Im Leben gilt es Widersprüche auszuhalten, etwa im Umgang mit den social media – wir nutzen sie, obgleich wir sie aus prädigital anerzogenem Bildungshochmut heraus verachten mögen. Auch verdanken wir ihnen Informationen, die in den Qualitätsmedien kaum Beachtung finden. Gewiss: Wer sich in das Netz von Facebook begeben hat, kommt schwer wieder heraus. Auch muss man im Umgang mit den friends (genderfrei) vorsichtig sein, es könnten unter den „Freunden“ (oder Freund:innen) einige fragwürdige Existenzen auftauchen.
Und doch: Die Mehrzahl meiner Fb friends erscheint mir als seriös, viele sogar liebenswert. Einer von ihnen übermittelte folgende Stellenanzeige im Bereich „Politische Bildung“, die mir als leidlich versorgter Pensionär – deutlich unter den Besoldungssätzen der unlängst in den Ministerien der ausgehenden Großen Koalition beförderten Referenten – entgangen wäre.
Es handelt sich um die Stelle einer Referentin / Referent (w/m/d) für den Fachbereich L "Politische Bildung und plurale Demokratie" (FBL) in Gera.
Die Stellenbeschreibung lautet wie folgt:
„Am Standort Gera
baut die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb eine neue
Außenstelle auf. Hier sucht die bpb für den Fachbereich L
"Politische Bildung und plurale Demokratie" (FBL) zum
Aufbau und zur Übernahme des Aufgabenbereichs "intersektionales
Erinnerungs- und Transformationswissen" zum nächstmöglichen
Zeitpunkt eine Referentin / einen Referenten (w/m/d). Das
Beschäftigungsverhältnis ist unbefristet, das Entgelt bemisst sich
vorbehaltlich einer noch durchzuführenden Arbeitsplatzbeschreibung
nach Entgeltgruppe 13 TVöD.
Die Bundeszentrale
für politische Bildung (bpb) ist eine moderne und innovative
Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für
Bau und Heimat (BMI) und orientiert sich mit ihrem Bildungsangebot an
den Grundfragen der demokratischen Entwicklung und des
gesellschaftlichen Zusammenlebens. Hauptdienstsitz der bpb ist in
Bonn, weitere Standorte sind in Berlin und in Gera. Weitere
Informationen über die bpb finden Sie im Internet unter www.bpb.de.
Der Fachbereich "Politische Bildung und plurale
Demokratie" (FBL) hat die Aufgabe, die sich
entwickelnden demokratischen Aushandlungsprozesse in einer diverser
werdenden Gesellschaft im Kontext sozialer Strategien zum Thema
politischer Bildung zu machen. Die Hauptaufgaben bestehen in der
Auseinandersetzung mit Dimensionen der Politisierung und
Dekolonisierung von Erinnerung, sowie der Erarbeitung von
Erkenntnissen, Formaten und Didaktiken einer intersektionalen
politischen Bildung. In den aktuellen Erinnerungsdebatten zeichnet
sich immer deutlicher die Notwendigkeit ab, kollektive Erinnerungen
zu dekolonisieren und damit zu diversifizieren. Gegenstand der
ausgeschriebenen Stelle ist u.a. die kritische Auseinandersetzung
feministischer Theorie, Gender Studies, postkolonialem Erinnern und
deren Übersetzung in politische Bildungsansätze in
Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit und der Abschwächung
von Machtasymmetrien im Bildungsprozess (sic!). Ungleichheit und
Ungleichbehandlung im Bildungssystem ist nicht nur das Ergebnis so
genannter "sozialer" Benachteiligung und Deprivation,
sondern geht auf Diskriminierungserfahrungen von Rassismus,
Klassismus, Geschlechterdiskriminierung oder
Behindertendiskriminierung zurück, die erhebliche Konsequenzen auch
für politische Partizipationserfahrungen generieren. Mit
verschiedenen Veranstaltungs- und Publikationsformaten setzt der FBL
vorrangig an den Alltags- und Erfahrungswelten der Menschen in
Transformationsregionen an und korreliert sie mit den pluralen
Lebensentwürfen einer diverser werdenden Gesellschaft, insbesondere
marginalisierter Gruppen und Communitys.“
Keine Frage: Die "Auseinandersetzung mit Dimensionen der Politisierung und
Dekolonisierung von Erinnerung" ist - vor allem im Hinblick auf die "Dimensionen" - überfällig. Die „Ossis“ in Gera und Umgebung werden sich über die ihnen
endlich eröffneten westdeutschen Bildungschancen freuen. Die
älteren und weniger Bildungsfernen unter ihnen werden sich gleichwohl an den
Phrasenkatalog erinnern, mit dem sie während des Studiums im
Pflichtfach „Gesellschaftswissenschaften“ gefüttert wurden.
Merke: Der obige Text ist über das Netz aufzurufen. Satura non est.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen