Freitag, 16. Juni 2017

Zum Tod von Helmut Kohl: Kulturkämpfe und ein neuer 17.Juni

I.

Dass Kultur und Geschichte in einem Wechselbezug stehen, ist evident, auch wenn es in der Gegenwart noch – oder wieder - Regionen gibt, in denen Kulturen existieren, die man – ohne jeglichen Bezug auf des Philosophen Hegel eurozentrische Weltsicht auf den „dunklen Kontinent“ - als geschichtslos bezeichnen darf. Zu den geschichtslosen Weltregionen gehört seit einiger Zeit – historisch nicht exakt datierbar - das Land in der Mitte Europas. Es hat sich seiner Geschichte nahezu gänzlich entledigt, was dem deutschen Staatsmann Helmut Kohl, verschieden am 16. Juni 2017, in seiner von schwerer Krankheit überschatteten letzten Lebensphase womöglich kaum noch ins Bewusstsein drang. Vor einiger Zeit ließ er sich noch mit einem Satz über die von ihm seinerzeit als CDU-Jungpolitikerin („das Mädchen“) mit DDR-Hintergrund geförderte Kanzlerin Merkel vernehmen, sie „macht mir noch mein Europa kaputt.“ Dass dieser Satz in den allfälligen Nachrufen auf den Kanzler der Einheit in den Leitmedien zitiert wird, ist eher unwahrscheinlich.

Im Internet ist eine Schwarz-Weiß-Fotografie zu sehen, die Kohl in den 1970er Jahren mit Ehefrau Hannelore Kohl und seinen beiden Söhnen auf dem Leipziger Markt vor dem Alten Rathaus zeigt. Von Leipzig gingen anno 1989 die Montagsdemonstrationen aus, die, parallel zur zwischen Mai und August erfolgten Grenzöffnung der Reformkommunisten in Ungarn, die Berliner Mauer zum Einsturz brachten. Dem in den Medien lange verspotteten Bundeskanzler Kohl hatten die Deutschen sodann in den wenigen Monaten zwischen dem 9. November 1989 und dem 3. Oktober 1990 maßgeblich die zielstrebig angesteuerte staatliche Neu- oder Wiedervereinigung ihrer territorialen Konkursmasse des Deutschen Reiches zwischen Oder und Rhein zu verdanken.

Kohl ist auch – vor dem Mauerfall vielfach als überholtes, nationalnostalgisches Projekt bekämpft – die Einrichtung eines Deutschen Historischen Museums zu verdanken, das 2006 eröffnet wurde (siehe H.A.: https://themen.iablis.de/2006/ammon06.html; s. auch: https://herbert-ammon.blogspot.de/2016/08/von-koniggratz-in-die-gegenwart.html). Zieht man nach über zehn Jahren Bilanz, so drängt sich der Eindruck auf, das Museum verfolge – insbesondere mit einer Reihe von Sonderausstellungen – den Zweck, den Besuchern jegliches Bedürfnis nach zur Identifikation mit nationaler Kultur und Geschichte einladenden Bildern der Vergangenheit auszutreiben. Von einer Ausstellung zur Geschichte der europäischen Entdeckungen abgesehen, geht es um Themen wie die Homosexuellenverfolgung zur Nazizeit oder um die fragwürdige Kolonialtradition des Kaiserreiches.

II.

In Architektur, Artefakten, Symbolen findet die Kultur eines Landes und dessen - dem historischen Wandel unterworfenen - Selbstbewusstseins ihren ästhetischen Ausdruck. Seit der von meinungsführenden Intellektuellen in West und Ost mehrheitlich unerwarteten und weithin unerwünschten Wiedervereinigung sind in Berlin kontinuierlich Kulturkämpfe zu erleben. Insofern der trotz allerlei Postmoderne vorherrschende Funktionalismus aus Stahl, Glas und sonstigen Materialien sich mit schneller Bauweise verbindet, gelang es den Verantwortlichen (Stadtplanern, Kulturfunktionären, Politikern, Architekten) in nur wenigen Jahren, in der Zone zwischen Potsdamer Platz und dem durch spezifische Ödnis beeindruckenden Kulturforum ein architektonisches Mixtum compositum zu errichten, das Gedanken an vergangene wilhelminische Pracht gar nicht erst aufkommen lässt. Für die politisch korrekte Namensästhetik dienten sodann beliebig applizierte Straßenschilder wie Ludwig-Beck-Straße, Valerian-Fry-Straße, Marlene-Dietrich-Platz.

