Seit Deutschland - vermittels eines Schuldenpakets von 500 Milliarden € und einer binär, d.h. ungegendert angelegten, sprachsensibel abgeschwächten Form der Wehrpflicht - wieder "kriegstüchtig" werden muss, seit wertebewusste Verteidigungsexperten gar einen großen Krieg mit Putins Russland für 2029 vorhersagen, darf oder muss im traurigen Monat November auch der Volkstrauertag wieder feierlich begangen werden. In heute-Journal und Abendschau versammelt sich das Staatsvolk - sofern noch nicht zu den social media abgewandert - vor der Glotze, um an den Trauerakten teilzuhaben. Das Hauptereignis sieht dann so aus: Seitwärts eines Gefallenendenkmals präsentiert eine Formation der Bundeswehr das Gewehr, Verteidigungsminister Pistorius hält mit kräftiger Stimme eine Gedenkrede, Bundespräsident Steinmeier ordnet schwarz-rot-goldene Schleifen an den niedergelegten Kränzen, zum Schluss intoniert ein demokratisch diverses Musikkorps noch den "Guten Kameraden". Gesungen wird der Text Ludwig Uhlands nicht, da im Wortlaut nicht gendersensibel genug.
Womöglich bekommen wir im TV zudem Ausschnitte von Predigten zu sehen und zu hören, die postpazifistischen Pastorinnen oder Pastoren zum säkularen Gedenktag eingefallen sind. Ob auch Störaktionen und Schmiereien der "Antifa" ins Bild gerückt werden, bleibt abzuwarten.
Immerhin könnten derlei Aktionen - ganz entgegen ihrer "antifaschistischen" Intention - die Fragwürdigkeit des Gedenkens in der postnationalen Bundesrepublik ins Bewusstsein rücken. Denn von ehrendem Angedenken der in zwei Weltkriegen zu Tode gekommenen - gefallen, ermordet, verbrannt, vertrieben, verhungert oder erfroren - Millionen von Deutschen will unsere politisch-mediale Klasse nur wenig wissen. Von den Schrecken des Großen Krieges haben - im Unterschied zu den Franzosen und den Briten - die meisten Deutschen ohnehin kaum noch eine Vorstellung. Was die Opfer des Zweiten Weltkriegs betrifft, so überlagern der Holocaust sowie - seit der entsprechenden Ausstellung in den 1990er Jahren - die Bilder des Vernichtungskrieges die Erinnerung an von Deutschen erfahrenes Leid, Leiden und Unrecht. Derlei "völkische" Erinnerung wird an die AfD und deren Sympathisanten hinter der "Brandmauer" ausgelagert.
Inwieweit die demographisch schwindende Generation von jüngeren Deutschen sich noch von der im zivilreligiösen Kalender angezeigten "Volkstrauer" beeindruckt zeigt, ließe sich durch Umfragen ermitteln. Was die postnationale "moderne Einwandungsgesellschaft" angeht, so erreichen die Rituale mit Sicherheit nur diejenigen, die in den salbungsvollen Gedenkreden selbst als Opfer gegenwärtiger Kriege und Bürgerkriege angesprochen werden. Die Erinnerungen der - derzeit noch bestehenden - Mehrheitsgesellschaft ("Kartoffeln" und/oder "Nazis") dürfte den meisten so egal sein wie der "Antifa" und/oder den geistig womöglich anspruchsvolleren "Antideutschen".
Wenn es um die Millionen der Toten beider Weltkriege geht, so werden die Redenschreiber die Sinnlosigkeit ihres Opfers hervorheben. Anders steht es mit dem Gedenken an die Soldaten - waren auch Soldatinnen darunter? - die bei den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan und in Mali ums Leben gekommen sind. Angeblich wurde ab 2001 - so anno 2004 der damalige Verteidigungsminister Peter Struck - "unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt." Spätestens 2021, nach dem überstürzten Abzug der Bundeswehr im Gefolge der USA, war klar, dass der Tod der vor der Basis in Kundus gefallenen Soldaten sinnlos war.
Über Sinn oder Unsinn von Kriegen zu entscheiden, war nie ins Ermessen der Millionen gelegt, die in den zwei Weltkriegen ihr Leben ließen. Die Entscheidung über Krieg oder Frieden, über "richtige" - Frieden bewahrende oder Frieden erzwingende - Politik liegt auch in "unserer Demokratie" nicht beim Volk oder bei den Soldaten (sc. -innen), sondern bei der machtausübenden Führungsgruppe.
Wie es im Ukrainekrieg und im neu aufgelegten Kalten Krieg weitergeht, wissen wir nicht. Gleichviel, wir ("gerade wir als Deutsche") müssen wieder "kriegstüchtig" werden. Bei aller aufgesetzter Trauer am Volkstrauertag gilt es denn auch, patriotisches Pathos, heroisches Gefühl für "unsere Demokratie" ins Spiel zu bringen. Im Lektürekanon der demokratischen Gesamtschule sollte daher Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür"auf keinen Fall mehr vorkommen. Man hört indes, dass auf Podcast und Spotify Reinhard Meys Friedenschanson "Meine Söhne geb´ich nicht" Rekordhöhen erreicht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen