Dienstag, 30. Juli 2013

Walter Laqeur: Zweifel an Europa in der Welt von morgen



Die internationale Ausgabe von Spiegel-online vom 26.07.2013 (http://www.spiegel.de/international/europe/interview-with-historian-walter-lacqueur-on-the-decline-of-europe-a-912837.html ) präsentiert ein lesenswertes Interview von Romain Leick mit dem britisch-amerikanischen Historiker Walter Laqeur. Der 92jährige, 1921 in Breslau geboren und 1938 noch kurz vor dem Novemberpogrom nach Palästina emigriert, hat sein ehedem optimistisches Bild (“Out of the Ruins of Europe”, 1970) in seinen beiden zuletzt publizierten Büchern (“The Last Days of Europe”, 2007; “After the Fall: The End of the European Dream and the Decline of a Continent", 2012) angesichts der globalen und europäisch-regionalen Tendenzen seit 1989 revidiert.


Laqeur spricht – unter Bezug auf Schopenhauer und Oswald Spengler - vom unaufhaltsamen Niedergang des alten (und alternden) Europas. Das europäische Abendland, einst Zentrum der Welt, werde nicht in Feuer und Asche untergehen wie einst Pompeji, sondern an Auszehrung seiner politischen und kulturellen Ressourcen. Zwar werde EU-Europa, immerhin belastet von den schwachen Südländern, seine ökonomische Leistungskraft noch einige Zeit behaupten können, aber gerade die ausschließlich Fixierung auf Prosperität bewirke maßgeblich den historischen Niedergang.

Was nach Kulturpessimismus klingt, entspringt nüchterner “realpolitischer” - Betrachtung: Dem nationalstaatlich geprägten Europa fehle es, ungeachtet der EU-Verträge und -Institutionen, an einem einheitlichen politischen und militärischen Willen. Dieser sei indes in einem globalen Rahmen, in dem es nach wie vor um machtpolitische Realitäten und nicht um gute Absichten gehe, unverzichtbar. Auf den Enwand des Interviewers Leick, die EU könne als Protagonist von “soft power” zu einem weltpolitisch wirksamen Akteur werden, antwortet Laqeur wie folgt: “Freedom, human rights, social justice are all wonderful, and I don't want to minimize the achievements of European societies. But a role model? Europe is much too weak to play a civilizing or moral role in world politics. Nice speeches and well-intentioned admonitions carry little weight when made from a position of weakness. In fact, all they do is aggravate China and Russia. Such reproofs are presumptuous, insincere and, unfortunately, often ridiculous. Under the current circumstances, Europe would be well advised to keep a lower profile.”


Das pessimistische Bild steht in klarem Widerspruch zu dem von Vertretern der Elite gepflegten Selbstbewusstsein, etwa in der Festrede von Roland Berger anlässlich der Verleihung des Bayerischen Verdienstordens (“Europas Werte, Europas Wirtschaft”, in: FAZ v. 22.07.2013, S. 7). Laqeur zeigt sich entsetzt über die europäische Hilflosigkeit angesichts der heraufziehenden Stürme (“It's certainly horrifying to consider its helplessness in the face of the approaching storms”). Die Konflikte hätten sich nicht vermindert, sondern zugenommen, siehe Syrien und Ägypten.


Mit Zustimmung wird man  danach den Artikel des Sicherheitsexperten Lothar Rühl “Ratlos im Orient. Die westliche Politik hat keine klaren Perspektiven” in der heutigen FAZ zur Kenntnis nehmen. Das Resümee seiner Darstellung des nahöstlichen Krisenensembles steht am Anfang: “Nicht begriffen wurde [von den mit Orientpolitik befassten euro-atlantischen Akteuren] der Gesamtzusammenhang, der sich aus Faktoren wie der Geographie und der Wirtschaft ergibt, aus den Energiequellen und den Seewegen, auch mit der Einwanderung nach Europa und mit dem Aufeinandertreffen von Kulturen, die eine religiöse Basis haben.” Für derlei nüchterne Analyse ist hierzulande der grün-gutmeinende mainstream leider nicht empfänglich.

P.S. Ich darf die Leser des Blogs zur Ergänzung auf meinen Aufsatz in Globkult hinweisen:
http://www.globkult.de/politik/europa/849-betrachtungen-zur-realen-verfassung-der-eu

Donnerstag, 11. Juli 2013

Alternativlos: die EKD, die NSA, der ESM

Die Aufrufe  sacken in den letzten Tagen bedenklich ab, höchste  Zeit für den Blogger, dem Publikum weitere Einsicht in sein Innenleben zu gewähren.

1) Ein Wort über die Heilsanstalt EKD? Lohnt nicht. Auf spezifische Weise widerspiegelt das Erscheinungsbild des in die Schlagzeilen geratenen Chefs, des rheinischen Präses Nikolaus Schneider,  gewählt von  irgendeinem, dem Blogger in seiner Zusammensetzung nicht weiter bekannten  protestantischen Conclave, die geistig-geistliche Verfassung des sich fürs Lutherjahr 2017 rüstenden schrumpfenden Unternehmens: oberlehrerhaft, selbstgefällig,  frei von Anflügen kritischer Selbstbefragung. Der Präses repräsentiert die protestantische Grundhaltung: vermeintlich frei im Wort, anerkennt sie  keine Dogmen  außer die eigenen. Ihr Anspruch auf höhere Moral lässt Widerspruch nicht zu.

2) Empörung über die universal-digital ausgreifende Wissbegier unserer Freunde und Bündnisgenossen? Nein, der Blogger gehört zu der von Ulrich Siebgeber (siehe unter GlobKult) als "die Nüchternen" bezeichneten Spezies. Selbst wenn´s den mächtigen Freunden  nicht allein um die Abwehr des Bösen in Gestalt der Djihadisten/Islamisten/Salafisten/Fundamentalisten /Mullahs und/oder "Gotteskrieger" - ein von der demokratischen Zensurbehörde zu Darmstadt zum "Unwort" erklärter Terminus - geht, sondern um das Ausspähen von Betriebsgeheimnissen, i.e. primär um Wirtschaftsspionage, sodann um Politisches, sofern es dieses in dem von Freunden umringten  Deutschland noch gibt - ja, wen sollte das wundern? Kein Grund zur Erregung, denn: Wo Interessen, gar politische,  im Spiel sind, hört die Freundschaft auf. Das ist einfach zu verstehen, und nur so bleibt auch  die Freundschaft erhalten.

Das verstehen ohne Frage auch   demokratische Lichtgestalten wie Sabine Schnarrenberger-Leutheuser und Jürgen Trittin, wenn sie sich für den Wahlkampf  bürger- und freiheitsrechtlich aufplustern. Beide wissen  genau, dass zu Freundschaft und Bündnistreue der freundschaftliche Verzicht auf Datensicherheit gehört. Zum seit Jahrzehnten eingeübten Umgang unter Freunden gibt es keine Alternative. Zudem: Auf Souveränität zu pochen, liegt den beiden Sicherheitskämpfern mit Sicherheit fern.

Gänzlich unangebracht ist auch die entsetzte Anklage unseres Chefmoralisten Rolf Hochhuth (in der heutigen FAZ unter "Fremde Federn"). Sie geht in Richtung  Washington, London, mutmaßlich auch Paris, nicht nur fehl, sondern dient allenfalls als Ausweis der Neigung der Deutschen zum hochpolitisch Unpolitischen.

3) Inwieweit die Euro-Krise angesichts der Finanzlage sowie der Null-Wachstumsraten unserer Euro-Bruderländer bereits ausgestanden sein soll, ist für den Blogger eine drängende Frage. Sie kann von der deutschen Politik  indes erst nach den Septemberwahlen beantwortet werden.Vorher will man dem Wähler - pardon: der Wählerin und dem Wähler, also dem Wahlvolk - keine unnötigen Sorgen bereiten. Was danach kommt? Mutmaßlich eine Große Koalition, welche den Steuerzahlern (sc. der St.-in, dem St.) die dann notwendigen Schritte - inflationäre Schuldenpolitik als hyperkeynesianisches Schmiermittel der arretierten Ökonomien - plausibel macht. Dazu gibt es keine Alternative.

4) Ob die als "Alternative für Deutschland"  auftretende Neu-Partei um den Wirtschaftsprofessor Lucke ihre  Alternativen zur Geltung bringen kann, ist derzeit nicht zu beantworten. Die   - im Zweifelsfall stets  als  "rechtspopulistisch" zu klassifizierende - AfD  ist aus den Medien verschwunden. Was ist aus den ausbaufähigen 3 Prozent geworden, bei denen sie  vor ein paar Wochen  in den Umfragen - angeblich - stagnierte? Anders als die ehedem als "Alternative" aufgetretenen Grünen existiert die "Alternative" um Lucke anscheinend gar nicht mehr. Man sieht: Egal, ob´s ums Geld geht, ums e-mail-Geheimnis oder ums protestantisch definierte Familienheil: Alles ist alternativlos.

