Freitag, 21. November 2014

Thüringen wartet auf den Nikolaus


I.
Drei strahlende Gesichter auf der Titelseite: die rot-rot-grüne Troika, vertreten durch eine bis dato unbekannte  Dame ("Die Linke") und zwei gleichfalls unbekannte Männer (für die SPD und die Grünen). Sie freuen sich wie dereinst die  Kinderlein am Abend des 6. Dezember, wenn endlich nach allerlei peinlichen Fragen und Ermahnungen  der Nikolaus die heiß erwarteten Geschenke hervorholte. Die prospektiven Koalitionspartner, die nach langen Jahren Großer Koalition unter der Pastorin Lieberknecht (CDU) einen "Politikwechsel" zustandebringen wollen, freuen sich über ihren Koalitionsvertrag, den sie mit Bedacht  als Geschenk fürs Thüringer Wahlvolk (Wahlbeteiligung am 20.September ca. 52%) verpackt haben. Damit das 108 (?) Seiten starke Geschenk zumindest mediengerecht gut ankommt, hat die Führungsriege der "Linken" eines ihrer heiligsten Güter geopfert, i.e. die Überzeugung, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen, sondern ein Staat,  dessen Organe oft und bedauerlicherweise wider seine sozialistische Gesetzlichkeit verstieß.

Wem stockte nicht der Atem, als  der prospektive Ministerpräsident Bodo Ramelow, aus Hessen stammend, aufrechter protestantischer Christ und standfester Gewerkschafter, aus Versehen  die rote Linie überschritten und die Stasi mit der Gestapo verglichen, ja in eins gesetzt hatte? Zum Glück konnte er sich am Tag danach   interpretatorisch aus der Geschichtsfalle wieder herauswinden. Aber damit war die neue Linie immerhin vorgezeichnet. Jetzt  müssen die altgedienten Genossen aus Suhl, Gera und Mühlhausen sowie die kämpferischen Junggenossen, vielfach von westlich der Werra herübergekommen,  vor den Medien eingestehen, die DDR sei eben doch ein Unrechtsstaat gewesen - ein Begriff, mit dem die CDU das indifferente Volk noch einmal aufschrecken, die Genossen der Linken in die Defensive zwingen wollte.

Irrtum, man denke an Henri IV. Für die "Linke" ist Erfurt eine Kröte wert. Sodann: Die SPD hat es im Koalitionsbett endlich wieder  mit einem historisch sauberen Lebenspartner zu tun. Und die Grünen, Monopolisten der reinen Gesinnung,  feiern als moralischen  Sieg, wo es um Ministerposten  und die Sanktionierung des naturgemäß ökogerechten KoalitionsFairtrags geht. Das Ministerium für grüne Kühe, genauer: für die subventionsgesättigte, in GmbHs umgewandelte Landwirtschaft "im grünen Herzen Deutschlands" geht an die "Linke". Für die Grünen bleibt die Umwelt,  da es in Thüringen  um den Kickelhahn herum hinreichend windige Wipfel für naturgeschützte Windparks gibt, und zum Glück keine gewissensgefährdende Braunkohle. Für jeden der numerisch schwachbrüstigen Koalitionspartnerinnen fallen vertragsgemäß hinreichend Minister- und Staatssekretärsposten ab.

II.
So wird im einstigen Herzland des Sozialismus (und Nazismus) mutmaßlich alles gut gehen. Über Fragen der kapitalistischen Ökonomie zerbrechen sich die Linken (im weitesten Sinne) längst nicht mehr die Köpfe, höchstens noch  über Fragen der richtigen ("gerechten")  Umverteilung sowie der Allokation der Budgetposten. Was alle vereint, ist die Sorge um die allgemeine Bildung und/oder die Erziehung des Volkes, insbesondere die Sexualerziehung. Wie sie zu bewerkstelligen sei - beispielsweise anhand von mit ökologischem Gütesiegel bedruckten Utensilien für h/h/t/b/q-Users -,  zeigt derzeit die grün-rote Regierung in Stuttgart unter dem  grünen und katholisch-bürgerlichen Ministerpräsidenten Kretschmann (Mitglied im ZK der Katholen) im sexualfeindlichen, pietistischen Musterländle. Wenn die Koalition in Erfurt bis 2017 halten sollte, könnte man auch  Martin Luther als sprachkräftigen deutschen  Sexualerzieher historisch mit einbeziehen.

III.
Ob der rot-grün-rote Nikolaus am Nikolaustag tatsächlich  nach Thüringen kommt, entscheidet sich am Tag zuvor,  am 5. Dezember. An diesem Tag wird im Landesparlament über Ramelow, den Linke-Kandidaten  fürs Amt des Ministerpräsidenten abgestimmt, geheim. Selbst die prospektiven, vertragsgemäß gebundenen Koalitionäre rechnen mit drei Wahlgängen, denn die Sache ist bei 1 (in Worten: einer) Stimme Mehrheit denkbar knapp. Dabei wird offenbar, ob sich alle koalierenden Volksvertreterinnen (sc. V-, Nullsuffix) an  ihr durch Probeabstimmung eingeübtes Verhalten halten oder nicht. Erst beim dritten Wahlgang, immer noch geheim , wenn die relative Mehrheit  - im Extremfall bei Abwesenheit eines Gegenkandidaten eine einzige  Stimme gegenüber dem Rest - genügt, würde laut Thüringer Landesverfassung Ramelow in die Rolle des Landesvaters gelangen. Wenn sich im letzten Augenblick Lieberknecht ("die schwarze Mamba") oder irgendein(e) andere(r) CDU-Kämpfer(in) zur Gegenkandidatur entschließen sollte, würde es richtig spannend.   Es wäre immerhin denkbar-  vestigia Chattiae terrent -, dass der eine oder die eine Abgeordnete im letzten Augenblick sich an die Maxime des Grundgesetzes erinnert, wonach er/sie nur seinem/ihrem Gewissen - mithin  weder dem Koalitionsvertrag noch der Parteiräson - verpflichtet ist/sein sollte. Was dann?

Es wäre für die Sigmar Gabriel und seine SPD entsetzlich, weniger für die Grünen. Doch es besteht Hoffnung für Ramelow und seine Koalitionäre. Denn es gibt keinen Weg zurück in die alten,  deutsch-deutschen Zustände der frühen 1970er Jahre. Damals halfen die Stasi und "Onkel Herbert" bei den schicksalsschweren Abstimmungen im Bundestag dem schwachen Gewissen der Zweifler mit kleinen Geschenken (in DM) auf..

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