Samstag, 21. März 2020

Volkes Wut gegen den Himmel

Wie einst zu Zeiten des Pestbazillus, zerfällt die Menschheit in Zeiten des Virus in ihre menschliche Vielfalt. Die einen feiern ("machen Party"), die andern verkriechen sich - mit oder ohne Anordnung - in ihre Wohnung,  wieder andere entdecken geängstigt, demütig oder empört die Macht des Schicksals. Auf RBB Kultur gab der Moderator die Anregung einer Hörerin weiter, man solle am Abend auf den Balkon gehen und gemeinsam mit den lieben Nachbarn "Freude schöner Götterfunken" singen. Offenbar ließ sich die Hörerin von TV-Bildern inspirieren, die noch vor einer Woche Italiener (w/m) beim gemeinschaftstiftenden Intonieren ihrer Nationalhymne zeigten. Hierzulande singt man, wenn überhaupt, anders,  nämlich EU-europäisch, ungeachtet der rundum - von Polen bis Luxemburg, von Dänemark bis nach Österreich -  national geschlossenen EU-Binnengrenzen. Mal sehen, ob bei niedrigen Temperaturen und kaltem Wind sich Corona-gefährdete Europäerinnen und Europäer auf die Berliner Balkone wagen...

Die Menschen sind, égalité hin oder her, verschieden. In dem bereits erwähnen Supermarkt überreichte eine Kundin der Kassiererin eine Bonbonniere als Dank an die Belegschaft für ihr tapferes Ausharren in der Gefahrenzone. Die Preise für  Nahrungsmittel wie Brot und lagerungsfähige Salami sind deutlich gestiegen. Hingegen sind die Regale mit Konfekt, Kaffee und Marmelade immerhin noch gut gefüllt, auch der Zeitungsständer neben der Kasse. Von dort fällt die große Bild-Überschrift ins Auge: "Söder: ´Gott schütze unsere Heimat!´" Söder,  fränkischer Herkunft, liegt die bayerische Heimat besonders nahe. Das (schwierige) Vaterland ist in diesem unserem Lande irgendwann  - während der rot-grünen Koaliton oder erst in der Ära Merkel? - außer Kurs gesetzt worden, auch aus Rücksicht auf die Gefühle von Tante Antifa.

Auch in Zeiten der Demokratie, gegründet auf das Prinzip der Volkssouveränität, bedarf es von Zeit zu Zeit des Appells an den Himmel. Und wenn das Parlament den Auftrag des Volkes nicht mehr erfüllt, sei appeal to Heaven sogar als erneuter revolutionärer Ausweg erlaubt, schrieb einst John Locke. Dieser war ein früher Deist und hielt deshalb sonst nicht viel von Gottes Intervention in die Geschichte der Menschheit oder eines Volkes. Wie es Söder, der nach Amtsantritt zum Entsetzen aller liberal  und islamophil Aufgeklärten in allen Amtsstuben Kreuze aufhängen ließ, mit der Gnade Gottes hält, ist seine spezifisch evangelisch-lutherische Glaubensfrage.

In den USA gehört die Anrufung "God bless America!" zum politischen Tagesgeschäft. Anders in unserer - speziell in Berlin -  rundum aufgeklärten Gesellschaft. Vor besagtem Edeka-Markt belehrte  eine autochthon blonde Mutter ihren sechzehn- oder siebzehnjährigen Sohn mit einem Wutausbruch über den bayerischen Ministerpräsidenten (und mutmaßlichen Nachfolger Merkels)  und dessen Hilferuf an den Himmel: "Der Markus Söder ist eine blöde Drecksau!" Wie bitte? "Ja, der Söder ist usw."

Fragen: 1) Wer schützt die empörte Bürgerin vor einer Infektion? 2) Wem schenkt sie bei den nächsten Wahlen ihre demokratische Stimme? 3) Wie schützt sich der Sohn gegen diese magna mater?

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