Zum Krieg in
Ost-Europa: Die Inkongruenz von Macht, Recht
und dem "subjektiven" Faktor
und dem "subjektiven" Faktor
I.
Auf dem Waldfriedhof in
Berlin-Zehlendorf wird an diesem Februartag 2015 nach dem Staatsakt
im Berliner Dom der verstorbene Richard von Weizsäcker zu Grabe getragen, Repräsentant einer Ära, in
der der Kalte Krieg mit dem spektakulären
Mauerfall endete und in eine Phase des Weltfriedens einzumünden
schien. Währenddessen schickt sich die
Bundeskanzlerin Merkel an, zusammen mit dem französischen
Präsidenten an ihrer Seite, in Minsk in Verhandlungen mit dem
allenthalben als russisch-imperialer Aggressor wahrgenommenen
Präsidenten Putin eine Art Friedensschluss, wenigstens einen
Waffenstillstand im Krieg der „prorussischen“ Separatisten und
der Ukraine herbeizuführen.
Über den Ausgang dieser
Gespräche ist hier nicht zu spekulieren. Es ist vorstellbar, dass
Putin ökonomisch sowie – im Falle amerikanischer
Waffenlieferungen an Kiew - militärisch unter Druck, zum Einlenken
bereit ist. Die Gegenleistung EU-Europas, vertreten durch
Merkel-Hollande, bestünde darin, die Annexion der Krim sowie die
derzeitigen Frontlinien im Donbass als faits accomplis anzuerkennen. Es ist aber
auch denkbar, dass die Verhandlungen nur in eine Neuauflage der
Minsker Vereinbarungen vom September 2014 resultieren - ein
Waffenstillstand, der von der einen oder anderen Seite alsbald
wieder unterlaufen wird.
So oder so: Ein Ende des
Krieges in der östlichen Ukraine ist erst abzusehen, wenn der einen
oder der anderen Seite, der Regierung in Kiew oder Putin in Moskau
die materiellen - und politischen - Kosten des unerklärten Krieges
untragbar erscheinen, so dass sie sich zum Nachgeben, zu einer Art
Frieden genötigt sieht.
II.
Vor dem Hintergrund des Krieges im Donbass finden in West- und
Osteuropa Kontroversen über Ursachen und Wesen des erneuerten
Ost-West-Konflikts sowie über die „richtigen“ Wege zu dessen
Beendigung – oder Perpetuierung. - statt. Mit Ausnahme der
westlich-liberal orientierten Intellektuellen weist man in Russland
die Schuld am neuen Ost-West-Konflikt den Amerikanern und ihren
NATO-Verbündeten zu. Die Wiedereingliederung der Krim und die
Erhebung der Russen im Donbass gegen die ukrainischen „Faschisten“
oder wahlweise „Bandera-Banditen“ sei die defensive Antwort auf
das geo- und militärstrategische Vordringen der USA im Osten
Europas. Zu den Verteidigern der russischen Politik und Anklägern
Washingtons zählt auch Michail Gorbatschow, der einst anno 1989/90
als letzten Ausweg aus der tiefen Krise des Sowjetreiches die
deutsche Wiedervereinigung zuließ und durch Aufgabe des
sowjetrussischen Machtbereichs im östlichen Europa den Kalten Krieg
beendete. (https://de.nachrichten.yahoo.com/gorbatschow-warnt-vor-krieg-wegen-der-ukraine-krise-165010301.html)
Aus westlicher Sicht trägt
die Verantwortung für den Krieg in der Ost-Ukraine ausschließlich
der russische Präsident Putin. Selbst die Minderheit derer, die für
Verständnis der russischen Politik werben - wie etwa
Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder - räumen ein, dass Russland mit
der Sezession und Annexion der Krim sowie der Unterstützung der
Separatisten im Donbass das Völkerrecht – den Vertrag von 1994
über den politisch-militärischen Status der seit 1991 unabhängigen
Ukraine sowie die KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975– verletzt hat.
„Putin-Versteher“ finden in den westlichen Medien, in den
meisten westlichen Hauptstädten sowie in den NATO-Stäben kein
Verständnis. Die Rede ist von feigem Appeasement und Verrat an
westlichen Werten.
Seit Putin auf der
Münchner Sicherheitskonferenz 2007 das Konzept einer „monopolaren
Welt“, sprich: der unangefochtenen Hegemonie der USA, wie sie
Zbigniew Brzezinski (The
Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic
Imperatives, 1997) proklamierte, in aller
Schärfe zurückwies, geht in Europa wieder ein altes Gespenst um:
der Expansionismus des russischen Imperiums unter dem neuen
Autokrator.
Immerhin gibt es
unter den insbesondere hierzulande vielgeschmähten
„Putin-Verstehern“ auch politisch – und moralisch -
unverdächtige Zeugen wie den Chicagoer Politikwissenschaftler John
Mearsheimer, Protagonist der „realistischen“ Denkschule.
Mearsheimer steht für eine Position, die jenseits von Werturteilen,
das russische Verhalten in Beziehung setzt zur westlichen,
insbesondere amerikanischen Politik seit dem Zusammenbruch des
Sowjetimperiums. Seine Argumentation folgt weitgehend der russischen Perspektive,
die im Rückblick auf die deutsche Wiedervereinigung sowie die
2-4-Verträge von einem west-östlichen Einvernehmen über die
Nichtausdehnung der NATO über die - erst 1990 endgültig fixierte - deutsch-polnische Grenze an Oder
und Neiße ausging. Spätestens mit den Verhandlungen mit der
Ukraine und mit Georgien über einen NATO-Beitritt sei für Russland
eine geopolitische und geostrategische Grenzlinie überschritten
gewesen. Die russische Politik sei eher als reaktiv denn als aggressiv zu
bewerten.
Man kann gegen diese
Sicht der Dinge einwenden, dass Russland nach Ende des Kalten Krieges
1989/90 seinerseits keineswegs die Rolle des Friedensengels spielte.
Zur historisch-politischen Realität gehört, dass die Auflösung des
Sowjetimperiums 1989/1991 in Riga, Vilnius und in Tbilisi nicht ohne
Blutvergießen verlief und in Georgien in einen – von Gobatschow
angekündigten - „Bürgerkrieg“ mündete. ("Moskau heizt ein". Interview mit Swiad Gamsachurdia in: Der Spiegel 11/1991, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13488504.html.) ) Nichtsdestoweniger
gehört zu den realpolitischen Fakten, dass auf dem „großen
Schachbrett“ Brzezinskis
die Ukraine eine strategische Hauptfigur darstellt, so dass
spätestens seit den “orangenen Revolutionen” in Tbilisi und in
Kiew für Moskau die geopolitische Reizschwelle überschritten war.
III.
Im Ukraine-Konflikt
erleben wir die Wiederkehr alter historischer Gegebenheiten: die
Inkongruenz von Macht- und/oder Geopolitik, Völkerrecht –
Völkerrecht als vertragliche Fixierung friedensethischer Maximen und
machtpolitisch fundierter
Friedensvereinbarungen - „neuen“ historisch-politischen
Konjunktionen sowie, last but not least
von
„subjektiven“ Faktoren,
von historisch-kulturellen Traditionen, Antagonismen und Aspirationen von Völkern.
Die Komplexität und Widersprüchlichkeit der genannten Faktoren wird
manifest in dem teils völkerrechtlich festgeschrieben, teils
„umstrittenen“ Prinzip der Selbstbestimmung von Nationen
und/oder Minderheiten. Es steht außer Frage, dass das genannte
Prinzip in machtpolitischen Auseinandersetzungen von interessierter
Seite jederzeit instrumentalisierbar ist.
Eben diese Melange
von Faktoren, die eine stabile Friedensordnung immer wieder in Frage
stellen können, kam beim Zerfall Jugoslawiens in den 1990er Jahren
zur Eruption. Sie tritt kontinuierlich in den seit 1991 anhaltenden,
im Georgien-Krieg 2008 eklatierten Konflikten im Kaukasus, sodann
seit dem blutigen Ende des Euromajdan in Kiew hervor.
Der Ukraine-Konflikt hat zudem
gewisse Bruchlinien in der politischen Landschaft Europas
hervortreten lassen. Das panslawistische Werben Putins findet bislang
nur in Belgrad Resonanz. Dass indes Ungarns Präsident Viktor
Orbán moskaufreundliche Zeichen setzt, muss als Novum in der
ungarischen Geschichte erscheinen, wirkt vor dem Hintergrund des von
Brüssel auf Budapest ausgeübten ideologisch-politischen Drucks
indes nicht verwunderlich. Derzeit droht auch die neugewählte
Links-Rechts-Regierung in Athen unter Alexis Tsipras mit einer
politischen Hinwendung zu Russland.
Während die
Bundesregierung unter Angela Merkel – offenbar ohne Rücksichtnahme
auf die von Russlandgeschäften abhängigen deutschen Unternehmen -
einerseits einen harten Sanktionskurs zu steuern scheint,
schließt sie andererseits härtere Maßnahmen – Waffenlieferungen an die
Ukraine oder gar direkte Intervention – kategorisch aus. In den
derzeitigen Verhandlungen in Minsk zielt sie zusammen mit dem von
spezifischen ökonomisch-politischen Sorgen bedrückten Präsidenten
Francois Hollande offenbar auf einen Ausgleich mit Moskau.
IV.
Die Frage nach dem
„richtigen“ Umgang mit Russland unter Putin hat in Deutschland
die Protagonisten der „politisch interessierten Öffentlichkeit"
entzweit. Auf den im Blog-Eintrag vom 5.12.2014 zitierten, von 60
„prominenten deutschen Persönlichkeiten aus Politik Wirtschaft
und Kultur“ (Zitat aus:
http://www.tagesspiegel.de/politik/gegen-aufruf-im-ukraine-konflikt-osteuropa-experten-sehen-russland-als-aggressor/11105530.htmö.)
unterzeichneten Aufruf (verfasst von Horst Teltschik) zur
Wiederherstellung einer friedlichen Entente mit Russland folgte eine Woche später ein Gegenaufruf von 100
„deutschsprachigen OsteuropaexpertInnen zu einer realitätsbasierten
statt illusionsgeleiteten Russlandpolitik“ unter dem Titel
„Friedenssicherung statt Expansionsbelohhnung“
(https://www.change.org/p/the-interested-german-public-friedenssicherung-statt-expansionsbelohnung-aufruf-von-%C3%BCber-100-deutschsprachigen-osteuropaexpertinnen-zu-einer-realit%C3%A4tsbasierten-statt-illusionsgeleiteten-russlandpolitik.)
Der Aufruf wurde von
dem Osteuropa-Historiker Andreas Umland, derzeit tätig am Institute
for Euro-Atlantic Cooperation in Kiew redigiert. Er besteht aus
einem langen Sündenkatalog der machtpolitischen Verfehlungen
Russlands gegenüber den Nachbarländern. Die 100 „OsteuropaexpertInnen“
- unter den Unterzeichnern des auf Ausgleich mit Russland bedachten
Aufrufs befinden sich nicht minder namhafte „Osteuropa-Experten“,
nicht allein Persönlichkeiten wie Horst Teltschik – schließen
mit einem Appell, der die Deutschen in ihre historisch-moralische
Pflicht ruft: „Die
Ukrainische Sowjetrepublik verlor zwischen 1941 und 1944 mindestens
fünf Millionen Menschen. Über zwei Millionen Ukrainer wurden als
Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Etwa vier Millionen
ukrainische Rotarmisten nahmen an der Niederschlagung des Dritten
Reiches teil. Gerade wir Deutschen können nicht abermals die Augen
verschließen, wenn es um die Souveränität einer postsowjetischen
Republik, ja um das Überleben des ukrainischen Staates geht.“
Was
die Erinnerung an Leiden und Opfer der Ukrainer unter deutscher
Besatzung betrifft, so wäre es verfehlt, ja schändlich, an dem
Aufruf Anstoß zu nehmen. Problematisch ist indes die daraus abgeleitete
politische Pflicht für „uns Deutsche“, in dem Konflikt um den
Donbass (und die Krim) ohne Vorbehalt Partei zu ergreifen. Die
Opferzahl der Russen und anderer nichtrussischer Völker im II.
