Freitag, 11. September 2015

Kritik der gründeutschen Gewissens-/Willkommenskultur: Chrismon

I.
Erwartungsgemäß fand der Blogger in seiner dank Internet und e-mail geschrumpften Briefpost einen Spendenaufruf des Diakonischen Werkes mit dem Aufdruck "Dringend!". Der Appell gilt dem schlechten Wohlstandsgewissen des bis dato stets zu Spenden bereiten Adressaten.

Dass es sich bei derlei Hilferufen um eine  protestantisch zeitgeistige Abwandlung eben jener Ablasspraxis handelt, die dereinst den Augustiner-Eremiten und Professor Dr. Martin Luther in Gewissensnöte stürzte, habe ich bereits vor einiger Zeit an anderer Stelle  (https://www.blogger.com/blogger.g?blogID=6 Zum protestantischen Ablasshandel und zur protestantischen Geldver(sch)wendung; 08.06. 2014 )  dargelegt. Wie werden wir angesichts der "in unser reiches Land" strömenden, nur mit Rucksack und Smartphone ausgestatteten Flüchtlinge und/oder Migranten mit unseren medial angefachten gründeutschen Schuldgefühlen fertig, mit  unserer unchristlichen, (post-)bürgerlichen Hartherzigkeit? "Refugees welcome!"? Gut, wen  kümmern noch begriffliche Differenzierungen, aber: Sollen wir, dürfen wir unserer Bundeskanzlerin ("Mother Merkel"), unserem Bundespräsidenten (Ex-Pastor Gauck) widersprechen? Oder müssen wir nicht doch wieder spenden?

II. 
Aus derart säkular-religiösen Zweifeln  befreit die Frühstückslektüre von  "chrismon. Das Evangelische Magazin 09.2015", der Monatsbeilage aller bundesrepublikanischen "Qualitätszeitungen". Das Titelbild verweist auf  die Seelen- und Gewissensnöte von Frauen, gespalten zwischen "Familie und Beruf" : links eine halbe rosa Bluse mit Perlenschmuck (!), rechts ein  halber Babyanzug, grün (?) bekleckert. Naturgemäß zielt das Thema auf den allein in gehobenen Akademikerinnenkreisen akuten  Konflikt zwischen "Kind und Karriere", nicht auf den Kampf der in Schichtarbeit schuftenden Kassiererin bei Aldi - egal ob Alleinerzieherin oder noch  in angestaubten Familienverhältnissen  verwurzelt  - für ein dürftiges Nettoeinkommen ihrer Familie.

Den eigentlichen Aufmacher findet der Leser sodann auf der mit weniger bekannten Köpfen - abgesehen vom dreifach vertretenen Luther - garnierten  Doppelseite  mit dem Titel "Luther relaoaded". Was da "reloaded", d.h. fürs Lutherjahr 2017 aufgekocht und säkular serviert wird,  ist nichts anderes als das - in protestantischer Protestversion historisch verkürzte Bekenntnis des  spätmittelalterlichen Mönches aus Wittenberg auf dem Wormser Reichstag vor Kaiser Karl V.: "Sie können nicht anders. Sie müssen aufstehen und bohrende Fragen stellen, unbequeme Wahrheiten sagen, Missstände [gemäß nRs mit drei "s" hintereinander] aufdecken. Sie riskieren ihr Geld, ihre Freiheit, ihre Ruhe - und mancher auch sein Leben: Menschen aus aller Welt, die dem alten Reformator verdammt ähnlich sind."

