Lange habe ich gezögert, einen Kommentar zu den jüngsten mörderischen Taten von offenkundig mit Wahnideen beseelten Menschen zu schreiben. Hat es überhaupt noch Sinn, gegen den Strom der veröffentlichten Meinung zu schwimmen, für die stets von vornherein feststeht, dass nicht ein verwirrter Geist Menschen zu evident "sinnlosen" Schreckenstaten inspirieren kann, sondern dass dafür der "rechte" Ungeist, in concreto die AfD, verantwortlich ist? Selbst in der FAZ erstellten die Redakteure die erwünschte politische Diagnose, was indes erheblichen Protest in - immerhin veröffentlichten - Leserbriefen hervorrief (FAZ v. 27.02.2020, S. 7).
Für die politische Einordnung der Morde - und des Suizids - in Hanau war es offenbar ohne Belang, dass der Killer bereits im November 2019 eine Wahnbotschaft an den Generalbundesanwalt geschickt hatte, ohne dass dies zu einer Überprüfung des Betreffenden, eines Waffen besitzendenden Mitglieds in einem Schützenverein, geführt hätte. Reflexionen über das - dem Begriff entzogene - "Böse", das in einer offensichtlich kranken menschlichen Seele angelegt sein kann, sind für politische Publizistik offenbar ungeignet. Selbst in den Feuilletons ist für verstörende, in die Abgründe menschlicher Existenz zielende Betrachtungen kein Platz. Man überlässt derlei Themen lieber den en masse produzierten Horrorfilmen, die neben den tagtäglichen Krimis das Unterhaltungsbedürfnis gestresster Arbeitsmenschen befriedigen. Gehaltvolle, für politische Instrumentalisierung untaugliche Analysen sind allein bei der ungeliebten Konkurrenz der Internet-Zeitschriften zu finden. Ich verweise auf den als "Offenen Brief" übertitelten Aufsatz des Neuropsychologen und Psychiaters Wolfgang Meins auf der Achse des Guten: https://www.achgut.com/artikel/offener_brief_an_den_generalbundesanwalt_dr._peter_franke_zum_attentat_von_
Den Anstoß für diesen Kommentar zu derlei - mutmaßlich auch in Zukunft den Alltag westeuropäischer Gesellschaften akzentuierenden - Schreckenstaten gab eine Feuilleton-Kritik der Aufführung einer Adaption von Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" in Mühlheim. Der Kritiker mokiert sich über die Figur des "modernemüden", opportunistisch vor dem Islamismus kapitulierenden Protagonisten bei Houellebecq. Er fügt daran folgende Schlusspointe: "Sein [des Negativhelden Francois] brutal realer Gegenpart aber sind die radikalisierten Modernisierungsverlierer in Halle und Hanau, die ihr Werk fernab der Theatertafeln verrrichten." Der 29jährige Amokfahrer, der am Rosenmontag im nordhessischen Volkmarsen zahllose Menschen - teilweise schwer - verletzte, gehört offenbar nicht zu den Modernisierungsverlierern. Auch ist über seine Radikalisierung bis dato nichts bekannt.
Zur Ergänzung der aktuelle Beitrag von Wolfgang Meins auf AchGut: https://www.achgut.com/.../die_amokfahrt_von_volkmarsen...
AntwortenLöschenInzwischen ist auch das BKA zu der Einsicht gekommen, dass der an einer Paranoia leidende Killer nicht als Rechtsextremist gehandelt, wohl aber eine "rassistische Tat" begangen hat. Wie das zusammenpasst, weiß am besten das BKA. https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/hanau-taeter-bka-101.html?fbclid=IwAR3JTuCaDCf15laMcAO3FtlruyLcQOkbdFzJxPSEwi-m-df5Tdm995GGuEI
AntwortenLöschenIch verweise auch auf meinen jüngeren, thematisch ähnlichen Artikel https://www.globkult.de/gesellschaft/modelle/1878-mordtaten-aus-wahn-oder-ideologie. Dazu auch mein Eintrag auf Facebook: "You never walk alone, was in Zeiten des ubiquitären Verdachts beruhigend wirkt: In der letzten "Zeit" (nr.18 v.. 23.04.2020, S.18) kommt der Psychiater und forensische Gutachter Hans-Ludwig Kröber in einem Aufsatz ("Terrorist oder Psychopath") zum Thema "rechter" Mordtaten zum selben Ergebnis wie ich in meinem auch auf AchGut (https://www.achgut.com/…/rechte_gewalt_zwischen_wahnsinn_un…) erschienenen Globkult-Artikel vom 23.04.2020 (https://globkult.de/…/1878-mordtaten-aus-wahn-oder-ideologie)"
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