Donnerstag, 28. April 2022

Anmerkungen zu unseren deutschen Sternchen-*Kriegern

Für die Leser (sc. w/m/d) meines Blogs stelle ich hier noch einmal meinen Globkult-Beitrag zur Kriegs- und Siegesbereitschaft unserer deutsch-postnationalen Sternchen-*Krieger (w/m/d) vor:

 

Ulrich Schödlbauer https://globkult.de/gesellschaft/projektionen/2193-wir-sternchenkriegerhat sich in unserem politisch-medialen Sternchen*-Kosmos umgeschaut und die die so gänzlich unerwartete Liebe der Post-Deutschen und/oder postnationalen Deutschen zum Planeten Mars, genauer: zu Theorie und Praxis des Kriegsgottes Mars entdeckt. Der Krieg, was die Deutschen seit Clausewitz eigentlich wissen sollten, aber nach der wundersam göttlichen Fügung bei Sedan siegesgewiss nicht mehr wissen wollten, ist eine Affäre, deren Ausgang stets ungewiss ist. Vor dem dritten Punischen Krieg warnte einst der arme B.B., jetzt auch U.Sch. Soll man, muss man wirklich so pessimistisch sein?

Anno 2022 sind wir, die Zivilgesellschaft, vom Kriegstrauma befreit, Defätismus – wer erinnert sich hierzulande noch an die Parole ›Lieber rot als tot!‹? – ist politisch passé. Deutsche Klimaretter*(innen), Politiker(*innen) und Pastor(*innen), auferstanden aus dem wohlstandsseligen Schlaf der Nachkriegsgeschichte, gewappnet mit republikanischer Tugend und demokratischen Werten (Dulce et decorum est pro humanitate morire, nec patria) sowie noch besserer Moral, fordern die totale Mobilmachung gegen Putin. Wenn derzeit schon keine direkte Nato-Intervention (mit kriegsuntauglichen deutschen Truppen) in der Ukraine strategisch und vertraglich möglich erscheint, so wenigstens die Lieferung von schwerem Gerät aus deutscher Produktion.

Der Grüne Anton Hofreiter, von Haus aus Biologe, erklärt auf Facebook seinen ›Standpunkt, der viele überrascht hat‹, i.e. die Ukraine mit deutschen Panzern zu unterstützen, wie folgt:

"Wenn Russland mit dem Eroberungskrieg davon kommt, ist das ein Signal in die ganze Welt: Eroberungskriege sind erfolgreich führbar. Das führt zu einer Militarisierung global. Es gibt in vielen Regionen der Welt Grenzen, die in Vergangenheit hin und her geschoben wurden und auch Nationalisten, die imperiale Pläne haben. Wenn klar ist, dass Putin mit solchen Plänen durchkommt, so ist dies ein Präzendenzfall (sic!) weltweit, dem viele Länder mit krasser Aufrüstung begegnen werden und auch mit einem Run auf Atombomben. Es wäre ein Rückfall in eine Welt, in der nicht internationales Recht gilt, sondern das Recht des Stärkeren. Und das in einer Zeit, in der wir wegen der Klimakrise dringend weltweit vertrauensvoll zusammenarbeiten müssen."

Wer könnte sich derlei historisch, politologisch, ökologisch und sprachlich fundierter Argumentation verschließen!? Immerhin ist der erste Satz nicht falsch, da kommt es auf den Rest nicht mehr so an. Hofreiter, vom linken Grünen-Flügel trifft zudem den richtigen Ton hinsichtlich der Grünen Jugend. Sie wird fortan deutsche Panzer nicht mehr so krass rassistisch, sexistisch und/oder nationalistisch finden.

Doch es gibt – außerhalb der mit Sex-Skandalen belasteten ›Linke‹-Partei – noch gewichtige Kritiker der allgemeinen Mobilmachung. Einer von ihnen ist der Soziologe und Publizist Harald Welzer (m). Im Wochenmagazin Stern kritisiert er Kollegen (*innen) an der Medienfront dafür, dass sie irreführende Assoziationen und Emotionen beförderten. Namentlich missfallen ihm die falschen Bilder vom richtigen Krieg: Hier die mit Rollkoffern flüchtenden Frauen und Kinder, dort die mit Waffen kämpfenden Männer. Da wird der Soziologe Welzer kämpferisch: ›Moment mal, was sind denn das für Rollenbilder, die hier gefeiert werden? Ist gerade 1914?‹ Und neuerdings spreche Selenskyj – er hat die Mobilisierung aller Männer zwischen 18 und 60 Jahren befohlen – gar vom Volkskrieg, das sei 19. Jahrhundert pur. Der Sternchen*-Soziologe beim Stern irrt sich: Vom ›Volkskrieg‹ träumten nicht wenige 68er noch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Auch eine Erinnerung an 1914 ist durchaus ratsam, sofern Putins Krieg sich womöglich nicht auf die Eroberung des Donbass begrenzen lässt, was viele Pessimisten, vor allem im Baltikum und in Polen, befürchten.

Im Ukraine-Krieg geht es hierzulande zuvörderst um die richtige Gesinnung, nicht um das Elend des Krieges. Mathias Brodkorb, einst SPD-Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern, hat dies als gebürtiger ›Ostdeutscher‹ offenbar noch nicht hinreichend verstanden, wenn er die Geistesergießung des Stern-Soziologen wie folgt kommentiert: Das ist natürlich absolut zutreffend.Wenn schon Krieg, dann bitte gendergerecht. Was für eine intellektuelle und moralische Wohlstandsverwahrlosung, meine Güte! Brodkorbs Kommentar stieß bei einigen auf Unverständnis. Kein Zufall: Ironie ist in Kriegszeiten fehl am Platze.

War und ist Putins Krieg historisch zwangsläufig? Gab es nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums je Chancen für den Bau eines dauerhaft friedlichen Hauses Europa? Derlei Fragen zu stellen, ist derzeit inopportun. Für die meisten geht es seit dem 24. Februar 2022 – nach all den Versäumnissen von 2014 – um Grundsätzliches: um die Verteidigung der Demokratie und der westlichen Werte gegen den – in diesem Falle unzweifelhaften – Aggressor Putin sowie gegen die seit Iwan Grosny (›dem Schrecklichen‹) verwurzelte, historisch unaufhebbare Moskowiter Autokratie/Despotie.

Für uns Zeitgenossen begrifflich leichter verständlich erklärt der Yale-Historiker Timothy Snyder Putin zum lupenreinen Faschisten. Damit verfügen wir medialen Kriegsteilnehmer über ein moralisch einwandfreies Feindbild. Überdies stehen auf unserer Seite die Kämpfer der Asow-Brigade, ungeachtet fragwürdiger Insignien und Tattoos seit 2014 demokratisch resozialisiert oder durch Personalwechsel politisch geläutert. Putin sieht das nicht so. Für ihn sind alle Ukrainer Faschisten und/oder Nazis. Offenbar hat er während seiner Bildungsjahre als KGB-Agent in der DDR nicht mitbekommen, dass auch im Westen ›Faschismus‹ längst als Kampfbegriff dient.

Gewisse Zweifel an der demokratischen Tugendhaftigkeit der überfallenen Ukraine äußert in seinem Blog der frühere Welt-Redakteur Thomas Schmid (https://schmid.welt.de/2022/04/24/wie-demokratisch-ist-die-ukraine/). Bei aller Sympathie für Selenskyi und die Ukraine sei nicht zu übersehen, dass das Land ›nach wie vor eine sehr unvollkommene Demokratie‹ sei, institutionell weniger gefestigt als die anderen Staaten im östlichen Europa, die nach dem Ersten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit erlangten. Unter Bezug auf den Historiker Andreas Kappeler nennt Schmid als Hauptgrund für das damalige Misslingen der angestrebten Staatlichkeit – im Kontext des russischen Bürgerkriegs 1918-1922 und des polnisch-russischen Kriegs 1919/20) – das Fehlen eines ethnisch geschlossene Kerngebiets. Heute hingegen schaffe der Krieg gegen Putin – in logischem Widerspruch zu vorstehendem Satz – die nunmehr multiethnische Grundlage sowie den Rahmen für die späte Staats- und Nationbildung der Ukraine. Dass dieser Prozess angesichts fortdauernder Korruption und ukrainischem Sprachnationalismus noch unvollkommen und widerspruchsvoll sei, vermerkt auch Schmid. Mehr noch: Der angestrebte Weg in den Westen, in die EU – und in die Nato? – werde nicht so leicht und so glatt verlaufen, wie es sich die Ukraine unter Selenskyi und ihre Unterstützer hierzulande vorstellten.

