu kritisieren  und zugleich dem Rechtsstaat Wertschätzung entgegenzubringen. Das dürfte gelungen sein, egal was die FAZ - in krauser Sprache - heute daran zu mäkeln hatte.

    Und wer möchte seinem Satz, die EU dürfe an ihren Meeresgrenzen im Mittelmeer  keine Mauern errichten, nicht von Herzen zustimmen? Ach, es geht nicht mehr darum, Motive und Zielrichtung der Flüchtlinge von   damals und heute abzuwägen. Gysi hat ja recht: Wir müssen die Ursachen der Flucht  - aus  Nahost, aus Afghanistan, Pakistan, aus Afrika, aus aller Welt  ins Paradies EU - beseitigen. Wir möchten nur gerne wissen: Wie? - Vielleicht hat die "Linken"-Verwandte Tante Antifa die Antwort: "Keiner ist illegal". Seid willkommen, Millionen!

    Am überzeugendsten und bewegendsten waren die Reden von Iris Gleicke (SPD) und Arnold Vaatz (CDU). Beide kannten die Mauer von der östlichen Seite und die  DDR von innen. Vaatz lernte die soziale Sicherheit der DDR sogar im Knast kennen.

    P.S. Ich darf das Publikum auf meine Besprechung des - im Herder-Verlag, nicht bei Dietz Nachf. - erschienenen Buches  von Hans-Jochen Vogel, Erhard Eppler und Wolfgang Thierse hinweisen. Soeben - eingestellt unter:
    http://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/946-zum-jubilaeum-des-mauerfalls-drei-sozialdemokraten-ueber-die-ungeraden-wege-zur-deutschen-einheit.



    .


    Keine Kommentare:

    Kommentar veröffentlichen