Die sechs Autoren und -innen des Artikels präsentieren als Vorbilder den syrischen Journalisten und Rechtsanwalt Mazen Darwish, der unter dem Assad-Regime vom Tode bedroht, von den 16 deutschen Lutherstädten  mit dem Preis für "Das unerschrockene Wort" belohnt wurde.  Als zeitgenössische Luther-Figuren  fungieren ferner der iranische Regisseur Jafa Pannar ("Taxi Teheran"), die englische Journalistin Sarah Harrison,  die es ob ihrer Unterstützung für den Whistleblower Eward Snowden vorzieht, lieber in Berlin zu leben als in England. Der Blogger reibt sich die Augen: Was ist aus dem Land des habeas corpus geworden , dem Mutterland westlicher Freiheitsrechte? Wie übel es dem Blogger Rauf Badawi in Saudi-Arabien erging und noch ergeht, ist bekannt. Auch dass in Tansania wie in den meisten Ländern Afrikas die "Eliten" schamlose Korruption betreiben, ist nichts Neues. "chrismon" stellt den Oppositionspolitiker Zitto Kabwe, 38, als geistigen Nachfolger Luthers vor. Als role models des modernen Luther-Ideals sind sodann eine "Pussy-Riot"-Aktivistin abgebildet - um ein Haar wären vor einem Jahr (?) die Pussy-Tussies mit dem zivilreligiösen Tapferkeitsorden der 16 Lutherstädte ausgezeichnet  worden -, des weiteren eine Bloggerin, die gegen Hartz IV "von  innen"  (?) mobil macht, ein in Washington, D.C. lebender chinesischer Bürgerrechtler, eine grüne Stadträtin aus Freital in Sachsen sowie  am Ende eine Aktivistin aus Südafrika , die im Lande des klassisch polygamen - nicht etwa modern "polyamoren" - Jacob Zuma "Gleiche Rechte für Lesben!" fordert: "Dawn Cavanagh kann echt nicht anders. Die ist so. Mitreißend, charmant, pointiert, voller Energie - ein Kämpferin." Usw. usw.

III.
Auf der Leserbriefseite betreibt das "Evangelische Magazin" unter Bezug auf die August-Nummer Selbstbeweihräucherung: "Eine Ausgabe, die fasziniert", so der Titel. Es handelt sich um ein Zitat aus der enthusiastischen Zuschrift ("Ich kann mich nicht erinnern, je eine Ausgabe in den Händen gehabt zu haben, die mich mehr beeindruckt, ja fasziniert hat.")  eines  Leserbriefschreibers aus Bad Sachsa. Die Rubrik "Vorbilder", in der die amerikanische Kriegsfotografin Lee Miller vorgestellt wurde,  fand er "unverzichtbar. Danke für diese tolle Ausgabe."

Der Blogger einnert sich an die - ohne Frage auf "fairem" Papier gedruckte - August-Ausgabe mit dem Porträt der US-Kriegsfotografin. Dass diese im Frühjahr 1945 angesichts der  Schreckensszenen  aus den befreiten Konzentrationslagern  würgendes Entsetzen befiel, ist verständlich. Ebenso, dass sie für diejenigen Deutschen, die sich ihr gegenüber nun allesamt als Nazi-Gegner präsentierten, nur Verachtung empfand. Als nicht minder verächtlich erschien dem Blogger in dem Lebensbild der Fotografin indes jener Passus, aus dem hervorging, dass Lee Miller die Deutschen in collectivo bis zu ihrem Lebensende gehasst habe.

Dem erwähnten Leserbriefschreiber ist dieser Satz  womöglich  in gründeutscher Unschuld entgangen. Ob dies auch für die Redaktion von "chrismon" zutreffen könnte, ist hingegen kaum denkbar. Wie  derlei Hasserklärung mit der christlichen Liebesbotschaft zu vereinbaren sei, war den Christenmenschen von "chrismon"  offenbar keine Frage wert... 

