Sonntag, 23. November 2025

Ansichten des Krieges und Aussichten auf einen Frieden

I.

In Brüssel, in der CDU, bei den Grünen sowie in den regierungsfrommen Medien des Landes herrscht moralische Entrüstung über den zwischen Trump und Putin, genauer: zwischen Trumps Emissär Steve Witkoff und Putins Beauftragten Kirill Dmitriev, ausgehandelten - und derzeit noch offenen - 28-Punkte-Plan zur Beendigung des Krieges in der Ukraine. Die Rede ist von "Versailles" und "München". Wie immer bei aus dem Fundus der Historie geschöpften Schlagwörtern, zielt die propagandistische Absicht sowohl an der historischen Wirklichkeit als auch der politischen Gegenwart vorbei. 

Ohne Frage war der  Friedensvertrag von Versailles ein Diktat, welches das Deutsche Reich als allseits isolierter Verlierer des Großen Krieges am 28. Juni 1919 - nach vergeblichen  Protesten, zuletzt gegen den Alleinschuld-Artikel 231 - unterzeichnen musste. Er bildete den Rahmen für das System der Pariser Verträge, welches nach Vorstellung Woodrow Wilsons (1916: "He kept us out of war!") auf einen - durch den Völkerbund zu sichernden - Weltfrieden abzielte, aber - nicht nur in Deutschland - die Keime zu Revanche- oder Revisionskriegen in sich trug. Das in Revolution, Niederlage und Bürgerkrieg gefallene Russland gehörte nicht zu den Signatarmächten. Lenin, die Bolschewiki und die deutschen Kommunisten nutzten "Versailles"  für ihre Zwecke, wenn auch - in Konkurrenz mit den Nazis - vergeblich. 

Das Münchner Abkommen vom 20. September 1938 wurde zwar  von Hitler und den Westmächten - unter "Vermittlung" des faschistischen Diktators Mussolini - der Regierung der CSR aufgenötigt. (Dabei ist bezüglich der Vorgeschichte  zu erwähnen, dass die anhaltend  nationalistische Politik  tschechischer Regierungen seit 1919 den Nährboden für die Radikalisierung der "Sudetendeutschen" - und für Sezessionstendenzen bei den Slowaken - bildete. Nach München holte sich auch Polen mit dem Gebiet von Teschen ein Stück vom Kuchen.)  Das populäre, historisch-moralisch abwertende Bild des britischen Premiers Neville Chamberlain als des naiven Appeasers entspricht jedoch nicht den historischen Tatsachen. Chamberlain ging es darum, mit "peace in our time" eine Zeitspanne für den Wiederaufbau der britischen Armee zu gewinnen, was die RAF in der "Battle of Britain" im August 1940 denn auch  unter Beweis stellte. 

II.

Was die Gegenwart betrifft, so passt weder "Versailles" noch "München" zur Erhellung der Genese des  Ukrainekrieges sowie des der Ukraine - im Falle der Durchsetzung eines "faulen Friedens"  in Gestalt des Trumpschen 28-Punkte-Plans - bevorstehenden politischen Schicksals. Anders als - trotz allem -  die CSR 1938, ist die Ukraine alles andere als ein stabiles Staatsgebilde, das den Namen "Demokratie" verdient. 

Anders als 1938, geht es im Falle der Ukraine nicht um ein Machtspiel zwischen drei europäischen Mächten (GB, Frankreich und Hitler-Deutschland), sondern um ein Spiel mit zwei Großmächten und einer Reihe von Mitspielern mit unterschiedlichen Interessen und Ambitionen. Die USA ist seit der ersten Trump-Regierung dabei,  im geopolitischen Dreieck USA-China-Russland ihre Rolle als "einzige Weltmacht" zurückzunehmen und nach langer  Überanspannung ihrer Kräfte diese zu bündeln. Russland ist bestrebt, seine Rolle - als eine sich mehrfach düpiert fühlende - Großmacht wieder einzunehmen. Die "Europäer" verfolgen - entgegen aller Eintracht und Moral reklamierenden EU-Rhetorik - ihre jeweils eigenen Ziele. Die zentrale Mittelmacht Deutschland hat seit dem Abgang Schröders, sodann unter dem Opportunismus Angela Merkels, auf die Definition eigener Interessen verzichtet. 

