I.
Die Erleichterung über das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt hält an: Die Wahlforscher (recte: die "Wahlforschenden") haben sich geirrt. Das deutsche Ansehen in der Welt ist gerettet. Die CDU erscheint mit 37,1 Prozent in alter Stärke. Die AfD, das rechte Schreckgespenst aus dem "Osten", ist auf 20,8 Prozent zurückgefallen. Die mitteldeutsche SPD weist mit 8,4 Prozent der Bundespartei den weiteren Weg nach unten. Die Linke, die langjährige westdemokratische Beauftragte für "ostdeutsche" Sentiments (und Ressentiments), hat mit 11,0 Prozent über 5 Punkte eingebüßt. Die FDP ist mit 6,4 Prozent zurück auf der landespolitischen Bühne, und die grünen Bäume sind mit 5,9 Prozent nur kümmerlich gewachsen.
Ministerpräsident Reiner Haseloff, dem die CDU in erster Linie ihren Erfolg verdankt, kann gelassen in die Koalitonsverhandlungen eintreten. Mehrheiten - selbstverständlich ohne die AfD, aber auch anderswo weniger selbstverständlich ohne die Linke - sind beliebig denkbar. Im medial beliebten Farbenspiel spekuliert man über Konstellationen von Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb-Grün (="Jamaika") oder Schwarz-Rot-Gelb (="Deutschland", gelb statt golden). Der lokale Grünen-Chef hat "Kenia" (=Schwarz-Rot-Grün wie bisher) ausgeschlossen, aber das kann sich ja noch ändern. Für "Jamaika" sind die Grünen aufgeschlossen, denn die Klimarettung - in der Karibik und global - liegt ihnen (außer Ministerposten, Planstellen und Genderismus) besonders am Herzen.
Ob sich Markus Söder über das Wahlergebnis freut, ist für unsere Betrachtung belanglos. Für ihn gehört "der Armin" jetzt wieder zu seinen Freunden, wie es sich für den Charakter einer demokratischen Partei gehört. Auch verkneife ich mir Spekulationen über die Wahlen im September - wer weiß schon, wie sich Wetter und Klima im Sommer 2021 noch entwickeln, ob Covid trotz sommerlicher Temperatur in neuer Variante, mit der Wucht einer vierten Welle, unsere Breiten noch einmal heimsucht, oder ob neue Scharen von Flüchtenden/Geflüchteten - mit Sicherheit (und verständlicherweise) aus Afghanistan, mit Wahrscheinlichkeit aus Nigeria, Gambia, aus Burkina Faso oder von sonstwo - der AfD wieder Stimmenzuwachs bescheren.
Gut, eine Prognose sei gestattet, die Haupstadt betreffend: Mit gemäßigter Rhetorik betreibt Franziska Giffey, ihrer Doktorbürde endlich enthoben, Wahlkampf gegen die bisherige Koalition mit Linken und Grünen. Das könnte für ein paar Prozent mehr für die SPD reichen. Wie es dann mit der Regierungsbildung in der Bundeshauptstadt - von Böswilligen und/oder Illusionslosen bereits als "failed city" bezeichnet - ausgeht, bleibt den Parteichargen, Netzwerkern und dem Gewissen der Männer, Frauen und Diversen im Abgeordnetenhaus überlassen.
II.
Von Interesse und Bedeutung sind im Blick auf Sachsen-Anhalt noch andere Zahlen. Die Wahlbeteiligung lag mit 60,3 Prozent noch knapp unter der Quote von 2016. Das bedeutet nichts anderes, als dass ein erheblicher Teil der Wahlbevölkerung - von den grundsätzlich Desinteressierten abgesehen - sich der Teilnahme an Wahlen verweigert, weil man sich im Parteienangebot nicht vertreten sieht. Der Merkel-kritische CDU-Werteunionist Werner J. Patzelt (https://wjpatzelt.de/) spricht zu Recht von einer "Repräsentationslücke".
Immerhin kamen unter den 9 Prozent der "Anderen", deren Stimmen wie stets unter den Tisch fallen, die "Freien Wähler" auf drei Prozent. Falls sich diese Gruppierung nicht sogleich wieder zerstreitet und etwa auch in Berlin - unter dem Ex-FDPler Marcel Luthe - die Fünf-Prozent-Hürde überwinden sollte und im Abgeordnetenhaus landet, entfaltet sich in der deutschen Parteienlandschaft ein neues Bild: Die etablierten Parteien, die entgegen ihres Selbstverständnisses zusehends ihre Funktion als "Volksparteien" verlieren - deutlich ist die Tendenz bei der SPD, noch nicht so deutlich bei der CDU/CSU - an Zustimmung. Sie sehen sich auf Landes- und Bundesebene neuen Mitspielern gegenüber, was den Charakter des Parteienstaates insgesamt verändern könnte.
Aufschlussreich an den Daten für Sachseln-Anhalt sind nicht nur die Wählerwanderungen - mit deutlichen Gewinnen für Haseloff und Verlusten der AfD in Richtung Abstinenz - , sondern das Abstimmungsverhalten der Alterskohorten. SPD und Linke werden hauptsächlich nur von "Menschen über 60" gewählt. Unter den Jungen (bis 29) ragen AfD (mit 19 Prozent) und die Grünen (mit 13 Prozent) hervor. Es fehlt dazu noch die soziokulturelle Zuordnung, etwa: hier die grün-sozialisierte Jugend mit höheren Bildungsambitionen, dort die mit noch nicht wegsozialisertem "nationalen" Selbstbewusstsein - teils unbefangen naiver, teils bedenklicher Natur - Herangewachsenen.
Sachsen-Anhalt ist nicht identisch mit der noch immer als "Osten" klassifizierten Gesamtregion der einstigen DDR. Erst recht nicht ist das mitteldeutsche Bundesland repräsentativ für die Bundesrepublik. Nichtsdestoweniger zeichnen sich in ganz Deutschland neue politisch-kulturelle Tendenzen und Trennungslinien ab, die in der Post-Merkel-Ära gesamtpolitische Bedeutung gewinnen könnten. Die politische Landschaft könnte bunter und diverser werden, aber anders als von den diversity-Apostelinnen propagiert.
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