P.S. 30. Juli 2013: Die Frage nach dem Verbleiben  der Lucke-Partei hat eine Antwort erfahren In der letzten Allensbach-Umfrage lag Lucke und seine keinesegs namenlosen Mitstreiter von der Alternative für Deutschland (AfD) bei 3,5 Prozent. Gelingt es den neuen "Alternativen", außer verärgerten CDU- und FDP-Wählern  noch andere, insbesondere Nichtwähler zu mobilisieren, könnten die Wahlen im September noch eine Überraschung bringen.


Donnerstag, 4. Juli 2013

Richtige Prognose: Das Militär als Ordnungsmacht am Nil

Liebe Freunde von GABI,

ich verstehe mich nicht als Prophet, verfüge auch  nicht über hellseherische Gaben. Dennoch darf ich das verehrte Publikum daran erinnern, dass mir  in jenen Tagen, als im Februar 2011 der vermeintliche  "Arabische Frühling" auf  dem Tahrir-Platz  Einzug hielt,  angesichts der Szenen  aus Kairo bereits  das Finale der allseits medial bejubelten Facebook-Revolution vor Augen stand. Ich rechnete  am Ende mit "einer kosmetisch veränderten Militärdiktatur oder einer anderen Art gelenkter Demokratie"  in Kairo.

Ich bitte, den nachfolgend wiedergegebenen ("copy and paste") Kommentar aus der - mittlerweile zur zitationswürdigen (s. FAZ  v. 02.07.13  http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/karl-otmar-von-aretin-zum-90-ein-missverstaendnis-mit-dem-grafen-stauffenberg-12266009.html.) Wochenzeitung geadelten  "Junge Freiheit" nicht als Eigenlob misszuverstehen, sondern als als freundliche Einladung zur nochmaligen Lektüre.



Ägyptens Revolution
Wunschbilder
Herbert Ammon
Der Nachrichtensender France24 vermittelte über Stunden direkte Eindrücke vom Fortgang der Revolution auf dem Platz vor dem Ägyptischen Museum in Kairo. Die Szenen widerlegten eindrücklich die von unseren Auguren – vorgestern sahen sie in Mubarak noch den Garanten nahöstlicher Stabilität, gestern entdeckten sie in ihm den orientalischen Despoten – beschworene Hoffnung auf eine von „westlichen Werten“ samt Facebook  getragene friedliche Transformation. Hin und her flutende Massen, Anti- und Pro-Mubarak,  Molotowcocktails, Schüsse (immerhin noch in die Luft), dazwischen Panzer. Fazit: Das die FAZ zierende Foto friedlicher Eintracht eines kreuzbehängten Kopten und eines bärtigen Moslembruders – ein frommes Wunschbild.

Wunschbilder produzierte auch die Plasberg-Show. Von den multikultural-pluraldemokratisch geladenen Gästen sprach die Ägypterin von „unserem 1989“, der Chef des Moslem-Zentralrats – ein FDP-Mitglied – stellte die türkische Demokratie als Ziel vor Augen, eine Professorin wußte, daß alles gut ausgehen werde, und der erfahrene Moralist Michel Friedman beschwor Demokratie und Grundwerte mit guten Ermahnungen an die Moslembrüder. Zeit zum Umschalten zu France24, wo der Reporter vor Ort die Bewegungen der Massen verfolgte und ein Journalist aus Algier sowie ein Wissenschaftler aus Paris die Vorgänge sachkundig kommentierten. Angesichts einer völlig offenen Lage – keineswegs gänzlich identisch in Kairo, in Tunis, in Algier oder in Amman – verzichteten sie auf leicht dahingesagte Prognosen.

Über den Ausgang der Massenerhebungen darf auch nach Mubaraks Abtritt weiter spekuliert werden, ungeachtet aller Ermahnungen Merkels (zuletzt gar an Israel), Sarkozys und der unbekannten EU-Außenbeauftragten. Ob sich in Tunis nun die taz-gemäße Demokratie etabliert, in Kairo eine kosmetisch veränderte Militärdiktatur herauskommt oder eine andere Art gelenkter Demokratie, ob die „Massen“ eine Öffnung des Gaza-Streifens erzwingen werden, was Israels Intervention zur Folge hätte – wir wissen es nicht. Am aufschlußreichsten inmitten aller Erregung waren die Grafiken in der FAZ. Der Anteil der jungen Bevölkerung unter 25 Jahren beträgt in Ägypten 52,3 Prozent, in Marokko 47,7 Prozent, – und in Deutschland: 24,8 Prozent.

