I.
Die „Nacht der
Philosophie“ am Institut
Français im ehrwürdigen Maison de France beendete ich um Mitternacht in der Pizzeria nebenan bei Bier und Gespräch mit Jürgen Tribowski, den ich in einem der
proppenvollen Institutsräume entdeckt hatte. Zuvor hatte ich, bei überreichem Angebot zur Auswahl genötigt, einigen Vorträgen gelauscht, etwa über „Anfänge", über den Begriffswandel der „Gesellschaft“, über das Verhältnis
von Politik und Ökonomie bei Hegel und Hannah Arendt. Sodann wollte
ich mir noch anhören, was Frieder Otto Wolf, Honorarprofessor für
Philosophie an der FU Berlin sowie Präsident des Deutschen
Humanistenverbandes, zur "Aktualität radikaler Philosophie“ zu sagen
hätte. Tribowski, einst Mitstreiter in „alternativen“
Bestrebungen zur realsozialistisch eingemauerten West-Berliner
Wirklichkeit, hatte gleich abgewinkt.
Was
Wolf, seinerzeit als Berliner Aktivist der „Alternativen Liste“
und „grüner“ Abgeordneter im gerade etablierten
Europa-Parlament ein fleißig „konservative“ Gegenthesen
produzierender Opponent unserer „radikalen“ Ideen zur
Status-quo-Überwindung, in über 20 Minuten vorzutragen hatte, war
alles andere als radikale Philosophie – verstanden als radikales
Nachdenken über „die Lage“, über die Wirklichkeit anno 2014. Er
traktierte das überwiegend jugendliche - erstaunlich geduldige -
Publikum mit für aktuell erklärten Dogmen aus dem alten
marxistischen Sammelkasten: Der Neoliberalismus sei erkennbar in
seine Krise geraten, jetzt erweise sich erneut die Richtigkeit der
Analyse der Produktionsverhältnisse. Gut so. Klassenbegriff und
-kampf mied der einstige Mitherausgeber der „ProKla“ (= "Proklamationen des Klassenkampfs"), er hielt
es mit dem Feminismus und den „neuen sozialen Bewegungen“, die,
ausgestattet mit Erkenntnis der autoritären Strukturen und der
kapitalistischen Wurzel aller Übel samt der ökologischen Krise, den
Kampf um die die emanzipierte Zukunft der Menschheit aufgenommen
hätten usw. usw.
Dank
derlei Rhetorik blieb die üble („unemanzipierte“) Realität
außerhalb des Horizonts des ergraut-zerzaust in Hawaiihemd
auftretenden Philosophen. Kein Wort über Putins Gas und
die Ukraine, Energiefragen und Machtinteressen, über Geopolitik, über Gewalt im Nahen Osten, über die gespaltene islamische Welt, über Orient und Okzident, Dschihadismus und Liberalismus („radikaler Humanismus“), über die kapitalistische Praxis der Kommunisten in China, über die Zukunft Afrikas
– und die Zukunft Europas. Kein Wort über die Mediatisierung des Bürgers durch die classe politica, kein Wort der Kritik an der alle Widersprüche und Machtverhältnisse überdeckenden Zivilreligion.
II.
II.
Als Kommentar zu derlei radikaler Realitätsferne kann ein
Artikel von Thomas Scheen „Namibia will sich von Südafrika lösen“
in der FAZ (nr. 136, v. 14.06.2014, S. 20) dienen. Zwar wird der pointierte
Titel bereits im zweiten Absatz relativiert: Die Abhängigkeit des
politisch relativ stabilen, mit 2.2. Millionen Einwohnern
bevölkerungsschwachen Landes vom großen, mächtigen – und
zusehends krisenhaft korrupten – Nachbarland ist viel zu groß, als
dass eine ökonomische Emanzipation in greifbarer Nähe schiene.
Nichtsdestoweniger enthält der Bericht des Afrika-Korrespondenten weltpolitsch erhellende harte Fakten. Sie illustrieren das ökonomische – und
machtpolitische – Vordringen der neuen alten Weltmacht China auf
dem afrikanischen Kontinent.
In
der Nähe von Swakopmund baut China für 2 Milliarden Dollar ein neues Uranbergwerk. Zugleich versucht die namibische Regierung, die
bescheidene heimische Produktion, beispielsweise in einem deutschen
Zementwerk, vor chinesischen Billigimporten zu schützen. Durch den
Ausbau des Hafens in Walvis Bay („Namport“) sollen vor allem die
Transportwege für Rohstoffe aus dem südlichen Afrika (Öl aus
Angola, Kupfer aus Sambia und Katanga, Steinkohle aus Botswana)
verkürzt, die Kapazität der Exporte erweitert werden.
Die
Steinkohle aus Botswana wird nach China verschifft. Der
Energiehunger der – ungeachtet gewisser Krisensymptome -
industriell expandierenden Macht scheint unersättlich. Ein
Reflex sind die anhaltenden, von militärischen Drohgesten - und
Aufrüstung - begleiteten Spannungen im ostasiatischen Raum. Was
schließlich den geopolitisch bedeutsamen Hafenausbau in Namibia
betrifft, so bleibt zu fragen, welche EU-Nachbarländer – außer
dem Hauptabnehmer China – als Importeure von Uranerz aus Namibia in
Frage kommen. In grünen „Diskursen“ , nicht allein in der
„radikalen“ Philosophie des erwähnten Denkers, kommen
derlei Fragen nicht vor.
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