Alsbald verpasste man dem Reichstagsgebäude – zum Glück im Hinterhof - ein pädagogisches Kunstwerk zur Konterkarierung der „völkischen“ Inschrift auf dem westlichen Giebelfries. Inzwischen war der Kampf um den wegen Asbestgefahr zur Disposition stehenden „Palast der Republik“ und das von dem Initiativkreis um Wilhelm von Boddien betriebene Konzept der Wiederrichtung des anno 1952 gesprengten Stadtschlosses entbrannt. Das in der Nachkriegszeit – gerade auch in Westdeutschland - im Blick auf die innerstädtischen Trümmerwüsten propagierte und weithin realisierte Konzept einer aus geschichtsmoralischen Gründen angeblich gebotenen völligen Neugestaltung – statt eines historisch-ästhetisch irreführenden Wiederaufbaus – erlebte eine Art Neuauflage. (Zur Erinnerung: Oft waren dieselben Leute, die in den Nachkriegsjahrzehnten für den „Kahlschlag“ plädierten, voll der anerkennenden Bewunderung für den am historischen Vorbild orientierten polnischen Wiederaufbau von Warschau, Breslau und Danzig.) Während man noch - vergeblich - gegen die preisgekrönte historische Barockfassade des Italieners Franco Stella polemisierte, regte sich gegen die inzwischen erfolgte Rekonstruktion des klassizistischen Kommandantenhauses kaum Widerspruch, mutmaßlich deshalb, weil das strahlende Gebäude, nunmehr im Besitz der Bertelsmann AG samt Stiftung, als eine Art Bastion der Zivilgesellschaft fungierte.

Die zivilgesellschaftlichen Proteste gegen die Schlosskulisse verebbten erst, nachdem klar war, dass in seinem Inneren keinerlei museale Erinnerung an das Haus Brandenburg und an Preußens Gloria gepflegt werden sollte, sondern als Humboldt-Forum die Kulturen der Welt zur Darstellung kommen würden: Weltoffenheit im Zeiten der Globalisierung anstelle preußisch-deutscher Selbstbespiegelung! Das einst zu Recht mit Stolz präsentierte Ethnologische Museum zu Berlin-Dahlem wird zu diesem Zwecke seit einigen Monaten bereits leergeräumt.

Der Streit wogt derzeit um das von einer traditionsbewussten Dame gestiftete Kreuz auf der – wiederum einem großzügigen Stifter zu verdankenden – bereits in Beton aufgeführten Kuppel. Mit demokratischen Argumenten, teils historisch - kein Kreuz über der nicht mehr vorhandenen, von dem konterrevolutionären König Friedrich Wilhelm IV. eingerichteten Hofkapelle! – teils gegenwartsbezogen - kein christlich definiertes Symbol in unserer säkularen Multikultur! –, gilt es die Krönung der Kuppel mit einem goldenen Kreuz zu verhindern. Der Kampf gegen das Kreuz wird naturgemäß von dem von der „Linken“ bestellten Kultursenator Klaus Lederer angeführt.Mit einem süffisant salomonischen Vermittlungsvorschlag (Kreuz, Mondsichel, Davidstern) hat sich auch Aiman Mayzek, muslimischer Zentralratsvorsitzender, in die Debatte eingeschaltet. Das Thema „Kuppelkreuz“ wird mithin die Feuilletons noch weiter beschäftigen, das Thema „Leitkultur“ gilt es dabei zu vermeiden...