Weltkrieg lag in absoluten und relativen Zahlen noch höher. Derlei
Argumente bestätigen nur den oben erwähnten „subjektiven“
Faktor - Emotionalität - als konfliktverschärfendes Moment.
V.
Eine
einfache Lösung für den in Krieg ausgeuferten Konflikt zwischen
Moskau und Kiew soll hier nicht proponiert werden. Zu verweisen ist
auf den Aufsatz von Christian Wipperfürth in Globkult:
http://www.globkult.de/politik/welt/943-die-ukraine-der-westen-und-russland.
In der FAZ v.
31.01.2015 sagte die Russland-Expertin Hélène Carrère d´Encausse,
Generalsekreträrin der Académie Française:
„Europa
hat grundlegende Fehler gemacht und die Lage seit der [„orangen“]
Revolution sträflich verkannt. Es hat mit der Ukraine verhandelt,
nicht aber mit Russland. Die beiden Länder sind so eng verflochten,
dass man die Ukraine nicht vor die Alternative ´Russland oder
Europa´ stellen kann. Putin kann das unmöglich akzeptieren. Die
Nato und Amerika haben hier schon gar nichts zu suchen. Leider hat
sich die Europäische Union hinter den Vereinigten Staaten
verschanzt. Sie sollte unter der Führung von Frankreich und
Deutschand eine eigene Politik betreiben. Die Ukraine besteht aus
zwei ganz unterschiedlichen Teilen. Es geht um ihr Überleben, eine
Teilung wäre eine Tragödie. Die einzige Möglichkeit ist, dass die
Ukraine dem russischsprachigen Teil eine gewisse Autonomie gibt im
Rahmen eines föderalistischen Systems. Russland will sich
keineswegs die Ukraine einverleiben. Das hat Putin deutlich gesagt.“
Es
wäre die Kunst der Politik, herauszufinden, ob Putins
Worte ernst gemeint sind, und ihn dazu zu bewegen, den Worten
Taten folgen zu lassen. Mit ähnlichen Gedanken dürften
Merkel und Hollande nach Minsk geflogen sein...
Nachbemerkung: Der obige Text ist in Ergänzung zu meinem Blog-Eintrag vom 05.12.2014 "Friedensbekundung deutscher Refuseniks" (http://herbert-ammon.blogspot.de/.) zu lesen, der von einem Freund kritisch aufgenommen wurde. Vgl. auch die Überlegungen in "Danzig, Donezk, Dresden. Dazu das Positive zum Neuen Jahr 2015" vom 03.01.2015, http://herbert-ammon.blogspot.de/2015/01/fragen-das-abendland-charlie-und-den.html.
Nachbemerkung: Der obige Text ist in Ergänzung zu meinem Blog-Eintrag vom 05.12.2014 "Friedensbekundung deutscher Refuseniks" (http://herbert-ammon.blogspot.de/.) zu lesen, der von einem Freund kritisch aufgenommen wurde. Vgl. auch die Überlegungen in "Danzig, Donezk, Dresden. Dazu das Positive zum Neuen Jahr 2015" vom 03.01.2015, http://herbert-ammon.blogspot.de/2015/01/fragen-das-abendland-charlie-und-den.html.
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