Welche Frage! Selbstverständlich sind wir - vorerst noch - alle "Charlie". Das Entsetzen, so real wie surreal, über das Blutbad in Paris mündet langsam wieder in den Politalltag, in dem das Entsetzen über die Szenen in Frankreich den Entrüstungen über "Pegida", über den Auftritt der "Pegida"-Repräsentantin in der Talkshow von Günther Jauch, sowie zuletzt - wieder umgekehrt - über das für vergangenen Montag, 19. Januar 2015, dekretierte umfassende Demonstrationsverbot in der Elbestadt Platz macht. Plötzlich sollen die Bürger, die guten ohnehin, von ihrem Demonstrationsrecht wieder Gebrauch machen dürfen. Mal sehen, was sich z.B. heute, Mittwochabend, 21.01.2015, in Leipzig abspielt, wenn "Legida" auf "Antifa" trifft...
Den Blogger bewegen andere Fragen, vorab die einfache Frage: Was darf man? Genauer: Was darf man noch dürfen? Um die Frage weiter zu präzisieren - und um die allfällige "Populismus"-Phrase abzuwehren: Welche Risiken geht der Blogger seitens jener reizbaren Gemüter ein, die "inzwischen" auch "zu uns" gehören (Merkel), gar "unsere Söhne und Töchter" sind (Th. de Maizière), wenn er, digital ungeschützt, unz(w)eitgemäße Betrachtungen über ein Thema anstellt, von dem man hierzulande lieber die Finger läßt: Wie hältst du´s, Mohammed, mit Deiner Religion? Gewiß, man darf - man soll - es auch mit grüner Soße übergießen. Selbst Tante Antifa bedient sich dieses Rezepts, um den globalen antiglobalistischen (früher: internationalen) Klassenkampf - und ihre spezifisch antideutschen Kampfgelüste - zu befeuern.
II.
Es geht zuvörderst um das Verhältnis der dem Propheten offenbarten Religion zur Gewalt, sodann um das Verhältnis von derlei Offenbarung zu aufklärerischer Vernunft, und zum Verhältnis von - wenngleich vielfach schismatisierter - geistiger Monokultur und westlichem Wertepluralismus. In den Augen der Gläubigen erscheint das mit "Werten" ausgestattete System des Liberalismus sowie der zugrundeliegende, zivilreligiös überhöhte Agnostizismus als Ausgeburt der Gottlosigkeit. Nicht umsonst sahen und sehen die Anhänger der islamischen Revolution im Iran - und nicht nur diese - in den USA den Großen Scheitan.
Es ist zu konstatieren, dass die sozioökonomische und/oder soziokulturelle Erklärung ("Auswuchs von Deprivation und Diskriminierung in den Ghettos/Banlieues") zur Erklärung des Djihadismus nicht ausreicht. In der FAZ (v. 20.01.2015) wurde "Das Guantánomo-Tagebuch" des seit 13 Jahren in Guantánamo gefangenen und gefolterten Mohammedou Ould Slahi vorgestellt. Für die Amerikaner ist Slahi ein Terrorist aus dem innersten Zirkel von Al Qaida - sein Vetter war theologischer Berater von Usama Bin Laden -, der die - ehedem als Studenten nach Hamburg "migrierten" - Piloten der Anschläge vom 11. September 2001 angeworben haben soll.
Auch für den FAZ-Autor Hannes Hintermeier scheint die Rolle des in Guantánomo unter furchtbaren Bedingungen Eingesperrten nicht eindeutig zu sein. Slahi unternahm in den 1990er Jahren zwei Reisen nach Afghanistan, um sich dort Al Qaida im Kampf gegen den Kommunismus anzuschließen. Zur Erinnerung: Nach dem prosowjetisch kommunistischen Militärputsch in Kabul (27.April 1978) unterstützten die USA von Anbeginn auch islamistische Aufständische wie den - zum Islamisten gewandelten - Ingenieur Gulbuddin Hekmatyar. Dieser fungierte 1993 - nach dem Sieg der Mudjaheddin über den "progressiven" Mohammed Nadjubullah (erhängt 1996) - vorübergehend als Ministerpräsident, anno 2001 bekannte er sich zu Al Qaida.
Der Autor Hintermeier skizziert die Persönlichkeit des aus Mauretanien stammenden (und mit Vorurteilen gegenüber schwarzen Afrikanern ausgestatteten) Slahi wie folgt: "Slahi spricht Arabisch, Französisch, Deutsch und mittlerweile Englisch [= die Sprache des ´Tagebuchs´]. Er ist hochintelligent und gläubig, den Koran kann er auswendig. Zwölf Jahre hat er in Deutschland mit seiner in der Zwischenzeit von ihm geschiedenen Frau gelebt, in Duisburg, wo er mit einem Stipendium der Carl-Duisberg-Gesellschaft Elektrotechnik und dann als Ingenieur in der Telekommunikationsbranche gearbeitet hat." Nach seinen Afghanistan-Reisen und einem kurzen Aufenthalt in Kanada kehrte er auf Wunsch seiner Mutter nach Mauretanien zurück. Auf der Heimreise wurde er im Februar 2000 zum ersten Mal von FBI-Agenten verhaftet, verhört und wieder freigelassen. Nach den Anschlägen auf die Twin Towers (9/11) wird er erneut verhaftet, zunächst als unschuldig eingestuft, sodann im November 2001 verschleppt....
III.
Die islamistischen Mörder der "Charlie Hebdo"-Redaktion sowie der aus Mali stammende Täter im jüdischen Supermarkt passen augenscheinlich hingegen in die vorherrschende "Milieu"-Theorie (Der Spiegel 4/2015: "Der Terror der Verlierer"). Insofern sich eine Al Qaida-Filiale im Jemen, dem Geburtsland Usama Bin Ladens, zur Urheberschaft des Pariser Attentats bekannt hat, ist damit indes nichts erklärt. Es bleibt als Faktum: Die islami(ist)ischen Attentäter zielten nicht auf Exponenten der radikalen Rechten Frankreichs, sondern auf eine Frontagentur der radikalen französischen Linken, id est der gottlosen Verächter ihrer Religion und ihres Propheten.
Vor diesem mit Begriffen wie Globalisierung, Migration, Pluralismus, Toleranz, Vielfalt usw. ausgestatteten Hintergrund ist ein Aufsatz "Der Islam und der Westen sind jetzt gemeinsam gefordert" zu lesen ( in: Cicero v. 16.01.2015; http://www.cicero.de/weltbuehne/der-islam-und-der-westen-sind-jetzt-gemeinsam-gefordert/58739.) zu lesen. Die Autorin Khola Maryam Hübsch ist die Tochter des Schriftstellers Hadayatullah (Paul-Gerhard) Hübsch (*1946 in Chemnitz, gest. 2011 in Frankfurt), eines Aktivisten der Frankfurter 68er-Bewegung , der zu einer (von zwei) Ahmadiya-Sekten (Ahmadiyya Muslim Jamaat) des schiitischen Islam konvertierte und als deren Pressesprecher in der Bundesrepublik fungierte.
Khola Maryam Hübsch, angetan mit keusch den Hals umschließendem Kopftuch, fordert zu einer innerislamischen Auseinandersetzung über die Frage der Gewalt auf. Exegeten von Sunna und Hadith hätten den Wesenskern der Botschaft verfälscht, der Prophet habe Blasphemie mit Nachsicht behandelt, nur in Ausnahmefällen seien Blasphemiker, die "zeitgleich auch Apostaten [waren], den damaligen Gesetzen entsprechend" bestraft worden. Gewaltsamkeit sei dem Islam wesensfremd: "Ein innerislamischer Disput, der dezidiert theologisch geführt wird und dem Islamismus fundiert den theologischen Nährboden entzieht, indem er aus den Quellen des Islam heraus argumentiert, ist von zentraler Bedeutung. Das zeigt bereits die Gewaltfrage: Auch dort muss sich das Verständnis durchsetzen, dass die Gewaltpassagen des Korans einen historischen Kriegskontext thematisieren und Gewaltanwendungen nur zur Verteidigung erlaubt werden."
IV.
Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Britisch-Indien geborene Ahmadiyyah-Richtung - der Name verweist auf die millenarische Figur des Mahdi - gilt innerhalb des weitgefächerten islamischen Spektrums als friedfertig und liberal. Im obigen Zitat klingt immerhin eine Rechtfertigung des bellum iustum an. Nicht zu übersehen ist, dass die Autorin in ihrem Artikel - entgegen ihrer Forderung nach einer kritischen Deutung der betreffenden Texte - keineswegs eine historisch-kritische Betrachtung und eine damit einhergehende Relativierung des Koran im Sinne hat. Die Offenbarung ihres Propheten ist nicht historisch hintergehbar. Eine Brücke zu "westlicher", von Bibelkritik und Aufklärung geprägter Theologie zu schlagen, scheint folglich selbst im Rahmen einer jüngeren, sich als liberal verstehenden islamischen Tradition kaum möglich.
