Montag, 9. Februar 2015

Fukuyamas Weltsicht

I.
In der  im Café, Ziel des Sonntagsspaziergangs, verfügbaren  Welt am Sonntag (v. 08.02.2015) war ein Aufsatz des amerikanischen Politkwissenschaftlers Francis Fukuyama zu lesen. Er fragte in der Überschrift: "Warum steht es so schlecht um die Demokratie?".  Fukuyama,  heute an der Stanford University lehrend, hatte bereits vor dem Mauerfall im Sommer 1989 in Irving Kristols neokonservativer Zeitschrift The National Interest den welthistorischen Sieg des westlichen Liberalismus (= Kapitalismus plus liberale Demokratie) konstatiert und  -  in aktualisierter und trivialisierter Adaption Hegels - das "Ende der Geschichte" - verkündet: "What we may be witnessing is not just the end of the Cold War, or the passing of a particular period of post-war history, but the end of history as such: that is, the end point of mankind's ideological evolution and the universalization of Western liberal democracy as the final form of human government."

Der Aufsatz war vor dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking entstanden - eine blutige Intervention, die Fukuyamas weltgeschichtlichen Optimismus hinsichtlich der globalen Tendenz zu Demokratie, Marktwirtschaft und Frieden hätte dämpfen müssen. Immerhin bestätigte ihn der Zerfall des Sowjetimperiums -  welcher Zeitgenosse erinnert sich noch an Ronald Reagan und dessen Eliot-Zitat: "not with a bang but with a whimper"? - in seiner Weltsicht, so dass er anno 1992 das spektakuläre Buch "The End of History and the Last Man" vorlegen konnte.

II.
In dem in der WamS veröffentlichten Artikel hält Fukuyama an seiner Vision fest. Die Hauptursache für deren augenscheinliches Scheitern in der Realität - ob im blutig zerronnenen "arabischen Frühling", ob in Afghanistan, im Irak, in Singapur (!), in China,  in Russland oder in Indien -  sieht der Politikwissenschaftler in einem Strukturproblem: im bis dato misslungenen Übergang von patrimonialen Herrschaftsformen zu  einer modernen, demokratisch rechtsstaatlichen Ordnung: "Die Lektion der letzten 25 Jahre ist die, dass die Ordnung moderner Staaten nicht Schritt hält mit de Entstehung demokratischer Institutionen. Selbst in den entwickelten Demokratien hat der Staat nicht mithalten können mit den Bedürfnissen der Bürger nach qualitativ anspruchsvollem Regierungshandeln. Das hat die Demokratie als solche delegitimiert." 

Selbst den Krieg in der östlichen Ukraine fügt Fukuyama in sein dogmenfestes, ahistorisches Erklärungsmuster: "Auch die Ukraine sei hier genannt, wo es den Trägern der Orangen Revolution nicht gelang, die Korruption zu überwinden, und dem Lande eine qualitativ anspruchsvolle Regierungsführung zu geben. So sehe ich den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht als einen um Demokratie per se, sondern um den einer modernen gegen eine neopatrimoniale Ordnung."
Dass bei der "orangen Revolution" 2004, auf dem Majdan 2013/2014, bei der Annexion der Krim sowie im Krieg um den  Donbass neben der Korruption der Oligarchen ganz andere Faktoren  im Spiel waren und sind  -  macht- und geopolitische Wahrnehmungen, Interessen  und Projektionen, historische Erinnerungen sowie  kulturell-religiöse Emotionen -  kommt in Fukuyamas Weltsicht nicht vor.  Ebensowenig genügt das von Max Weber entlehnte, auf  Fukuyamas amerikanisches Selbstbild bezogene Begriffsinstrumentarium zur Analyse der vielfältigen, in der Tat  "undemokratischen" Zustände in den höchst unterschiedlichen Regionen der  "globalisierten"  Welt.

III.
Dass der Harvard-Historiker Samuel P. Huntington (1927-2008), anders als Fukuyama  ein amerikanischer liberal,  mit seinen "umstrittenen" Thesen vom "clash of civilizations" (1993/1998) womöglich näher an der historisch-politischen Realität gewesen sein könnte,  will bis heute keiner seiner liberalen Kritiker eingestehen, schon gar nicht  in Deutschland. Ohne offen dem als Neocon verdächtigen Fukuyama beizupflichten, hält man  - mit Ausnahme einiger gegen den "Neoliberalismus" opponierenden Alt-Linken  - entgegen aller Evidenz an der Vision einer  liberal-kapitalistisch befriedeten Welt  fest. Dass man zur Erreichung des Ziels sowie zur Gewinnung   "erweiterter Sicherheit" auf "robuste Einsätze", sprich militärische Mittel,  nicht verzichten kann, empfinden viele Verteidiger einer liberalen Weltordnung nicht als Widerspruch.


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