Montag, 15. Juni 2015

Notizen zum Berliner Richtfest sowie zu "Memories of Dachau"

I.
Das Berliner Schloss, in deutsch-kosmopolitischer Absicht zum Humboldt-Forum  erhoben, feierte vorgestern, Samstag, den 14.Juni 2015, sein Richtfest. Wenngleich der hellgraue Betonrohbau derzeit noch mehr durch massige Wucht denn durch schlichte Schönheit  beeindruckt, lässt er die erneuerte Barockgestalt immerhin schon erahnen. Und selbst jene, die sich mit historisch-ästhetischen Argumenten, genauer: aus ideologisch höchst unterschiedlichen Motiven gegen Francesco Stellas Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses gesperrt haben,  müssen  eingestehen, dass die von der deutschen - nicht ausschließlich preußisch-deutschen -  Geschichte malträtierte Hauptstadt dabei ist, ihr Zentrum und Gesicht wiederzugewinnen.

Das Ziel des  Bloggers war am vergangenen Samstag indes nicht der große Publikumsauftrieb zur Bekränzung der von einem anyonymen Spender ermöglichten Kuppel des Betonbaus, sondern eine weniger spektakuläre Attraktion: das Monbijoutheater gegenüber dem Bodemuseum. Der als Freilichttheater konstruierte kleine Holzbau, mit nach oben gezogenen Zuschauerrängen  samt pit in der Mitte, mit einer  kleinen Bühne sowie der für Balkonszenen aller Art nutzbaren Galerie auf der Rückseite, ist  nicht zufällig Shakespeares Globe Theatre nachempfunden. Über dem mit rotem Plüsch verhängten Eingang ist eine mutmaßlich aus Plastik   "getriebene" Plakette mit dem Porträt des Dichters angebracht. Die kleine Theatertruppe -  ohne die Biertheke nebenan wären die Einnahmen gewiss noch bescheidener - spielt  mit derbem Enthusiasmus vornehmlich Shakespeares Komödien, demnächst indes auch Hamlet.

Auf dem Programm stand  Molières "Tartuffe", in deutsch verfremdeter (oder reformgemäß aktualisierter) Schreibweise "Tartüff". Pünktlich um 19.30 quälte sich eine mit prächtig rotem Kostüm  ausstaffierte Figur die hinteren Stufen zur Bühne hoch. Doch aus dem  Fest klassischer Komik wurde nichts. Als der längst dräuende Wolkenbruch  losbrach, fiel das Stück ins Wasser. Abbruch, Karten gültig für eine spätere Vorstellung!

II.
Die Flucht vor den Fluten führte in die Hackeschen Höfe. Dort war, terminlich gerade noch erreichbar,  in einem der Kinos  "Desert Inspiration" angekündigt. Der Film spiegelt die  Impressionen des Gypsy-Jazz-Gitarristen Lulo Reinhardt  von einer Reise zu den Berbern im Südosten Marokkos sowie von seiner Begegnung mit dem Musikerkollegen und Freund Cherif el Hamri.

Der Film zeigt die Wahrnehmungen des sich einer Nomaden-Kultur zurechnenden Reinhardt - er erinnert sich an  seine Kindheit im Wanderzirkus seiner Familie sowie an die Erzählungen der Alten - in der im Umbruch zur "Moderne", zur technisch-digitalen Gegenwart, begriffenen Lebenswelt der Bewohner der Wüstenregion. Was  die mit ihren Herden umherziehenden Hirten betrifft, so ist ihre Lebensweise nach wie vor die von Nomaden. Für die Bauern aus  der kleinen Oasenstadt Agdzh - mit einer unlängst restaurierten Kasbah -, die Reinhardt bei ihrer Feldarbeit in einer palmería angetroffen hat, scheint  der Begriff schwerlich  anwendbar. Immerhin sprach der  mit der Restauration betraute Historiker und  Architekt davon, das Innere der weitläufigen Burg (=Kasbah), wo die Räume ineinander übergehen und beliebig genutzt werden konnten, sei der Anordnung  von Nomadenzelten  nachgebildet.

In Azgdh findet seit einigen Jahren ein Musikfestival mit Gästen aus aller Welt statt. Die Freundschaft mit Cherif el Hamri, Musiker, Instrumentenbauer und Kalligraph, entstand bei solcher Begegnung. In der Berbern der Wüstenregion glaubt der Besucher Lulo Reinhardt  noch den  Einklang ihrer Existenzweise mit der Natur zu erkennen - eine Harmonie,  die  ihren Ausdruck in Musik und Tanz finde. Ob der ursprünglich religiöse Charakter der Tänze der Berbergemeinschaften mit dieser Deutung  getroffen wird, mag offenbleiben. Nicht anders sind  Zweifel angebracht, ob die von Reinhardt angenommene Synthese von Tradition, Popmusik und Handy-Moderne tatsächlich stattfindet und Frucht tragen wird.

III.
Statt einer bloßen Filmvorführung war vorweg jedoch ein Konzert mit Lulo Reinhardt, dem Großneffen des "großen" Django Reinhardt, zu erleben. Er spielte die Guitarre - sowie ein ihm von El Hamri  geschenktes Instrument  - teils solo, teils im Konzert mit El Hamri sowie einem Rhythmus-Instrumentalisten. In leicht rheinhessischem Tonfall gab der Künstler zu seinen Stücken - die  Motive durchziehen auch den Film  "Desert Inspiration"  - einige Erläuterungen.

 "Memories of Dachau" lautet der Titel von fünf Kompositionen, die  Lulo Reinhardt seinem Onkel gewidmet hat. Der Onkel, so war zu hören, kämpfte "unter Rommel bei El Alamein". Danach, offenbar  auf Heimaturlaub,  erhielt er ein Schreiben mit der Aufforderung  zum Erscheinen bei einer Dienststelle. Statt der erwarteten Ordensverleihung wurde er von zwei SS-Schergen  verhaftet und nach Dachau deportiert.

Wirklichkeit und Vorstellung eines Konzentrationslagers legten eine Komposition in Moll nahe, so Reinhardt. Diese fünf Stücke habe er jedoch in Dur geschrieben. Sein Onkel und seine Eltern hätten überlebt, die Dankbarkeit darüber habe er in Dur ausgedrückt. Doch seien auch  Passagen in Moll eingestreut...

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