Heute ist der Gedenktag für Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945 am Galgen im KZ Flossenbürg starb. Sofern ein Gedenken an den Märtyrer-Theologen, der mit seinem Widerstand gegen das Nazi-Regime die patriotische Hoffnung - ein hierzulande über Jahrzehnte hin weithin ausgeblendetes Motiv - auf eine Selbstbefreiung Deutschlands verband, in diesen Tagen stattfindet, wird es überschattet von den Schrecken des über die Ukraine hereingebrochenen Krieges.
Im Hinblick auf die Realität eines Krieges, wie man ihn - nie ganz widerspruchsfrei - im pazifistisch grundierten, "linken" Nachkriegsprotestantismus als sündhaften Verstoß gegen das Friedensgebot begriff, stellen sich erneut grundsätzliche Fragen politischer Ethik. Bereits stets haftete den Friedensbekenntnissen von Protagonisten des Protestantismus - aber auch von linkskatholischen Aktivisten wie Pax Christi - eine gewisse Ambivalenz an, insofern sie - maßgeblich im Kontext der lateinamerikanischen Befreiungstheologie mit der Rechtfertigung von befreiender Gewalt aus unterdrückerischer struktureller Gewalt einherging. Weltweit, gerade auch im geteilten Deutschland, diente die Explikation der - in einem anderen historischen Kontext verfassten - Schriften Bonhoeffers zur Legitimation eigener politischer Positionen. In der DDR reklamierten Theologen wie Hanfried Müller Bonhoeffer für das DDR-Regime, andere wie der Bonhoeffer-Schüler Albrecht Schönherr für die friedenspolitsche Hinnahme des Status quo im Zeichen der "Kirche im Sozialismus". Auf der anderen Seite ermutigte das Vermächtnis des Widerstandskämpfers Bonhoeffer Regimegegner wie Ludwig Mehlhorn zur kompromisslosen Opposition gegen die SED-Diktatur sowe gegen die sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa.
Inwieweit in der gegenwärtigen Situation des von Putin eröffneten Krieges die theologischen Aussagen Bonhoeffers, sein Kampf gegen "die Maskerade des Bösen", für politische Entscheidungen - für die mit Waffen unterstützte Parteinahme der Bundesregierung für die Ukraine - im kirchlichen Raum in die Debatte eingebracht werden, steht noch offen. Immerhin erleben wir dieser Tage in Deutschland eine unerwartete, emotionale Bejahung eines offenbar "gerechten" Krieges gegen den (unzweifelhaften) Aggressor Putin. Unbeirrrt pazifistisch klingende, der politischen Realität - und den verantwortungsethischen Dilemmata von Realpolitik entrückte - Stimmen wie die der früheren Bischöfin Margot Käßmann sind derzeit die Ausnahme.
Können wir im Werk von Dietrich Bonhoeffer, dem vor 77 Jahren ermordeten Widerstandskämpfer, überzeugende, politisch praktikable Direktiven für friedensethisches Handeln in der Gegenwart finden? Diese Frage ist beispielsweise an den früheren Ratsvorsitzende der EKD Wolfgang Huber zu richten, der anno 2019, drei Jahre vor der "Zeitenwende" am 24. Februar 2022, ein Porträt des Märtyrer-Theologen verfasst hat, das geistig-geistliche Wegweisung für das 21. Jahrhundert vermitteln soll.
Vor dem Hintergrund der von Huber
nur indirekt angesprochenen, zunehmenden Indifferenz gegenüber der
christlichen Glaubenstradition und der kriegspolitisch - sprich: dezisionistisch - zugespitzten Gegenwart verweise ich auf meine Globkult-Rezension (https://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/2139-wolfgang-huber-dietrich-bonhoeffer-auf-dem-weg-zur-freiheit-ein-portraet) des Buches, die jetzt auch auf Tabula Rasa Magazin erschienen ist: https://www.tabularasamagazin.de/wolfgang-huber-portraetiert-den-maertyrer-bonhoeffer-fuer-die-gegenwart/
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