Zum richtigen Umgang mit dem Corona-Virus Covid 19 erlaube ich mir
als virologischer und allgemein-medizinischer Laie kein Urteil.
Ich selbst möchte jetzt nicht in der Haut von Politikern stecken,
die - gut oder schlecht beraten von sich widerstreitenden Experten -
zu Entscheidungen genötigt sind, deren Konsequenzen so oder so
schlecht abzuschätzen sind. Nichtsdestoweniger erlaube ich mir in
diesen vom unsichtbaren Virus befallenen Frühlingstagen einen
Kommentar zu den politischen Aspekten von Corona.
Da fallen als erstes - außer den Kosten und dem erzwungenen
Verzicht auf das Gartenlokal - allerlei Widersprüche auf: Die EU
zerfällt im Kampf gegen die paneuropäische Epidemie wieder in
Nationalstaaten, die ohne Beachtung des accord communitaire du
Schengen die Grenzen schließen, zugleich die gravierenden
Unterschiede in den Gesundheitssystem der Mitgliedstaaten offenbaren.
Daran nimmt kaum einer Anstoß. Allein der europäische Kampf gegen
Ungarn unter Orbán, der seine Grenzen aus migratorischen
Gründen bereits 2015 dicht gemacht hat, hält aus menschenrechtlich-moralischen Gründen an. Außer Kritik steht
hingegen die politische Praxis im Musterstaat Bundesrepublik
Deutschland, wo man unlängst eine Anzahl unbegleiteter
Minderjähriger, z.T. unrasiert, aus den Flüchtlingscamps auf Lesbos
eingeflogen hat. Zugleich bleiben zwischen den Bundesländern die
Grenzen hochgezogen wie zuletzt zwischen den Besatzungszonen nach
1945 und etwas früher noch vor Gründung des Zollvereins 1834 (unter
Ausschluss Österreichs).
Was deutsche Bundesbürger zudem verblüffen mag, ist das
Rivalisieren einzelner Bundesländer wie zwischen Bayern und NRW -
hier strenges Corona-Regime, dort gelockerte Zügel - beim Kampf
gegen Corona. Gewiss, es geht dabei nicht nur um die Ängste, Sorgen
und Wünsche der Bürger, der pervasiven Zivilgesellschaft sowie der
Fußballclubs und/oder -fans, sondern auch um das Sondieren von
Machtchancen vor bzw. nach dem noch nicht absehbaren Abgang Merkels
als ewiger Kanzlerin. In Zeiten der Not schart sich das Volk um
starke Führungsfiguren (sc. Führerinnen und Führer), so dass die
Umfragen in diesen Tagen gänzlich anders aussehen als noch vor ein
paar Wochen: CDU/CSU mit 38 Prozent ganz oben, die Grünen nur noch
halb so hoch mit 18 oder 19 Prozent, die AfD, unlängst mit so guten
wie schlechten Gründen unter Infektionsverdacht gestellt,
fällt plötzlich unter 10 Prozent. Da wittert die FDP wieder
Chancen, als Verfechterin der Freiheitsrechte des Bürgers gegen den
großkoalitionären Ausnahmezustand hervorzutreten.
In Berlin gelten ohnehin seit je Sonderregelungen. Da, wie
angekündigt, die "linken" Freiheits- und Klassenkämpfer
nicht auf ihren Kampftag (mit vorhergehendem Kampfabend) am 1. Mai
verzichten werden, hebt man die Einschränkung der Versammlungs- und
Demo-Freiheit vorsichtshalber schon mal vorher halb auf. Ähnliches gilt
bundesweit für die spätabendlichen Vergnügungen des Ramadan,
während die ohnehin dünn besuchten Kirchen vorerst noch unter
personell aufgelockerter Quarantäne stehen.
Für Kanzlerin Merkel zahlt sich die Pandemie offenbar politisch
aus (siehe obige Umfragen). Dem drohenden wirtschaftlichen Kollaps in
den seit langem von mangelnder Kreditwürdigkeit und nunmehr von
Corona besonders befallenen EU-Südstaaten will sie mit einem
riesigen digitalen Milliarden-Euro-Programm entgegenwirken. Sie wird
unterstützt von Kulturschaffenden (und naturgemäß von grünen
Politikerinnen), die - "aus europäischer Solidarität" -
offen für Corona-Bonds plädieren, obgleich sie von
Wirtschaftsfragen weniger verstehen als die Pächterin an der wegen
Corona geschlossenen Eckkneipe.
Zweifel an der Weisheit unserer Kanzlerin ist - außer der
erwähnten Kritik von Lindner (FDP) und Gauland (AfD) - kaum zu
vernehmen. Ihr Diktum "Diese Pandemie ist eine demokratische
Zumutung" könnte in kommenden Nach-Corona-Zeiten als Merksatz
politischer Bildung dienen. Ausgerechnet in der sonst so
regierungsfrommen FAZ (v. 24.04.2020, S.1) wagt der
Leitartikler unerwartete Kritik: "Merkel legt beim Lockern der
Beschränkungen eine Vorsicht an den Tag, die man sich von ihr schon
in der Flüchtlingskrise gewünscht hätte."
In leicht redigierter Version jetzt auch auf The European:
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