Mittwoch, 8. Oktober 2014

Zur Selbstbespiegelung eines russischen "Intelligent"

Als vor  Jahren in der FAZ in Fortsetzungen ein Roman über russische Zustände aus der Feder von Viktor Jerofejew erschien, kamen mir  bei der Lektüre  Zweifel an Intention und Verfahren des Autors. Jerofejew, selbst der Nomenklatura enstammend, machte sich daran, die in der eigenen, im engeren Kreis der  Macht angesiedelten Familie praktizierten kommunistisch-poststalinistischen Denk- und Verhaltensweisen zu ironisieren ("dekonstruieren"). Da dem Roman jeglicher Tiefgang - Reflektionen über die leidvolle Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert, über die zweifelhafte Rolle der von der Macht Privilegierten, nicht zuletzt über die eigene Rolle - fehlte, wurde mir die biographische Selbstbespiegelung bald langweilig.

Als ich  am 2. Oktober auf einen Artikel von Jerofejew unter dem Titel "Amnesie als Rettungsfallschirm" stieß, indem er  den  Opportunismus der Putin anhängenden Russen anprangerte, kam bei der Lektüre Ärger hoch: Hier redete   - gleichsam als nachgeborener radikaler "Westler" - ein Vertreter der russischen Intelligentsija  in überheblichem Ton von dem ihm fernen Volk. Von einer kritisch-abwägenden Analyse der russischen Zustände keine Spur...

Da man nicht an  jedem Tag und zu jeder Stunde in der Lage ist, zu jedem Thema seinem kritischen Impetus unverzüglich nachzugeben, zitiere ich nachfolgend den Leserbrief des GlobKult-Autors Arno Klönne in der heutigen FAZ (v. 8.10.2014, S.18):

"Den begabten [ein immerhin fragwürdiges Attribut; H.A.] russischen Romancier lässt die F.A.Z. mit einem Beitrag im Feuilleton zu Wort kommen, der offenbar den Anspruch enthält, historische und aktuelle Grundmuster der Politik Russlands zu beschreiben und zu erklären. Die russische "Volksseele", ein "Organismus", so der Autor, ist demnach von einem bösartigen "Virus" befallen - Jerofejew hätte sich ein anderes, das heilsame europäische, Russland gewünscht. Und so ist weiteres russisches "Monstertum" zu befürchten. Bemerkenswert ist an dem Artikel, welcher ja nicht dem Genre Roman zugeordnet ist, der entschlossene Verzicht auf eine empirisch-analytische Betrachtung politischer Verhältnisse, auch deren mentaler Seiten. Jerofejew denkt und schreibt in einer Manier, die methodisch der des russischen Publizisten Alexander Dugin entspricht, bei gegensätzlichen politischen Standpunkten. Von solcherart Politikberatung, aus welcher weltanschaulichen Richtung auch immer, ist abzuraten. Sie hatte stets fatale Folgen."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen