I.
Europa ist historisch reich an Beispielen des Bildersturms, vom Ikonoklasmus in Byzanz über die Bilderstürmer im Zeitalter der Reformation - im Hinblick auf das korrekte Gedenken im Jahr 2017 sei dabei immerhin mal was Positives über den Revolutionär, Fürstenknecht, Türken- und späten Judenfeind Luther vermerkt - bis hin zur Französischen Revolution und den entsprechenden Aktionen unterschiedlicher bezbozhniki im 20. Jahrhundert. Im Zeitalter des demokratischen Wertepluralismus und/oder der wertegebundenen Demokratie sind derlei Praktiken unstatthaft. Die Ästhetik der Demokratie, id est der Zivilreligion, resultiert aus dem ideellen Konsens des demokratischen Diskurses. Sie manifestiert sich in unserer Gedenkkultur sowie - anders als in den meist schlicht durchnumerierten Straßennamen in den USA - in irgendwie historisch begründeten Straßennnamen. Zuweilen kommt es - generationsbedingt - zu gewissen ästhetischen Korrekturen. Derlei demokratische Revision ist indes von der historisch belasteten Tradition des Ikonoklasmus zu unterscheiden.
II.
Mit den in der grünstdeutschen Großstadt Freiburg i.B. angestrebten demokratischen Korrekturen befaßt sich der Feuilleton-Redakteur Patrick Bahners in der Samstagsausgabe der FAZ (08.10.2016, S.11). Laut Titel ("Stadtplanreformer auf dem Holzweg") schreibt der Autor in demokratisch-kritischer Absicht. Andererseits wendet er sich gegen das Argument, frühere Benennnungen ("Benennungsentscheidungen") seien "als Urkunden des Zeitgeists erhaltenswert". Bahners: "Aber eine Stadt ist kein Freilichtmuseum, und als Demokratie lebt eine Kommune in der Gegenwart." Der Sinn des zweiten Satzteils erschließt sich nur mit Anstrengung...
Der Artikel präsentiert das Ergebnis einer vom Freiburger Gemeinderat eingesetzten Kommission unter Vorsitz des Historikers Bernd Martin, der die demokratische Sichtung verfänglicher, verdächtiger und/oder unzeitgemäßer Straßennamen oblag. Offenbar ging es dabei nicht um Umbenennungen zugunsten der Frauenquote (demokratisches Minimum > 50 %), sondern um eine deutsch-demokratische épuration der als peinlich befundenen Nationalgeschichte. Für derlei Zwecke stehen im Haushaltsplan westdeutscher Kommunen stets die nötigen Mittel zur Verfügung.
Unter den zur Umbenennung indizierten Freiburger Straßennamen befinden sich der des Kameramanns von Leni Riefenstahl sowie von als Rassebiologen ausgewiesenen Medizinern. Bei derlei Namensgebern ist an der Arbeit der Kommission wenig auszusetzen, eine Neubenennnung mehr als ratsam. Anders steht es mit einem Schilderzusatz, dem man im Freiburger Gemeinderat kommissionsgemäß der Fichtestraße hinzufügen soll: "Johann Gottlieb Fichte (1762-1914). Nationalistischer Philosoph und erklärter Gegner Frankreichs". Kenntnisreich zerpflückt Autor Bahners die als wissenschaftliche Begründung mitgelieferte "Kurzbiographie" des nach 1918 wiederentdeckten Nationalphilosophen. Er hätte hinzufügen können, dass Fichte ungeachtet seiner antifranzösischen, genauer: antinapoleonischen "Reden an die deutsche Nation" (1808) zeitlebens ein Verteidiger der Prinzipien der bürgerlichen Revolution blieb. Zum historischen Schockerlebnis für jüngere Kommissionsmitglieder sowie für Freiburgs junggrüne, studierende Jugend könnte denkbarerweise ein anderer Namenszusatz führen: "Johann Gottlieb Fichte, Namensgeber des Berliner sozialistisch-kommunistischen Arbeiterturnvereins ´ATV Fichte´".
Salomonisch verfährt Autor Bahners mit der Kommissionsempfehlung zuungunsten des in Freiburgs Straßenplan erst 1981 mit einem "Martin-Heidegger-Weg" zu Ehren gekommenen kurzzeitigen Universitätsrektors und langjährigen Denkers zu Todtnauberg."Der Gemeinderat wird im Fall Heidegger eine genuin politische Entscheidung fällen müssen, die durch die Aktenlage nicht vorgegeben ist." (Richtig: An der Deutung der Akten, der Werke und der Tagebücher des bonbongeschmückten Denkers des "Seyns" arbeiten seit Jahrzehnten sowohl fleißige Apologeten wie Ankläger.) Weiter Bahners: "Kein NS-Rektor auf Straßenschildern, erst recht nicht Rektor Heidegger: Das ist eine vertretbare Wertung." Indes: "Wenn die Stadt umgekehrt zu dem Schluss kommt, dass der Philosoph dem Rektor zum Trotz den Eintrag auf dem Stadtplan verdient hat, wird sie der Freiheit des Denkens die Ehre erweisen." - Das tiefe Dilemma der Demokratie: Die Frage der Freiheit wird der Gemeinderat genuin politisch zu entscheiden haben....
III.
Zum Schluß seines Artikels belegt Bahners Artikel weitere Empfehlungen der Kommission mit der Wertung "philisterhaft". (Ein demokratisch zweifelhafter Begriff, der ob seiner Kontamination im deutschen Verbindungswesen längst einer Sprachkommission (z.B. in Darmstadt) zur Überprüfung vorgelegt werden sollte.) Die Freiburger Kommission hat noch eine Liste von Namenspatronen hinzugefügt, die "heute nicht mehr gewählt" werden würden. Als problematisch empfinden die gründeutschen Demokraten zu Freiburg Namen (Männer!) wie Bismarck und Blücher, den vormärzlichen Liberalen Karl von Rotteck, den radikalen 1848er Republikaner Friedrich Hecker, darüberhinaus auch Jacob Burckhardt und Erasmus von Rotterdam. Ob auch dessen weltgeschichtlcher Antipode Martin Luther - über die "richtige" Plazierung seiner monumentalen Statue: vor oder entrückt der Marienkirche, wogt derzeit ein Glaubensstreit in Berlins protestantisch-klerikalen Kirchenkreisen - im Freiburger Katalog künftiger Umbenennungen zu finden ist, ist dem zitierten Aufsatz leider nicht zu entnehmen.
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