Nichtsdestoweniger mündet der Aufsatz in ein Lob des ukrainischen Freiheitswillens gegen die russisch-imperiale Autokratie. In geradezu euphorischem Ton spricht Schmid davon, dass ja gerade das zweite ukrainische Wunder geschieht: Im Kampf gegen den Aggressor wird die Ukraine wie nie zuvor zu einer geeinten Nation. Zu einer Nation, die nicht Ethnisches oder die Geschichte verbindet, sondern der heutige Wille, frei zu sein. Der Relativsatz schließt Zweifel aus.

Es ist anzunehmen, dass auch Thomas Schmid die grüne Forderung nach schweren Waffen für die Ukraine unterstützt. Ob er auf Sieg der Ukraine oder auf einen für die Ukraine schmerzlichen Putin-Frieden – Verlust des Donbass, der Schwarzmeerküste und der Krim – setzt, lässt er offen. Inwieweit er zu den Sterne*-Kriegern zählt, die im postheroischen Deutschland den neuen, jetzt demokratischen Kriegsgeist befeuern, ist eine Frage der Interpretation.

 

 


Freitag, 15. April 2022

Zu Anne Spiegels Absturz: Ideologie und Praxis

Das grüne Conclave hat im Handumdrehen eine mir und dem Wahlvolk bislang unbekannte - wiederum "linke" - Nachfolgerin für die über eine Politlüge gestolperte Anne Spiegel im Bundesministerium für Familie, Frauen etc. bestimmt. Nachfolgender  Kommentar zum späten, unvermeidbar gewordenen Rücktritt der Grünen-Politikerin Spiegel ist dadurch noch nicht obsolet geworden.

Die Grünen umgibt noch immer der medial verstärkte Rumor, bei ihnen gehe es menschlicher, da weiblicher, und im Umgang miteinander freundlicher zu als in anderen Parteien. Deren innerparteiliche Rivalitäten sind in der Regel weniger von Flügelkämpfen als von persönlichen Machtkämpfen bestimmt, die von Fall zu Fall – beispielsweise Söder gegen Seehofer oder Merkel vs. Merz - den Kalauer: Feind-Todfeind-Parteifreund bestätigen.

Bei den Grünen gab es nur in den stürmischen Anfängen gnadenlose Grabenkämpfe zwischen „Fundis“ und „Realos“. Doch längst hat sich das Bild geändert. Es gibt in der Öko- und Feminismus-Partei zwar noch Flügel – staatstragende Gemäßigte und staatstragende „Linke“ -, aber deren Exponenten und -innen (mit Genderstern) pflegen em Augenschein nach ein insgesamt freundschaftliches, ja geradezu liebevolles Verhältnis zu einander. Inwieweit diese Art des Umgangs, der in der medialen Öffentlichkeit bei Parteitagen u. dergl. wirksam zur Schau gestellt wird, auch im engeren parteilichen Umfeld gilt, wo es um die Besetzung von Posten, um die Befestigung von Freundschaften/Seilschaften sowie um die Herstellung von Mehrheiten geht, bleibt der interessierten Öffentlichkeit meist verborgen.

Der Rücktritt Anne Spiegels vom Amt der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – nach Aufdeckung und spätem Eingeständnis von wiederholtem Fehlverhalten als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz während der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 – mag im Sinne der parlamentarischen Demokratie folgerichtig erscheinen. Bei genauerem Hinsehen fiel die Entscheidung indes nicht im Kabinett von Bundeskanzler Scholz. Sie fiel in der Parteispitze der Grünen, wo Baerbock und Habeck, die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omir Nouripour sowie deren Stellvertreter (w/m), den – von Spiegel zunächst mit der Bitte „um eine zweite Chance“ abgelehnten – Amtsverzicht beschlossen. Das Votum 0:6 fiel für Spiegel bitter aus.

Auf den erzwungenen Abschied aus dem Amt folgten die üblichen lobenden Nachrufe aus dem Munde Baerbocks, Omidpours und Langs, eben jener Parteifreunde (w/m), die sie soeben zum Abschied aus dem Ministeramt genötigt hatten. Ein klassisch grünes Lob kam von der Berliner Grünen-Bürgermeisterin Bettina Jarasch: „Sie hat ihr Amt als Ministerin mit einer feministischen und progressiven Geradlinigkeit angetreten, die diesem Land weiter gutgetan hätte.“

Mutmaßlich bedeutet der Rücktritt als Bundesministerin für Spiegel noch nicht das Ende ihrer Karriere als Politikerin. Zum politischen Spiel im Parteienstaat gehört nach einer Anstandspause das politische Comeback. Im Zweifelsfall versieht man die Ex-Ministerin mit einer gutdotierten Position in der Heinrich-Böll-Stiftung oder in einer der sonstigen, den Grünen verwandten Stiftungen und/oder NGOs.

Ich gestehe, überhaupt erst nach dem wegen eines ähnliche Urlaubsverhaltens erwirkten Rücktritt der NRW-Umweltministerin Heinen-Esser (CDU) mit einem derartigen Fortgang im „Fall Spiegel“ gerechnet zu haben. Im übrigen liegt mir fern, mich über Spiegels unter Tränen vorgetragenen Versuche, ihre Fehler mit übermäßigen familiären Belastungen zu entschuldigen, zu mokieren. Häme gehört ins politische Hinterzimmer. Peinlich war nur die Falschbehauptung über die angebliche Konferenzteilnahme per Video.

In Wirklichkeit war die Grünen-Politikerin Spiegel bereits in dem Augenblick untragbar, als sie ihr Fehlverhalten – ein Bierchen zur Entspannung statt Verantwortung im Amt angesichts einer hereinbrechenden Katastrophe – mit grün-deutschem Politkauderwelsch zudeckte. Da ging´s in einer message an ihre Untergebenen zur Abwehr des erwarteten „blame-gaming“um das richtige „wording“ sowie zum Schluss - bezüglich des Management der politisch misslichen Lage um „Hauptsache Gendern“. Es ist billige Ideologie, die hinter dem Anspruch auf moralisch überlegene grüne Praxis zum Vorschein kommt. Ob das persönliche politische Versagen an jenem Unglückstag allein aus derlei penetranter Ideologie zu erklären ist, sei dahingestellt. Jedenfalls war es damit korreliert und hätte allein für einen Rücktritt genügt. Es bedurfte aber erst der Widerlegung einer Falschbehauptung (Lüge) in ihrer Urlaubsgeschichte, um die Familienministerin aus dem Amt zu befördern.








Samstag, 9. April 2022

Gedenken in der Gegenwart eines Krieges

Heute ist der Gedenktag für Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945 am Galgen im KZ Flossenbürg starb. Sofern ein Gedenken an den Märtyrer-Theologen, der  mit seinem Widerstand gegen das Nazi-Regime die patriotische Hoffnung - ein hierzulande über Jahrzehnte hin weithin ausgeblendetes Motiv - auf eine Selbstbefreiung Deutschlands verband, in diesen Tagen stattfindet, wird es überschattet von den Schrecken des über die Ukraine hereingebrochenen Krieges.

Im Hinblick auf die Realität eines Krieges, wie man ihn - nie ganz widerspruchsfrei - im pazifistisch grundierten, "linken" Nachkriegsprotestantismus als sündhaften Verstoß gegen das Friedensgebot begriff, stellen sich erneut grundsätzliche Fragen politischer Ethik. Bereits stets haftete den Friedensbekenntnissen von Protagonisten des Protestantismus - aber auch von linkskatholischen Aktivisten wie Pax Christi - eine gewisse Ambivalenz an, insofern sie - maßgeblich im Kontext der lateinamerikanischen Befreiungstheologie mit der Rechtfertigung von befreiender Gewalt aus unterdrückerischer struktureller Gewalt einherging. Weltweit, gerade auch im geteilten Deutschland, diente die Explikation der - in einem anderen historischen Kontext verfassten - Schriften Bonhoeffers zur Legitimation eigener politischer Positionen. In der DDR reklamierten Theologen wie Hanfried Müller Bonhoeffer für das DDR-Regime, andere wie der Bonhoeffer-Schüler Albrecht Schönherr für die friedenspolitsche Hinnahme des Status quo im Zeichen der "Kirche im Sozialismus". Auf der anderen Seite ermutigte das Vermächtnis des Widerstandskämpfers Bonhoeffer Regimegegner wie Ludwig Mehlhorn zur kompromisslosen Opposition gegen die SED-Diktatur sowe gegen die sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa.

Inwieweit in der gegenwärtigen Situation des von Putin eröffneten Krieges die theologischen Aussagen Bonhoeffers, sein Kampf gegen "die Maskerade des Bösen",  für politische Entscheidungen - für die mit Waffen unterstützte Parteinahme der Bundesregierung für die Ukraine - im kirchlichen Raum in die Debatte eingebracht werden, steht noch offen. Immerhin erleben wir dieser Tage in Deutschland eine unerwartete, emotionale Bejahung eines offenbar "gerechten" Krieges gegen den (unzweifelhaften) Aggressor Putin. Unbeirrrt pazifistisch klingende, der politischen Realität - und den verantwortungsethischen Dilemmata von Realpolitik entrückte  - Stimmen wie die der früheren Bischöfin Margot Käßmann sind derzeit die Ausnahme.

Können wir im Werk von Dietrich Bonhoeffer, dem vor 77 Jahren ermordeten Widerstandskämpfer,  überzeugende, politisch praktikable Direktiven für friedensethisches Handeln in der Gegenwart finden?  Diese Frage ist beispielsweise an den früheren Ratsvorsitzende der EKD Wolfgang Huber zu richten, der anno 2019, drei Jahre vor der "Zeitenwende" am 24. Februar 2022,  ein Porträt des Märtyrer-Theologen verfasst hat, das geistig-geistliche Wegweisung für das 21. Jahrhundert vermitteln soll. 

Vor dem Hintergrund der von Huber nur indirekt angesprochenen, zunehmenden Indifferenz gegenüber der christlichen Glaubenstradition  und der kriegspolitisch - sprich: dezisionistisch - zugespitzten Gegenwart verweise ich auf meine Globkult-Rezension (https://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/2139-wolfgang-huber-dietrich-bonhoeffer-auf-dem-weg-zur-freiheit-ein-portraet) des Buches, die jetzt auch auf Tabula Rasa Magazin  erschienen ist: https://www.tabularasamagazin.de/wolfgang-huber-portraetiert-den-maertyrer-bonhoeffer-fuer-die-gegenwart/

Dienstag, 5. April 2022

Assoziativ Kritisches zu einem Kriegskommentar

In einem Interview in der Neuen Zürcher Zeitung hat der Osteuropa-Historiker und Gewaltforscher Jörg Baberowski sein Befremden darüber geäußert, wie schnell angesichts des Krieges in der Ukraine in der friedensgewohnten, von einer pazifistischen Grundströmung getragenen deutschen Gesellschaft ein Umschwung zu bellizistischen Sentiments erfolgt sei. "Ich habe mich gewundert, wie leichtfertig ausgerechnet in Deutschland über den Krieg gesprochen wird. Gestern noch wurde der Krieg verdammt und der Pazifismus beschworen, und heute schon ist von tapferen Helden, ruhmreichen Abwehrschlachten und vom nationalen Stolz der Verteidiger die Rede. Vor Wochen noch wären Bekenntnisse dieser Art mit Verachtung gestraft worden. Ich frage mich jedoch, ob die Feldherren, die im Lehnstuhl sitzen und kluge Ratschläge erteilen, eigentlich wissen, was eine Flugverbotszone ist und wie man sie sichert, was man sich unter einem Häuserkampf in einer zerstörten Stadt vorstellen muss und was die Entfachung der Leidenschaften bewirkt."  (https://www.nzz.ch/feuilleton/joerg-baberowski-aus-dieser-schwaeche-wachsen-die-unermesslichen-greuel-des-krieges-ld.1677580?)