IV.
Immerhin erlöst das evangelische Selbstlob den Blogger aus Selbstzweifeln bezüglich des Spendenappells. Solange die Kirchenoberen aus ihrem Budget, d.h.  mit seiner Kirchensteuer, den Druck  von "chrismon", der  Moralpostille  für den  geistigen Mittelstand,  finanzieren, statt sich um die tatsächlich Mühseligen und Beladenen zu kümmern, sieht er sich nicht genötigt, sein Girokonto zu öffnen, weder für die realen Flüchtlinge noch für die verfolgungsfreien migrantischen "refugees", die zu Hunderttausenden quotenfrei in Germany ihr Glück suchen. Für die Merkel-Gaucksche "Willkommenskultur"  steht der Blogger als Steuerzahler ohnehin schon in der Pflicht. Ihm ist zudem nicht bekannt, dass Merkel - vor ein paar Jahren erklärte sie "Multikultur" noch für "gescheitert" - oder Gauck - dieser erklärte  anno 2010 Thilo Sarrazins Warnung vor der Masseneinwanderung (cf. H. A.: Sarrazin und die Zukunft der Deutschen: Die Abwicklung eines ›Falles‹ als Abkehr von der Wirklichkeit ) noch für "mutig" -  mit nur einem Wort die Offerte der Saudis abgewiesen hätten, die Willkommenskultur für die mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge/Migranten/Zuwanderer mit dem Bau von 200 Moscheen zu fördern.

V.
P.S. Inhaltliche Unterstützung für die Kritik der gründeutschen "Willkommenskultur" fand der Blogger am folgenden Tage im Leserbrief eines emeritierten Pastors aus Itzehoe (in: FAZ v. 08.09.2015).  Dieser schreibt u.a.: "Die öffentlichen Reaktionen [auf das Bild eines ertrunkenen Kindes] zeigen jene Emotionalität, die jedes rationale Denken  überschwemmt. [...] Was soll das Gerede von der ´Schuld Europas´? Schuld sind die, die diese graumsamen Kriege führen. Schuld ist Europa, weil es aus falsch verstandenem Pazifismus sich weigert, dort militärisch zu intervenieren und so die Mordbanden wüten lässt. Und gleich dazu: Im Fernsehen sehe ich die Spendenwerbungen, das Rote Kreuz, evangelische Diakonie, Arbeiterwohlfahrt oder die katholische Caritas. Von islamischen Hilfsorganisationen lese ich nichts. Wer aber verursacht diese Völkerwanderung? Christliche Kreuzfahrer sind es jedenfalls nicht. [...] Es sind ja die Aktivisten, die Bestausgebildetsten, die Vermögendsten, dier sich die Flucht leisten können, die Armen und Apathischen bleiben zurück. Wir bilden uns etwas auf unser Gutsein ein, fordern Willkommenskultur, doch die Herkunftsländer bluten aus... Darüber wird bei uns tiefgründig geschwiegen, da ist sich das Kartell der öffentlichen  Meinungsmache einig."

Was die Zustände in Syrien betrifft, so verweise ich auf zwei im Anfangsstadium des mörderischen Chaos verfasste Artikel Zum Unfrieden in Nahost: unbequeme Faktenlage  sowie Grundsatzfragen. Zum Bürgerkrieg in Syrien III. Womöglich sorgt jetzt - letzten Meldungen zufolge - der böse Kremlchef Putin mit Waffen und Soldaten für seinen Verbündeten Baschar al Assad  für ein Ende der seit Jahren anhaltenden Massaker. Es wäre die Alternative zu der von dem zitierten Pastor  geforderten Intervention "Europas" .

P.S. 30.Juni 2016:
Der obige Blog-Eintrag erweist sich als zeitloses Dokument:. Aus irgendeinem gegebenen Katastrophen-Anlaß (ad libitum Krieg, Bürgerkrieg, Ethno-Krieg , Asylsuchende aus den aufgrund grün-roter Bundesrat-Blockade und der anstehenden Sommerpause auf unabsehbare Zeit weiterhin als "unsicher" geltenden Maghreb-Staaten, aus Gambia, Ghana usw.) trudelte vor ca. zwei Wochen wieder ein diakonischer Mahn- und Bettelbrief ans schlechte Gewissen ein. Die Sozialindustrie der post-nationalen Bundesrepublik im post-christlichen Europa scheint moralisch, genauer:  moralpolitisch und finanziell unersättlich.
P.P.S. Siehe auch: http://globkult.de/108-staendige/herbert-ammon/1058-fluechtlingsstroeme-einspruch-gegen-die-leichthaendige-behandlung-eines-schwierigen-themas

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