I.
In Brüssel, in der CDU, bei den Grünen sowie in den regierungsfrommen Medien des Landes herrscht moralische Entrüstung über den zwischen Trump und Putin, genauer: zwischen Trumps Emissär Steve Witkoff und Putins Beauftragten Kirill Dmitriev, ausgehandelten - und derzeit noch offenen - 28-Punkte-Plan zur Beendigung des Krieges in der Ukraine. Die Rede ist von "Versailles" und "München". Wie immer bei aus dem Fundus der Historie geschöpften Schlagwörtern, zielt die propagandistische Absicht sowohl an der historischen Wirklichkeit als auch der politischen Gegenwart vorbei.
Ohne Frage war der Friedensvertrag von Versailles ein Diktat, welches das Deutsche Reich als allseits isolierter Verlierer des Großen Krieges am 28. Juni 1919 - nach vergeblichen Protesten - unterzeichnen musste. Er bildete den Rahmen für das System der Pariser Verträge, welches nach Vorstellung Woodrow Wilsons (1916: "He kept us out of war!") auf einen - durch den Völkerbund zu sichernden - Weltfrieden abzielte, aber - nicht nur in Deutschland - die Keime zu Revanche- oder Revisionskriegen in sich trug. Das in Revolution, Niederlage und Bürgerkrieg gefallene Russland gehörte nicht zu den Signatarmächten. Lenin, die Bolschewiki und die deutschen Kommunisten nutzten "Versailles" für ihre Zwecke, wenn auch - in Konkurrenz mit den Nazis - vergeblich.
Das Münchner Abkommen vom 20. September 1938 wurde zwar von Hitler und den Westmächten - unter "Vermittlung" des faschistischen Diktators Mussolini - der Regierung der CSR aufgenötigt. (Dabei ist bezüglich der Vorgeschichte zu erwähnen, dass die anhaltend nationalistische Politik tschechischer Regierungen seit 1919 den Nährboden für die Radikalisierung der "Sudetendeutschen" - und für Sezessionstendenzen bei den Slowaken - bildete. Nach München holte sich auch Polen mit dem Gebiet von Teschen ein Stück vom Kuchen.) Das populäre, historisch-moralisch abwertende Bild des britischen Premiers Neville Chamberlain als des naiven Appeasers entspricht jedoch nicht den historischen Tatsachen. Chamberlain ging es darum, mit "peace in our time" eine Zeitspanne für den Wiederaufbau der britischen Armee zu gewinnen, was die RAF in der "Battle of Britain" im August 1940 denn auch unter Beweis stellte.
II.
Was die Gegenwart betrifft, so passt weder "Versailles" noch "München" zur Erhellung der Genese des dem Ukrainekrieges sowie des der Ukraine - im Falle der Durchsetzung eines "faulen Friedens" in Gestalt des Trumpschen 28-Punkte-Plans - bevorstehenden politischen Schicksals. Anders als - trotz allem - die CSR 1938, ist die Ukraine alles andere als ein stabiles Staatsgebilde, das den Namen "Demokratie" verdient.
Anders als 1938, geht es im Falle der Ukraine nicht um ein Machtspiel zwischen drei europäischen Mächten (GB, Frankreich und Hitler-Deutschland), sondern um ein Spiel mit zwei Großmächten und einer Reihe von Mitspielern mit unterschiedlichen Interessen und Ambitionen. Die USA ist seit der ersten Trump-Regierung dabei, im geopolitischen Dreieck USA-China-Russland ihre Rolle als "einzige Weltmacht" zurückzunehmen und nach langer Überanspannung ihrer Kräfte diese zu bündeln. Russland ist bestrebt, seine Rolle - als eine sich mehrfach düpiert fühlende - Großmacht wieder einzunehmen. Die "Europäer" verfolgen - entgegen aller Eintracht und Moral reklamierenden EU-Rhetorik - ihre jeweils eigenen Ziele. Die zentrale Mittelmacht Deutschland hat seit dem Abgang Schröders, sodann unter dem Opportunismus Angela Merkels, auf die Definition eigener Interessen verzichtet.
Dass auch Russland unter Putin - erkennbar seit dem Eklat auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, deutlicher seit der Besetzung der Krim 2014 und evident seit 2022 - Krieg wieder als Instrument der Politik einsetzt, wirft die "westlichen" Axiome von "regelbasierter Politik" und der "Unverletzlichkeit der Grenzen" in Europa über den Haufen. Die Empörung darob ist besonders laut in Deutschland, wo man aufgrund der eigenen Geschichtskatastrophe glaubt, amoralische, interessengesteuerte Kategorien seien im politischen Verkehr für immer außer Kraft gesetzt. Man wähnt sich im Besitz höherer Moral und begnügt sich - von mancherlei EU-Bruderstaaten unter Druck gesetzt - mit der Rolle des demnächst wieder "kriegstüchtigen", aber zutiefst friedenswilligen Zahlmeisters.
Wer wollte, konnte den Lauf der Dinge seit den 1990er Jahren mit offenen Augen beobachten und - wengleich nicht in allen Aspekten - vorhersehen. Einen nüchternen Blick öffnet erneut der jüngste Essay von Jobst Landgrebe auf der "Achse des Guten". https://www.achgut.com/artikel/der_sonntags_essay_was_war_der_ukraine_kriegssay
Wir werden sehen, wie das große Spiel um und in der Ukraine in den Wochen bis zum christlichen Friedensfest weitergeht. Falls Trumps "Deal" - auf Kosten Selenskyis und seiner Oligarchie - zustandekommt und gar dauerhaft tragen sollte, sosollte dies auch hierzulande Anlass zu einer "Wende" im politischen Denken geben. Allzu großen Hoffnungen dürfen wir uns diesbezüglich aber nicht hingeben. Denken im Raum der harten Fakten ist anstrengend. Schwarz-Weiß-Denken ist einfacher und sichert die Überlegenheit der eigenen Moral.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen