I.
Das Berliner Schloss, in deutsch-kosmopolitischer Absicht zum Humboldt-Forum erhoben, feierte vorgestern, Samstag, den 14.Juni 2015, sein Richtfest. Wenngleich der hellgraue Betonrohbau derzeit noch mehr durch massige Wucht denn durch schlichte Schönheit beeindruckt, lässt er die erneuerte Barockgestalt immerhin schon erahnen. Und selbst jene, die sich mit historisch-ästhetischen Argumenten, genauer: aus ideologisch höchst unterschiedlichen Motiven gegen Francesco Stellas Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses gesperrt haben, müssen eingestehen, dass die von der deutschen - nicht ausschließlich preußisch-deutschen - Geschichte malträtierte Hauptstadt dabei ist, ihr Zentrum und Gesicht wiederzugewinnen.
Das Ziel des Bloggers war am vergangenen Samstag indes nicht der große Publikumsauftrieb zur Bekränzung der von einem anyonymen Spender ermöglichten Kuppel des Betonbaus, sondern eine weniger spektakuläre Attraktion: das Monbijoutheater gegenüber dem Bodemuseum. Der als Freilichttheater konstruierte kleine Holzbau, mit nach oben gezogenen Zuschauerrängen samt pit in der Mitte, mit einer kleinen Bühne sowie der für Balkonszenen aller Art nutzbaren Galerie auf der Rückseite, ist nicht zufällig Shakespeares Globe Theatre nachempfunden. Über dem mit rotem Plüsch verhängten Eingang ist eine mutmaßlich aus Plastik "getriebene" Plakette mit dem Porträt des Dichters angebracht. Die kleine Theatertruppe - ohne die Biertheke nebenan wären die Einnahmen gewiss noch bescheidener - spielt mit derbem Enthusiasmus vornehmlich Shakespeares Komödien, demnächst indes auch Hamlet.
Auf dem Programm stand Molières "Tartuffe", in deutsch verfremdeter (oder reformgemäß aktualisierter) Schreibweise "Tartüff". Pünktlich um 19.30 quälte sich eine mit prächtig rotem Kostüm ausstaffierte Figur die hinteren Stufen zur Bühne hoch. Doch aus dem Fest klassischer Komik wurde nichts. Als der längst dräuende Wolkenbruch losbrach, fiel das Stück ins Wasser. Abbruch, Karten gültig für eine spätere Vorstellung!
II.
Die Flucht vor den Fluten führte in die Hackeschen Höfe. Dort war, terminlich gerade noch erreichbar, in einem der Kinos "Desert Inspiration" angekündigt. Der Film spiegelt die Impressionen des Gypsy-Jazz-Gitarristen Lulo Reinhardt von einer Reise zu den Berbern im Südosten Marokkos sowie von seiner Begegnung mit dem Musikerkollegen und
Freund Cherif el Hamri.
Der Film zeigt die Wahrnehmungen des sich einer Nomaden-Kultur zurechnenden Reinhardt - er erinnert sich an seine Kindheit im Wanderzirkus seiner Familie sowie an die Erzählungen der Alten - in der im Umbruch zur "Moderne", zur technisch-digitalen Gegenwart, begriffenen Lebenswelt der Bewohner der Wüstenregion. Was die mit ihren Herden umherziehenden Hirten betrifft, so ist ihre Lebensweise nach wie vor die von Nomaden. Für die Bauern aus der kleinen Oasenstadt Agdzh - mit einer unlängst restaurierten Kasbah -, die Reinhardt bei ihrer Feldarbeit in einer palmería angetroffen hat, scheint der Begriff schwerlich anwendbar. Immerhin sprach der mit der Restauration betraute Historiker und Architekt davon, das Innere der weitläufigen Burg (=Kasbah), wo die Räume ineinander übergehen und beliebig genutzt werden konnten, sei der Anordnung von Nomadenzelten nachgebildet.
In Azgdh findet seit einigen Jahren ein Musikfestival mit Gästen aus aller Welt statt. Die Freundschaft mit Cherif el Hamri, Musiker, Instrumentenbauer und Kalligraph, entstand bei solcher Begegnung. In der Berbern der Wüstenregion glaubt der Besucher Lulo Reinhardt noch den Einklang ihrer Existenzweise mit der Natur zu erkennen - eine Harmonie, die ihren Ausdruck in Musik und Tanz finde. Ob der ursprünglich religiöse Charakter der Tänze der Berbergemeinschaften mit dieser Deutung getroffen wird, mag offenbleiben. Nicht anders sind Zweifel angebracht, ob die von Reinhardt angenommene Synthese von Tradition, Popmusik und Handy-Moderne tatsächlich stattfindet und Frucht tragen wird.
III.
Statt einer bloßen Filmvorführung war vorweg jedoch ein Konzert mit Lulo Reinhardt, dem Großneffen des "großen" Django Reinhardt, zu erleben. Er spielte die Guitarre - sowie ein ihm von El Hamri geschenktes Instrument - teils solo, teils im Konzert mit El Hamri sowie einem Rhythmus-Instrumentalisten. In leicht rheinhessischem Tonfall gab der Künstler zu seinen Stücken - die Motive durchziehen auch den Film "Desert Inspiration" - einige Erläuterungen.
"Memories of Dachau" lautet der Titel von fünf Kompositionen, die Lulo Reinhardt seinem Onkel gewidmet hat. Der Onkel, so war zu hören, kämpfte "unter Rommel bei El Alamein". Danach, offenbar auf Heimaturlaub, erhielt er ein Schreiben mit der Aufforderung zum Erscheinen bei einer Dienststelle. Statt der erwarteten Ordensverleihung wurde er von zwei SS-Schergen verhaftet und nach Dachau deportiert.
Wirklichkeit und Vorstellung eines Konzentrationslagers legten eine Komposition in Moll nahe, so Reinhardt. Diese fünf Stücke habe er jedoch in Dur geschrieben. Sein Onkel und seine Eltern hätten überlebt, die Dankbarkeit darüber habe er in Dur ausgedrückt. Doch seien auch Passagen in Moll eingestreut...
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