Was die zur Spree hin offene Schlossfassade betrifft, so haben die drei Gründungsdirektoren des Humboldt-Forums Horst Bredekamp, Hermann Parzinger und Neil MacGregor die Idee ins Spiel gebracht, an der Rückseite eine große Inschrift ZWEIFEL anzubringen, um der mit dem Schlossbau – und mutmaßlich mit der deutschen Geschichte in toto – verbundenen Ungewissheiten Ausdruck zu verleihen. Keine Frage: Der Zweifel ziert den Charakter der historisch-moralisch reinen Zivilgesellschaft...

III.

Wäre es im ereignisreichen Jahre 1990 nach dem für „Demokratie jetzt“ gewählten Bürgerrechtler Konrad Weiß gegangen, so hätte die erste und letzte frei gewählte Volkskammer bereits am 17. Juni gemäß Art. 23 GG den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland erklärt. Der Geschichtskalender des neu vereinten Deutschland hätte ein gänzlich anderes Gepräge bekommen. Aus politisch plausiblen Gründen – die 2+4-Verhandlungen waren noch nicht abgeschlossen - wurde der Antrag abgewiesen. Der Beitrittsbeschluss der im „Palast der Republik“ versammelten Volkskammer erfolgte sodann erst am 23. August 1990.

Heute, anno 2017, erinnert außer den DDR-Opferverbänden kaum jemand noch an den Aufstand am 17. Juni 1953, an jenen Tag der deutschen Geschichte, da, ausgehend von Streiks der Bauarbeiter auf der Ostberliner Stalinallee gegen Normenerhöhung und Lohnverlust, binnen weniger Stunden in den Städten der DDR die Ablehnung der von der Sowjetunion installierten SED-Diktatur in einen Volksaufstand für die deutsche Einheit mündete. Mehr noch, der Tag, bis 1990 deutscher Nationalfeiertag in der Bundesrepublik, ist in Deutschland – West wie Ost – weitgehend vergessen oder unbekannt, keineswegs nur bei migratorischen Neubürgern.

Das Vergessen der Geschichte, die medial vermittelte Existenz in einer ahistorischen Gegenwart, mag ein in den westeuropäischen Gesellschaften allgemein zu beobachtendes Phänomen sein. Nirgendwo scheint es indessen so ausgeprägt zu sein wie in Deutschland. Mehr noch: Die Eliminierung historischen Bewusstseins gehört zum ideologischen Konzept diverser Lobbygruppen der „Zivilgesellschaft“.

Im Internet ist eine Anzeige der evangelischen Diakonie Deutschland zu finden, die sich an einer – von wem auch immer gestarteten - Initiative zum 17. Juni als „Tag der offenen Gesellschaft“ beteiligt. Die protestantische Organisation, ein stets für Spenden empfängliches Unternehmen der dank Immigration ("Geflüchtete") expandierenden deutschen Sozialindustrie, frappiert den Leser und Internet-Konsumenten mit der Frage: „Was wirst Du auftischen? Welches Essen darf bei Deiner Tafel auf keinen Fall fehlen? Frische Erdbeeren, Hummus, Frikadellen mit Senf, Nachos & Guacamole, Pasta ...?? Es gibt so unglaublich viel leckeres Essen! Sei dabei und setze mit uns am 17. Juni ein Zeichen für mehr Miteinander, mehr Menschlichkeit, mehr Dafür!“

Am diesjährigen 17.Juni, dem „Tag der offenen Gesellschaft“, soll demnach nicht gefastet, sondern multikulturell „aufgetischt“ werden. Der diesem unserem Lande nunmehr aufgetischte postdeutsche Nationalfeiertag ist nicht zum Nachdenken und Verstehen von Kultur und Geschichte, sondern zum Verdauen von „lecker Essen“ erfunden worden. Das ideologische Menü für ein geschichtslos gewordenes Land? Nein – Hitler kennt noch fast jeder, auch die „noch nicht so lange hier leben“.

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