Im anderen Teil ihres Artikels blättert die Autorin die politische Sündenliste des Westens seit Anbruch der kolonialen Expansion sowie dessen heutigen Umgang mit dem Orient auf: "Der politische Islamismus ist ein modernes Phänomen: Er ist entstanden als Reaktion auf Fremdherrschaft und Kolonialisierung. Er wurde von Demütigungserfahrungen begleitet, die bis heute anhalten und zu denen sich Perspektivlosigkeit und Frustration gesellen. Wenn völkerrechtswidrig interveniert wird, wenn Gebiete besetzt und Militärschläge gerechtfertigt werden, wenn blutige Diktaturen unterstützt werden und demokratische, säkulare Regierungen gestürzt werden, wenn Waffen an Drittstaaten geliefert werden und enge Bündnisse mit Ländern bestehen, die Dschihadisten finanzieren, darf der Westen die Augen vor seiner Mitschuld nicht verschließen. Der Westen war daran beteiligt, den sozialen und politischen Nährboden für einen Terrorismus zu legen, dessen geistiger Humus die islamistische Ideologie ist."
V.Im anderen Teil ihres Artikels blättert die Autorin die politische Sündenliste des Westens seit Anbruch der kolonialen Expansion sowie dessen heutigen Umgang mit dem Orient auf: "Der politische Islamismus ist ein modernes Phänomen: Er ist entstanden als Reaktion auf Fremdherrschaft und Kolonialisierung. Er wurde von Demütigungserfahrungen begleitet, die bis heute anhalten und zu denen sich Perspektivlosigkeit und Frustration gesellen. Wenn völkerrechtswidrig interveniert wird, wenn Gebiete besetzt und Militärschläge gerechtfertigt werden, wenn blutige Diktaturen unterstützt werden und demokratische, säkulare Regierungen gestürzt werden, wenn Waffen an Drittstaaten geliefert werden und enge Bündnisse mit Ländern bestehen, die Dschihadisten finanzieren, darf der Westen die Augen vor seiner Mitschuld nicht verschließen. Der Westen war daran beteiligt, den sozialen und politischen Nährboden für einen Terrorismus zu legen, dessen geistiger Humus die islamistische Ideologie ist."
Derlei Anklage könnte - mit leicht unterschiedlichen Akzenten - auch aus dem Mund einer "Linken" wie Katja Kipping, einer "Grünen" wie Claudia Roth, der CDU-Integrationsexpertin Maria Böhmer, von Irmgard Schwaetzer (Präses der Synode der EKD) oder der SPD-Generalsekretärin Fahimi stammen. Sie wären mutmaßlich allesamt geneigt, die Rede von "demokratischen, säkularen Regierungen [die von westlichen Mächten] gestürzt werden", für bare Münze zu nehmen. Dass "der Westen" mit seiner ehedem von europäischer Überlegenheit, heute von Widersprüchen, Unverständnis und unbedachtem, die jeweiligen Gewaltverhältnisse nur potenzierendem Interventionismus für das nahöstliche Chaos mitverantwortlich ist, mag dabei außer Frage stehen. All das ändert nichts an der beneidenswerten Naivität der zitierten Aussagen - der "richtige" Islam tue sowas nicht.
Lesenswert an dem Cicero-Beitrag sind die Leserzuschriften. Eine Leserin, mutmaßlich türkischer Herkunft, schreibt:
"Frau Hübsch, einen innerislamischen Dialog zu fordern, ist sehr sinnvoll. Doch leider steht Ihr Text hier überhaupt nicht im Einklang mit Ihrem Auftritt bei [der Talkshow] "Hart aber fair". Dort sagten sie so unsägliche Dinge wie: "Frankreich hat teilweise selber schuld an den terroristischen Akten, weil sich viele Muslime durch das Burka-Verbot nicht verstanden fühlten."
Sie schreiben, viele radikale Fehlinterpretationen stammten nicht aus dem Koran, sondern aus der Sunna und den Hadithen. Davon müsste sich der Islam befreien. Doch selber tragen Sie eine Art der Verschleierung, die sich ebenfalls nicht aus dem Koran ableiten lässt.
In der genannten Sendung war ebenfalls nichts von einer Forderung nach innerislamischen Dialog zu hören. Im Gegenteil, Sie forderten, die deutsche Gesellschaft solle ihre Werte überdenken, angesichts sexueller Freizügigkeit. Das Kopftuch versuchten sie tatsächlich in bester islamistischer Tradition als sexuellen Befreiungsakt der Frau darzustellen.
Frau Hübsch, Ihre Worte und Taten widersprechen sich und sind damit unglaubwürdig. Als Frau mit ursprünglich muslimischen [sic!] Hintergrund sage ich Ihnen, dass ich solche Diskussionen nicht brauche und ihrer müde bin. Ich bin angekommen in Deutschland und im 21.Jhd. und kann Ihnen nur raten, das Gleiche zu tun."