Freitag, 19. Juni 2015

Europäische Manöver

In den Feuilletons ging es dieser Tage um die letzte große Schlacht und Niederlage des Empereur bei Waterloo/Belle Alliance/Mont Saint Jean. Napoleons spezifisches Konzept zur Einigung Europas – so seine auf Sankt Helena konzipierte Selbstinterpretation – war an den Mächten Europas, de facto bereits am 22. Juni 1812 beim Angriff auf die zuvor noch verbündete europäische Großmacht Russland, gescheitert. Auf dem Wiener Kongress schufen die souveränen Mächte (einschließlich des besiegten Frankreichs) jene Friedensordnung, die ungeachtet mancherlei Erschütterungen, trotz diverser Revolutionen, trotz Krimkrieg, trotz der italienischen und deutschen Einigungskriege, insgesamt bis 1914 Bestand hatte.

Spätfolgen der von den „Schlafwandlern“ (Chistopher Clark) im August 1914 losgetretenen Katastrophe treten derzeit erneut in der Griechenlandkrise sowie in der Ukrainekrise hervor. Während Tspiras, angeblich ideologisch befeuert von seiner kommunistisch sozialisierten Jugendliebe und Lebensgefährtin, erneut nach Moskau reist, um Putins Unterstützung im Kampf gegen die antihellenische Verschwörung von Troika, Brüssel und Wolfgang Schäuble zu gewinnen, spielen einige Nato-Staaten (einschließlich deutscher Bundeswehr) auf dem dank der historischen Wechselfälle des 20. Jahrhunderts von Polen akquirierten preußisch-deutschen Militärgelände bei Sagan, Niederschlesien, Manöver. Die Blauen, die Verteidiger, also die Guten, sind naturgemäß in der Nato, wer der Feind, also die Roten oder die Bösen, sein soll, ist unschwer zu erraten. Im Gegenzug führen die  bösen Russen zusammen mit den derzeit wieder zweckverbündeten Chinesen ein Seemanöver im östlichen Mittelmeer vor.

Wenn Tspiras sich enger mit Putin liierte und dies die transatlantische community „nachhaltig“ erschüttern würde, dürfte am 30. Juni 2015, wenn erneut eine griechische Zinsrate fällig wird und/oder  der Staatsbankrott droht, ein weiterer Kredit/de facto Schuldenschnitt nachgeschoben werden. Den Grexit als beste Notlösung des Problems fordern nach wie vor nur ein paar ungeliebte Ökonomen wie Hans-Werner Sinn, andere halten mit Verve dagegen. Die Wissenschaft von der political economy gleicht wieder mal dem „schwarzen Schwan“. Man weiß nie, in welche Richtung er/sie schwimmen wird.

Eine Wette auf Euro oder Drachme möchte der Blogger nicht abschließen. Sein sensus politicus sagt ihm, dass die Wertegemeinschaft ein paar weitere Milliardenwerte für Hellas locker machen wird, „whatever it takes“(Draghi). Was irritiert, ist der Umgang unserer "Eliten“ mit dem Thema. Kaum einer spricht vom (macht-)politischen Kern der Sache. Von der komplexen ökonomischen Materie dürften ohnehin die meisten nicht allzu viel verstehen. Man hält sich lieber an die Experten – oder an die Medien. Die Experten wiederum denken nicht bloß ökonomisch, sondern eben auch politisch (s.o.)

Dem mündigen Bürger (und Steuerzahler) bleibt die Rolle des gequälten Zuschauers im neudeutschen Regietheater. Zum Amüsement gereicht immerhin der Auftritt der grünen Ko-Vorsitzenden Göring-Eckardt. Die unvollendete Theologin zeigt sich entrüstet, dass Bundeskanzlerin Merkel in diesen Euro-kritischen Tagen nicht ihren alternativlosen Standardsatz der letzten Jahre („Scheitert der Euro, scheitert Europa“) wiederholt hat. Doch vernimmt man aus der grünen Ecke auch noch andere Worte. Jürgen Trittin, ehedem "linke" Führungsfigur im engeren grünen Machtzirkel mit Aspirationen aufs Finanzministerium,  warnte angesichts des letzten Nato-Manövers vor der in Washington angekündigten Stationierung neuer Waffen - und Militäreinheiten? - in Ost- und Südosteuropa.

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