Dass auch Russland unter Putin - erkennbar seit dem Eklat auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, deutlicher seit der Besetzung der Krim 2014 und evident seit 2022 - Krieg wieder als Instrument der Politik einsetzt, wirft die "westlichen" Axiome von "regelbasierter Politik" und der "Unverletzlichkeit der Grenzen" in Europa über den Haufen. Die Empörung darob ist besonders laut in Deutschland, wo man aufgrund der eigenen Geschichtskatastrophe  glaubt, amoralische, interessengesteuerte Kategorien seien im politischen Verkehr für immer außer Kraft gesetzt. Man wähnt sich im Besitz höherer Moral und begnügt sich - von mancherlei EU-Bruderstaaten unter Druck gesetzt - mit  der Rolle des demnächst wieder "kriegstüchtigen", aber zutiefst friedenswilligen Zahlmeisters. 

Wer wollte, konnte den Lauf der Dinge seit den 1990er Jahren  mit offenen Augen beobachten und - wengleich nicht in allen Aspekten - vorhersehen. (Siehe auch meinen Essay vom 3.Februar 2023, H.A.: https://www.globkult.de/geschichte/zeitgeschichte/2273-die-ukraine-und-die-aktualitaet-des-peloponnesischen-kriegesEinen nüchternen Blick öffnet erneut der jüngste Essay von Jobst Landgrebe auf der "Achse des Guten". https://www.achgut.com/artikel/der_sonntags_essay_was_war_der_ukraine_kriegssay   

Wir werden sehen, wie das große Spiel um und in der Ukraine in den Wochen bis zum christlichen Friedensfest weitergeht. Falls Trumps "Deal" - auf Kosten Selenskyis und seiner Oligarchie -  zustandekommt und gar dauerhaft tragen sollte,  so sollte dies auch hierzulande Anlass zu einer "Wende" im politischen Denken geben. Allzu großen Hoffnungen dürfen wir uns diesbezüglich aber nicht hingeben.  Denken im Raum der harten Fakten ist anstrengend. Schwarz-Weiß-Denken ist einfacher und sichert die Überlegenheit der eigenen Moral.  

Sonntag, 16. November 2025

Miszelle zum Volkstrauertag

Seit Deutschland - vermittels eines Schuldenpakets von 500 Milliarden €  und einer binär, d.h.  ungegendert angelegten, sprachsensibel abgeschwächten Form der Wehrpflicht - wieder "kriegstüchtig" werden muss, seit wertebewusste Verteidigungsexperten gar einen großen Krieg mit Putins Russland für 2029 vorhersagen, darf oder muss  im traurigen Monat November auch der Volkstrauertag wieder feierlich begangen werden. In heute-Journal und  Abendschau versammelt sich das Staatsvolk - sofern noch nicht zu den social media abgewandert - vor der Glotze, um  an den Trauerakten teilzuhaben. Das Hauptereignis sieht dann so aus: Seitwärts eines Gefallenendenkmals präsentiert eine Formation der Bundeswehr das Gewehr, Verteidigungsminister Pistorius hält mit kräftiger Stimme eine Gedenkrede,  Bundespräsident Steinmeier ordnet schwarz-rot-goldene Schleifen an den niedergelegten Kränzen, zum Schluss intoniert ein demokratisch diverses Musikkorps noch den "Guten Kameraden". Gesungen wird der Text Ludwig Uhlands nicht, da im Wortlaut nicht  gendersensibel genug. 