Gegen diese Kritik an unbedachter, emotional gesteuerter Parteinahme erhob der Hannah-Arendt-Experte (und Globkult-Autor) Boris Blaha den Vorwurf, Baberowski bevorzuge -  auf Kosten einer "politischen Perspektive" -  eine distanzierte, " klassische akademische Perspektive". Eine solche akademische Perspektive werde im Hinblick auf den eklatierten Krieg der politischen Realität nicht gerecht: "Die Frage, was für uns auf dem Spiel steht" - eine das "Politische" umschreibendes Diktum Hannah Arendts - werde und könne im Rahmen dieser Perspektive nicht gestellt werden.

Blahas Facebook-Kommentar zu vermeintlich unstatthafter akademischen Zurückhaltung inspirierte mich zu einer in "ein paar kritische,  assoziative Gedanken" gefassten Replik. Die nachfolgenden, ad hoc formulierten Überlegungen zielen als Denkanstoß auch auf all jene, die eine umfassende, eben auch militärische Unterstützung der Ukraine fordern, um den russischen Aggressor in die Knie zu zwingen.

Baberowski spricht über die Spirale von mörderischer Gewalt, die aus dem Fehlschlag der von Putin als rapide und risikolos geplanten Invasion resultiere. Seine Perspektive auf den Krieg ist durchaus nicht teilnahmslos. Wer nicht selbst in den Krieg hineingerissen ist und den eigenen Tod ins Auge fassen muss, bezieht keineswegs eine emotionslose, akademische Perspektive. 

Er denkt über die Ursache(n), die grauenvollen Fakten, den möglichen Ausgang und - sofern sich nicht totaler Sieg oder völlige Niederlage der einen oder anderen Seite abzeichnet - über den daraus resultierenden, in der Regel faulen Frieden nach. Der Krieg ist - frei nach Clausewitz - meist, nicht immer, ein Spiel mit ungewissem Ausgang. Das Ergebnis birgt sodann den Keim zu fortgesetzter Feindschaft und zu neuem Konflikt. Ausnahmen: die Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts, der Wiener Kongreß, 1945.

Was steht "für uns"  auf dem Spiel? Vorab: Wer sind "wir"? Wir, die wohlstandsgewohnten Mittelklässler, unsere von russischem Gas abhängige Industrie sowie alle "die hier Lebenden"? Die Ampel-Regierung? Die friedensbewegten, postnationalen Deutschen, die ihre eigene politische Position in Europa nicht mehr bestimmen wollen oder können? Wer sind "wir", wer sind "die"? Wer ist der Feind? Der Verfassungsschutz hat Carl Schmitt verboten, also gibt es für uns - außer den in Putinisten und Asowisten gespaltenen, interbrigadistisch engagierten Neonazis - keinen Feind mehr.

Was also steht für uns auf dem Spiel? Da die Bundeswehr auf absehbare Zeit kriegsuntauglich ist, sind "wir" der Frage enthoben. Wir dürfen aber für die Ukraine spenden, wir dürfen uns mit Steinmeier schämen, uns als Kirchensteuerzahler (sc. K-ende) mit den Protestanten (sc. P-innen) schuldig fühlen, uns über die Bilder entsetzen und wider alle Hoffnung hoffen, dass das Spiel möglichst bald zu Ende geht.

Schon jetzt, nicht erst, wenn die Schrecken des Krieges in der Ukraine versiegen, findet ein politisches Spiel statt,  auf das "wir" - die selbst als Wahlvolk nur als Zuschauer am Spiel Beteiligten - leider keinen Einfluss haben. Wir dürfen aber auf unsere gründeutschen Eliten vertrauen, dass sie wissen, was auf dem Spiel steht.