Montag, 1. Juli 2013

Das Erkenntnisproblem der Intellektuellen

Das Erkenntnisproblem: Sehen, nicht was man sieht, sondern was man sehen will

Dass Intellektuelle - diejenigen, die sich für schlauer halten als die verachteten Normalbürger - anfällig für Ideologien sind und entsprechend blind für die Realitäten, gehört zu den bitter-ironischen Erkenntnissen -nicht allein, aber exemplarisch -  des 20. Jahrhunderts.

Beispiele für die Kritiklosigkeit, für Naivität, Blindheit und/oder Verblendung  "kritischer", meist "linker" Intellektueller gab es im letzten Jahrhundert genug. In den 1920er Jahren, sodann während des ersten Fünfjahresplans reisten  die Protagonisten der westlichen Intelligenzija voller Bewunderung durch die Sowjetunion. Die an sich reformerisch-sozialistisch gesinnten Fabians Sydney und Beatrice Webb fanden Gefallen am großen sowjetischen Experiment. Lion Feuchtwanger fand an Stalins Schauprozessen nichts auszusetzen.

Die Geschichte der mit  glänzenden Augen reisenden Revolutionstouristen  wiederholte sich in Castros Cuba - wo´s zugegeben nicht gar so schlimm war  - und erneut während des Großen Aufbruchs von 1968, als die Jüngeren, von der Sowjetunion Enttäuschten sich für Mao, die Kulturrevolution und die Volkskommunen begeisterten (obgleich ein paar Jahre zuvor der "Große Sprung nach vorn"  in eine furchtbare Katastrophe gemündet war). Einer von ihnen war Jan Myrdal, der nur Gutes, geradezu Wundersames aus der Kommune "Roter Oktober" (?) zu berichten wusste ("Bericht aus einem chinesischen Dorf", 1963).

Ein paar Jahre später fand der Sohn des schwedischen Soziologen-Ökonomen-Paares Alva und Gunnar Myrdal  an der mörderischen Rückkehr zum Urkommunismus im Lande der Roten Khmer nichts, was sein Entsetzen hätte auslösen müssen. Ähnlich sahen über Jahre hin, als der Schrecken längst offenkundig war,  Adepten des Maoismus in der Bundesrepublik keinen Grund zum Zweifel an  der im Dschungel von Kampuchea vom "Bruder Nr. 1" Pol Pot und dessen Genossen verwirklichten kommunistischen Utopie. Als Joscha Schmierer, seinerzeit Chef des  KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) durchs Land der Roten Khmer reiste, sah er auch nur, "was er sah".

Solches schreibt Schmierer in seiner (in der heutigen FAZ v. 01.07.2013, S. 28) ) abgedruckten Besprechung zweier Bücher über das 1979 von den kommunistischen Vietnamesen beendete Schreckensregime. Das eine Buch stammt von einem überlebenden, heute in Paris lebenden Kambodschaner, das andere von einem schwedischen Autor,  zu dessen Kindheitserinnungen die Begeisterung seiner Eltern am Tage der Einnahme Phnom Penhs (17.04.1975) durch die Roten Khmer gehört.

Grundlegend Neues ist aus der Rezension nicht zu erfahren. Schmierer schreibt: "´Ich sah, was ich sah´, aber warum beunruhigte den Rezensenten [J. Schm.]  dieser Bücher nicht, was er alles nicht sah, was sich dem Augenschein entzog? Wie die schwedischen Freunde besuchte ich als Leiter einer Delegation des Kommunistischen Bundes Westdeutschland Ende 1978, also kurz vor der vietnamesischen Invasion, das Demokratische Kampuchea. Enthusiastisch waren unsere Berichte nicht. Aber wir hatten auch nur  Fortschritte gesehen.""

Niemand verlangt von dem einstigen Protagonisten des ideologischen Wahns  ein  reuevolles Sündenbekenntnis. Gleichwohl: Eine Reflexion über die damalige (?) Anfälligkeit für hermetisch- ideologisches Bewusstsein und allgemein über die Verführbarkeit des vermeintlich kritischen Geistes wäre zu erwarten gewesen. Stattdessen begnügt sich Schmierer mit dem zitierten Satz: "Ich sah, was ich sah". Da macht er sich´s schlicht zu einfach.

Gewiss, heute, anno 2013, im Blick auf die Welt ringsum, sind wir alle, dank der Segnungen des Internet, und aufgeklärt durch you-tube, Google und Facebook,  immun gegenüber Fehlwahrnehmungen und Verführungen des Geistes.