Womöglich bekommen wir im  TV zudem Ausschnitte von Predigten zu sehen und zu hören, die  postpazifistischen Pastorinnen oder Pastoren zum säkularen Gedenktag eingefallen sind. Ob auch  Störaktionen  und Schmierereien der "Antifa" ins Bild gerückt werden, bleibt abzuwarten. 

Immerhin könnten derlei Aktionen -  ganz entgegen ihrer "antifaschistischen" Intention - die Fragwürdigkeit des Gedenkens in der postnationalen Bundesrepublik ins Bewusstsein rücken. Denn von ehrendem Angedenken der in zwei Weltkriegen zu Tode gekommenen - gefallen, ermordet, verbrannt, vertrieben, verhungert oder erfroren - Millionen von Deutschen will unsere politisch-mediale Klasse nur wenig wissen. Von den Schrecken des Großen Krieges haben - im Unterschied zu den Franzosen und den Briten - die meisten Deutschen ohnehin kaum noch eine Vorstellung. Was die Opfer des Zweiten Weltkriegs betrifft, so überlagern der Holocaust sowie  - seit der entsprechenden Ausstellung in den 1990er Jahren  - die  Bilder des Vernichtungskrieges die Erinnerung an von Deutschen erfahrenes Leid, Leiden und Unrecht. Derlei "völkische" Erinnerung wird an die AfD und deren Sympathisanten hinter der "Brandmauer" ausgelagert. 

Inwieweit die demographisch schwindende Generation von jüngeren Deutschen sich noch von der im zivilreligiösen Kalender angezeigten  "Volkstrauer"  beeindruckt zeigt, ließe sich durch Umfragen ermitteln. Was die postnationale "moderne Einwandungsgesellschaft" angeht, so erreichen die Rituale  mit Sicherheit nur diejenigen, die in den salbungsvollen Gedenkreden selbst als Opfer gegenwärtiger Kriege und Bürgerkriege angesprochen werden. Die Erinnerungen der  - derzeit noch bestehenden - Mehrheitsgesellschaft ("Kartoffeln" und/oder "Nazis")  dürfte den meisten  so egal sein wie der "Antifa" und/oder den geistig womöglich anspruchsvolleren "Antideutschen".  

Wenn es um die Millionen der Toten beider Weltkriege geht, so werden die Redenschreiber die Sinnlosigkeit ihres Opfers hervorheben. Anders steht es mit dem Gedenken an die Soldaten - waren auch Soldatinnen darunter? -  die bei den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan und in Mali ums Leben gekommen sind. Angeblich  wurde ab 2001 - so anno 2004 der damalige Verteidigungsminister Peter Struck -  "unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt." Spätestens 2021, nach dem überstürzten Abzug der Bundeswehr im Gefolge der USA,  war klar, dass der Tod der vor der Basis in Kundus gefallenen Soldaten sinnlos war. 

Über Sinn oder Unsinn von Kriegen zu entscheiden, war nie ins Ermessen der Millionen gelegt, die in den zwei Weltkriegen ihr Leben ließen.  Die Entscheidung über Krieg oder Frieden, über "richtige" - Frieden bewahrende oder Frieden erzwingende - Politik liegt auch in "unserer Demokratie" nicht beim Volk oder bei den Soldaten (sc. -innen), sondern bei der machtausübenden Führungsgruppe. 

Wie es im Ukrainekrieg und im neu aufgelegten Kalten Krieg weitergeht, wissen wir nicht. Gleichviel, wir ("gerade wir als Deutsche") müssen wieder "kriegstüchtig" werden.  Bei aller aufgesetzter Trauer am Volkstrauertag gilt es denn auch, patriotisches Pathos, heroisches Gefühl für "unsere Demokratie" ins Spiel zu bringen. Im Lektürekanon der demokratischen Gesamtschule sollte daher Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür"auf keinen Fall  mehr vorkommen. Man hört indes, dass auf Podcast und Spotify Reinhard Meys Friedenschanson "Meine Söhne geb´ich nicht" Rekordhöhen erreicht.